OGH 7Ob612/95

OGH7Ob612/9518.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*****GmbH, ***** vertreten durch Dr.Wilhelm Schlein, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dorothea J*****, vertreten durch Dr.Markus Tesar, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30.Mai 1995, GZ 41 R 326/95-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20.Oktober 1994, GZ 45 C 566/93g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte mietete am 14.10.1976 die Wohnung top 9 im Haus Wien *****. Im Mietvertrag wurde der Passus "darf nur zu Wohnzwecken verwendet werden" gestrichen. Am 9.1.1986 erwarb die Beklagte eine Eigentumswohnung in Wien *****, und zog aus der Mietwohnung aus. Ihr Ehemann, der bis dahin mit ihr im gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, verwendete die Wohnung seither allein weiter. Er hält sich seither jede Woche von Dienstag bis Freitag dort auf und verrichtet darin auch Buchhaltungsarbeiten für seinen (anderwärts geführten) Gewerbebetrieb. Die Wochenenden verbringt er mit der Beklagten in deren Eigentumswohnung.

Die Klägerin kündigte der Beklagten die Wohnung aus den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 3, Z 4, 1. und 2.Fall, Z 6 MRG sowie aus der Generalklausel im § 30 Abs 1 MRG auf. Zu dem nur mehr den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Kündigungsgrund des § 30 Abs 1 Z 4, 1.Fall, MRG trug sie vor, daß die Beklagte die Wohnung zur Gänze ihrem Mann weitergegeben habe und sie in naher Zukunft offenbar nicht dringend für sich oder eintrittsberechtigte Personen benötige.

Die Beklagte beantragt die Aufhebung der Aufkündigung. Ihr Ehemann wohne seit ihrem Auszug nur deshalb überwiegend in der aufgekündigten Wohnung, um sich besser um seine herzkranke Mutter, welche in der daneben liegenden Wohnung wohne, kümmern zu können. Ein wesentlicher Grund dafür liege aber auch darin, daß er an einer Darmerkrankung leide, mit der unvermeidbar eine Geruchsbelästigung verbunden sei.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4, erster Fall, MRG liege nicht vor. Die Überlassung der Wohnung an eintrittsberechtigte Personen sei nicht als Weitergabe zu beurteilen. Der Ehemann der Beklagten benütze die Wohnung regelmäßig und habe daran auch ein dringendes Wohnbedürfnis, weil er über keine anderwärtige, rechtlich gleichwertige Wohnmöglichkeit verfüge.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß es bei der Beurteilung des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4, erster Fall, MRG im Fall der Überlassung der Wohnung an eintrittsberechtigte Personen auch nicht darauf ankomme, ob das Mietrecht abgetreten werde. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung des Eintrittsrechts sei der Zeitpunkt der Überlassung der Wohnung. Daß der Ehemann der Beklagten auch in deren Eigentumswohnung wohnen könnte, sei nicht als gleichwertige Wohnmöglichkeit zu beurteilen. Die Verweisung auf ein familienrechtliches Wohnverhältnis sei zwar immer nur im Zusammenhang mit minderjährigen Eintrittsberechtigten abgelehnt worden. Diese Begründung müsse aber auch für Ehegatten gelten, weil sonst die Verweisung in § 30 Abs 2 Z 4 MRG auf eintrittsberechtigte Personen schlechthin inhaltslos wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision ist zulässig gemäß § 502 Abs 1 ZPO, weil das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Verweisung des Eintrittsberechtigten auf die Wohnmöglichkeit in der Ehewohnung nicht beachtet hat; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Zu einer Änderung der Rechtsprechung des für die Beurteilung der Entrittsberechtigung maßgebenden Zeitpunkts beim Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4, 1.Fall, MRG, wenn das Bestandobjekt an eine eintrittsberechtigte Person weitergegeben worden ist, besteht im vorliegenden Fall, in dem die vorgetragenen Bedenken, das Eintrittsrecht wie bisher zum Zeitpunkt der Weitergabe zu beurteilen, nicht zum Tragen kommen können, allerdings kein Anlaß. Der Ehemann der Mieterin gehört zum Personenkreis des § 46 Abs 1 MRG, demgegenüber der Hauptmietzins im Fall des Eintritts in den bestehenden Mietvertrag nach §§ 12 Abs 1 und 2, 14 MRG, nicht erhöht werden darf. Der erblickte Wertungswiderspruch, daß der Eintrittsberechtigte im Fall des Eintritts in den Mietvertrag einen höheren Mietzins zahlen müßte, im Fall der (geschützten) Weitergabe an ihn aber nicht, käme hier nicht zum Tragen.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Überlassung des Mietgegenstandes an Eintrittsberechtigte, wie sich kraft Größenschlusses aus der Berücksichtigung sogar ihres künftigen Bedarfs ergibt, nicht den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4, 1.Fall, MRG herstellt, selbst wenn die Mindestzeiten des gemeinsamen Haushalts nach § 12 MRG nicht vorliegen (Würth in Rummel, ABGB2 Rz 24 zu § 30 MRG und die dort angeführte Rechtsprechung). Es trifft auch zu, daß der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Eintrittsrechts bei einer solchen Weitergabe jener der Weitergabe ist (SZ 62/200 uva). Mit der Ausführung, daß Eintrittsberechtigte bei der Prüfung ihres dringenden Wohnbedürfnisses grundsätzlich nicht auf eine familienrechtliche Wohnmöglichkeit zu verweisen sind, wobei es sich auf die im Zusammenhang mit dem Eintrittsrecht Minderjähriger entwickelte Rechtspechung berief, hat das Berufungsgericht aber die Rechtsprechung zum dringenden Wohnbedürfnis solcher Eintrittsberechtigter außer acht gelassen, denen familienrechtliche Ansprüche auf die Ehewohnung gegenüber ihrem Ehegatten gemäß § 97 ABGB zustehen. Grundsätzlich ist auch hier ein dringendes Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nur dann zu bejahen, wenn die unabweisliche Notwendigkeit besteht, den anderwärts in rechtlich gleichwertiger Weise nicht gedeckten Wohnbedarf des Eintrittsberechtigten zu befriedigen (MietSlg 24.329, 31.411, 33.373/7, 38.316/19; WoBl 1989/1 uva). Ein solcher Eintrittsberechtigter kann zwar dann nicht auf die Wohnmöglichkeit bei seinem Ehegatten verwiesen werden, wenn er im Zeitpunkt der Weitergabe die ernstliche Absicht hatte, die Ehegemeinschaft nicht mehr aufzunehmen (MietSlg 6.610, 15.393, 16.436, 17.483, 19.350, 23.405 uva). Besteht aber ein durch § 97 ABGB gesicherter Anspruch des Eintrittsberechtigten an der Ehewohnung, ist die Ehe intakt und werden keine berücksichtigungswürdigen Gründe nachgewiesen, warum der Eintrittsberechtigte seinen Wohnsitz nicht (ständig) in der Ehewohnung nehmen will, so ist der Bedarf in der von Ehegatten gewährten Wohnmöglichkeit ausreichend gesichert (MietSlg 42.239), so daß das dringende Wohnbedürfnis zu verneinen ist.

Im vorliegenden Fall könnte der Ehegatte der Beklagten, der an den Wochenenden auch die ebenfalls in Wien gelegene Eigentumswohnung der Beklagten regelmäßig benützt, auf seinen familienrechtlichen Anspruch auf diese Ehewohnung verwiesen werden. Die Beklagte hat allerdings vorgebracht, daß ihr Ehemann deshalb weiterhin überwiegend in der aufgekündigten Wohnung wohne, um sich besser um seine in der Nebenwohnung lebende herzkranke Mutter kümmern zu können; ein weiterer Grund dafür liege darin, daß er bereits seit Jahrzehnten an einer Darmerkrankung leide, mit der unvermeidlicherweise eine Geruchsbelästigung verbunden sei. Diese Gründe könnten triftig genug für die Entscheidung sein, nicht ständig in der Ehewohnung, sondern in der aufgekündigten Wohnung zu wohnen, so daß dann das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten an der aufgekündigten Wohnung zu bejahen wäre. Das Erstgericht hat zu diesem entscheidungswesentlichen Sachverhalt keine Feststellungen getroffen, weshalb es einer Ergänzung des Verfahrens durch die erste Instanz bedarf.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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