OGH 10ObS149/95

OGH10ObS149/9517.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Robert Letz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmuth Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann S*****, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.April 1995, GZ 5 Rs 28/95-34, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. Dezember 1994, GZ 46 Cgs 76/93k-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 20.12.1988 anerkannte die Beklagte die Erkrankung, die sich der Kläger als Hilfspolier zugezogen hat, als Berufskrankheit gemäß § 177 ASVG Anl 1 LfdNr 33 (Durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit) mit Eintritt des Versicherungsfalles 11.12.1987. Gleichzeitig lehnte sie eine Versehrtenrente ab, weil die Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 20 vH gemindert war.

Mit Bescheid vom 4.5.1993 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 5.2.1993 auf Versehrtenrente wegen dieser Berufskrankheit nach § 183 ASVG mangels einer wesentlichen Änderung ab.

Mit einem weiteren Bescheid vom 4.5.1993 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 5.2.1993 auf Versehrtenrente wegen der Folgen seiner Staublungenerkrankung gemäß § 177 Abs 1 ASVG Anlage 1 LfdNr 26 mit der Begründung ab, daß sie keine objektiv feststellbare Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf verursache.

Gegen beide Bescheide erhob der Kläger rechtzeitige Klagen, die jedoch nicht zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurden.

In der die Lärmschwerhörigkeit betreffenden Klage zu 46 Cgs 75/93g begehrte er für die Folgen dieser Berufskrankheit eine Versehrtenrente von 40 vH "ab gesetzlichem Zeitpunkt".

In der die Staublungenerkrankung betreffenden Klage zu 46 Cgs 76/93k begehrte er für diese Berufskrankheit eine Versehrtenrente von 20 vH "ab gesetzlichem Zeitpunkt".

Die Beklagte beantragte die Abweisung beider Klagebegehren.

In der im Verfahren zu 46 Cgs 76/93k durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 28.2.1994 brachte der Kläger vor, daß bei ihm die weitere Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit vorliege, so daß allenfalls eine Gesamtrentenbildung in Betracht komme. Die Beklagte erklärte dazu, sie werde bis zur nächsten Tagsatzung klären, ob sie beabsichtige, einen Gesamtrentenbescheid hinsichtlich beider Berufskrankheiten zu erlassen.

In der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 16.5.1994 behauptete der Kläger eine Verschlechterung seiner Lungenerkrankung und beantragte die Beischaffung des Aktes 46 Cgs 75/93g zur Abklärung, ob eine Gesamtbeurteilung durchzuführen sei.

Nach dem abschließenden zusammenfassenden Gutachten des Sachverständigen für Lungenkrankheiten ON 22 beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infolge der Lärmschwerhörigkeit seit 28.11.1990 10 vH und infolge der Silikose seit 28.6.1994 20 vH, die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit ab 28.6.1994 25 vH.

In der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 22.12.1994 "präzisierte und modifizierte" der Kläger sein Begehren wie folgt:

"Die beklagte Partei sei schuldig, ihm für die Folgen seiner Berufskrankheit Silikose ab dem gesetzlichen Zeitpunkt eine Versehrtenrente in möglicher Höhe im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und ihm weiters für die Folgen seiner beiden Berufskrankheiten (Silikose und Lärmschwerhörigkeit) ab dem gesetzlichen Zeitpunkt in möglicher Höhe eine Gesamtdauerrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Die Beklagte erklärte, daß gegen eine Gesamt - MdE von 25 vH ab dem 28.6.1994 kein Einwand bestehe, aber eine frühere Rentengewährung nicht gerechtfertigt sei.

Das Erstgericht stellte die Lungenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit gemäß § 177 Abs 1 ASVG Anlage 1 LfdNr 26 (Silikose) und den Eintritt dieses Versicherungsfalles mit dem 4.8.1988 fest und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger für die Folgen dieser Berufskrankheit und seiner weiteren Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit vom 19.8.1992 bis 27.6.1994 eine Gesamtdauerrente von 20 vH, ab 28.6.1994 eine Gesamtdauerrente von 25 vH, jeweils im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Das Mehrbegehren auf eine Versehrtenrente allein aus der Berufskrankheit Silikose wurde abgewiesen.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen beträgt die MdE infolge der Lärmschwerhörigkeit seit 28.11.1990 knapp 10 vH. Die Silikose besteht mit einer geringen Beenträchtigung von Atmung und Kreislauf seit 4.8.1988, zog jedoch bis 18.8.1992 keine MdE nach sich. Bis 27.6.1994 betrug die diesbezügliche MdE 10 vH, seit 28.6.1994 20 vH. Die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit betrug vom 19.8.1992 bis 27.6.1994 20 vH und beträgt seither 25 vH.

Gegen dieses Urteil erhoben beide Parteien Berufung. Der Kläger bekämpfte es nur insoweit, als ihm für die Zeit ab 28.6.1994 nicht eine Gesamtdauerrente von 30 vH zuerkannt wurde. Die Beklagte focht nur den Zuspruch einer Gesamtrente von 20 vH für die Zeit vom 19.8.1992 bis 27.6.1994 an.

Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen nicht Folge und trug der Beklagten auf, dem Kläger vom 19.8.1992 bis 27.6.1994 eine vorläufige Zahlung von 1.000 S monatlich und ab 28.6.1994 eine solche von 1.300 S monatlich zu erbringen.

Das Gericht zweiter Instanz bejahte die Frage, ob überhaupt eine Gesamtrentenbildung möglich sei. Der Kläger habe am 3.2.1993 einen einheitlichen Antrag auf Versehrtenrente für beide Berufskrankheiten gestellt, über den die Beklagte in gesonderten Bescheiden negativ entschieden habe. Daraus ergebe sich zwangsläufig, daß nach Ansicht der Beklagten eine Versehrtenrente weder für die einzelnen Berufskrankheiten noch als Gesamtrente zustehe. Beide Bescheide seien gesondert bekämpft, die beiden Verfahren aber nicht verbunden worden, obwohl einer Gesamtrentenbildung nichts entgegengestanden wäre. Obwohl der Kläger seine Klage zur Lärmschwerhörigkeit zurückgenommen habe, erscheine im verbliebenen Verfahren die Absprache über die Gesamtrente zulässig, weil die Beklagte über beide Berufskrankheiten abgesprochen und in jedem Bescheid zumindest erkennbar auch - ausgehend von ihren Prämissen - die Berechtigung einer Gesamtrente verneint habe. Trotz der Antragstellung am 3.2.1993 sei die Rentengewährung ab 19.8.1992 zulässig, weil die Berufskrankheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles angezeigt worden seien (§ 86 Abs 4 Satz 2 ASVG idF der 50. Nov). Daß seinerzeit über die Berufskrankheiten ein negativer Bescheid ergangen sei, hindere die Anwendung der zit Gesetzesstelle nicht (§ 547 Abs 4 ASVG). Im übrigen sei nach § 174 Z 2 leg cit dann, wenn dies für den Versicherten günstiger sei, der Versicherungsfall mit dem Beginn der MdE als eingetreten anzusehen, hier also mit 19.8.1992.

Das Berufungsurteil wird nur mehr von der Beklagten mit Revision bekämpft. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das Berufungsurteil teilweise durch Abweisung des auf Gewährung einer Gesamtdauerrente von 20 vH für die Zeit vom 19.8.1992 bis 2.2.1993 abzuändern.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch ohne die Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Nach § 85 ASVG entstehen die Ansprüche auf die Leistungen aus der Unfallversicherung in dem Zeitpunkt, in dem die im Dritten Teil (Unfallversicherung) des ASVG hiefür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt werden. Da die Antragstellung auf die Leistung im Siebenten Teil des ASVG behandelt wird, ist sie nicht Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs. Sie ist nur in den Fällen, in denen Leistungen nur auf Antrag festgestellt werden (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG) Voraussetzung für die Leistungspflicht des Versicherungsträgers (MGA ASVG 58. ErgLfg 516 FN 1). Soweit nichts anderes bestimmt ist, fallen die sich aus den Leistungsansprüchen ergebenden Leistungen mit dem Entstehen des Anspruchs (§ 85 ASVG) an (§ 86 Abs 1 leg cit). Leistungen aus der Unfallversicherung fallen, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruchs gestellt wurde, mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruchs führt (§ 86 Abs 4 Satz 1 ASVG). Wird eine Unfallanzeige innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles erstattet, so gilt der Zeitpunkt des Einlangens der Unfallanzeige beim Unfallversicherungsträger als Tag der Einleitung des Verfahrens, wenn dem Versicherten zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens noch ein Anspruch auf Rentenleistung zusteht (§ 86 Abs 4 Satz 2 idF der 50. Nov).

Nach § 174 Z 2 ASVG gilt der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit (§ 120 Abs 1 Z 1) oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der MdE (§ 203) als eingetreten.

Als Berufskrankheiten gelten die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichnten Unternehmen verursacht sind (§ 177 Abs 1 ASVG). Staublungenerkrankungen (Silikose und Silikatose) gelten nur mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf als Berufskrankheiten (LfdNr 26 lit a). Nach den maßgeblichen Feststellungen liegt beim Kläger eine Silikose vor, die sich zwar mit 4.8.1988 erstmals in einer geringfügigen Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf manifestierte, also seit damals als Berufskrankheit gilt. Da sie jedoch bis 18.8.1992 keine MdE nach sich zog, gilt der Versicherungsfall bei dieser Berufskrankheit nicht nur mit ihrem Beginn sondern auch mit dem Beginn der MdE am 19.8.1992 als eingetreten.

Innerhalb von zwei Jahren nach diesem - für den Kläger günstigeren - Eintritt des Versicherungsfalles wurde von ihm am 3.2.1993 ein Antrag auf Feststellung des Anspruches auf Versehrtenrente gestellt. Deshalb fiel die begehrte Leistung - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nach § 86 Abs 1 und Abs 4 Satz 1 iVm § 85 ASVG bereits mit diesem Eintritt des Versicherungsfalles, also am 19.8.1992 an.

Die Rechtsrüge ist daher schon aus diesem Grund nicht berechtigt. Deshalb erübrigt es sich, auf ihre Ausführungen zu § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG einzugehen.

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