Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Am 27.12.1992 benützte die Klägerin den Schlepplift der beklagten Partei. Aus nicht feststellbarer Ursache stürzte sie etwa 4 m vor der Ausstiegsstelle. Beim Versuch, sich irgendwo festzuhalten, wurde der kleine Finger der rechten Hand zwischen dem Liftbügel und dem Seil eingeklemmt, wodurch das Endglied des Fingers teilweise weggerissen wurde.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von S 50.000,-- Schmerzengeld, S 30.000,-- Verunstaltungsentschädigung und S 10.000,-- Verdienstentgang sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden. Sie brachte vor, der Bügel des von ihr benützten Schleppliftes sei am Schleppseil schlecht befestigt gewesen, sodaß er sich bei mehr Druck gegen den Bügel vom Seil abgehoben habe und bei Nachlassen des Druckes wiederum zum Seil zurückgeschnappt sei. Aufgrund der von ihr erlittenen Verletzung habe das Endglied des rechten kleinen Fingers amputiert werden müssen.
Die Beklagte wendete ein, es sei erst wenige Tage vor dem Unfall der Klägerin von ihrem Betriebsleiter eine routinemäßige Überprüfung des Liftes durchgeführt worden, diese habe keine Mängel ergeben. Es sei weder notwendig noch angezeigt, daß ein Schifahrer in den Bereich zwischen Seil und Liftbügel greife. Der Unfall sei ausschließlich auf die Unaufmerksamkeit und das unsachgemäße Verhalten der Klägerin zurückzuführen. Die Liftspur habe sich im Unfallszeitpunkt im ordnungsgemäßen Zustand befunden. Der Unfall der Klägerin sei für die beklagte Partei unabwendbar gewesen. Der Liftwart habe alle nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt angewendet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging.
Bei dem von der beklagten Partei betriebenen Babylift S***** im I***** Schigebiet handelt es sich um einen Einseil-Umlauf-Schlepplift mit Einfachbügel. Der Bügel ist am Zugseil direkt ohne zusätzliches Zugelement befestigt. Die zwischen je zwei Zugseilklemmen befindlichen Bügel werden in Fahrtrichtung hinter der zu befördernden Person in Position gebracht und sind der Körperform angepaßt. Infolge des durch den Schleifwiderstand der Schi entstehenden Drucks erfolgt eine Verklemmung des Bügels am Seil, sodaß vorwiegend durch Reibschluß die Verbindung Seil-Bügel gegeben ist. Diese Verklemmung erfolgt technisch bedingt durch eine Verdrehung des Bügels um eine lotrechte Achse, wobei sich in Fahrtrichtung vorne ein geringer Spalt zwischen der Klemmvorrichtung des Bügels und dem Zugseil ergibt. Durch bewußte Kraftaufbringung an der Bügelspitze kann dieser Spalt stark vergrößert werden. Der Lift entspricht üblichen Ausführungen. Lifte dieser Bauart werden vorzugsweise als Verbindungslifte, sowie für die Beförderung von Schilaufanfängern und hier besonders für Kinder errichtet. Die Fahrgeschwindigkeit und auch die Neigung in Fahrtrichtung sind gering. Bei betriebsgemäßer Beförderung ist der in Fahrtrichtung vorne entstehende Spalt infolge der Bügelverdrehung so gering, daß an dieser Stelle kein Einklemmen erfolgen kann. Wenn jedoch ein Benützer der Anlage ins Ungleichgewicht und infolge dessen auch in Sturzgefahr kommt, ist nicht auszuschließen, daß reflexartige Gegenbewegungen ausgeführt werden, um den sich abzeichnenden Sturz zu vermeiden. Dabei kann es zu einer Verlagerung der Kraft auf die äußerste Spitze des Beförderungsbügels kommen, wobei die Kraft infolge dynamischer Komponenten wesentlich größer als die normale Beförderungskraft sein kann. Beim Zusammentreffen beider Komponenten, nämlich der Verlagerung der dynamischen Kraft an die äußere Spitze des Beförderungsbügels und gleichzeitigem Greifen nach dem Zugseil, kann es zu einem Einklemmen kleiner Körperteile (Finger) kommen. Die Rückstellkraft ist groß genug, um einen Finger stark zu verletzen bzw abzutrennen. Dies ist auch beim Tragen üblicher Schihandschuhe möglich. Hinweise über das Verhalten im Sturzfall sind beim Lifteinstieg angebracht. Die Ausführung des Bügels ist bei derartigen Liften sehr häufig und auch behördlich genehmigt. Eine mangelhafte Befestigung des Bügels konnte nicht festgestellt werden. Bei der für diesen Schlepplift vorgesehenen Konstruktion können die Bügel auch nicht anders befestigt werden. Es gibt jedoch auch anders konstruierte Schlepplifte, bei denen die Mitnehmerbügel technisch anders ausgeführt sind und sich der Bügel nicht vom Seil wegbewegt. Maßnahmen, um vorbeugend einen Unfall durch Einklemmen eines Fingers zu verhindern, konnte der Betreiber des Liftes nicht treffen.
An der Einstiegsstelle des Liftes ist ein Liftwart. Der Lift hat eine Länge von 240 m. Das Zugseil wird üblicherweise im Bereich eines etwa 40 cm vor dem Bügel befindlichen roten Knopfes erfaßt.
Die Liftanlage wird in einem Abstand von zumindest 5 Jahren behördlich überprüft, die letzte Überprüfung fand 1991 statt. Darüberhinaus überprüfen den Lift Beauftragte der beklagten Partei jeweils vor der Saison. Eine derartige Überprüfung durch den Betriebsleiter der beklagten Partei erfolgte am 18.12.1992, es wurden dabei keine Mängel festgestellt.
Die Klägerin ist eine durchschnittlich gute Schifahrerin. Sie benützte den Schlepplift der beklagten Partei am 27.12.1992 gemeinsam mit ihren beiden Kindern, wobei sie bis 11.00 Uhr dieses Tages bereits mehrfach gefahren ist. Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Liftspur nicht im ordnungsgemäßen Zustand war. Aus nicht feststellbarer Ursache stürzte die Klägerin etwa 4 m vor der Ausstiegsstelle. Beim Versuch, sich noch irgendwo festzuhalten, wurde der kleine Finger der rechten Hand zwischen dem Liftbügel und dem Seil eingeklemmt und teilweise das Endglied des Fingers weggerissen. Als der Liftwart bemerkte, daß die Klägerin offensichtlich Schwierigkeiten hatte, stellte er den Lift sofort ab.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht ein Verschulden der beklagten Partei oder ihrer Erfüllungsgehilfen, weil der Schlepplift behördlich genehmigt war, sich zum Unfallszeitpunkt im ordnungsgemäßen Zustand befand und auch vom Liftwart der Lift sofort nach Feststellung der Unsicherheit der Klägerin abgestellt wurde. Das Erstgericht verneinte aber auch eine Haftung der beklagten Partei nach dem EKHG, weil der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit noch auf einem Versagen der Verrichtung des Schleppliftes beruhte (§ 9 EKHG). Ein Fehler in der Beschaffenheit liege nicht vor, wenn die technische Leistungsfähigkeit den gesamten gesetzlichen Vorschriften und der normalen Beschaffenheit bei derartigen Einrichtungen entspreche und keine Mängel bekannt seien. Der Unfall sei vielmehr auf das Verhalten der Klägerin selbst zurückzuführen und sei von den Bediensteten der beklagten Partei jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet worden.
Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision nicht für zulässig.
Das Berufungsgericht vertrat zur Rechtsfrage die Ansicht, der beklagten Partei sei der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG gelungen. Sie habe bewiesen, jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet zu haben, es sei ihr nicht möglich gewesen, den Unfall der Klägerin zu verhindern. Von einem Fehler in der Beschaffenheit des Schiliftes könne nicht gesprochen werden, vielmehr sei der Unfall auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung aufzutragen; hilfsweise wird eine Abänderung dahingehend beantragt, daß dem Feststellungsbegehren zur Gänze und dem Zahlungsbegehren dem Grunde nach stattgegeben werde.
Die beklagte Partei hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil es zur Frage der fehlerhaften Beschaffenheit eines Schleppliftes keine Rechtsprechung gibt, sie ist im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, die beklagte Partei habe einen Haftungsbefreiungsgrund des § 9 EKHG nicht bewiesen. Es liege ein Fehler in der Beschaffenheit des Schiliftes vor, sodaß die Ersatzpflicht auch dann nicht ausgeschlossen sei, wenn der Halter oder die mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Personen die äußerste nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Der Fehler in der Beschaffenheit des Schiliftes liege deshalb vor, weil die Klemmvorrichtung des Bügels an der Vorderseite nicht durch einen Ring so abgesichert war, daß sich kein Spalt ergeben hätte können.
Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:
Gemäß §§ 1, 5 EKHG haftet für den Ersatz von Schäden die durch einen Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn entstehen, der Betriebsunternehmer. Gemäß § 2 leg cit gelten als Eisenbahnen auch die Schlepplifte. Die Ersatzpflicht ist gemäß § 9 Abs 1 EKHG dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit, noch auf einem Versagen der Verrichtungen des Schiliftes beruhte. Worauf der Fehler der Beschaffenheit beruht, ist unerheblich. Fehler in der Beschaffenheit des Schiliftes schließen die Haftung des Halters auch dann nicht aus, wenn der Halter oder die mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Personen die äußerste nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Eine fehlerhafte Beschaffenheit ist dann gegeben, wenn die technischen Einrichtungen des Schilifts ungenügend sind (vgl ZVR 1991/39 mwN), wenn der Lift nicht verkehrssicher genug ist (vgl Apathy, Komm z EKHG, Rz 23 zu § 9), und wenn der zum Unfall führende Mangel nach dem Stand der Wissenschaft und Technik vermieden werden hätte können (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 548). Um einen Fehler in der Beschaffenheit auszuschließen genügt es, daß der Schilift unmittelbar vor dem Unfall den Zulassungsvorschriften entspricht. Wurde aber der Schilift zugelassen, obwohl er den Zulassungsvorschriften nicht entsprach, so liegt ein Fehler vor, da es auf den objektiven Zustand ankommt, und nicht darauf, ob eine Behörde oder der Halter den Fehler bemerkt hat (Koziol, aaO; Apathy, aaO; ZVR 1960/307).
Im vorliegenden Fall erfolgte eine Betriebsanlagengenehmigung des von der beklagten Partei betriebenen Schiliftes im Sinne der §§ 74 ff GewO 1973. Gemäß § 74 Abs 2 Z 1 leg cit hätte die Genehmigung nur dann erteilt werden dürfen, wenn der Lift das Leben oder die Gesundheit der Kunden nicht gefährdet. Eine derartige Gefährdung liegt aber hier vor, weil es bei besonders ungünstigen Belastungsverhältnissen zu schweren Verletzungen der Benützer des Schiliftes kommen kann. Der von der beklagten Partei betriebene Lift hätte daher in der vorliegenden Form nicht genehmigt werden dürfen, er entspricht nicht den Beschaffenheitsvorschriften. Die vorliegende Betriebsanlagegenehmigung schließt daher einen Fehler in der Beschaffenheit nicht aus. Vielmehr liegt, ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes, eine fehlerhafte Beschaffenheit vor, weil sich bei besonders ungünstigen Verhältnissen ein Spalt zwischen dem Zugseil und dem Bügel öffnen und dieser zu schweren Verletzungen führen kann und auch eine andere Ausführung des gesamten Schiliftes möglich gewesen wäre. Die Anlage der beklagten Partei ist somit nicht genügend verkehrssicher und hätte der Mangel auch vermieden werden können.
Daraus folgt, daß die beklagte Partei grundsätzlich für den Schaden, der aus der Körperverletzung der Klägerin entstanden ist, einzutreten hat. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß der Lift nach den Behauptungen der beklagten Partei seit 1982 existiert und es nie zu einem Unfall kam. Der beklagten Partei ist ja kein Verschulden anzulasten, weil sie über eine Betriebsanlagengenehmigung verfügte und auch der Liftwart die erforderliche Sorgfalt aufwendete. Daß aber der Fehler in der Beschaffenheit nicht früher zutage getreten ist, ändert nichts an der Haftung nach dem EKHG, auf die sich sie Klägerin in der Revision nunmehr allein stützt. Wenngleich im erstinstanzlichen Verfahren primär Verschulden geltend gemacht wurde, war die Gefährdungshaftung nach dem EKHG zu prüfen (Apathy, aaO, Rz 3 zu § 1).
Da noch keine Feststellungen getroffen wurden, die eine Beurteilung des von der Klägerin erlittenen Schadens der Höhe nach ermöglichen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und war dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Den Beweis für ein Mitverschulden der Klägerin konnte die dafür beweispflichtige beklagte Partei (Apathy, aaO, Rz 3 zu § 7) nicht erbringen; die Klägerin ist aus ungeklärter Ursache gestürzt. Wegen des Sturzes allein handelte sie aber noch nicht sorgfaltswidrig (Reischauer in Rummel2, Rz 7 zu § 1297).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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