OGH 4Ob573/95

OGH4Ob573/9510.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Sachwalterschaftsssache der Ludmilla H*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Betroffenen, vertreten durch Dr.Dietrich Clementschitsch und andere Rechtsanwälte in Villach, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 26.Juli 1995, GZ 2 R 258/95-36, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 11.Mai 1995, GZ 2 SW 23/92-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 6.10.1992 verständigte das Erstgericht (in seiner Funktion als Prozeßgericht) in der Rechtssache der klagenden (kündigenden) Partei G*****gesellschaft mbH wider die Beklagte (Kündigungsgegnerin) Ludmilla H***** das Erstgericht (als Pflegschaftsgericht) gemäß § 6 a ZPO davon, daß sich bei der Beklagten Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf den Rechtsstreit ergäben (ON 1).

Nach Durchführung der Erstanhörung bestellte das Erstgericht Mag.Peter S***** zum einstweiligen Sachwalter der Betroffenen Ludmilla H***** gemäß § 238 Abs 1 AußStrG (Beschluß vom 7.12.1992, ON 4); das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß (Beschluß vom 28.1.1993, ON 8).

Mit Beschluß vom 15.10.1993, ON 10, erteilte das Erstgericht einer Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie den Auftrag, ein schriftliches Gutachten darüber zu erstatten, ob bei der Betroffenen eine psychische Erkrankung im Sinn des § 273 Abs 1 ABGB vorliege.

Da die Betroffene der Vorladung der Sachverständigen nicht nachkam, erstattete diese das Gutachten auf Grund der Aktenlage und kam zum Ergebnis, daß bei der Betroffenen vermutlich eine paranoide Reaktion auf Umweltfaktoren vorliege; es bestehe die Gefahr, daß sich die Betroffene in einzelnen Angelegenheiten selbst schädige (ON 17).

Mit Beschluß vom 27.6.1994, ON 22, bestellte das Erstgericht hierauf Mag.Peter S***** zum Sachwalter der Betroffenen gemäß § 273 ABGB zwecks Vertretung der Betroffenen gegenüber Ämtern und Behörden, insbesondere im Verfahren gegenüber der Klägerin des Kündigungsstreites.

Infolge Rekurses des Sachwalters hob das Rekursgericht diese Entscheidung mit Beschluß vom 9.8.1994, ON 26, auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Vermutung der Sachverständigen reiche als Voraussetzung für die Bestellung eines Sachwalters nicht aus. Nach § 237 Abs 2 AußStrG könne das Gericht die Betroffene mit der nötigen Schonung zur Untersuchung durch die Sachverständige zwangsweise vorführen lassen. Auch das zwangsweise Öffnen der Wohnungstür sei durchaus zulässig.

Da die Betroffene auch einer weiteren Vorladung der Sachverständigen nicht Folge leistete, ordnete das Erstgericht mit Beschluß vom 10.2.1995, ON 30, die zwangsweise Vorführung der Betroffenen zur Befundaufnahme durch die Sachverständige an.

Laut Bericht des Gerichtsvollziehers konnte die Vorführung nicht vollzogen werden, weil der Vollzugsort versperrt war. Im Hinblick auf den Bericht des Gerichtsvollziehers, daß die Betroffene offensichtlich nicht in der Wohnung anwesend war, sah das Erstgericht vom Aufsperren ab.

Seit 27.10.1993 fragte die Bundespolizeidirektion V*****, bei welcher ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Betroffene wegen Verdachtes der Übertretung nach § 2 LGBl 74/77 anhängig ist, wiederholt an, ob für sie ein Kurator bestellt wurde (ON 11 und 16) und ob sie zur Tatzeit deliktsfähig war (ON 23 und 32).

Mit Beschluß vom 11.5.1995, ON 33, bestellte das Erstgericht Mag.Peter S***** zum einstweiligen Sachwalter der Betroffenen für deren Vertretung im Kündigungsverfahren ***** und im Verfahren St-***** der Bundespolizeidirektion V*****. Vor der Anordnung weiterer zwangsweiser Maßnahmen erachte es das Gericht im Hinblick auf die bereits seit längerer Zeit anhängigen Verfahren als im Interesse der Betroffenen dringend geboten, ihr für die beiden angeführten Verfahren gemäß § 238 Abs 2 AußStrG einen Dringlichkeitssachwalter zu bestellen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Da die Betroffene das Sachwalterverfahren ständig verzögere und dessen Abschluß daher nicht abgesehen werden könne, sei die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters zur Führung des Kündigungsstreites eine dringende Angelegenheit im Sinn des § 238 Abs 2 AußStrG, zumal die Betroffene als Beklagte im Kündigungsstreit objektiv gesehen ein Recht auf alsbaldige Entscheidung habe, welches sie ganz offensichtlich nicht in geeigneter Weise wahrzunehmen imstande sei. Dasselbe gelte im Verfahren vor der Bundespoilizeidirektion V*****, das insbesondere auch im Interesse der Betroffenen einem alsbaldigen Abschluß zuzuführen sei, zumal die dem Verfahren zugrunde liegende Strafverfügung bereits am 23.2.1993 erlassen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen ist zwar zulässig, weil - soweit überblickbar - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Auslegung des § 238 Abs 2 AußStrG fehlt; er ist aber nicht berechtigt.

Die - durch ihren frei gewählten Rechtsanwalt vertretene - Betroffene vertritt auch in dritter Instanz die Auffassung, daß für ihr Wohl weder die Fortsetzung des ausgesetzten Kündigungsprozesses, in dem sie Beklagte sei, noch auch die Entscheidung über den Vorwurf einer geringfügigen Verwaltungsübertretung erforderlich sei. Die Interessen des Prozeßgegners und der Behörde reichten für die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 238 Abs 2 AußStrG nicht aus. Daß sie sich bisher keiner Untersuchung durch einen Sachverständigen aus dem Fach der Psychiatrie unterzogen habe, könne ihr schon deshalb nicht zum Nachteil gereichen, weil sie dafür bei Zutreffen der erstrichterlichen Bedenken gegen ihre Prozeßfähigkeit nicht verantwortlich sei. Dem ist nicht zu folgen:

§ 238 AußStrG sieht die Bestellung eines "einstweiligen Sachwalters" in zwei Fällen vor: Nach § 238 Abs 1 AußStrG ist für den Betroffenen, wenn er keinen gesetzlichen oder selbst (wirksam) gewählten Vertreter hat, einen einstweiliger Sachwalter für das Sachwalterbestellungsverfahren zu bestellen, wodurch der Betroffene in seinen Rechtshandlungen nicht beschränkt wird. Eine solche Bestellung hat das Erstgericht schon mit Beschluß vom 7.12.1992, ON 4, vorgenommen.

Nach § 238 Abs 2 AußStrG hat das Gericht dem Betroffenen, wenn es sein Wohl erfordert, zur Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten für die Dauer des Verfahrens gleichfalls einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen.

Diese - sofort wirksame - Bestellung schränkt die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Wirkungskreis des einstweiligen Sachwalters ein (EvBl 1991/34 = EFSlg 63.056; Gamerith, Drei Jahre Sachwalterrecht, NZ 1988, 61 ff [69]).

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen es das Wohl des Betroffenen erfordert, ihm für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter zur Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten zu bestellen, ist im Gesetz nicht näher geregelt (Gamerith aaO; Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter, ÖJZ 1990, 762 ff [767]). Nach dem Gesetzeswortlaut sind ausschließlich die Interessen des Betroffenen, nicht aber jene Dritter, zu wahren (Gitschthaler aaO). Daß die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für das Wohl des Betroffenen erforderlich sein kann, wenn er als Kläger einen Prozeß führt, insbesondere dann, wenn er dabei Rechtsmittel- oder materiellrechtliche Fristen einzuhalten hat (Gitschthaler aaO), liegt auf der Hand.

Der Rechtsmittelwerberin kann aber nicht darin beigepflichtet werden, daß es ihr Wohl hier nicht erfordere, einen einstweiligen Sachwalter für den Kündigungsprozeß und das Verwaltungsstrafverfahren zu bestellen, weil diese Verfahren ja ohnehin nicht weiter betrieben würden, so daß ihre Interessen als Beklagte und Beschuldigte nicht beeinträchtigt werden könnten.

Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt es bei richtiger Betrachtung sehr wohl im Interesse der Betroffenen, die gegen sie anhängigen Verfahren, insbesondere den Rechtsstreit über die Aufkündigung ihrer Wohnung, möglichst bald einem Ende zuzuführen. Mag auch das Interesse des Klägers an der Erledigung des Prozesses größer sein, so darf doch nicht übersehen werden, daß jedenfalls ein Prozeß, in dem es um die Aufkündigung der Wohnung geht, auch für den Beklagten eine große Belastung bedeutet, weil er in der Ungewißheit darüber leben muß, ob er die Wohnung werde behalten können oder nicht. Das kann gerade bei einem älteren Menschen, wie der Betroffenen, von großer Bedeutung für das psychische Wohlbefinden sein. Trotz Aussetzung des Verfahrens droht ihr ja doch weiterhin der Prozeßverlust - und damit der Verlust ihrer Wohnung - weil sie damit rechnen muß, daß trotz all ihrer Versuche, sich einer Untersuchung durch einen Sachverständigen zu entziehen, letztlich doch ein Gutachten über ihre Prozeßfähigkeit erstellt werden wird. Es ist daher auch für die Betroffene wesentlich günstiger, wenn der schon seit mehr als drei Jahren ausgesetzte Kündigungsprozeß endlich zu einem Abschluß gebracht werden kann.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

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