OGH 10ObS2/95

OGH10ObS2/9520.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Dr.Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.G***** P*****, ***** vertreten durch Dr.Karl Zessin, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ruhen der Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.September 1994, GZ 32 Rs 107/94-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.Mai 1994, GZ 2 Cgs 23/94z-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.059,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 676,48 S USt) binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezog seit 1.Jänner 1991 von der beklagten Partei eine Erwerbsunfähigkeitspension. Mit Bescheid vom 25.Jänner 1994 wurde die Erwerbsunfähigkeitspension ab 1.Jänner 1994 gemäß § 58 GSVG ruhend gestellt. Am 22.Dezember 1993 war der Kläger vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt worden. Dieses Urteil war zufolge erhobener Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung bei Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig. Der Kläger befand sich in Untersuchungshaft.

Mit der am 24.Februar 1994 eingebrachten Klage begehrte der Kläger, die beklagte Partei sei schuldig, ihm die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß über den 31.Dezember 1993 hinaus unter Abstandnahme von der Ruhensbestimmung des § 58 Abs 1 GSVG weiter zu gewähren, da er sich nach wie vor nur in Untersuchungshaft befinde.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen und sie nur zu einer - im Sinn des § 71 Abs 1 Z 3 GSVG verrechenbaren - Vorschußleistung ab 1.Februar 1994 zu verpflichten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Solange der Kläger nicht rechtskräftig verurteilt sei, gelte er als unschuldig. Der Kläger verbüße keine Freiheitsstrafe, sondern befinde sich nur in Untersuchungshaft. Der Ruhenstatbestand gemäß § 58 Abs 1 Z 1 GSVG sei daher nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Untersuchungshaft stelle in der Pensionsversicherung keinen Ruhensgrund dar. Hypothetische Überlegungen in die Richtung, daß der Kläger zu einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe verurteilt werden könnte, seien weder geeignet, die fehlenden Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Z 2 GSVG zu verwirklichen, noch berechtigten sie zu einer "vorsorglichen Vorschußgewährung" von Leistungen, die aufgrund eines rechtskräftigen Bescheides zu erbringen seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und der beklagten Partei die Zahlung eines Vorschusses in Höhe der Erwerbsunfähigkeitspension ab 1.Jänner 1994 aufzuerlegen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 58 Abs 1 GSVG (entspricht § 89 Abs 1 ASVG) ruhen die Leistungsansprüche 1. in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, solange der Anspruchsberechtigte oder sein Angehöriger (§ 123), für den die Leistung gewährt wird, eine Freiheitsstrafe verbüßt oder in den Fällen der §§ 21 Abs 2, 22 und 23 StGB in einer der dort genannten Anstalten angehalten wird; 2. in der Krankenversicherung überdies für die Dauer der Unterschungshaft. Das Ruhen von Renten(Pensions)ansprüchen aus der Unfall bzw Pensionsversicherung nach Abs 1 tritt gemäß Abs 2 nicht ein, wenn die Freiheitsstrafe oder Anhaltung nicht länger als ein Monat währt.

Zur Frage, welche Auswirkungen es auf einen Renten(Pensions)anspruch hat, wenn eine Untersuchungshaft nachträglich auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird, war die Rechtssprechung nicht einheitlich (siehe dazu die Zusammenstellung der Judikatur des OLG Wien als bis 31. 12. 1986 in Leistungsstreitsachen in letzter Instanz zuständigen Oberlandesgerichtes Wien in der Entscheidung 10 Ob S 24/95).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes stellt die Verhängung der Untersuchungshaft zwar in der Krankenversicherung einen Ruhensgrund dar (§ 58 Abs 1 Z 2 GSVG), nicht jedoch in der Pensionsversicherung.

Daß sich der Kläger im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz - infolge seiner noch nicht erledigten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Strafurteil - noch in Untersuchungshaft befand, ist unbestritten. Daran vermag auch die Möglichkeit bzw Verpflichtung der nachträglichen Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafhaft (§ 38 StGB) im Fall der Rechtskraft des verurteilenden Straferkenntnisses nichts zu ändern. Die Untersuchungshaft bildet nämlich auch dann keinen Ruhensgrund, wenn sie nachträglich auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird; in diesem Sinne haben sowohl das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung 16 R 164/66 vom 28.11.1966, SVSlg 17.729 als auch der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 75/68 vom 2.5.1968, SVSlg 17.730, ÖJZ 1968, 663 = EvBl 1968/422, zur gleichlautenden Bestimmung des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG erkannt.

Der - gegenteiligen - Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien 32 R 303/85 vom 16.12.1985, SSV 25/159, wonach die Untersuchungshaft im Ausmaß der Anrechnung als Strafhaft zu werten ist - und worauf sich der Revisionswerber stützt - , kann hingegen nicht gefolgt werden. Als Grundlage dieser Entscheidung wird die 599.BlgNR, 7.GP, 40, zu § 89 ASVG (welche Bestimmung in § 58 GSVG übernommen wurde) genannt, wonach "die Untersuchungshaft der Strafhaft hinsichtlich der Rentenansprüche nicht gleichgestellt wird, da sie bloß eine vorläufige Maßnahme darstellt und keinen Strafcharakter hat; es erschiene daher unbillig, Rentenzahlungen schon aus dem Grunde der Untersuchungshaft zu verweigern, doch wird eine solche im Falle der Verurteilung in dem Ausmaße, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet wird, selbst als Strafhaft zu werten sein."

Die Wertung, daß die U-Haft nachträglich durch die Anrechnung gemäß § 38 StGB zur Strafhaft wird, kann allerdings nicht übernommen werden. Schon aus der Gegenüberstellung der Z 1 und 2 des § 58 GSVG ergibt sich, daß die Leistungsansprüche in der Unfall- und in der Pensionsversicherung für die Dauer der Untersuchungshaft (und selbstverständlich auch der Verwahrungshaft) nicht ruhen.

Zu diesem Ergebnis kommt man übrigens auch, wenn man die Z 1 ohne Berücksichtigung der Z 2 auslegt. Verwahrungs- und Untersuchungshaft sind eben keine Freiheitsstrafen. Die Untersuchungshaft ist eine Maßnahme, die den im § 180 Abs 2 StPO bezeichneten Gefahren entgegenwirken soll (§ 184 leg cit). Nach der letztgenannten Gesetzesstelle dürfen den Untersuchungshäftlingen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und der darauf gegründeten Vorschriften nur jene Beschränkungen auferlegt werden, die der Erreichung der Haftzwecke oder der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten dienen. Gemäß § 186 StPO dürfen Untersuchungshäftlinge eigene Kleidung und Leibwäsche tragen, soweit sie über ordentliche Kleidungs- und Wäschestücke verfügen (Abs 2). Bequemlichkeiten und Beschäftigungen dürfen sich Untersuchungshäftlinge auf ihre Kosten verschaffen, insofern sie mit dem Zweck der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung des Hauses stören noch die Sicherheit gefährden. Sie haben das Recht, sich während der in der Tageseinteilung als Arbeitszeit oder Freizeit bestimmten Zeit selbst zu beschäftigen, soweit dadurch nicht die Haftzwecke oder die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet oder Mithäftlinge belästigt werden (Abs 4), Untersuchungshäftlinge sind zur Arbeit nicht verpflichtet (Abs 5).

Daß der Untersuchungshäftling zB für die während der Haft erlaubten Bequemlichkeiten, aber auch für die Kosten seiner Verteidigung während des Vorverfahrens, in der Hauptverhandlung und während des Rechtsmittelverfahrens Geldmittel zur Verfügung haben soll, sind gerechtfertigte Gründe, Leistungsansprüche aus der Unfall- und der Pensionsversicherung für die Dauer der Untersuchungshaft nicht ruhen zu lassen. Würden Renten und Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung schon für die Dauer der Untersuchungshaft ruhen, stünden sie Untersuchungshäftlingen auch nicht mehr zur Befriedigung von Forderungen Dritter zur Verfügung, etwa zur Schadensgutmachung, wodurch ihnen ein wichtiger Milderungsgrund verloren ginge. Der Untersuchungshäftling könnte seinen Anspruch auf Geldleistungen zu diesem Zweck auch mit Zustimmung des Versicherungsträgers nicht mehr übertragen oder verpfänden (§ 65 GSVG) Diese ohnehin nur beschränkt pfändbaren Forderungen könnten auch nicht mehr nach Maßgabe des § 291 a EO, ja nicht einmal zur Hereinbringung von Unterhaltsansprüchen nach Maßgabe des § 291 b leg cit gepfändet werden. (Allerdings würde den sich im Inland aufhaltenden Angehörigen des Versicherten, die im Falle seines Todes Anspruch auf Hinterbliebenenpension haben, nach § 58 Abs 5 ASVG eine Pension in der Höhe der halben ruhenden Pension gebühren).

Da es sich bei § 58 GSVG um eine Bestimmung handelt, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruches anordnet, verbietet sich eine ausdehnende Auslegung. eine solche läge aber in der Berücksichtigung der in der RV zur Stammfassung des ASVG vertretenen Meinung, eine Untersuchungshaft wäre im Falle der Verurteilung in dem Ausmaß, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet werde, selbst als Strafhaft zu werten. Diese Auffassung der Materialien steht nicht nur mit deren Ausführungen in einem gewissen Widerspruch, daß die Untersuchungshaft der Strafhaft (Anhaltung) hinsichtlich der Rentenansprüche nicht gleichgestellt werde, da sie bloß eine vorläufige Maßnahme darstelle und keinen Strafcharakter habe, so daß es unbillig erschiene, Rentenzahlungen schon aus dem Grunde der Untersuchungshaft zu verweigern. Sie fand auch - wie schon dargelegt - im Wortlaut des § 58 GSVG keinen Niederschlag.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem die Anrechung der Vorhaft auf die Freiheits- und Geldstrafen anordnenden § 38 StGB um eine strafrechtliche Bestimmung handelt, durch die die Dauer der zu verbüßenden Freiheitsstrafe oder die verhängte Geldstrafe vermindert wird. Ob die (auf eine unbedingte Freiheitsstrafe) angerechnete Vorhaft strafrechtlich zu einer Strafhaft wird, kann hier dahingestellt bleiben. Diese strafrechtliche Anrechungsbestimmung hat aber keinerlei Auswirkung auf die Auslegung der Wortfolge "solange der Anspruchsberechtigte .... eine Freiheitsstrafe verbüßt" im § 58 Abs 1 Z 1 GSVG, bei der es sich um eine Norm des Sozialversicherungsrechtes handelt. Solange sich der Anspruchsberechtigte in Verwahrungs- oder in Untersuchungshaft befindet, verbüßt er keine Freiheitsstrafe.

Da sich der Kläger im fraglichen Zeitraum unstrittig in Untersuchungshaft befand, ruhte seine Erwerbsunfähigkeitspension daher nicht.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG.

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