OGH 10ObS153/95

OGH10ObS153/9519.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Theodor Kubak (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Klair (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michaela M*****, vertreten durch Dr.Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.April 1995, GZ 7 Rs 25/95-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.November 1994, GZ 17 Cgs 81/94i-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, das Urteil der ersten Instanz jedoch nur in seinem angefochtenen stattgebenden Teil, werden aufgehoben; insoweit wird die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revisionsbeantwortung bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 9.3.1994 anerkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage ab 1.2.1994 verneinte hingegen einen Anspruch für den Zeitraum vom 1.1.1994 bis 31.1.1994. Die Ausgleichszulage betrage S 214,70 monatlich.

Mit der gegen diesen Bescheid der beklagten Partei gerichteten Klage begehrt die Klägerin, ihr zu ihrer Witwenpension nach dem am 2.4.1982 verstorbenen Versicherten Franz P***** eine Ausgleichszulage von S 7.500,- ab 1.1.1994 zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Klage abzuweisen, weil einerseits ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 8,5 % des monatlichen Nettoeinkommens des geschiedenen zweiten Mannes Gerhard Franz M***** anzurechnen sei und die Klägerin andererseits Anspruch auf Arbeitslosenversicherungsleistungen habe, auf die sie nicht zurückgegriffen hätte. Sie habe dadurch ihre materielle Notlage selbst herbeigeführt. Dieser Verzicht auf die Geltendmachung bestehender Ansprüche dürfe nicht zu Lasten des Versicherungsträgers gehen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und erkannte der Klägerin eine Ausgleichszulage zu ihrer Witwenpension in Höhe von S 5.214,70 ab 1.2.1994 zu. Das auf Zahlung der Ausgleichszulage für Jänner 1994 sowie auf eine S 5.214,70 übersteigende Ausgleichszulage gerichtete Begehren wurde rechtskräftig abgewiesen.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen der Klägerin nicht in Frage käme und führte weiters aus, daß Arbeitslosengeld und Ausgleichszulage aus denselben staatlichen Geldquellen gespeist würden und es dem Versicherten daher unbenommen sei, frei zu entscheiden, ob er einen Antrag auf die Inanspruchnahme einer Versicherungsleistung stellt. Nicht jeder Verzicht auf erzielbares Einkommen führe automatisch dazu, daß dieses nicht erzielte Einkommen im Verhältnis zum Sozialversicherungsträger als Nettoeinkommen berücksichtigt werden müßte. Von einem rechtsmißbräuchlichen Verzicht könne keine Rede sein.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der gegen den klagsstattgebenden Teil des erstgerichtlichen Urteiles gerichteten Berufung der beklagten Partei nicht Folge.

Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß eine Überschneidung der Schutzbereiche sozialer Leistungsfelder vorliege. Die Klägerin habe keinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld gestellt und den dadurch verursachten Ausfall durch Antrag auf Gewährung der Ausgleichszulage zu finanzieren versucht. Der Verzicht auf Einforderung zustehender Geldleistungen sei unter dem Blickwinkel des Rechtsmißbrauchverbotes des § 1295 Abs 2 ABGB zu beurteilen. Ein solcher könne der Klägerin nicht unterstellt werden. Berücksichtige man die zeitliche Limitierung des Arbeitslosengeldanspruches, so sei ein Verzicht auf die Geltendmachung dieser Einkünfte unbeachtlich, zumal sich die Klägerin darauf berufen habe, daß sie auf Grund einer mißverstandenen anwaltlichen Beratung der Meinung gewesen sei, daß bei Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes grundsätzlich der Ausgleichszulagenanspruch gefährdet sei, andererseits aber der Verzicht auf das kurzfristig für einige Monate realisierbare Einkommen nicht zu einer Erhöhung der Ausgleichszulage um solche Beträge führen würde, auf die verzichtet worden sei. Der subsidiäre sozialhilfeähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbiete es zwar im allgemeinen zu berücksichtigen, daß der Berechtigte von sich aus auf realisierbare Leistungen verzichte, wenn es aber nur darauf ankomme, ob der Pensionist tatsächlich über ein Einkommen in Höhe des Richtsatzes verfüge, könne ein aufgegebenes oder nicht realisiertes Recht nicht einfach als tatsächlich angefallener Bezug gewertet werden. In der kurzfristigen Nichtinanspruchnahme des Arbeitslosengeldes für die möglichen Monate der Gewährung sei gegenüber der Geltendmachung des Ausgleichszulagenanspruches kein krasses und zu mißbilligendes Mißverhältnis zu erblicken. Im übrigen teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß ein Unterhaltsanspruch gegenüber den geschiedenen Ehegatten nicht aufgelebt sei, jedenfalls aber die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Erfüllung der Unterhaltsleistung durch den Verpflichteten anzunehmen wäre.

Gegen das Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin stellt den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits wiederholt mit dem Problem des Verzichtes auf realisierbare Einkünfte im Ausgleichszulagenrecht

auseinandergesetzt (SSV-NF 7/19 = DRdA 1994/5[Binder], SSV-NF 7/81,

SZ 66/45, ZAS 1995/2, 10 ObS 36/93 = DRdA 1993, 389). Danach darf ein Ausgleichszulagenbezieher sein Recht, auf Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu verzichten, zwar immer ausüben; ein solcher Verzicht ist aber bei der Feststellung seines Anspruches auf Ausgleichszulage dann nicht zu berücksichtigen, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen. Es geht darum, ob der Ausgleichszulagenwerber das ihm von der Rechtsordnung (§ 1444 ABGB) eingeräumte Recht auf Verzicht offenbar zu dem Zweck ausgeübt hat, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, ob ihm also Rechtsmißbrauch vorzuwerfen ist. Ein solcher liegt nicht erst dann vor, wenn die Absicht des Ausgleichszulagenwerbers, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, der einzige Grund des Verzichtes ist, sondern schon dann, wenn das unlautere Motiv des Verzichtes die lauteren Motive eindeutig überwiegt, also so augenscheinlich im Vordergrund steht, daß andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, demnach zwischen den vom Verzichtenden (vorsätzlich) verfolgten und den beeinträchtigten Interessen des Trägers der Ausgleichszulage ein krasses und zu mißbilligendes Mißverhältnis besteht. Ob Rechtsmißbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalles zu klärende Rechtsfrage. Diese Grundsätze gelten nicht nur für einen unmittelbaren Verzicht auf Ansprüche mit Einkommenscharakter, sondern auch für die Nichtgeltendmachung eines durch Gesetz eingeräumten Anspruches auf eine Geldleistung. Der in der Regel nicht strittige Verzicht ergibt allerdings allein noch keinen Beweis des ersten Anscheins für ein unlauteres Motiv des Verzichtes oder für ein eindeutiges Überwiegen unlauterer Motive. Rechtsmißbrauch wird jedenfalls nicht vermutet, sondern ist von dem darzutun und zu beweisen, der sich darauf beruft.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann ist zu erwägen:

Die Klägerin hat den Antrag auf Arbeitslosengeld deshalb nicht gestellt, um die Ausgleichszulage zu erhalten. Damit steht aber fest, daß sie auf ihren realisierbaren primären Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld nur deshalb verzichtet hat, um die Leistungslast auf die beklagte Partei abzuwälzen. Der subsidiäre sozialhilfeähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbietet es im allgemeinen, daß der Berechtigte von sich aus auf realisierbare Leistungen anderer Art verzichtet (ZAS 1995/2). Die der Klägerin erteilte Auskunft, daß der Bezug von Arbeitslosengeld den Bezug der Ausgleichszulage hindere, ist keine ausreichende Rechtfertigung für die Unterlassung des Antrages auf Gewährung des Arbeitslosengeldes. Ihre Ansicht, daß nach Bezug des Arbeitslosengeldes der Anspruch auf eine Ausgleichszulage überhaupt gefährdet sei, ist irrelevant und begründet kein lauteres Motiv iS der oben dargestellten Grundsätze.

Die Revisionswerberin bekämpft die vom Berufungsgericht geteilte Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der mit 31.12.1992 befristete Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehegatten bei Anwendung des § 292 ASVG deshalb nicht mehr zu berücksichtigen sei, weil einerseits ein Wiederaufleben des Unterhaltsanspruches nicht behauptet wurde und andererseits Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Erfüllung der Unterhaltsleistung durch den geschiedenen Ehegatten vorläge, nicht mehr, so daß auf den bisher erhobenen Einwand der Anrechenbarkeit von Unterhaltsansprüchen gegen den geschiedenen Ehegatten nicht einzugehen ist.

Inwieweit bis zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz Anspruch auf Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung bestanden hat und einen Anspruch auf Ausgleichszulage durch den rechtsmißbräuchlichen Verzicht vernichtete, wird im fortzusetzenden Verfahren zu prüfen sein.

Soweit der nach Art X § 2 Z 11 der ASGG-Novelle 1994 (BGBl 1994/624) auf den vorliegenden Fall anwendbare § 71 Abs 2 Satz 1 ASGG idF der ASGG-Novelle 1994 vorsieht, daß die Leistungsverpflichtung, die dem durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid entspricht (hier einer Ausgleichszulage von S 214,70 monatlich ab 1.2.1994) als vom Versicherungsträger unwiderruflich anerkannt anzusehen ist, wird im fortzusetzenden Verfahren auf dieses Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) Bedacht zu nehmen und der Klägerin zumindest die im außer Kraft getretenen Bescheid zuerkannte Leistung zuzusprechen sein (1654 Blg NR 18. GP, 25).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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