OGH 10ObS157/95

OGH10ObS157/9519.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Reg.Rat Theodor Kubak (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Klair (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Rudolf Ö*****, Tischler, *****, vertreten durch Dr. Heinz-Eckard Lackner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter- Straße 65, wegen Versehrtenrente und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 1995, GZ 7 Rs 26/95-99, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. November 1994, GZ 25 Cgs 210/93t-94 (verbunden mit 29 Cgs 47/94b), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Beklagten vom 15.6.1988 wurde die Gewährung einer Rente aus Anlaß des Arbeitsunfalles, den der Kläger am 15.9.1987 im Betrieb einer Tischlerei hatte und bei dem er eine Zerrung des rechten Sprunggelenkes bei chronischer Bandinstabilität und Arthrose erlitt, gemäß §§ 203, 204 ASVG abgelehnt. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, daß auf Grund des fachärztlichen Gutachtens die Zerrung des Sprunggelenkes keine meßbare Minderung der Erwerbsfähigkeit bedinge. Die bestehenden Beschwerden seien auf anlagebedingte Veränderungen, die durch mehrere Vorverletzungen verschlechtert worden seien, zurückzuführen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, die Beklagte sei schuldig, ihm aus Anlaß des Arbeitsunfalles vom 15.9.1987 eine Unfallsrente ab Antragstellung im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wiederholte ihren im Bescheid eingenommenen Standpunkt.

2. Mit Bescheid der Beklagten vom 9.3.1994 wurde der Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß eines Unfalles vom 23.8.1971 abgelehnt. Zur Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, es habe nicht der Nachweis erbracht werden können, daß sich der Unfall vom genannten Tag im Werkstättenbereich des damaligen Arbeitgebers ereignet habe. Der Kläger sei vielmehr beim Verlassen seiner Wohnung über den Türstaffel gestürzt; der Versicherungsschutz beginne aber erst nach Verlassen des Wohnhauses.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, es werde der Beklagten gegenüber festgestellt, daß es sich bei dem Unfall vom 23.8.1971 um einen Arbeitsunfall gehandelt habe.

Die Beklagte beantragte auch die Abweisung dieses Klagebegehrens und bestritt das Vorliegen eines Arbeitsunfalles.

Das Erstgericht verband die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und wies sämtliche Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der am 11.7.1956 geborene Kläger erlitt bereits im Jahr 1968, also im Alter von 12 Jahren, einen Sprunggelenkbruch rechts. Aus Anlaß einer Verletzung im Zuge des Wehrdienstes am 5.7.1975 wurden Verletzungen des linken und des rechten Sprunggelenkes zweieinhalb bzw. zwei Jahre vor dem 18.9.1975 festgehalten. Am 23.8.1971 (unrichtig: 1981) stolperte der Kläger über eine Türstaffel der elterlichen Wohnung und zog sich dabei eine Distorsion des rechten Sprunggelenkes zu. Der Unfall ereignete sich beim Verlassen der elterlichen Wohnung auf dem Weg zur Arbeit. Weitere Unfälle vom 12.3.1979, 29.1.1981 und 26.5.1986 - als Arbeitsunfälle außer Streit gestellt - hatten jeweils Zerrungen des rechten Sprunggelenkes zur Folge. Am 15.9.1987 kippte der Kläger im Rahmen eines Arbeitsunfalles wieder im rechten Sprunggelenk um, woraus eine Zerrung, mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein Abriß der Sprunggelenksbänder resultierte. Er befand sich vom 11.1. bis 25.1.1988 in stationärer Behandlung des Unfallkrankenhauses Meidling. Der zuletzt genannte Unfall ist als Ereignis zu betrachten, das sich in einem schwerst vorgeschädigten Gelenk abgespielt hat. Die beim Kläger angeborene Bandschwäche der Sprunggelenke disponiert zur Instabilität. Dadurch führen geringe, sogenannte Bagatelltraumen zur Verrenkung. Auf Grund der Vorschädigung beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit allein auf Grund des Unfalles vom 15.9.1987 "null Prozent".

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Unfall vom 23.8.1971 sei deshalb kein Arbeitsunfall, weil der Versicherungsschutz auf einem Weg zu einer außerhalb des Wohnhauses gelegenen Arbeitsstätte erst an der Front des Wohnhauses beginne. Ein Stolpern oder Stürzen über die Türstaffel der elterlichen Wohnung bilde daher auch dann keinen Arbeitsunfall, wenn sich der Versicherte auf dem Weg zur Arbeit befinde. Die festgestellte Gesundheitsstörung (posttraumatische Sprunggelenksarthrose rechts) sei auf Vorverletzungen zurückzuführen und stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 15.9.1987 (unrichtig: 1998); es handle sich daher um eine Gelegenheitsursache. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit aus diesem Unfall liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte die gerügten Verfahrensmängel, insbesondere die Nichtbeiziehung eines weiteren unfallchirurgischen Sachverständigen und die Nichteinvernahme des zuständigen Operateurs und übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Das Erstgericht habe richtig erkannt, daß der Unfall vom 23.8.1971 kein Arbeitsunfall gewesen sei (SSV-NF 5/75). Insoweit der Kläger weiterhin den Standpunkt vertrete, daß bei Würdigung sämtlicher Arbeitsunfälle das Erstgericht in jedem Fall festzustellen gehabt hätte, daß durch die Arbeitsunfälle eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 20 v. H. eingetreten sei, sei die Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht von dem festgestellten Sachverhalt ausgehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache. Er beantragt die Abänderung, daß seinen (oben dargestellten) Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Den Revisionsausführungen sei daher nur entgegengehalten, daß Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, auch in Sozialrechtssachen im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden können (SSV-NF 7/74 mwN ua).

Auch die Rechtsrüge ist nicht zielführend.

Was die Abweisung des Feststellungsbegehrens hinsichtlich des Unfalls vom 23.8.1971 betrifft, die von den Vorinstanzen mit Bezugnahme auf die Entscheidung SSV-NF 5/75 begründet wurde, enthält die Revision keine Ausführungen. Daher erübrigt sich für den Obersten Gerichtshof eine Prüfung der Frage, ob sich dieser Unfall im geschützten Bereich ereignete. Schon deshalb war der Revision insoweit keine Folge zu geben.

Auch im übrigen ist die Revision nicht zielführend. Daß gemäß § 210 Abs 2 ASVG iVm dem vorangehenden Abs 1 spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des neuen Versicherungsfalls an die Rente nach dem Grad der durch alle Versicherungsfälle verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen ist, wenn ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt wird, die durch diese neuerliche Schädigung allein verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 10 v.H. beträgt und die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit 20 v.H. erreicht, ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung. Den Gegenstand des betreffenden Verfahrens bildete nämlich allein der Arbeitsunfall vom 15.9.1987, wie sich aus dem angefochtenen Bescheid vom 15.6.1988, dem ausdrücklichen Klagebegehren und zuletzt auch dem in der Revision enthaltenen Abänderungsantrag ergibt. Die Vorinstanzen waren daher nicht verpflichtet und auch gar nicht berechtigt, frühere Arbeitsunfälle zum Gegenstand ihrer Entscheidung betreffend eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zu machen und über die Gewährung einer Gesamtrente zu entscheiden; dies hätte vorausgesetzt, daß der Kläger sein Rentenbegehren auf sämtliche Arbeitsunfälle gestützt oder die Beklagte die Notwendigkeit der Feststellung einer Gesamtrente eingewendet hätte. Da dies nicht geschah, ist es auch dem Obersten Gerichtshof verwehrt, auf die Feststellung einer Gesamtrente Bedacht zu nehmen. Der Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente war vielmehr gemäß § 210 Abs 5 ASVG entsprechend dem Grad der durch die neuerliche Schädigung allein verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit zuzuerkennen (ebenso SSV-NF 3/128 zu dem vergleichbaren § 108 B-KUVG mit Ablehnung der gegenteiligen älteren Rechtsprechung des OLG Wien; weiters 10 Ob S 260/90 und 10 Ob S 115, 116/95 - unveröffentlicht). Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen ist davon auszugehen, daß die beim Kläger bestehenden Beschwerden nicht auf den genannten Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Die Feststellung der natürlichen Kausalität (ob bestehende Beschwerden in medizinischer Hinsicht Folgen eines Unfalles sind) gehört zum Tatsachenbereich und kann im Revisionsverfahren nicht mehr geprüft werden (SSV-NF 8/86). In diesem Sinne hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers zutreffend dargelegt, daß bereits seine in der Berufung enthaltene Rechtsrüge nicht vom festgestellten Sachverhalt ausging.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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