OGH 14Os90/95

OGH14Os90/9514.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.September 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Unterrichter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian P***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 10. Februar 1995, GZ 11 Vr 771/93-54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.Juli 1969 geborene Christian P***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB (1.) sowie des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Darnach hat er

(zu 1.) am 24.April 1993 in M***** als eine Person männlichen Geschlechtes, die das 19.Lebensjahr bereits vollendet hatte, mit dem am 8.Oktober 1975 geborenen Christian W*****, mithin einer Person, die das 14., aber noch nicht das 18.Lebensjahr vollendet hatte, dadurch, daß er in einer Toilettenanlage des Landesberufsschulinternates an diesem einen Oralverkehr vollzog, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben und

(zu 2.) im Anschluß an diese Tathandlung versucht, Christian W***** mit Gewalt, indem er dessen Hoden zusammendrückte, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Mitteilung des Vorfalles an den Erzieher Franz E*****, zu nötigen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 3, 4, 5, 5 a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit Berufung.

Auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO kann zunächst, der Auffassung des Beschwerdeführers zuwider, das Unterbleiben der Verlesung des im Rechtsmittel als Privatgutachten bezeichneten Schreibens Dris.L***** vom 22.März 1995 (Beilage ./A) schon deshalb nicht mit Erfolg gestützt werden, weil die damit behauptete Verletzung der Vorschrift des § 252 Abs 2 StPO nicht mit Nichtigkeit bedroht ist. Im übrigen verkennt der Beschwerdeführer die Bedeutung des Verlesungsgebotes, das nur sicherstellen soll, daß in Fällen einer ausnahmsweise akzeptierten Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit des Verfahrens zumindest das Mündlichkeitsprinzip beachtet wird. Schriftstücke können darnach nur dann für die Entscheidungsfindung als Beweismitel herangezogen werden, wenn sie in der Hauptverhandlung verlesen wurden (vgl § 258 Abs 1 StPO), wobei im Falle des einverständlichen Verlesungsverzichtes (§ 252 Abs 2 Ende StPO) die Kenntnis des Gerichtes und der Prozeßparteien über den Inhalt der vom Verzicht umfaßten Unterlagen angenommen wird, und diese Schriftstücke damit als verlesen gelten (vgl Foregger-Kodek StPO6 § 252 Anm 6 Ende). Eine generelle Verpflichtung, alle von den Verfahrensparteien vorgelegten Schriftstücke zu verlesen, ist aus § 252 Abs 2 StPO nicht abzuleiten. Dem stünde auch § 232 Abs 2 StPO entgegen, wonach der Vorsitzende zur Straffung des Verfahrens verhalten ist.

Die Unterlassung der begehrten Verlesung eines Schriftstückes kann daher nur unter dem Aspekt eines Verfahrensmangels nach der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO releviert werden, wozu aber die Herbeiführung einer Entscheidung des Schöffengerichtes erforderlich ist. Im vorliegenden Fall wurde eine solche Entscheidung vom Beschwerdeführer in der der Urteilsverkündung vorausgehenden Hauptverhandlung nicht beantragt, weshalb der erfolgreichen Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes bereits formelle Gründe entgegenstehen.

Mit dem sohin nicht in die Verhandlung eingeführten Schreiben Dris.L***** mußte sich das Schöffengericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung nicht auseinandersetzen. Insoweit geht daher auch die Mängelrüge (Z 5) fehl.

Die weiteren unter dem letztgenannten Nichtigkeitsgrund behaupteten "Feststellungsmängel" und angeblichen Aktenwidrigkeiten betreffen keine für die Entscheidung über die Schuldfrage relevanten Umstände, sondern erschöpfen sich in einer im Rahmen dieses Nichtigkeitsgrundes unzulässigen Bekämpfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung.

Der gegen den Schuldspruch wegen des Vergehens der versuchten Nötigung gerichtete - aus dem Gesamtzusammenhang gelöste - Beschwerdeeinwand (Z 5 bzw 9 lit a), daß die "Feststellung", ein Zusammendrücken der Hoden durch den Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden (S 299), die tatbestandswesentliche Gewalteinwirkung nicht herstelle, übergeht die an anderer Stelle (S 295, 297) getroffenen eindeutigen diesbezüglichen Konstatierungen und deren Begründung (S 303).

Auch der Einwand versagt, die Urteilsbegründung wäre undeutlich, weil nicht festgestellt werde, "warum dem Angeklagten das Alter des Zeugen W***** bekannt gewesen sein mußte". Der Beschwerde zuwider hat das Schöffengericht die Kenntnis des Angeklagten vom Alter des Tatopfers ausdrücklich auf dessen entsprechendes äußeres Erscheinungsbild gestützt (S 303). Ein innerer Widerspruch zur Feststellung, daß manche Schüler erst nach Abschluß des 9.Schuljahres die Lehre beginnen, kann hierin nicht erblickt werden.

Im Rahmen seiner Tatsachenrüge (Z 5 a) vermag der Angeklagte weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustande gekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen, noch auf aktenkundige Beweisergebnisse hinzuweisen, die erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der entscheidungswesentlichen Feststellungen aufkommen lassen.

Das Beschwerdevorbringen (Z 9 lit a), das Erstgericht hätte zur Wissenskomponente des Unzuchtsdelikts (vermeintlich) widersprüchliche Feststellungen getroffen, weshalb es dem angefochtenen Urteil insoweit überhaupt an konkreten Feststellungen mangle, übergeht erneut jene wesentlichen Teile des Urteilssachverhaltes, wonach dem Angeklagten das Alter des Christian W***** bekannt war (AS 297, 293). Da die Rechtsrüge damit die Konstatierungen des Schöffengerichtes ignoriert und nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht, entbehrt sie einer gesetzmäßigen Darstellung.

Mit dem Einwand schließlich, daß anstelle der ausgesprochenen bedingten Freiheitsstrafe gemäß § 37 Abs 1 StGB eine Geldstrafe zu verhängen gewesen wäre, macht der Angeklagte keinen der Anwendungsfälle der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO geltend. Die Entscheidung, ob es aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bedarf, ist eine solche pflichtgemäßen richterlichen Ermessens und demnach der Überprüfung im Berufungsverfahren vorbehalten (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO3, E 15 zu § 281 Z 11).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zum Teil als nicht gesetzmäßig ausgeführt, zum Teil als offenbar unbegründet schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 d Abs 1 Z 1 und 2 iVm 285 a Z 2 StPO).

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten ist das Oberlandesgericht Graz zuständig (§ 285 i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte