OGH 3Ob561/95

OGH3Ob561/9513.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrud F*****, vertreten durch Dr.Hans-Peter Just, Rechtsanwalt in Eferding, wider die beklagte Partei Helmut F*****, vertreten durch Dr.Gottfried Eypeltauer ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 14.Dezember 1994, GZ R 676/94-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Eferding vom 6.Mai 1994, GZ 1 C 234/93-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 16.490,88 (darin S 2.418,48 Umsatzsteuer und S 1.980 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte mit der am 16.9.1993 beim Erstgericht eingelangten Klage die Scheidung ihrer mit dem Beklagten am 16.7.1983 geschlossenen Ehe aus dessen Verschulden. Die Ehe sei nur annähernd ein halbes Jahr lang harmonisch verlaufen. Dann seien die ersten schweren Probleme aufgetreten, die hauptsächlich durch den Alkoholmißbrauch des Beklagten bedingt gewesen seien. Der Beklagte habe während der Ehe einen Betrag von S 100.000 für eine andere Frau aus einer übernommenen Bürgschaft bezahlen müssen, wovon er ihr vorher nichts gesagt habe. In letzter Zeit habe er sich immer weiter von ihr entfernt, im November 1992 habe er die Aufnahme ehebrecherischer Beziehungen zu einer Frau versucht. Er sei an einer Fortsetzung der häuslichen Gemeinschaft nicht mehr interessiert, behandle sie wie ein "Pascha", beschimpfe sie und verletze seine Unterhaltsverpflichtung. In der Öffentlichkeit und einer Freundin gegenüber habe er sie schlecht gemacht. In letzter Zeit sei er immer öfter von zu Hause fortgeblieben. Im Februar 1993 habe er im alkoholisierten Zustand versucht, mit Gewalt einen Geschlechtsverkehr auszuüben, wodurch sie Prellungen erlitten habe.

Der Beklagte bestritt die ihm zur Last gelegten Eheverfehlungen und beantragte die Abweisung der Klage. Hilfsweise stellte er den Antrag, die alleinige oder zumindest überwiegende Mitschuld der Klägerin auszusprechen. Die Klägerin verweigere seit zwei Jahren ohne Grund den Geschlechtsverkehr, und beschimpfe, beleidige und kritisiere ihn ständig. Sie wolle die Freizeit nicht mehr gemeinsam mit ihm verbringen, gehe jeden Kontakt mit ihm aus dem Wege und halte sich kaum mehr in der Ehewohnung auf. Seit einigen Monaten verkehre sie mit ihm ausschließlich schriftlich.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile und sprach aus, daß das Verschulden beide zu gleichen Teilen trifft. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Die (am 9.9.1944 geborene) Klägerin ist seit der Eheschließung als Kindergartenhelferin teilzeitbeschäftigt. Der (am 15.5.1941 geborene) Beklagte ist technischer Angestellter. Er fuhr um 5,30 Uhr mit einem Schichtbus zu seinem Arbeitsplatz und kehrte von dort um 17,00 Uhr wieder zurück. Seit der Eheschließung kommt ausschließlich der Beklagte für alle Kosten der Ehewohnung, wie Kreditrückzahlungen, Betriebskosten, Telefonkosten und Rundfunkgebühren auf. Ausnahmsweise kam auch die Klägerin für diese Kosten auf. Sie erhielt vom Beklagten anfänglich S 3.000, später S 4.000 und ab 1.1.1993 S 5.000 im Monat an Wirtschaftsgeld. Ab August 1993 zahlte der Beklagte nur mehr S 4.000, ab September 1993 nur mehr S 3.000 im Monat, wobei er 1993 monatlich einschließlich der Sonderzahlungen im Durchschnitt S 30.000 netto und die Klägerin im Durchschnitt etwa S 10.400 monatlich netto verdiente.

Schon seit Beginn der Ehe ergaben sich Schwierigkeiten daraus, daß die Streitteile anstehende Probleme nicht vernünftig ausdiskutieren konnten, sondern gleich in Streit gerieten. Seit 1985 begann der Beklagte hierauf Gasthäuser aufzusuchen. Streitigkeiten entstanden auch öfters wegen der Urlaubsziele. Während die Klägerin den Urlaub in Italien verbringen wollte, hatte der Beklagte eine Vorliebe für Griechenland. Ab Mitte 1985 gab es wegen der Benützung des den Streitteilen zur Verfügung stehenden Personenkraftwagens Streit. Die Klägerin bestand darauf, daß ausschließlich sie das Kraftfahrzeug benütze, um damit zu ihrem rund 10 bis 15 Gehminuten entfernten Arbeitsplatz fahren und am Samstag Einkäufe machen zu können. Der Beklagte mußte in der Regel nachgeben und den Schichtbus benützen. Streitigkeiten entstanden ferner auch deshalb, weil der Beklagte das Wochenende in einem seit 1986 in Bestand genommenen Kleingarten und dem darauf errichteten Haus verbringen wollte, während der Klägerin mehr am Baden oder Tanzen gelegen war. Vor etwa zwei Jahren mietete sie gemeinsam mit einer Freundin gegen den Willen des Beklagten eine Badestelle an einem See.

Der Beklagte betätigte sich ab etwa 1984 bis 1990 politisch. Die Klägerin erhob dagegen erst Einwände, als der Beklagte deshalb in der Nacht alkoholisiert nach Hause kam. Wegen der immer wieder entstehenden Streitigkeiten ging der Beklagte seit etwa 1985 oft ins Gasthaus und es machte sich seit dieser Zeit bei ihm eine Neigung zum Alkoholkonsum breit. Dieser Alkoholmißbrauch des Beklagten war aber nur ein Folgeproblem schon bestandener Eheprobleme. All dies führte dazu, daß er etwa einmal im Monat in einem Rauschzustand nach Hause kam, wobei diese Zustände aber ab 1990 dem Grade nach wieder geringer wurden. Infolge seines schwer alkoholisierten Zustands und des damit verbundenen Torkelns schlug er die Glasfüllung der Wohnzimmertür ein und zerstörte ein anderes Mal eine Seifenschale. Gelegentlich ist er auch über Nacht ausgeblieben. Tätlich ist er gegen die Klägerin mit Ausnahme eines Schubsers vor mehren Jahren nicht geworden. Wenn ihm die Klägerin wegen seines Zustands Vorhaltungen machte, beschimpfte er sie mit Ausdrücken wie "blöde Küh". Dies geschah auch in nicht alkoholisiertem Zustand. Der Beklagte wurde aber seinerseits von der Klägerin beschimpft und etwa als "Sandler" bezeichnet. In den letzten Jahren war es so, daß der Beklagte der Klägerin nichts mehr recht machen konnte; sie nörgelte ständig an ihm herum. Es kam auch vor, daß ein Ehegatte dem anderen die Benützung eines Einrichtungsgegenstandes, wie etwa eines Sessels, mit dem Hinweis verbot, daß ihm dieser Gegenstand nicht gehöre.

Durch die Auseinandersetzungen verschlechterte sich das eheliche Verhältnis zusehends, weshalb die Streitteile etwa seit 1991 anfingen, ihr eigenes Leben zu leben und vor allem die Freizeit ohne den Partner zu verbringen. Seit etwa zwei Jahren bestehen zwischen ihnen keine geschlechtlichen Beziehungen mehr, weil die Klägerin hiezu nicht bereit ist. Nicht festgestellt werden kann, daß der Beklagte mit Gewalt einen Geschlechtsverkehr zu erzwingen versuchte. Seit etwa März 1993 bis zum Sommer dieses Jahres zog einmal die Klägerin und dann wieder der Beklagte nach Streitigkeiten aus dem Schlafzimmer aus. Im Sommer 1993 verließ die Klägerin das Schlafzimmer auf Dauer und schläft seither im Kinderzimmer, dessen Eingangstür sie abschließt. Seit März 1993 blieb der Beklagte wiederholt über Nacht weg. Seit 22.12.1993 wohnt er in einer Wohnung, um deren Zuweisung er bei seinem Arbeitgeber wegen des sich abzeichnenden Scheiterns der Ehe schon im November 1992 angesucht und die er im April 1993 erhalten hatte. Seit dem Frühjahr 1993 grüßen sich die Streitteile nur mehr und stehen sonst bloß schriftlich in Kontakt. Wer damit begonnen hat, kann nicht festgestellt werden. Das eheliche Verhältnis ist spätestens seit Sommer 1993 gänzlich zerrüttet und der Ehewille bei beiden Streitteilen erloschen.

Rechtlich warf das Erstgericht dem Beklagten als schwere Eheverfehlungen den Alkoholmißbrauch, die Beschimpfungen der Klägerin in alkoholisiertem Zustand, das Ausbleiben über Nacht und den völligen "Rückzug" von der Klägerin vor, der Klägerin falle aber zur Last, daß sie sich über all die Jahre nörgelnd und rechthaberisch verhielt, den Beklagten auch beschimpfte, wenn er nicht alkoholisiert war, den Beklagten den ehelichen Verkehr verweigerte, gegen seinen Willen eine Badestelle mietete und daß sie ihre Freizeit allein verbrachte. Dem Alkoholkonsum des Beklagten komme für die Zerrüttung der Ehe keine überwiegende Bedeutung zu, weil gerade in jenem Zeitraum, als der Beklagte weniger Alkohol konsumierte, das eheliche Verhältnis drastisch verschlechterte.

Die Parteien hätten durch das festgestellte Verhalten etwa zu gleichen Teilen zur Zerrüttung der Ehe beigetragen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil des Erstgerichtes infolge Berufung der Klägerin, mit der nur der Ausspruch über das Verschulden bekämpft wurde, dahin ab, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden wurde. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das schuldhafte einleitende ehezerrüttende Verhalten sei dem Beklagten anzulasten, weil er die ab 1985 aufkommenden, bisweilen in Streit gipfelnden Meinungsverschiedenheiten nicht mit Behutsamkeit und/oder Toleranz einer Kompromißlösung zugeführt, sondern dadurch abgebrochen habe, daß er sich in Gasthäuser begab und von dort mehr oder weniger schwer alkoholisiert nach Hause zurückkehrte. Der übermäßige Alkoholkonsum habe die zunehmende Entfremdung, das allmähliche Schwinden der Zuneigung sowie schließlich ab dem Frühjahr 1992 die Einstellung der ehelichen Beziehungen durch die Klägerin bewirkt und sei auslösendes Moment für die fortschreitende Zerrüttung der Ehe gewesen, weshalb das Verschulden des Beklagten überwiege.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene außerordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht in Einklang zu bringen ist; sie ist auch berechtigt.

Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizupflichten, daß es vor allem darauf ankommt, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht hat (EF 63.440, 60.246, 57.212 ua). Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens ist aber nur dann am Platz, wenn das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund tritt (EF 69.266, 66.446, 63.465 ua).

Das Berufungsgericht hat nach Ansicht des erkennenden Senates dem Alkoholmißbrauch des Beklagten bei der Beurteilung, wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung leistete, ein zu großes Gewicht beigelegt. Abgesehen davon, daß es schon vorher immer wieder zu Streitigkeiten kam, woraus hervorgeht, daß der Alkoholmißbrauch offensichtlich nicht die Ursache hiefür war, waren die Gasthausbesuche zumindest am Anfang die Reaktion auf diese Streitigkeiten, die auch die Klägerin mitzuverantworten hat. Der Vorwurf, den das Berufungsgericht dem Beklagten macht, daß er nämlich nicht mit Behutsamkeit und/oder Toleranz eine Kompromißlösung herbeizuführen versuchte, trifft in gleicher Weise die Klägerin, weil auch sie versuchen hätte müssen, mit Toleranz die Streitigkeiten zu vermeiden oder beizulegen und damit dem Beklagten keinen Anlaß für Gasthausbesuche zu geben. Diese Toleranz ließ sie etwa bei der Frage der Benützung des Kraftfahrzeuges gänzlich vermissen. Überdies besserte sich der Alkoholmißbrauch des Beklagten ab 1990, während der Klägerin ab dieser Zeit als neue Eheverfehlungen anzulasten sind, daß sie sich nicht mehr mit dem Kläger in dem Kleingarten aufhielt, sondern sich gegen seinen Willen eine Badestelle mietete, und vor allem, daß sie dem Kläger ohne Grund den Geschlechtsverkehr verweigerte. In diesem Zusammenhang stellte das Erstgericht, wenn auch in der rechtlichen Beurteilung fest, dem Alkoholkonsum des Beklagten komme für die Zerrüttung der Ehe keine überwiegende Bedeutung zu. Da während dieser Zeit die Ehe zwar schon in einer Krise, aber noch nicht unheilbar zerrüttet war, hat die Klägerin hiedurch aber auch schon durch das vorangehende Verhalten zu dieser Zerrüttung wesentlich beigetragen. Bei der gebotenen Berücksichtigung des Gesamtverhaltens der Ehegatten (EF 72.320, 66.436, 63.451 ua) ist der erkennende Senat der Meinung, daß auch das Verhalten der Klägerin in einem Ausmaß Ursache für die Zerrüttung der Ehe war, das nicht mehr vernachlässigt werden kann. Es trifft daher beide Teile das Verschulden an der Zerrüttung zu gleichen Teilen, weshalb das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen war.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Stichworte