OGH 15Os112/95

OGH15Os112/9531.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 31.August 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Eckert als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef J***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, 3 und 4 zweiter Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den gemäß § 494 a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO gefaßten Beschluß des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya vom 15.März 1995, GZ U 22/95-4, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Fabrizy, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ U 22/95 des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya ist das Gesetz verletzt

1. durch den Vorgang, daß das Gericht vor der Fassung des zu 2. angeführten Beschlusses nicht Einsicht in die Akten der früheren Verurteilung nahm, in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO;

2. durch den Beschluß vom 15.März 1995 auf Absehen vom Widerruf der mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 8.Mai 1991, GZ 12 E Vr 211/91-7, gewährten bedingten Nachsicht eines Teils der Strafe und auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre, in der Bestimmung des § 53 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie in der sich aus § 498 StPO abzuleitenden Bindungswirkung des Beschlusses des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 3.März 1995, GZ 12 E Vr 211/91-23.

Der erwähnte Beschluß des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit (gemäß §§ 488 Z 7, 458 Abs 2 und 3 StPO in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Einzelrichters des Kreisgerichtes (nunmehr Landesgerichtes) Krems an der Donau vom 8.Mai 1991, GZ 12 E Vr 211/91-7, wurde Josef J***** des Vergehens der (ergänze: fahrlässigen) Körperverletzung nach § 88 Abs 1, 3 und 4 zweiter Fall (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, von der gemäß § 43 a Abs 3 StGB ein Teil von sechs Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Nachdem die Probezeit am 8.Juni 1994 abgelaufen war - wobei die Zeit des Vollzuges des unbedingten Strafteiles gemäß § 49 zweiter Satz StGB nicht in die Probezeit einzurechnen war -, sprach das Landesgericht Krems an der Donau mit rechtskräftigem Beschluß vom 3.März 1995, GZ 12 E Vr 211/91-23, gemäß § 497 StPO (§ 43 Abs 2 StGB) die endgültige Strafnachsicht aus.

Mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya vom 15.März 1995, GZ U 22/95-4, wurde Josef J***** des am 10. Dezember 1994 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Unter einem faßte das Gericht gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO den Beschluß auf Absehen vom Widerruf der vorerwähnten (teil-)bedingten Strafnachsicht und (gemäß § 494 a Abs 6 StPO) auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya steht, wie die Generalprokuratur mit ihrer gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 494 a Abs 3 StPO hat das Gericht vor einer der im § 494 a Abs 1 StPO vorgesehenen Entscheidungen ua Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung zu nehmen; das Gericht kann sich mit der Einsicht in eine Abschrift des früheren Urteils begnügen, wenn diese - was hier nicht der Fall gewesen wäre - eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung darzustellen vermag. Diese Bestimmung gilt auch im Falle, daß gemäß § 494 a Abs 5 StPO eine Entscheidung nach § 494 a Abs 1 Z 1 oder 2 StPO gemeinsam mit einer Strafverfügung getroffen wird. Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya nach der Aktenlage weder in die Akten des Landesgerichtes Krems an der Donau noch in eine Urteilsabschrift Einsicht genommen.

Diese Gesetzesverletzung hatte zur Folge, daß das Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya keine Kenntnis von der bereits am 3.März 1995 ausgesprochenen endgültigen Strafnachsicht erlangte und die Entscheidungskompetenz über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu Unrecht in Anspruch nahm. Der Beschluß des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 3.März 1995 entfaltete (auch schon vor Eintritt der Rechtskraft) Bindungswirkung, derzufolge ein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung des Beschlusses nicht berechtigt war, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen. Der (rechtswidrige) Beschluß des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya konnte somit weder die schon vorher wirksam beschlossene endgültige Strafnachsicht beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen; die konstitutive Wirkung des Beschlusses des Landesgerichtes Krems an der Donau blieb vielmehr hievon unberührt (vgl EvBl 1989/64 = JBl 1989,400; 11 Os 84/94 ua).

Vor allem aber kommt ein Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und die Verlängerung einer Probezeit nur dann in Betracht, wenn auch der Widerruf möglich wäre. Primäre Voraussetzung hiefür ist aber die Verurteilung des Rechtsbrechers wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung (§ 53 Abs 1 StGB). Zum Zeitpunkt der Begehung der mit der erwähnten Strafverfügung des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya abgeurteilten Tat war die vom Kreisgericht Krems an der Donau bestimmte Probezeit jedoch bereits abgelaufen. Es mangelte daher auch an den zeitlichen Voraussetzungen für ein Absehen vom Widerruf der (teil-)bedingten Strafnachsicht und für die Verlängerung der Probezeit.

Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten auswirkten, war ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes gemäß § 292 letzter Satz StPO geboten.

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