OGH 3Ob554/95

OGH3Ob554/9530.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred P*****, vertreten durch Dr.Josef Raffl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die beklagte Partei Margarete P*****, vertreten durch Dr.Heinz Ensbrunner, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 20.März 1995, GZ R 822/94-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 27.Juli 1994, GZ 1 C 13/94-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Ehe der Streitteile aus dem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten geschieden wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger S 2.040,- an Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte mit der am 7.2.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage die Scheidung der am 30.12.1987 mit der Beklagten geschlossenen Ehe aus deren Verschulden. Die Ehe sei seit etwa einem halben bis dreiviertel Jahr zusehends zerrüttet, wobei die Ursache darin liege, daß ihn die Beklagte dauernd beschimpfe, tätlich angreife und im übrigen ein Verhalten an den Tag lege, das jede eheliche Gesinnung vermissen lasse. Die Beklagte sei außerdem äußerst verschwenderisch. Sie habe etwa innerhalb eines Jahres den Erbteil ihrer Mutter in der Höhe von S 420.000 verbraucht, ohne damit nennenswerte Anschaffungen zu tätigen. Sie vernachlässige ferner den Haushalt.

Die Beklagte sprach sich gegen die Scheidung der Ehe aus. Sie bestritt, daß die Ehe unheilbar zerrüttet sei und daß sie schuldhaft Eheverfehlungen begangen habe. Hilfsweise stellte sie den Antrag, die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers zu scheiden. Im Frühjahr 1993 sei festgestellt worden, daß sie an Brustkrebs leide. Obwohl sie deshalb besonders die Zuneigung des Klägers benötigt hätte, habe sich dieser von ihr abgewendet und auch von Jänner bis Juli 1993 und seit 27.9.1993 den Geschlechtsverkehr verweigert. Dieses Verhalten des Klägers habe sie in einen depressiven Zustand versetzt, weshalb sie manchmal im Rahmen von Streitigkeiten Schimpfworte gegen ihn ausgestoßen habe. Am 7.12.1993 habe der Kläger sie tätlich angegriffen und ihre Operationsnarben verletzt. Sie habe sich daher veranlaßt gesehen, sich zu wehren, und habe den Kläger gekratzt und gebissen. Nach dem Vorfall habe sie mit dem Kläger jedoch ausdrücklich Frieden geschlossen. Der Kläger habe auch nur ungenügende Unterhaltsleistungen erbracht.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen den Verschuldensausspruch erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es stellte nach Beweiswiederholung im wesentlichen folgendes fest:

Ein wesentlicher Grund für den Kläger, sich nach zwölfjähriger Lebensgemeinschaft zur Ehe zu entschließen, war der Wunsch, daß alle Familienmitglieder, also die Beklagte und der inzwischen geborene gemeinsame Sohn, denselben Namen tragen, und ferner der Umstand, daß damals noch eine Heiratsbeihilfe gezahlt wurde. Der Kläger litt anlagebedingt an einer Schilddrüsenerkrankung, die ein Gewicht von 110 kg sowie Trägheit, Labilität und Gleichgültigkeit zur Folge hatte. Die Haushaltsführung der Beklagten, insbesondere bezüglich der Versorgung der Wäsche, des Abwaschens von Geschirr und des Kochens, war schon seit Beginn der Lebensgemeinschaft im Jahr 1975 mangelhaft. Dies wurde vom Kläger wegen seiner Krankheit bis Anfang 1993 ebensowenig beanstandet wie der Hang der Beklagten, bei Versandhäusern ohne sein Wissen unnötige Bestellungen aufzugeben, was infolge Nichtzahlung der Schulden zu 10 bis 15 bis Anfang der 90er-Jahre andauernden Exekutionen führte. Der Kläger verdiente als Buchhalter monatlich etwa S 18.000 netto und aufgrund einer Nebenbeschäftigung monatlich noch einige tausend Schilling dazu. Trotzdem reichte das Gesamteinkommen nicht aus, um schuldenfrei zu leben. Ursache dafür war einerseits, daß der Kläger während der gesamten Zeit des Zusammenlebens mit der Beklagten insgesamt etwa 11 Personenkraftwagen besaß und die Beklagte mit dem Wirtschaftsgeld, das bis etwa 1992 S 12.000 monatlich betrug und das der Kläger neben den von ihm selbst bezahlten Ausgaben für Versicherungen, Strom, Telefon und Betriebskosten zur Verfügung stellte, nicht auskam, und daß der Kläger überdies bisweilen für Wäschereirechnungen in beträchtlicher Höhe sowie für mit Exekution betriebene Forderungen gegen die Beklagte und sonstige Aufwendungen der Beklagten, wie etwa für eine ohne sein Wissen neu angeschaffte Kücheneinrichtung, einzustehen hatte. Die Haushaltsführung der Beklagten war nicht nur in bezug auf die Versorgung der Wäsche und des Abwaschens des Geschirrs, sondern auch im Bereich der Essenszubereitung nicht zufriedenstellend. Es kam wiederholt vor, daß der Kläger kein warmes Essen vorfand, wenn er in der Mittagspause nach Hause kam. Auch dies nahm der Kläger bis zu seiner Schilddrüsenoperation im Oktober 1992 kritiklos, wenngleich innerlich widerwillig hin.

Im Frühjahr 1992 verstarb die Mutter der Beklagten, was sie nur schwer verkraftete. Den ihr ausbezahlten Erbteil von etwa S 400.000 verbrauchte sie innerhalb eines Jahres für persönliche Anschaffungen, wie Gläser, Kleidungsstücke, Puppen, Brillen und eine Zahnsanierung. Begünstigt wurde die rasche Geldausgabe dadurch, daß die Beklagte etwa im Mai 1993 von ihrer Krebskrankheit Kenntnis erhielt und vermeinte, bald sterben zu müssen, zumal ein ähnliches Schicksal auch Verwandten widerfahren war. Nicht festgestellt werden kann, daß die Beklagte aus ihrem Erbteil auch Anschaffungen für den Kläger tätigte.

Bis zur Schilddrüsenoperation des Beklagten hatten die Streitteile regelmäßig etwa einmal im Monat intimen Kontakt. Als Folge der Schilddrüsenoperation verringerte sich sein Gewicht auf 86 kg und es veränderte sich sein Wesens dahin, daß er nunmehr die mangelhafte Haushaltsführung fortwährend kritisierte und sie sich nicht mehr gefallen ließ. Weil die Beklagte die Haushaltsführung nicht änderte, was sie bisweilen mit Menstruationsbeschwerden begründete, und der Kläger nach seiner Schilddrüsenoperation keinerlei Zuneigung mehr für die Beklagte verspürte und die intimen Begegnungen gänzlich verweigerte, hegte er erstmals im Frühjahr 1993 den Gedanken, sich von der Beklagten zu trennen. Diese Absicht teilte er ihr auch erstmals etwa Ende März oder Anfang April 1993 mit. Die Beklagte war darüber in Verbindung mit der ihr seit Monaten zuteil werdenden körperlichen Ablehnung sehr bestürzt. Am 19.4.1993, als der Kläger neuerlich das Thema der Trennung anschnitt und der Beklagten mitteilte, daß er für sie nichts mehr empfinde, gerieten die Parteien in Streit, in deren Verlauf die Beklagte dem Kläger eine Badehocker gegen den Kopf schlug. Der Kläger wurde hiedurch allerdings nicht verletzt. Im Mai 1993 wurde der Beklagten vom Arzt mitgeteilt, daß sie an Brustkrebs erkrankt sei. Nachdem sie dies dem Kläger mitgeteilt hatte, führte er vorerst zwar keine Gespräche mehr über Scheidungsabsichten, änderte jedoch sein von Gleichgültigkeit und Interessenlosigkeit gekennzeichnetes Verhalten nicht, zeigte sich Annäherungsversuchen der Beklagten weiterhin abgeneigt und kritisierte weiterhin die mangelhafte Haushaltsführung. Die Beklagte befand sich vom 23.6. bis 27.7.1993 in einem Krankenhaus in Klagenfurt, wo ihr am 5.7.1993 beide Brüste entfernt und durch Implantate ersetzt wurden. Der Kläger besuchte sie während des Krankenhausaufenthalts regelmäßig an Wochenenden. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus suchte die Beklagte beim Kläger psychischen Beistand, Zuspruch und Zärtlichkeit, wurde von ihm aber, zeitweise energisch, zurückgewiesen. In der Nacht zum 23.10.1993 diskutierten zunächst und stritten anschließend die Streitteile bis etwa 1,30 Uhr aus Anlaß des vom Kläger begonnenen Gespräches über die von ihm angestrebte Scheidung. Um etwa 5,00 Uhr früh schlug die Beklagte mit der Hand dreimal gegen den Kopf des noch schlafenden Klägers. Am 15.11.1993 versuchte die Beklagte, mit dem Kläger, der sich im Badezimmer befand, ein Gespräch mit dem Ziel zu beginnen, ihn von seinen Scheidungsabsichten abzubringen. Dies lehnte der Kläger ab und entgegnete, die Beklagte werde schon einen anderen finden. Er bot ihr für den Fall der Scheidung gemeinsam mit dem Sohn einen monatlichen Unterhalt von einschließlich der Familienbeihilfe in der Höhe von S

10.200. Die Beklagte erklärte, mit diesem Betrag nicht auskommen zu können. Weil er sie wegstieß, als sie versuchte, ihn zu streicheln, schlug sie ihm den Badezimmerhocker auf den Fuß. Am 7.12.1993 versuchte die Beklagte wegen der vom Kläger nach wie vor angestrebten Trennung ein Gespräch zu führen. Der Kläger ging aber darauf nicht ein, sondern stieß sie weg, was bei der Beklagten zu einer schmerzhaften Verschiebung des Brustimplantats führte. Daraufhin geriet die Beklagte derart außer Kontrolle, daß sie dem Kläger den Pyjama zerriß, ihm nachlief und mit einem Hammer drei Löcher in die Türe zum Schlafzimmer schlug, in das sich der Kläger eingesperrt hatte. Als der Kläger die Türe öffnete, biß sie ihn in den Nacken und in den rechten Arm. Eine Versöhnung der Streitteile oder wechselseitige Beschimpfungen können nicht festgestellt werden.

Die Streitteile hatten in den letzten Jahren keine gemeinsamen Ausflüge mehr unternommen oder gemeinsame Urlaube verbracht. Wesentlicher Grund dafür war, daß die Beklagte lieber fernsehen wollte und der Meinung war, die Blumen pflegen und die Katze versorgen zu müssen.

Rechtlich war das Berufungsgericht der Meinung, daß dem Kläger als Eheverfehlung sein andauernd liebloses, von Versagung des psychischen Beistands und gänzlicher Abwendung getragenes Verhalten, vor allem auch in einem Zeitraum, in dem die Beklagte aufgrund ihres schlechten physischen und psychischen Zustands besonderer Anteilnahme und Zuwendung bedurft hätte, anzulasten sei. Bei der Beklagten seien die Tätlichkeiten vom 23.10., 15.11. und 7.12.1993 sowie ihre fortgesetzte, ab 1993 vom Kläger als ehezerrüttend empfundende mangelhafte Haushaltsführung als Eheverfehlungen zu werten. Da das Verhalten der vom Schicksal seit Mai 1993 schwer getroffenen Beklagten milder zu beurteilen sei, bilde die vom Kläger seit Frühjahr 1993 der Beklagten gegenüber gezeigte Gleichgültigkeit, Interesselosigkeit und mangelnde Zuneigung den entscheidenden, die Zerrüttung der Ehe einleitenden Beitrag, weshalb seine Schuld überwiege.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene außerordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht im Einklang steht; sie ist auch teilweise berechtigt.

Auszugehen ist davon, daß der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nur dann am Platz ist, wenn das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund tritt (EF 69.266, 66.446, 63.465 ua), und daß es vor allem darauf ankommt, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht hat (EF 63.440, 60.246, 57.212 ua). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Beklagte durch Jahre den Haushalt nur mangelhaft führte, ohne Wissen des Klägers Schulden einging, die wiederholt zu Exekutionen führten, und wesentliche Teile der Freizeit nur nach ihren Interessen ausrichtete. Dieses als Eheverfehlung zu wertende Verhalten (vgl zur Vernachlässigung des Haushalts EF 57.114, 54.375, 46.171 ua; zum Eingehen von Schulden EF 57.118, 10.248; zur Gestaltung der Freizeit EF 63.365, 47.104, 41.184

ua) war geeignet, die Ehe zu zerrütten, und hat beim Kläger auch zum Verlust der ehelichen Gesinnung geführt. Daß er die Eheverfehlungen jahrelang widerspruchslos hinnahm, ändert nichts daran, daß der Beklagten das die Zerrüttung der Ehe einleitende Verhalten anzulasten ist, zumal die Gleichgültigkeit des Klägers auf sein Leiden zurückzuführen war. Die nachfolgenden Eheverfehlungen des Klägers, dem vor allem vorzuwerfen ist, daß er der Beklagten trotz ihrer schweren Erkrankung die gebotene Zuneigung nicht zuteil werden ließ, begründet sein Verschulden. Da dieses gegenüber jenem der Beklagten nicht völlig in den Hintergrund tritt, kann seinem Begehren, das Überwiegen des Verschuldens der Beklagten auszusprechen, nicht entsprochen werden. Auf der anderen Seite tritt aber aus den dargelegten Gründen auch das Verschulden der Beklagten gegenüber jenem des Klägers nicht völlig in den Hintergrund, weshalb beide Ehegatten zu gleichen Teilen für schuldig zu erklären sind.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf § 43 Abs 1 ZPO (Fasching, Kommentar II 332), bei den Kosten der Rechtsmittelverfahren außerdem auf § 50 ZPO. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der entrichteten Gerichtsgebühren zu ersetzen, während die übrigen Kosten gegeneinander aufzuheben sind.

Stichworte