OGH 10ObS141/95

OGH10ObS141/9522.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Norbert Kunc (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karoline B*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Elisabeth Hrastnik, Rechtsanwältin in Oberwart, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschuß und Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 1995, GZ 8 Rs 31/95-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20. Dezember 1994, GZ 16 Cgs 261/94z-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit zwei gesondert ausgefertigten, mit 16.4.1994 datierten Bescheiden lehnte die beklagte Pensions- versicherungsanstalt der Arbeiter die Anträge der Klägerin vom 29.6.1993 auf Gewährung des Hilflosenzuschusses und des Pflegegeldes ab. Die Klägerin sei nicht derart hilflos, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedürfe. Ein durch das Pflegegeld abzugeltender Pflegebedarf sei nur gegeben, wenn dieser durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich betrage. Der im Fall der Klägerin notwendige Zeitaufwand reiche dafür nicht aus.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin ab 29.6.1993 einen Hilflosenzuschuß bzw. ab 1.6.1993 (richtig offenbar ab 1.7.1993) ein Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Nach den wesentlichen Tatsachenfeststellungen bedarf die Klägerin zur Herbeischaffung von größeren Nahrungsmittelmengen und von Medikamenten, zur Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, zur Pflege der Leib- und Bettwäsche und zum Herbeischaffen des Brennmaterials fremder Hilfe. Überdies sei Mobilitätshilfe im weiteren Sinn erforderlich. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der Pflegebedarf der Klägerin unter Berücksichtigung der Einstufungsverordnung zum BPGG unter 50 Stunden monatlich liege, weshalb das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werden müsse.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil infolge Berufung der Klägerin dahin ab, daß es die Beklagte schuldig erkannte, der Klägerin für den Zeitraum 29. bis 30.6.1993 einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß und ab 1.7.1993 ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zu gewähren. Wenngleich der Aufwand für die Zubereitung von Speisen nicht hinreichend geklärt worden sei, lägen die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses nach dem bis 30.6.1993 anzuwendenden § 105 a ASVG vor. Wenn es auch nach der alten Rechtslage zum Hilflosenzuschuß noch keine fixen Zeitwerte gegeben habe, so erscheine es dennoch "naheliegend und nicht unangemessen", für die kurze Phase eines möglichen Hilflosenzuschusses grundsätzlich auch von den Ansätzen der Einstufungsverordnung von 5 x 10 Stunden für die Hilfeleistungen auszugehen. Selbst wenn man dabei einen angemessenen Abstrich von 2 x 5 Stunden vornehme, weil die Klägerin in der Lage sei, einen Teil der aufgezählten Hilfsverrichtungen selbst wahrzunehmen (Beischaffung kleinerer Nahrungsmittelmengen, Einheizen), blieben immer noch 40 Stunden monatlich, in denen die Klägerin schon vor Inkrafttreten des BPGG fremder Hilfe bedurft hätte. Wende man hierauf den Stundensatz von 90 S für die Inanspruchnahme einer dritten Person an, ergebe sich ein Betrag von S 3.600,-- monatlich, der deutlich über den für 1993 geltenden Hilflosenzuschußsätzen von mindestens S 3.002,-- und höchstens S 3.028,-- liege. Stehe aber der Klägerin am 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß zu, dann sei ihr wegen der Übergangsregelung des BPGG mit Wirkung vom 1.7.1993 ein Pflegegeld in der Höhe der Stufe 2 zuzusprechen. Einer weiteren Abklärung der Frage, inwieweit die Klägerin selbständig ausreichende Mahlzeiten zubereiten könne, bedürfe es daher nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Ob der Klägerin für die Zeit vom 29. bis 30.6.1993 die Erhöhung ihrer Pension infolge Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses gebührt, ist gemäß § 43 Abs 2 BPGG nach § 105 a ASVG und noch nicht nach § 4 Abs 1 und 2 BPGG und der Einstufungsverordnung zum BPGG (EinstV) zu beurteilen. Wenn der Klägerin zum 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß zusteht, dann ist ihr wegen der im § 43 Abs 2 zweiter Halbsatz BPGG verfügten sinngemäßen Geltung des § 38 Abs 1 erster Satz BPGG von Amts wegen mit Wirkung vom 1.7.1993 nach den Vorschriften dieses Bundesgesetzes ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zuzusprechen. Wenn ihr zum 30.6.1993 kein Hilflosenzuschuß zusteht, ist ihr Anspruch auf Pflegegeld ab 1.7.1993 nach den Bestimmungen des BPGG und der EinstV zu prüfen (SSV-NF 8/58).

Nach § 105 a ASVG gebührte Beziehern einer Person, die derart hilflos waren, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedurften, zu der Pension ein Hilflosenzuschuß im halben Ausmaß der Pension, jedoch (im Jahr 1993) mindestens S 3002,-- und höchstens S 3.028,--. Nach der seit der Entscheidung SZ 60/223 = SSV-NF 1/46 (ähnlich JBl 1988, 64) ständigen Rechtsprechung des Senates gebührte der Hilflosenzuschuß dann, wenn ein Pensionist aus gesundheitlichen Gründen notwendige Verrichtungen nicht mehr alleine ausführen konnte und die deshalb aufzuwendenden Kosten fremder Hilfe mindestens so hoch waren wie der begehrte Hilflosenzuschuß.

Ob dies im Fall der Klägerin zutrifft, kann auf Grund der vorliegenden Feststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden:

Das Erstgericht hat hinsichtlich der Hilfsverrichtungen festgestellt, daß die Klägerin zur Herbeischaffung von größeren Mengen von Nahrungsmitteln und Medikamenten, für die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, für die Pflege der Leib- und Bettwäsche, für die Herbeischaffung des Heizmaterials und schließlich für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinne seit der Antragstellung fremder Hilfe bedürfe. Diese Feststellungen mögen zwar - nähere Umschreibung der Mobilitätshilfe vorausgesetzt - für die Beurteilung ausreichen, welchen Hilfsbedarf die Klägerin seit 1.7.1993 hat; es handelt sich dabei nämlich um die in § 2 Abs 2 der EinstV abschließend aufgezählten Hilfsverrichtungen, für die nach § 2 Abs 3 EinstV je ein - auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen ist.

Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BPGG und der EinstV am 1.7.1993 galten jedoch keine Pauschalwerte (ebenso die E vom 20.7.1995, 10 Ob S 135/95). Der Ansicht des Berufungsgerichtes, es erscheine dennoch naheliegend und nicht unangemessen, den Anspruch der Klägerin auf Hilflosenzuschuß nach den Ansätzen der EinstV zu prüfen, kann nicht beigestimmt werden, weil diese Auffassung der klaren Übergangsregelung des BPGG widerspricht. Deshalb sind genaue Feststellungen darüber erforderlich, welche notwendigen Verrichtungen die Klägerin nicht allein ausführen konnte. Da dies für die Dauer der Inanspruchnahme einer Hilfskraft von Bedeutung ist, muß hinsichtlich der Reinigung der Wohnung zB zwischen der einfachen und der gründlichen Reinigung, bei der Wäschereinigung zwischen der Reinigung der Leib- und der Bettwäsche, bei der Beheizung zwischen den eigentlichen Heizvorgängen und dem Herbeischaffen des Heizmaterials unterschieden (so 10 Ob S 135/95) und auch geprüft werden, welche Mengen von Nahrungsmitteln die Klägerin noch selbst einkaufen konnte. Mobilitätshilfe im weiteren Sinn wird erst durch § 2 Abs 2 EinstV zu den notwendigen Hilfsverrichtungen gezählt (ähnlich Gruber/Pallinger BPGG § 4 Rz 21; Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich, 190 f mit Judikaturangaben in FN 3 und 191 FN 1; vgl. dazu SSV-NF 8/79).

Die Feststellung, daß die Klägerin "Mahlzeiten selbständig zubereiten" kann, ist ebenfalls nicht ausreichend bestimmt, weil nicht beurteilt werden kann, ob es der Klägerin im genannten Zeitraum möglich war, sich unter anderem einmal täglich eine warme Mahlzeit zu kochen und allfällige Diätvorschriften zu beachten (10 Ob S 135/95). Die zum Hilflosenzuschuß entwickelte Judikatur ging davon aus, daß für eine dem allgemeinen Standard angemessene menschengerechte Lebensführung mindestens einmal täglich die Einnahme einer ordentlichen warmen Mahlzeit erforderlich ist, deren Zubereitung nicht nur eine ganz kurze Zeitspanne in Anspruch nimmt und daß es einem Pensionisten nicht zuzumuten ist, sich ausschließlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren, daß aber bei Prüfung des für die Speisenzubereitung notwendigen Aufwandes das handelsübliche Angebot an Tiefkühlkost und Fertiggerichten zu berücksichtigen ist. Es ist immer auf den Einzelfall abzustellen und zu beurteilen, ob die Speisen, die ein Pensionist selbst zubereiten kann, für seine Versorgung als ausreichend angesehen werden können oder ausgehend von den dargelegten Grundsätzen für eine entsprechende Versorgung mit Nahrung Hilfe von dritter Seite erforderlich ist (SSV-NF 5/46 ua). Im wesentlichen haben diese Erwägungen auch zur Beurteilung des Pflegeaufwandes nach dem BPGG zu gelten (SSV-NF 8/74). Zu Unrecht hat daher das Berufungsgericht gemeint, die Frage, wie weit die Klägerin selbständig ausreichende Mahlzeiten zubereiten könne, brauche nicht abgeklärt zu werden.

Zur Behebung dieser wesentlichen Feststellungsmängel ist offenbar eine Verhandlung in erster Instanz erforderlich, weshalb die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Sollte der Klägerin auch im zweiten Rechtsgang bis 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß und/oder ab 1.7.1993 ein Pflegegeld zuerkannt werden, dann werden diese Leistungen mangels der Voraussetzungen des § 89 Abs 2 ASGG in ziffernmäßig bestimmter Höhe zuzusprechen sein (10 Ob S 135/95).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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