OGH 6Ob566/95

OGH6Ob566/9522.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Michael Ambrosch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Rechtsanwälte Hofstätter & Isola Kommandit-Partnerschaft in Graz, wegen 150.710,32 S sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 12.Jänner 1995, AZ 6 R 215/94 (ON 28), womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 16.August 1994, GZ 20 Cg 147/93i-23, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, daß das klagsabweisliche Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 35.570 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 13.250 S Barauslagen und 3.720 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.6.1988 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Durchführung der Baumeisterarbeiten im Zuge einer Generalsanierung des Hauses in W*****. Nach dem übereinstimmenden Parteienvorbringen haben die Streitteile dem Werkvertrag (ua) die Anwendung der ÖNorm A 2060 idF 1.1.1983 zugrundegelegt; deren maßgeblicher Abschnitt "2.13 Zahlung" lautet auszugsweise wie folgt:

"2.13.1.4 Weicht eine Zahlung vom Rechnungsbetrag ab, so hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer spätestens bei der Zahlung die Gründe hiefür bekanntzugeben.

Sind zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schluß- oder Teilschlußrechnung noch Positionen strittig, so darf aus diesem Grund der unbestrittene Teil der Zahlung vom Auftraggeber nicht zurückgehalten werden.

...........

2.13.2 Annahme der Zahlung, Vorbehalt

Die Annahme der Schlußzahlung aufgrund einer Schluß- oder Teilschlußrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen sechs Wochen nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen.

2.13.3 Geltendmachung von Nachforderungen und Überzahlungen

Wurde ein Vorbehalt gemäß Abschnitt 2.13.2 erhoben oder sind Überzahlungen erfolgt, können die entsprechenden Forderungen, sofern im Vertrag oder in den vereinbarten ÖNORMEN nichts anderes festgelegt ist, noch innerhalb der jeweiligen Verjährungsfrist geltend gemacht werden."

Das Bauvorhaben konnte nicht zum vorgesehenen Termin fertiggestellt werden. Die mehr als einjährige Verzögerung ist einerseits darauf zurückzuführen, daß noch nicht alle Mieter ausgezogen waren, andererseits traten auch aufgrund der schlechten Witterungsverhältnisse Verzögerungen ein, hauptsächlich ergaben sich diese aber aus der hiedurch erforderlich gewordenen Neukoordinierung der Termine mit den anderen Professionisten.

Nach Beendigung der Generalsanierung des Hauses zu Beginn des Jahres 1990 legte die Klägerin der Beklagten die Schlußrechnung Nr.27/90 vom 2.5.1990 (bezüglich Erhaltungsarbeiten) sowie die Schlußrechnungen je vom 3.5.1990 Nr.29/90 (bezüglich Verbesserungsarbeiten), 30/90 (bezüglich Pensionistenheim und Büroräume) und 31/90 (bezüglich Dachgeschoßausbau). Sie alle enthielten in den Schlußpositionen entsprechende Zuschläge aufgrund der Lohn- und Materialpreiserhöhungen des Jahres 1990.

Nach Überprüfung der Schlußrechnungen durch das von der Beklagten mit der Planung und Bauleitung beauftragte Architekturbüro Prof.Dipl.Ing.Herbert M*****, die sich in bezug auf die aus dem Titel Lohn- und Materialkostenerhöhungen geforderten Beträge nur auf eine Kontrolle anhand der Bauindizes beschränkte und deren rechnerische Richtigkeit ergab, wurden die Vorkorrekturen der Beklagten "zur Feinkorrektur" übersendet.

Mit Schreiben vom 23.7.1990, welchem die korrigierten Schlußrechnungen angeschlossen waren, gab die Beklagte der Klägerin bekannt, daß sie bezüglich der Baukostenerhöhungen (nur) bereit sei, die im Bereich der Bauherrschaft gelegenen zeitlichen Verzögerungen mit Prozentzuschlägen abzudecken wie sie den Korrekturen der Schlußrechnungen zu entnehmen seien; sie werde die angeführten Beträge am 23.7.1990 anweisen. Das ist auch tatsächlich geschehen, wobei die Beklagte in bezug auf die verrechneten Lohn- und Materialkostenerhöhungen insgesamt um 150.710,32 S weniger an die Klägerin überwiesen hat, als diese verrechnete.

Die Klägerin legte am 17.8.1990 der Beklagten nach Erhalt des Schlußbriefes und der Schlußzahlung eine Bankgarantie über den vereinbarten Haftrücklaß, welcher rechnerisch die von der Beklagten korrigierten Schlußrechnungssummen zugrunde lagen.

Erst mit Schreiben vom 28.3.1991 übermittelte die Klägerin der Beklagten die als "Ergänzungsrechnung" bezeichnete Rechnung Nr.10/91 über den Betrag von 150.710,32 S und wies darauf hin, daß ihr die Korrekturen der Lohn- und Materialpreiserhöhungen völlig unverständlich seien.

Mit der Behauptung, daß die in den Schlußrechnungen geforderten Positionen aus Lohn- und Materialpreiserhöhungen von dem mit der Bauleitung beauftragten Architekten anerkannt worden und auch keine "nachträgliche Forderungen" im Sinne der ÖNorm 2060 seien, weil sie schon in den Schlußrechnungen enthalten waren und auf dem Bauherrn zuzurechnende Bauverzögerungen zurückgingen, begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 150.710,32 S sA gemäß ihrer Ergänzungsrechnung Nr.10/91 vom 28.3.1991.

Die Beklagte stellte die Klagsforderung der Höhe nach außer Streit (ON 18 S 71); sie beantragt aber die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Forderung gemäß Abschnitt 2.13.2 der ÖNorm A 2060 verfristet sei. Das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis liege nicht vor. Im übrigen seien zwischen den Parteien Fixpreise vereinbart worden; die Bauzeitverzögerungen seien ausschließlich auf im Bereich der Klägerin liegende Umstände zurückzuführen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis sei nach den Feststellungen nicht erwiesen. Die aus Lohn- und Materialkostenerhöhungen resultierende Klagsforderung sei eine "nachträgliche Forderung" im Sinne des Abschnittes 2.13.2 der von den Parteien zum Vertragsbestandteil gemachten ÖNorm A 2060, welche sich die Klägerin aber nicht innerhalb der dort genannten Frist von sechs Wochen vorbehalten habe, sodaß deren "Nachforderung" verspätet (offenbar gemeint: verfristet) sei.

Das Berufungsgericht faßte einen Aufhebungsbeschluß und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Erstgericht habe zwar zutreffend erkannt, daß das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis nicht vorliege, entgegen seiner Meinung sei aber Abschnitt 2.13.2 der ÖNorm A 2060 dann unanwendbar, wenn der Auftraggeber - wie hier - vom Schlußrechnungsbetrag Abstriche vornehme. Der Begriff "nachträgliche Forderung" beziehe sich nämlich nur auf in den Schlußrechnungen noch nicht enthaltene Forderungen. Nur in bezug auf solche Forderungen sei ein "Vorbehalt" (in der Rechnung oder) nach Erhalt der Zahlung denkbar. Der Sinn dieser Bestimmung liege darin, dem die Schlußrechnung zahlenden Auftraggeber schon nach kurzer Zeit und nicht erst nach Ablauf der Verjährungsfristen die Gewißheit zu geben, daß weitere (zusätzliche) Forderungen aus dem Geschäftsfall nicht mehr geltend gemacht werden können. Gegen den Abzug des Auftraggebers von einem Rechnungsbetrag und die folgende Minderzahlung könne sich der Auftragnehmer auch nicht mit einem "Vorbehalt", sondern nur mit einem "Einwand" zur Wehr setzen. Das Erfordernis eines solchen fristgebundenen schriftlichen Einwandes gegen Rechnungsabstriche des Auftraggebers sei aber der ÖNorm A 2060 nicht zu entnehmen. Mangels Verfristung der Klagsforderung sei daher die Sache noch nicht spruchreif.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen der Meinung der Klägerin schon deshalb zulässig, weil ÖNormen, und insbesondere die ÖNorm A 2060, "Allgemeine Vertragsbestimmungen für Leistungen", für die Bauwirtschaft von grundlegender Bedeutung sind (Krejci in Rummel, ABGB2 Rz 23 zu §§ 1165, 1166); daß am 1.3.1995 eine Neufassung dieser ÖNorm herausgegeben wurde, ändert nichts daran, daß sie idF 1.1.1983 immer noch zahlreichen offenen Bauwerkverträgen zugrunde liegt. Ihrer Auslegung kommt daher zur Wahrung der Rechtssicherheit weiterhin erhebliche Bedeutung zu. Das Rechtsmittel ist auch insofern berechtigt, als die Streitsache bereits zur Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweislichen Urteils des Erstgerichtes reif ist (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1823).

ÖNormen sind, soweit sie nicht durch konkrete Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt wurden, rechtlich nichts weiter als Vertragsschablonen; es steht den Vertragspartnern frei, sie zu vereinbaren oder nicht, d.h. sie werden - ihrer Rechtsnatur als AGB entsprechend - nur dann zum Vertragsgegenstand, wenn die Vertragsparteien ihre Geltung - zumindest konkludent - vereinbart haben (Krejci aaO; Rummel in Rummel, ABGB2 Rz 12 zu § 861; Larcher,

Die neuen ÖNORMEN des Verdingungswesens A 2060 und B 2110, RdW 1984, 166 ff [168]; SZ 46/79; HS 10.553 mwN). Da es sich hiebei weder um die von einer der Vertragsparteien aufgestellten AGB handelt, noch um das Ergebnis von Vertragsverhandlungen der Parteien, sondern um "kollektiv" gestaltete Vertragsbedingungen, die von dritter Seite - dem Österreichischen Normungsinstitut - herausgegeben werden, sind ihre Bestimmungen objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut, d.h. unter Verzicht auf außerhalb des Textes liegende Umstände, gemäß § 914 ABGB aufzulegen; sie sind daher so zu verstehen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises erschließen (Larcher aaO; SZ 63/51 mwN). Im Zweifel bildet die Übung des redlichen Verkehrs einen wichtigen Auslegungsbehelf (JBl 1972, 200).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß die in Rede stehende Bestimmung nicht im Abschnitt

2.12 "Rechnungslegung", sondern im Abschnitt 2.13. "Zahlung" enthalten ist, wo bereits unter 2.13.1.4 dem Auftraggeber die Verpflichtung auferlegt wird, daß er im Falle des Abweichens seiner Zahlung vom Rechnungsbetrag den Auftragnehmer spätestens bei der Zahlung die Gründe hiefür bekanntzugeben hat. Überschrift und Wortlaut des Abschnittes 2.13.2 knüpfen sodann die Rechtsfolge des Ausschlusses von Nachforderungen ausschließlich an die Annahme der Schlußzahlung aufgrund einer Schluß- oder Teilschlußrechnung und das Unterbleiben eines entsprechenden Vorbehalts an, wobei ein solcher vom Auftragnehmer bereits in die Rechnung aufgenommen werden kann, sonst aber binnen sechs Wochen nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben und begründet werden muß. Die in der Bestimmung und in der Überschrift der damit zusammenhängenden Regelung des Abschnittes

2.13.3 synonym gebrauchten Begriffe "nachträgliche Forderungen" und "Nachforderungen" beziehen sich daher unmißverständlich auf die vom Auftragnehmer angenommene Schlußzahlung des Auftraggebers; alles was über diese Summe hinausgeht und noch "nachgefordert" werden soll, muß rechtzeitig "vorbehalten" werden, ohne daß es darauf ankommt, ob die entsprechende Forderung bereits verrechnet wurde oder nicht. Die Bestimmung gilt daher auch für den Fall, daß der Auftraggeber vom Schlußrechnungsbetrag Abstriche vorgenommen und entsprechend weniger bezahlt, der Auftragnehmer aber auch diese geringere Schlußzahlung angenommen hat (Larcher aaO 237). Zweck dieser Bestimmung ist es ja, wie sich auch aus jener des Abschnittes 2.13.3 ergibt, die Rechtslage bei Bauprojekten mit zumeist hohen Auftragssummen möglichst innerhalb kurzer Frist zu klären und zu diesem Zweck die gesetzlichen Verjährungsfristen abzukürzen (vgl WBl 1988, 402); der Auftraggeber soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das gesamte Ausmaß seiner Verpflichtungen überschauen und erfahren können (so schon JBl 1972, 200 zur entsprechenden Vorgängerbestimmung des § 3 Punkt 10 der ÖNorm B 2110 idF 1.5.1947, welche übrigens sogar ausdrücklich angeordnet hatte, daß früher gestellte, aber unerledigte Forderungen nochmals vorbehalten werden müssen). Die ÖNorm A 2060 idF 1.3.1995 regelt die Annahme der Zahlung und den Vorbehalt nunmehr in Abschnitt 2.17.2 und sieht ausdrücklich vor, daß die Bestimmung auch im Falle des Abweichens der Schlußzahlung vom Rechnungsbetrag gilt. Nach dem Wortlaut und Sinn ist aber auch die erwähnte Bestimmung der ÖNorm A 2060 idF 1.1.1983 dahin zu verstehen, daß der Auftragnehmer im Falle der Annahme einer vom Rechnungsbetrag abweichenden Schlußzahlung des Auftraggebers den Fehlbetrag nur dann nachfordern kann, wenn er diesbezüglich binnen sechs Wochen nach Erhalt der Zahlung einen begründeten schriftlichen Vorbehalt erhoben hat.

Da die Klägerin im vorliegenden Fall den erforderlichen schriftlichen Vorbehalt nicht fristgerecht erhoben hat, ist die Geltendmachung der Klagsforderung als "Nachforderung" ausgeschlossen.

Diese Erwägungen führen bereits dazu, daß in Stattgebung des Rekurses das klagsabweisliche Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen war (§ 519 Abs 2, letzter Satz, ZPO).

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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