OGH 13Os79/95(13Os80/95)

OGH13Os79/95(13Os80/95)16.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.August 1995 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Eckert als Schriftführer in der Strafsache gegen Alexander B***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 29.März 1995, GZ 7 Vr 819/94-60, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO zugleich gefaßten Widerrufsbeschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, des Verteidigers Rechtsanwalt Dr.Wolfgang Steflitsch, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Beschwerde Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Nachsicht der über Alexander B***** mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 4.Juli 1990, AZ 7 Vr 232/90, verhängten zweijährigen Freiheitsstrafe abgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 12.Jänner 1994, GZ 7 Vr 1297/93-14, wurde Alexander B***** des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG und des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG schuldig erkannt.

Danach hat er in Oberwart, Wien und anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider

1 im Jahre 1992 Suchtgift in einer insgesamt großen Menge, deren Weitergabe geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen, in Verkehr gesetzt, und zwar

a durch wiederholten Verkauf von Heroinverschnitt in einer Menge von zumindest 5 Gramm an Franz S*****;

b durch den Verkauf von Heroinverschnitt in einer nicht mehr feststellbaren Menge an Uwe St***** und Evelyn St*****, "die in der Zwischenzeit an einer Überdosis Heroin verstorben sind";

2 in der Zeit zwischen Sommer 1990 und Herbst 1993 wiederholt Suchtgift, nämlich nicht mehr feststellbare, von Punkt 1 des Schuldspruchs nicht umfaßte Mengen an Cannabiskraut erzeugt sowie Heroin, Kokain, Cannabisharz und Cannabiskraut erworben und besessen.

Den gegen das Urteil sowie den gemäß § 494 a Abs 4 Z 4 StPO gleichzeitig gefaßten Widerrufsbeschluß von Alexander B***** erhobenen Rechtsmitteln blieb mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11.Mai 1994, GZ 13 Os 64, 78/94-9, ein Erfolg versagt.

Mit Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt vom 12.September 1994, GZ 7 Vr 819/94-49, wurde das Strafverfahren zu Punkt 1 b des Schuldspruchs unter Aufhebung des gesamten Strafausspruchs einschließlich des Widerrufsbeschlusses gemäß § 353 Z 2 StPO wiederaufgenommen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 29.März 1995 (in der Ausfertigung irrig 1994), GZ 7 Vr 819/94-60, wurde Alexander B***** neuerlich des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG schuldig erkannt.

Danach hat er im Jahre 1992 in Oberwart, Wien und an anderen Orten unter Hinzurechnung der ihm mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 12.Jänner 1994, GZ 7 Vr 1297/93-14, zu Punkt 1 a angelasteten Taten den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer insgesamt großen Menge, deren Weitergabe geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen, dadurch in Verkehr gesetzt, daß er Heroinverschnitt in einer nicht mehr feststellbaren Menge an Uwe St***** verkaufte, welcher nicht feststellbare Mengen hievon an Evelyn Stöhr weitergab.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 5 a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die nicht näher differenzierte Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5 und 5 a) bekämpft die den Schuldspruch tragenden Feststellungen. Soweit aus den Angaben der Zeugin Ruth St***** über (weitere) Heroinankäufe des Uwe St***** in Wien abgeleitet wird, dieser habe nicht über genügend Geld zum Kauf von Suchtgift verfügt, wird lediglich versucht, aus den Angaben der Zeugin andere Schlüsse zu ziehen, als dies das Schöffengericht in freier Beweiswürdigung getan hat (US 7 f), und kein formaler Begründungsmangel geltend gemacht.

Widersprüche in den Angaben dieser Zeugin, die erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der auf ihre Aussage gegründeten Feststellungen über entscheidende Tasachen hervorrufen würden, vermag der Beschwerdeführer ebensowenig aufzuzeigen. Auch die Aussagen der Zeugen Johann Se*****, Juliana Se***** und Jolanda B***** rufen solche Bedenken nicht hervor, vielmehr hat das Schöffengericht ohne Verletzung der Denkgesetze dargelegt, daß die Aussagen der genannten Zeugen erkennbar in dem Bestreben erfolgten, den Angeklagten auf Kosten der Wahrheit zu entlasten (US 9 f). Ob zwischen dem Angeklagten und Uwe St***** ein Freundschaftsverhältnis bestand, ist entscheidungsunwesentlich, weil auch ein solches Suchtgiftgeschäfte zwischen den Beteiligten nicht ausschließt.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurden im Urteil weder die Angaben der Zeugin Jolanda B*****, noch der Zeugin Juliana Se***** aktenwidrig wiedergegeben. Letztgenannte hat nämlich nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung ihre Aussage vor dem erkennenden Gericht erst nach Vorhalt dahin präzisiert, sie habe nicht gehört, daß Ruth St***** geäußert habe, im Prozeß nicht die Wahrheit gesagt zu haben (S 508/I). Auch die Beschwerdeargumente gegen Urteilserwägungen über eine "Entlastungsoffensive" des Angeklagten und der Zeugen bekämpfen im Kern nur die freie Beweiswürdigung der Tatrichter (§ 258 Abs 2 StPO), vermögen aber weder formelle Begründungsmängel aufzuzeigen (Z 5), noch erhebliche Bedenken gegen entscheidungswesentliche Tatsachenfeststellungen zu wecken (Z 5 a).

Die Ausführungen gegen die Feststellungen zum Inverkehrsetzen einer 1,5 Gramm Heroin in Reinsubstanz übersteigenden Suchtgiftmenge und des auf einen die kontinuierliche Begehung der einzelnen Suchtgiftverkäufe geknüpften Additionseffekt gerichteten Vorsatzes verkennen das Wesen der freien Beweiswürdigung, welche die Tatrichter nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, Beweisergebnisse in ihrem Zusammenhang zu würdigen, durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ergänzen und ihre Überzeugung frei von jeder Beweisregel auf in diesen Prämissen wurzelnde denkrichtige Schlüsse zu stützen (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 258 E 26 und 30 ua). Ausgehend von dem rechtskräftig festgestellten Verkauf von zumindest 5 Gramm Heroinverschnitt an Franz S***** und die kriminelle Erfahrung des Angeklagten konnten die Tatrichter daher sehr wohl zum Schluß gelangen, daß er insgesamt mehr als 1,5 Gramm Heroin in Reinsubstanz mit dem oben genannten Vorsatz in Verkehr gesetzt hat.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) bekämpft die Berücksichtigung der Heroinverkäufe an Franz S***** zu 1 a des Schuldspruches vom 12. Jänner 1994 bei der rechtlichen Beurteilung der Tat. Sie läßt außer acht, daß nach dem Grundsatz der partiellen Rechtskraft das Verfahren nur zu Punkt 1 b des bezeichneten Urteils wieder aufgenommen wurde, wogegen die übrigen Punkte des Schuldspruchs unberührt blieben. Das nunmehr bekämpfte Urteil vom 29.März 1995 stellt sich daher (etwa im Gegensatz zu einer nachträglichen Verurteilung gemäß § 31 StGB) bloß insoferne als Ergänzung des erstgenannten Urteils mit diesem eine rechtliche Einheit bildend dar, als auch die beiden Urteilen zugrunde liegenden Taten als Handlungseinheit zu betrachten sind (Mayerhofer/Rieder, Nebengesetze3, § 12 SGG E 16). Somit waren bei der rechtlichen Subsumtion auch jene Suchtgiftmengen zu berücksichtigen, deren Inverkehrsetzen der Angeklagte bereits mit Urteil vom 12.Jänner 1994 rechtskräftig schuldig erkannt worden war.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 12 Abs 1 SGG, 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr und erkannte darüber hinaus gemäß § 13 Abs 2 SGG (ebenso) auf eine anteilsmäßige Wertersatzstrafe. Bei der Ausmessung der Freiheitsstrafe wertete es als erschwerend das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen, den raschen Rückfall sowie einschlägige Vorverurteilungen, als mildernd hingegen, daß der Angeklagte die Straftaten im wesentlichen zur Finanzierung der eigenen Sucht begangen hat.

Zugleich mit dem Urteil wurde (wie im vorausgehenden Verfahren) gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO die mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 4.Juli 1990, AZ 7 Vr 232/90, gewährte bedingte Nachsicht einer zweijährigen Freiheitsstrafe widerrufen.

Gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten mit dem Begehren nach Herabsetzung der Freiheitsstrafe und Gewährung der bedingten Strafnachsicht; seine Beschwerde bekämpft den Widerrufsbeschluß.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu. Angesichts der vom Erstgericht im wesentlichen richtig und vollständig aufgezählten Strafzumessungsgründe ist die verhängte Freiheitsstrafe keinesfalls zu hoch bemessen worden, war doch zu berücksichtigen, daß zwei der Abnehmer des Angeklagten sogar an einer Suchtgiftüberdosis gestorben sind. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 11. Mai 1994 ausgeführt hat, vermochte bereits in der Vergangenheit wiederholte bedingte Strafnachsicht den Rückfall des Angeklagten in gleichartig strafbares Verhalten nicht zu verhindern, sodaß die Voraussetzungen für eine abermalige bedingte Nachsicht der Strafe nicht vorliegen.

Hingegen ist der Angeklagte im Ergebnis mit seiner Beschwerde im Recht.

Gemäß § 56 StGB ist nämlich ein Widerruf der bedingten Strafnachsicht nach § 53 Abs 1 StGB nur in der Probezeit, wegen einer während dieser Zeit begangenen strafbaren Handlung jedoch auch innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Probezeit oder nach Beendigung eines bei deren Ablauf gegen den Rechtsbrecher (wegen der in der Probezeit begangenen Straftat) anhängigen Strafverfahrens möglich. Eine weitere Ablaufshemmung ist im Gesetz nicht vorgesehen, insbesondere auch nicht im Falle der Kassierung des Widerrufs (aus welchem Grunde immer, vgl Mayerhofer/Rieder StGB4 E 2 a und 3 zu § 56 StGB).

Da vorliegend das wegen der in der Probezeit begangenen strafbaren Handlungen (und entgegen den Beschwerdeausführungen innerhalb der Probezeit eingeleitete) Verfahren mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes am 11.Mai 1994 beendet wurde, wäre - nach Aufhebung des Widerrufsbeschlusses als Folge der teilweisen Wiederaufnahme des Verfahrens - ein neuerliche Widerruf nur innerhalb von sechs Monaten ab dem 11.Mai 1994 möglich gewesen (Leukauf-Steininger, Komm3, § 56 RN 4). Der erst am 29.März 1995 erfolgte (neuerliche) Widerruf war sohin als verspätet aufzuheben und der zugrundeliegende Antrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390 a StPO.

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