OGH 4Ob552/95

OGH4Ob552/9510.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Benjamin W*****, und der minderjährigen Lisa W*****, beide vertreten durch das Amt für Jugend und Familie des Magistrates Linz als Unterhaltssachwalter, dieses vertreten durch Dr.Josef Weixelbaum, Rechtsanwalt in Linz, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 2.Mai 1995, GZ 13 R 126, 127/95-89, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Linz vom 22. Februar 1995, GZ 5 P 38/95-77 und 78 abgeändert wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, welchem eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen wird.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 17.1.1994 wurde der vom Vater zu leistende

monatliche Unterhalt ab 1.11.1992 für den minderjährigen Benjamin auf

S 4.800,- und für die minderjährige Lisa auf S 4.200,- erhöht. Dieser

Entscheidung lag ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen

des Vaters - aus seiner Tätigkeit bei einer Überwachungsfirma und

aus einer Versehrtenrente nach dem HeeresversorgungsG (HVG) - für

das Jahr 1992 von S 32.706,99 und für das Jahr 1993 von S

29.903,31 zugrunde.

Für die Zeit vom 1.6. bis 31.12.1994 wurden den Kindern

Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG gewährt, weil sich der Vater vom

1.6. bis 15.12.1994 in Haft befand.

Am 17.2.1995 beantragte der Untersachwalter für beide Minderjährige

die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in

der Höhe des Exekutionstitels. Die Führung einer Exekution erscheine aussichtslos, weil der Unterhaltsschuldner Arbeitslosenentgelt von täglich S 389,30 beziehe, woraus die Unterhaltsbeträge in Exekutionswege nicht gedeckt werden könnten. Sonstiges zur Hereinbringung des laufenden Unterhalts verwertbares Vermögen sei nicht bekannt. Die HVG-Versehrtenrente des Unterhaltsschuldners könne nicht mehr in Exekution gezogen werden.

Die Versehrtenrente ruhte bis 30.11.1994, weil der Vater eine

Strafhaft verbüßte; ab 1.12.1994 betrug sie S 7.440,-, ab 1.1.1995 S

7.648,- im Monat, jeweils einschließlich der Familienzuschläge. Die

Gesamtleistung wird jedoch - schon seit einem vor der letzten

Unterhaltserhöhung liegenden Zeitpunkt - zur Tilgung eines

KOF-Darlehens zur Gänze einbehalten; lediglich die Sonderzahlungen werden ausgezahlt.

Das Erstgericht bewilligte die Unterhaltsvorschüsse in der beantragten Höhe für den Zeitraum vom 1.2.1995 bis 31.1.1998.

Das Rekursgericht wies die Anträge der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die im Antrag behauptete Aussichtslosigkeit der Exekution liege nicht vor, weil sowohl die Arbeitslosenunterstützung als auch die Versehrtenrente wie sonstiges Erwerbseinkommen in den Grenzen des § 291 a EO beschränkt pfändbar seien. Daß das Einkommen des Vaters durch andere Pfändungen bis zum Existenzminimum erschöpft wäre, sei nicht behauptet worden. Die Versehrtenrente werde zwar zur Deckung eines nicht zweckgebundenen Darlehens verwendet; das stehe aber einer Heranziehung zur Unterhaltsdeckung nicht entgegen. Diese Rente sei schon im Titelverfahren in die Bemessungsgrundlage einbezogen worden, obwohl sie auch damals einbehalten worden sei. Eine entsprechende Exekutionsführung müsse daher aufgrund der bekannten Drittschuldner Aussicht auf Erfolg haben. Hinsichtlich der uneinbringlichen Beträge bestehe immer noch die Möglichkeit der Vorschußgewährung. Außerdem bestünden Zweifel an der materiellen Richtigkeit des Unterhaltstitels. Der Unterhaltsschuldner sei mehr als sechs Monate in Haft und danach bis zum Zeitpunkt der Beschlußfassung in erster Instanz zwei Monate arbeitslos gewesen. Den Minderjährigen stehe es jedoch frei, nach dieser Versagung neuerliche Anträge, mit denen diese Bedenken ausgeräumt werden, einzubringen.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wurde dem Unterhaltssachwalter am 26.5.1995 zugestellt. Am 1.6.1995 beantragte dieser die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts. Das Dekret wurde dem Rechtsanwalt zur Verfahrenshilfe am 20.6.1995, der Beschluß des Rekursgerichtes aber erst am 3.7.1995 zugestellt.

Gemäß § 7 AußStrG iVm mit dem gemäß Art 8 § 3 Abs 1 VerfHG

sowie gemäß § 521 Abs 3 ZPO sinngemäß anzuwendenden § 464 Abs

3 ZPO begann die Frist für den außerordentlichen Revisionsrekurs

daher erst am 3.7.1995 zu laufen.

Rechtliche Beurteilung

Der am 7.7.1995 zur Post gegebene außerordentliche Revisionsrekurs

ist daher rechtzeitig; er ist auch zulässig im Sinne des § 14 Abs

1 AußStrG, weil das Rekursgericht, von den in der Rechtsprechung zu

§ 7 Abs 1 Z 1 und § 11 Abs 2 UVG entwickelten Grundsätzen

abgewichen ist. Er ist daher auch berechtigt.

Mit Recht machen die Revisionsrekurswerber geltend, daß hier zu

prüfen gewesen wäre, wie weit die zugunsten der Minderjährigen

bestehenden Unterhaltstitel noch aufrecht sind. Gemäß § 7 Abs 1 Z

1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu

versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG

begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte

Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen

Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. § 19

und § 20 UVG ergänzen diese Vorschriften durch die Möglichkeit,

bereits bewilligte Vorschüsse bei geänderten Verhältnissen

herabzusetzen oder einzustellen. Der auf Grund eines Exekutionstitels

gewährte Vorschuß soll daher der jeweiligen (materiellen)

gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen, wobei die Richtsatzhöhe

gemäß § 6 Abs 1 UVG nicht überschritten werden darf (EvBl

1992/16).

Gemäß § 11 Abs 2 UVG hat zwar der Vorschußwerber die

Voraussetzungen der Gewährung von Vorschüssen bloß glaubhaft zu

machen; das Verfahren soll ohne weitwendige Ermittlungen abgewickelt

werden (RZ 1991/44). Bestehen aber - aus Gründen der

Offenkundigkeit oder nach der Aktenlage - begründete Bedenken gegen

die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht, dann hat das

Gericht - allenfalls nach Durchführung amtswegiger Erhebungen (8 Ob

554/91; EvBl 1993/34 = EFSlg 69.486; 2 Ob 555/94 = ÖJZ-LSK

1995/48) - einen dem Gesetz entsprechenden niedrigeren Betrag als

er im Exekutionstitel bestimmt ist, als Vorschuß festzusetzen oder -

falls kein Unterhaltsanspruch mehr besteht - die

Unterhaltsvorschüsse überhaupt zu versagen (6 Ob 676/90; 8 Ob

554/91; EvBl 1992/16). Nur dann, wenn solche Erhebungen ohne größere

Verzögerung nicht durchgeführt werden können, ist der Vorschuß zu

bewilligen, gleichzeitig aber ein Verfahren zur Herabsetzung oder

Einstellung der Vorschüsse einzuleiten (EvBl 1993/34).

Im vorliegenden Fall bestehen nach der Aktenlage, insbesondere nach

den Angaben in den Anträgen auf Vorschußgewährung, begründete

Bedenken, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht

(noch) besteht. Der Vater, der bei der letzten Unterhaltserhöhung

noch über ein monatliches Durchschnittseinkommen von rund S 30.000,-

verfügte, ist nunmehr - nach Verbüßung einer 6-monatigen

Freiheitsstrafe - arbeitslos. Eine Vorschußgewährung in Titelhöhe

kann daher ohne weitere Erhebungen nicht in Betracht. Die Vorschüsse

dürften aber, da kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der

Unterhaltsanspruch zur Gänze erloschen ist, auch nicht zur Gänze

versagt werden. Das Erstgericht wird daher die - ohne besonderen

Aufwand ermittelbare - Höhe der dem Vater zustehenden

Arbeitslosenunterstützung zu erheben und unter Berücksichtigung der

Versehrtenrente von S 7.648,- (14 mal) den wegen der Änderung der

Verhältnisse zustehenden materiellen Unterhaltsanspruch zu berechnen haben. Erst dann ist die Frage zu beurteilen, welche Beträge davon durch Exekution auch hereingebracht werden können.

Grundsätzlich sind gemäß § 292 Abs 3 EO bei der Zusammenrechnung

mehrerer beschränkt pfändbarer Geldforderungen gegen verschiedene

Drittschuldner - als verschiedene Drittschuldner sind auch die

verschiedenen, die Arbeitslosenunterstützung und die Versehrtenrente

anweisenden Stellen im Sinne des § 295 Abs 1 EO anzusehen - die

unpfändbaren Grundbeträge in erster Linie für die Forderung zu

gewähren, die die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des

Verpflichteten bildet. Ist das im vorliegenden Fall wegen ihres

größeren Ausmaßes die Arbeitslosenunterstützung, dann wären bei der

Beurteilung der Aussichten eine Exekutionsführung auch die

unpfändbaren Grundbeträge bei dieser Forderung zu berücksichtigen.

Der vorliegende Fall weist aber die Besonderheit auf, daß die

Versehrtenrente zur Gänze nicht ausgezahlt wird, weil daraus ein

gewährtes Darlehen getilgt wird. Im Fall einer Exekution zur

Hereinbringung einer Unterhaltsforderung könnte der diese Rente

auszahlende Drittschuldner gemäß § 290 c EO für die Einbringung

des dem Verpflichteten gewährten Darlehens (nur) den Betrag, der sich

aus dem Unterschied zwischen den im § 292 Abs 4 EO genannten

Beträgen (das ist die Hälfte des allgemeinen Grundbetrages gemäß §§

291 a EO) und dem unpfändbaren Freibetrag ergibt, heranziehen. Daß

dem Arbeitnehmer im Falle der Gewährung von Vorschüssen oder Darlehen

mindestens die Hälfte des allgemeinen Grundbetrages zu verbleiben

hat, ist zwingendes Recht. Gerät er, nachdem er den Vorschuß genommen

hat, in Zahlungsschwierigkeiten und muß eine Lohnpfändung

durchgeführt werden, so wäre es unbillig, ihm in diesen Fällen

überhaupt nichts auszuzahlen (AB zur EO-Novelle 1991 261 BlgNR 18.

GP 5 mit Hinweis auf Heller-Berger-Stix, Lohnpfändung 72). Treffen

mehrere beschränkt pfändbare Geldforderungen gegen verschiedene Drittschuldner zusammen und wurde bei einer ein Vorschuß (Darlehen) ausgezahlt, dann ist das Existenzminimum von dieser Forderung zu gewähren, um dem Drittschuldner die Einbehaltung zur Deckung des Vorschusses oder der Darlehensrückzahlungen im Sinne des § 290 c EO allerdings auch nur in diesem Ausmaß zu ermöglichen. Auch anläßlich der Bestimmung jenes Drittschuldners, der die unpfändbaren Grundbeträge zu gewähren hat, kann das Gericht auf diese Mindestrechte des Drittschuldners, der den Vorschuß oder das Darlehen gewährt hat, Bedacht nehmen.

Daraus ergibt sich somit für den vorliegenden Fall, daß die Versehrtenrente durch die Verwendung des halben Grundbetrages zur Hereinbringung des Darlehens und durch die Gewährung des restlichen unpfändbaren Freibetrages für den Verpflichteten im Sinne des § 291 b EO im wesentlichen aufgebraucht wird und demnach zur Hereinbringung der Unterhaltsforderung der Antragsteller nichts Wesentliches beitragen kann, daß aber die Arbeitslosenunterstützung bei Fehlen vorrangiger Pfandrechte zur Gänze pfändbar sein könnte. Würden allerdings die (verminderten) Unterhaltsbeträge mangels vorrangiger Pfandrechte in der Arbeitslosenunterstützung Deckung finden, wären die Vorschüsse zu versagen.

Das Erstgericht wird daher auch noch zu erheben haben, wie weit dieser Einkommensbestandteil des Vaters durch laufende (vorrangige)

Exekutionen geschmälert wird. Ob die Voraussetzungen des § 4 Z 4

UVG gegeben sind, hat zwar gemäß § 11 Abs 2 UVG der Vorschußwerber bloß glaubhaft zu machen. Das Gericht hat aber auch ohne ausdrücklichen Antrag auf Grund seiner allgemeinen Fürsorgepflicht tätig zu werden und zur Klarstellung dieser Voraussetzungen ua auch Exekutionsakten beizuschaffen (RZ 1991/44). Erst nach Prüfung dieser Frage kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen des § 4 Z 1 UVG vorliegen. Soweit die materiell zustehenden Vorschüsse in der nach allfälligen Exekutionen zur freien Verfügung des Unterhaltsschuldners bleibenden Bezügen nicht Deckung finden, werden Vorschüsse zu gewähren sein.

Daher war dem Revisionsrekurs Folge zu geben, mit der Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen vorzugehen und die Sache zur Durchführung der bereits genannten Erhebungen an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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