Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 17.Dezember 1987 geborene Georg-Philipp ist ein uneheliches Kind. Die Obsorge kam seiner am 29.Jänner 1995 verstorbenen Mutter zu. Georg-Philipp lebte zunächst gemeinsam mit seinen Eltern in einem Wiener Haushalt. Im September 1990 trennten sich die Eltern. Die Mutter zog mit dem Kind nach Osttirol zur mütterlichen Großmutter und wohnte fast drei Jahre in deren Haushalt. Danach erwarb sie eine Eigentumswohnung, in der sie fortan mit ihrem Sohn lebte. Wegen der Berufstätigkeit der Mutter wurde Georg-Philipp in der kindergarten- bzw schulfreien Zeit von der mütterlichen Großmutter betreut. Diese war für ihn neben seiner Mutter die einzige ständige Bezugsperson. Georg-Philipp hat aber auch einen sehr guten Kontakt zu einer Schwester seiner Mutter, deren Bruder und dessen Lebensgefährtin. Er fühlt sich in seiner Umgebung, in die er voll integriert ist, sehr wohl. Er hat allerdings auch zu seinem Vater eine sehr gute Beziehung; diesem steht ein Besuchsrecht an jedem ersten Samstag und Sonntag und an jedem dritten Samstag eines jeden Monats jeweils von 9 bis 18 Uhr, weiters in den Weihnachtsferien vom 2. bis 6.Jänner eines jeden Jahres und in den Sommerferien für die Dauer von 16 Tagen zu. Der Vater bewohnt in Wien eine zweckmäßig eingerichtete und gut ausgestattete 2-Zimmerwohnung, in der Georg-Philipp ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht. Georg-Philipp wurde von seinem Vater auch schon wiederholt nach Wien mitgenommen. Trotz seiner Berufstätigkeit hätte der Vater ausreichend Zeit, sich um Georg-Philipp zu kümmern. Dieser könnte eine von den Servitinnen geführte Privatschule besuchen, die etwa zehn Gehminuten von der Wohnung des Vaters entfernt ist. Anläßlich seiner Besuche in Wien hatte Georg-Philipp auch ständig Kontakt mit der väterlichen Großmutter, die jedoch wegen eines Hüftleidens nicht mehr mobil und in einem privaten Pflegeheim aufhältig ist. Es fand sich jedoch eine Schwester des Vaters bereit, „das Heranwachsen des Buben in Wien mitzubegleiten“. Bei Befragungen durch eine Sozialarbeiterin und das Erstgericht erklärte Georg-Philipp, daß er lieber bei seiner mütterlichen Großmutter in Osttirol als bei seinem Vater in Wien leben möchte. Die Bezirkshauptmannschaft Lienz sprach sich unter Hinweis auf einen entsprechenden Bericht der Sozialarbeiterin für den Verbleib des Kindes bei seiner mütterlichen Großmutter und die Übertragung der Obsorge an diese aus. Das Amt für Jugend und Familie für den 23.Bezirk der Stadt Wien erklärte, daß keine Bedenken gegen eine Zuteilung der Obsorge an den Vater bestünden.
Sowohl der Vater als auch die mütterliche Großmutter begehren die Übertragung der Obsorge für Georg-Philipp an den jeweiligen Antragsteller.
Das Erstgericht übertrug die Obsorge für Georg-Philipp seiner mütterlichen Großmutter. Es vertrat rechtlich im wesentlichen die Ansicht: Primärer Anknüpfungspunkt für die Obsorgeregelung sei gemäß § 145 Abs 1 ABGB das Kindeswohl. Sei dieses - unabhängig davon, wie die Obsorgeentscheidung ausfalle, - gewährleistet, könne aus der bezeichneten Gesetzesstelle kein Vorrecht der näheren Verwandtschaft gegenüber den Großeltern abgeleitet werden. Soweit der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung JBl 1994,608, ausgesprochen habe, daß § 145 Abs 1 ABGB bei verfassungskonformer Auslegung eine Gleichstellung ehelicher Elternteile mit Großeltern verbiete und dem verbleibenden Elternteil bei der Obsorgeentscheidung der Vorzug vor allen anderen in Betracht kommenden Personen zu geben sei, gelte das nur für das eheliche Kind. Da die mütterliche Großmutter die einzige „bleibende Bezugsperson“ Georg-Philipps sei und diesem so kurz nach dem Ableben seiner Mutter nicht zugemutet werden könne, „weitere wichtige Bezugspersonen zu verlieren“, sei die Obsorge der mütterlichen Großmutter zu übertragen gewesen.
Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf, trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach im übrigen aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es erwog rechtlich im wesentlichen: Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung JBl 1994,608, überzeugend dargelegt, weshalb bei einer Obsorgeentscheidung dem ehelichen Vater eines Kindes der Vorzug vor dessen Großeltern gebühre, wenn dadurch das Kindeswohl gewährleistet sei. Die dort ausgesprochenen Grundsätze ließen sich jedoch nicht ohne weiteres auf ein uneheliches Kind übertragen. Georg-Philipp lebe seit etwa viereinhalb Jahren im Kreis der Familie seiner Mutter. Er habe also bisher den Großteil jener Zeit, in der ein Kind seine Umwelt zunehmend bewußt wahrnehme und sein Leben auf diese und die dort lebenden Bezugspersonen einstelle, in der Familie seiner Mutter verbracht und seine sozialen Kontakte außerdem durch den Kindergarten- und Schulbesuch vergrößert. Es sei eine allgemein bekannte Tatsache, daß Kinder im Alter Georg-Philipps an ihrer gewohnten Umgebung hingen und deren gravierende Veränderungen ihre physische und psychische Integrität gefährdeten. Eine solche Gefährdung sei im vorliegenden Fall auch konkret anzunehmen, weil das Kind bei einer Übersiedlung nach Wien „nicht nur aus seiner ständigen, vertrauten Umgebung gerissen werden würde, sondern darüber hinaus nach dem Tod seiner Mutter vor wenigen Monaten nunmehr seine zweite ständige Bezugsperson“ verlöre. Es sei damit offenbar, daß die Übertragung der Obsorge an den Vater nicht nur eine vorübergehende und bei einem Milieuwechsel stets auftretende, häufig kurzfristige Irritation zur Folge hätte, sondern das Kind in seiner Entwicklung ernsthaft Schaden nehmen könnte. Es dürfe auch die Meinungsäußerung eines sieben Jahre alten Kindes nicht gänzlich vernachlässigt werden. Die Übertragung der Obsorge für Georg-Philipp an die mütterliche Großmutter erscheine daher im Interesse des Kindeswohles grundsätzlich gerechtfertigt. Die endgültige Entscheidung hänge aber von der Klärung weiterer maßgeblicher Fragen ab. Weil Georg-Philipp „sicherlich noch für einige Jahre auf die Obsorge durch eine Person angewiesen“ sein werde, seien Feststellungen dazu erforderlich, ob die mütterliche Großmutter die sich durch eine Obsorge ergebenden Anforderungen nach ihrem Alter und Gesundheitszustand voraussichtlich werde erfüllen können. Wesentlich sei auch, bei wem sich das Kind regelmäßig aufhalte und wer es derzeit tatsächlich pflege und betreue. Der Obsorgeberechtigte könne die Pflege und Erziehung zwar teilweise an Dritte übertragen, das Wohl des Kindes erfordere jedoch eine Kontinuität der Betreuung in der Weise, „daß die Pflege und Erziehung tatsächlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit durch dieselbe Person ausgeübt“ werde. Soweit also Behauptungen des Vaters und bestimmte Verfahrensergebnisse auf Gegenteiliges hinwiesen, bedürfe es einer weiteren Klärung des Sachverhalts.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Vaters ist nicht berechtigt.
Der sechste Senat sprach in seiner Entscheidung vom 28.April 1993 (ÖAV 1993, 149) aus, es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, „daß den Eltern das Obsorgerecht ihrer Kinder primär“ zukomme. Es sei daher nach dem Tod der zunächst für ein minderjähriges uneheliches Kind allein obsorgeberechtigten Mutter „dem Verlangen des unehelichen Vaters auf Übertragung der Obsorge nur dann nicht zu entsprechen, wenn darin ein Mißbrauch des Erziehungsrechtes läge“. Diese Entscheidung belegt weder die als Stütze für ihre Rechtsansicht herangezogene ständige Rechtsprechung noch ist ihr eine nähere Begründung für den Rechtssatz zu entnehmen, daß lediglich ein „Mißbrauch des Erziehungsrechtes“ einem Verlangen des unehelichen Vaters auf Übertragung der Obsorge für sein minderjähriges Kind entgegenstehe.
Der zweite Senat befaßte sich in seiner ausführlich begründeten Entscheidung vom 27.Mai 1993 (JBl 1994, 328) ebenso mit der Zuteilung der Obsorge für ein minderjähriges uneheliches Kind nach dem Tod seiner die Obsorge bisher ausübenden Mutter. Ausgesprochen wurde, daß weder aus der vor dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz 1989 BGBl 162 geltenden Rechtslage noch aus der vom Gesetzgeber mit diesem Gesetz verfolgten Absicht ein Vorrecht des unehelichen Vaters in Ansehung der Zuteilung der Obsorge abzuleiten sei. Die geltende Rechtslage rechtfertige daher nicht die „Annahme eines Vorranges des verbleibenden Elternteiles des unehelichen Kindes gegenüber den Großeltern in dem Sinn, daß der Übertragung der Obsorge an ihn ungeachtet der Frage der Eignung der Großeltern der Vorzug zu geben“ sei; komme es zu einer „Behinderung des bis dahin allein sorgeberechtigten Elternteiles eines unehelichen Kindes“, sei allein das Kindeswohl dafür entscheidend, „ob dem verbleibenden Elternteil oder einem Großelternpaar (Großelternteil), und bejahendenfalls, welchem die Obsorge über das uneheliche Kind zu übertragen“ sei.
Der siebente Senat sprach in seiner auf ein eheliches Kind bezogenen Entscheidung vom 15.Dezember 1993 (JBl 1994, 608) aus, daß aus dem Wortlaut des § 145 ABGB in der Fassung des Kindschaftsrecht-Änderungsgesetzes 1989 bei der Zuweisung der Obsorge für ein minderjähriges Kind nach Wegfall des bisher obsorgeberechtigten Elternteils kein Vorrecht des verbleibenden Elternteils gegenüber den Großeltern abzuleiten sei. Eine Schlechterstellung des ehelichen Elternteils gegenüber den Großeltern sei jedoch durch die Neufassung des § 145 ABGB nicht beabsichtigt gewesen. Sei daher das Kindeswohl auch bei jenem Elternteil gewährleistet, der zunächst im Familienverband mit dem Kind gelebt, dann aber aufgrund der Scheidung das Obsorgerecht an den anderen Elternteil verloren habe, sei bei einer an Art 8 EMRK orientierten verfassungskonformen Auslegung dem verbleibenden Elternteil der Vorzug vor allen anderen in Frage kommenden Personen zu geben; die Meinung eines noch unmündigen Kindes könne „bei der Obsorgeentscheidung des Gerichtes nicht grundsätzlich ausschlaggebend sein“. Es könne dahingestellt bleiben, „ob eine Gleichstellung von (mütterlichen) Großeltern mit dem unehelichen Vater anzunehmen“ sei, wenn die uneheliche Mutter als bisher Obsorgeberechtigte weggefallen sei, oder „ob (auch) dem leiblichen Vater eines unehelichen Kindes gegenüber allen anderen Personen primär die Obsorge“ zukomme. Der Senat gelangte zu diesem Ergebnis nach einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien. Dabei werden vor allem auch jene Merkmale dargestellt, die den ehelichen vom unehelichen Vater im Regelfall unterscheiden. Der „Prototyp des unehelichen Vaters“ zeige demnach von vornherein weder am Kind noch an der Ausübung der Obsorge Interesse; diesem sei es auch nur recht, daß sich jemand anderer um das Kind kümmere. Dagegen sei der Elternteil, der bei der Scheidung auf die Obsorge verzichtet, gewöhnlich durch die gerichtliche Entscheidung zur Aufgabe seiner Elternrechte gezwungen oder erkläre sich notgedrungen damit einverstanden, um den betroffenen Personen und insbesondere auch dem Kind weitere Schwierigkeiten zu ersparen. Der Verlust der Obsorge durch deren Übertragung an den anderen Elternteil beruhe also aus Anlaß einer Ehescheidung in den überwiegenden Fällen nicht darauf, daß der andere Elternteil das Kindeswohl gefährdet habe, gefährden werde oder aus sonstigen Gründen ungeeignet sei.
Die Erwägungen des siebenten und des zweiten Senates, die eine Unterscheidung zwischen ehelichen und unehelichen Vätern bei der Entscheidung über die Zuteilung der Obsorge für ein minderjähriges Kind notwendig machen, beruhen - wie oben dargestellt - auf dem im Regelfall verschiedenen Verständnis der Vaterrolle durch eheliche Väter einerseits und uneheliche Väter andererseits. Der erkennende Senat hält diese Ausführungen für überzeugend und schließt sich für die hier zu fällende Obsorgeentscheidung der Rechtsansicht des zweiten Senates an. Das Rekursgericht ging daher in seiner Aufhebungsentscheidung zutreffend davon aus, daß dem unehelichen Vater als verbleibendem Elternteil in Ansehung der Zuteilung der Obsorge für Georg-Philipp kein aus dem Gesetz ableitbares Vorrecht gegenüber der die Zuteilung der Obsorge ebenso beantragenden mütterlichen Großmutter zukommt, wenn das Kindeswohl auch bei ihm gewährleistet wäre. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Vater Georg-Philipps gerade nicht dem Prototyp des unehelichen Vaters entspricht, sondern dem Regelfall eines ehelichen Vaters ähnlich um das Wohlergehen seines Kindes besorgt ist. Soweit der Rekurs ein „Vorrecht des Kindesvaters“ gemäß Art 8 EMRK zu begründen versucht, ist ihm zu erwidern, daß der Begriff „Familienleben“, der die Beziehung von Ehepartnern untereinander und zu ihren Kindern umfaßt, nur dann auch uneheliche Beziehungen einschließt, wenn diese tatsächlich und in einer bestimmten Intensität (gemeinsamer Haushalt, Unterhaltsleistungen) gelebt werden (Mayer, Kurzkommentar zum österreichischen Bundes-Verfassungsrecht 444 mwN). Die Eltern Georg-Philipps trennten sich dagegen bereits etwa viereinhalb Jahre vor dem Tod der Mutter, in deren Haushalt das Kind gelebt hatte. Es muß also hier nicht erörtert werden, ob ein unehelicher einem ehelichen Vater gleichzustellen wäre, hätte das uneheliche Kind im Zeitpunkt des Wegfalls der gemäß § 166 ABGB allein oder gemäß § 167 ABGB auch obsorgeberechtigten Mutter in dauernder häuslicher Gemeinschaft mit seinen Eltern gelebt.
Im übrigen ist gemäß § 16 Abs 3 AußStrG und § 510 Abs 3 ZPO auf die richtigen Ausführungen des Rekursgerichtes zu verweisen. Dabei ist hervorzuheben, daß die Übertragung der Obsorge an den Vater nach den bisherigen Verfahrensergebnissen wahrscheinlich nicht nur eine vorübergehende und bei einem Milieuwechsel stets auftretende, häufig kurzfristige Irritation zur Folge haben, sondern das Kind in seiner Entwicklung auch ernsthaft Schaden nehmen könnte; diesfalls erledigte sich aber das oben behandelte Problem eines Obsorgevorrechts, weil das Kindeswohl jedenfalls dem Elternrecht vorgeht. Eine Übertragung der Obsorge an den Vater käme daher, wie das Rekursgericht richtig erkannte, nur in Frage, wenn sich im fortgesetzten Verfahren erwiese, daß der mütterlichen Großmutter die Eignung für eine das Kindeswohl fördernde Obsorge - aus welchen Gründen immer - abzusprechen wäre.
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)