OGH 15Os90/95(15Os91/95)

OGH15Os90/95(15Os91/95)20.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Juli 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Holzweber und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Pointner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johannes G***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 17.Februar 1994, GZ 13 E Vr 1782/90-24, sowie gegen den Vorgang, daß es der Einzelrichter des genannten Gerichtes unterließ, von seinem am 7.September 1993 zum AZ 6 E Vr 2969/92 gefaßten Beschluß auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht das Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 13 E Vr 1782/90 unverzüglich zu verständigen, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Jerabek, des Verurteilten G***** und des Verteidigers Dr.Friedl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In den nachgenannten Strafverfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Graz wurde das Gesetz verletzt:

1. im Verfahren zum AZ 6 E Vr 2969/92 dadurch, daß es der Einzelrichter unterlassen hat, von seinem Beschluß vom 7.September 1993, ON 27, auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht unverzüglich das Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 13 E Vr 1782/90 zu verständigen, in der Bestimmung des § 494 a Abs 7 StPO;

2. im Verfahren zum AZ 13 E Vr 1782/90 durch den Beschluß vom 17. Februar 1994, ON 94, auf endgültige Strafnachsicht in den Bestimmungen der §§ 494 a Abs 4, 498 StPO.

Der zu 2. bezeichnete Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23.Juli 1990, GZ 13 E Vr 1782/90-6, wurde Johannes G***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und gemäß § 43 a Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe und zu einer - unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit - bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Einzelrichters desselben Gerichtes vom 7.September 1993, GZ 6 E Vr 2969/92-27 (rechtskräftig seit 10.Mai 1994), wurde Johannes G***** erneut wegen des am 15.August 1992 - sohin während der dreijährigen Probezeit - begangenen Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 bs 1, 84 Abs 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO (§ 53 Abs 1 StGB) die bedingte Nachsicht der viermonatigen Freiheitsstrafe widerrufen, jedoch die (nach § 494 a Abs 7 StPO gebotene) unverzügliche Verständigung des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zum AZ 13 E Vr 1782/90 unterlassen, sodaß dieser (in Unkenntnis des vorangegangenen - wenngleich noch nicht rechtskräftigen - Widerrufsbeschlusses) mit Beschluß vom 17.Februar 1994, GZ E Vr 1782/90-24, die bedingt nachgesehene viermonatige Freiheitsstrafe - von Amts wegen - endgültig nachsah.

Rechtliche Beurteilung

Die beiden Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz haben - wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - das Gesetz in mehrfacher Weise verletzt:

Dadurch, daß der Einzelrichter des Verfahrens AZ 6 E Vr 2969/92 es unterlassen hatte, den für das Verfahren AZ 13 E Vr 1782/90 zuständigen Einzelrichter unverzüglich von dem im Verfahren 6 E Vr 2969/92 gefaßten Widerrufsbeschluß zu verständigen, verstieß er gegen die Bestimmung des § 494 a Abs 7 StPO, derzufolge die Verständigung sogleich nach der Entscheidung - ohne Rücksicht auf deren Rechtskraft - zu erfolgen hat. Denn nur dadurch wird sichergestellt, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer seiner Vorentscheidung betreffenden Verfügung eines anderen Gerichtes Kenntnis erlangt und demnach seine Entscheidungskompetenz nicht mehr in Anspruch nehmen darf.

Der in Rede stehende Widerrufsbeschluß hinwieder war ab seiner Verkündung insoweit bindend, als kein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte (vgl § 498 StPO; SSt 56/18, 14 Os 128/92 uam). Demzufolge vermochte der Feststellungsbeschluß über die endgültige Strafnachsicht (zum AZ 13 E Vr 1782/90) den schon vorher zum AZ 6 E Vr 2969/92 beschlossenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht - ungeachtet der fehlenden Rechtskraft - weder zu beseitigen noch sonst irgendwelche Rechtsfolgen zu erzeugen. Der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz hat daher durch seine Beschlußfassung vom 17.Februar 1994 im Verfahren, AZ 13 E Vr 1782/90, eine Entscheidungskompetenz - wenngleich in Unkenntnis der Tatsachengrundlage, aber dennoch - rechtswidrig in Anspruch genommen (vgl EvBl 1989/64) und demnach das Gesetz in dem sich aus §§ 494 a Abs 4, 498 StPO (ebenso wie aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung) hervorgehenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen verletzt.

Die vom Verteidiger im Gerichtstag angeregte "analoge Anwendung des § 494 b StPO" ist nicht möglich, weil der aktuelle Sachverhalt anders gelagert ist.

Somit war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu erkennen.

Die Verständigung von dieser Entscheidung wird im Verfahren zum AZ 13 E Vr 1782/90 vorzunehmen sein.

Dem vom Verteidiger gleichfalls im Gerichtstag gestellten Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens AZ 6 E Vr 2969/92 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, dem der Vertreter der Generalprokuratur nicht beigetreten ist, genügt es zu erwidern, daß Private kein darauf abzielendes Antragsrecht haben (§ 362 Abs 3 StPO).

Der Oberste Gerichtshof sieht sich aber auch zu einer amtswegigen Maßnahme nicht veranlaßt; denn die vom Verurteilten als "aktenwidrig bzw widersprüchlich" gerügten Urteilsfeststellungen sind aktenmäßig gedeckt.

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