OGH 8ObS2/95

OGH8ObS2/9513.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer und die fachkundigen Laienrichter Ministerialrat Dr.Edith Söllner und Paul Binder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gabriele S*****, vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Arbeitsamt I*****, nunmehr Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen T***** Südtirolerplatz 14-16, 6020 Innsbruck, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 465.773,16) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Oktober 1994, GZ 3 Rs 17/94-9, womit aus Anlaß des Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.Juni 1994, GZ 47 Cgs 86/94i-6, sowie das dieser Entscheidung vorangegangene Verfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig aufgehoben und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird ersatzlos aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird die Entscheidung über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluß des Erstgerichtes vom 29.Juni 1994 aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte in den verbundenen, nunmehr unter den Geschäftszahlen 42 Cga 61/92 und 42 Cga 62/92 beim Erstgericht anhängigen Verfahren von ihrer früheren Dienstgeberin, einer GmbH, S 283.649,83 brutto sA und S 103.632,85 brutto sA. In der mündlichen Streitverhandlung vom 30.12.1992 vereinbarten die dortigen Streitparteien Ruhen des Verfahrens unter gleichzeitigem Verzicht der dort beklagten Partei auf die Einrede der nicht gehörigen Fortsetzung des Verfahrens.

Am 26.1.1993 wurde der von dritter Seite gestellte Antrag, über das Vermögen der früheren Dienstgeberin der Klägerin das Konkursverfahren zu eröffnen, mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abgewiesen (§ 72 Abs 3 KO).

Die Klägerin stellte hierauf am 8.6.1993 einen Antrag an das zuständige Arbeitsamt auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld im Gesamtbetrag von S 259.427,87 zuzüglich Verzugszinsen von S 80.826,49 und Verfahrenskosten von S 125.517,80. Über diesen Antrag wurde bisher in der Sache selbst nicht entschieden. Vielmehr hat die beklagte Partei mit Bescheid vom 14.4.1994, zugestellt am 29.4.1994, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des gegen die frühere Dienstgeberin der Klägerin behängenden Verfahrens gemäß § 38 AVG ausgesetzt.

Mit der am 20.5.1994 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin, die beklagte Partei zur Zahlung von insgesamt S 465.773,16 an Insolvenz-Ausfallgeld zu verpflichten und brachte ua vor, die Arbeitsgerichtsverfahren seien infolge vereinbarten Ruhens nicht mehr fortgesetzt worden und es bestehe auch kein gesetzlicher Zwang zur Fortsetzung, da die beklagte Partei ihrerseits selbst in einem durchzuführenden Ermittlungsverfahren über Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld und zur Beurteilung dieser Ansprüche abzuklärende Vorfragen arbeitsrechtlicher Natur zu entscheiden habe. Eine Fortsetzung des Verfahrens sei auch deshalb nicht möglich, da die frühere Dienstgeberin mittlerweile gemäß den Bestimmungen des AmtsLG aufgelöst und gelöscht worden sei. Einerseits lägen die Voraussetzungen für eine Säumnisklage vor, andererseits enthalte der Bescheid der beklagten Partei vom 14.4.1994 den Hinweis auf die Klagsmöglichkeit.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dem angerufenen Gericht stehe es frei, das gegenständliche Verfahren gemäß § 190 Abs 1 ZPO zu unterbrechen, bis die erwähnten arbeitsgerichtlichen Streitverfahren rechtskräftig abgeschlossen seien.

Das Erstgericht unterbrach mit Beschluß vom 29.6.1994 das Verfahren gemäß § 190 Abs 1 ZPO bis zur rechtskräftigen Beendigung der genannten arbeitsgerichtlichen Verfahren und sprach aus, daß dieses Verfahren lediglich über Antrag einer der beiden Parteien fortgesetzt werde. Im gegenständlichen Verfahren seien mehrere Vorfragen aufgetreten, wobei die wichtigste derselben, nämlich die Art des zwischen der Klägerin und der GmbH den Parteien abgeschlossenen Vertrages, in den beiden arbeitsrechtlichen Verfahren geklärt werden müßte. Die Frage der Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld hänge aber entscheidend von der Beurteilung der Art dieses Vertrages ab.

Gegen den erstgerichtlichen Unterbrechungsbeschluß richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß ersatzlos aufzuheben (gemeint wohl dahingehend abzuändern, daß der Antrag der beklagten Partei auf Unterbrechung des Verfahrens abgewiesen werde). Sie meinte, die Unterbrechung sei nicht zweckmäßig, da im arbeitsgerichtlichen Prozeß mit den Beweisaufnahmen noch gar nicht begonnen worden sei und niemand zur Fortsetzung eines ruhenden Verfahrens gezwungen werden könne. Überdies sei die beklagte Partei inzwischen mangels Vermögens aufgelöst und wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden und somit nicht mehr parteifähig.

Aus Anlaß des Rekurses der Klägerin hob das Rekursgericht den angefochtenen Beschluß sowie das diesem vorausgegangene Verfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Es meinte, die beklagte Partei habe noch keine Sachentscheidung erlassen, sodaß eine Klage gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG unzulässig sei; sie sei aber auch nicht nach Z 2 dieser Bestimmung zulässig: die beklagte Partei sei zwar seit 9.12.1993 säumig gewesen, habe jedoch, ohne daß vorher eine Säumnisklage erhoben worden wäre, einen Bescheid erlassen, mit dem das Verfahren gemäß § 38 AVG ausgesetzt worden sei. Ein Bescheid nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG müsse - wie sich schon aus dessen Textierung ergebe - keine Sachentscheidung enthalten. Durch die Erlassung eines, wenn auch nicht fristgerechten Bescheides sei eine darauf gestützte Säumnisklage begrifflich ausgeschlossen, zumal Zeiten, in denen das Verfahren von dem Versicherungsträger nach § 38 AVG ausgesetzt sei, in die Sechsmonatsfrist nicht einzurechnen seien, wenn - wie im konkreten Fall - der Aussetzungsbescheid vor der gerichtlichen Klage erlassen worden sei.

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluß richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, ihn ersatzlos aufzuheben und dem Rekursgericht die sachliche Entscheidung über den Rekurs der Klägerin gegen den Unterbrechungsbeschluß aufzutragen, in eventu in Erledigung dieses Rekurses demselben stattzugeben.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Zutreffend macht die Rekurswerberin geltend, daß Säumnis iSd § 67 Abs 1 Z 2 ASGG nur dann nicht vorliegt, wenn der Versicherungsträger die Sachentscheidung binnen sechs Monaten erlassen hat: Hiefür spricht - entgegen der Meinung des Rekursgerichtes - einerseits der Wortlaut dieser Bestimmung (wenn der Versicherungsträger in einer Leistungssache den Bescheid nicht innerhalb der genannten Frist erlassen hat), andererseits auch der Zweck der Säumnisbeschwerde, weil andernfalls die Behörde durch irgendwelche Beschlüsse (hier einen Aussetzungsbeschluß) das Verfahren beliebig hinauszögern oder eine Entscheidung überhaupt hinfällig machen könnte. Letzteres wäre hier für die Klägerin durchaus zu befürchten, nämlich wenn sie die ruhenden arbeitsgerichtlichen Verfahren infolge Erlöschens der Parteifähigkeit der dort beklagten Partei (dazu ausführlich GesRZ 1995, 53 mwH ua) nicht mehr fortsetzen können sollte.

Dem Hinweis der beklagten Partei, es komme nicht darauf an, ob sie mit Bescheid das Verfahren gemäß § 38 AVG ausgesetzt habe(so Kuderna, KommASGG 371 f) oder nicht, weil sie nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts überhaupt nicht säumig sei, wenn sie die Entscheidung einer Vorfrage abgewartet habe, ist entgegenzuhalten, daß eine Entscheidung über die Vorfrage infolge Ruhens der nicht zu erwarten war.

Somit ist davon auszugehen, daß die beklagte Partei jedenfalls säumig war und die Klägerin zulässigerweise Klage erhoben hat. Der rekursgerichtliche Beschluß ist daher als verfehlt ersatzlos zu beheben und dem Rekursgericht war die Entscheidung über den Rekurs der Klägerin gegen den Unterbrechungsbeschluß aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten desRechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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