OGH 14Os92/95

OGH14Os92/954.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juli 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Pesendorfer als Schriftführer, in der Medienrechtssache der Antragstellerin I***** gegen die Antragsgegnerin F***** GesmbH wegen § 14 MedienG über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.März 1994, GZ 9b EVr 951/94-10, und das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12.Oktober 1994, AZ 27 Bs 327/94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, des Vertreters der Antragstellerin, Dr.Dietrich, sowie des Vertreters der Antragsgegnerin, Dr.Menschhorn, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.März 1994, GZ 9 b E Vr 951/94-10, und des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12.Oktober 1994, AZ 27 Bs 327/94, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 9 Abs 2 und Abs 3 MedienG.

Diese Gesetzesverletzung wird festgestellt.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin I***** gegen die Antragsgegnerin F***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.März 1994, GZ 9 b E Vr 951/94-10, die Veröffentlichung folgender Gegendarstellung gegenüber der Antragsgegnerin angeordnet:

Sie geben in der Morgenausgabe "Alles für Wien" ihres periodischen Druckwerkes "Täglich Alles, Nr 576 vom 6.November 1993, auf den Seiten 6 f in der Überschrift ihres Artikels die Behauptung von Experten im Zusammenhang mit unserem "Zeckenimpfstoff" und der Gefahr, sich durch unseren "Zeckenimpfstoff" mit Aids zu infizieren, mit den Worten wieder:

"Es bleibt ein Restrisiko"

Sie geben ferner im Hinblick auf eine Ansteckungsgefahr mit Aids, weil HIV-verdächtiges Plasma zur Herstellung unseres Serums FSME-Bulin verwendet wurde, Äußerungen von Prof.Viktor D*****, Dr.Erwin Sch***** und Dr.Wolfgang M***** wieder, die im Zusammenhang mit unserem Serum FSME-Bulin davon sprechen, daß ein Restrisiko einer Ansteckungsgefahr mit Aids immer verbleibe, sodaß es "keine 100%ige Sicherheit" gäbe und daß es ein "Nullrisiko" nicht gäbe.

Sie geben schließlich als Text zu einer Photographie von Dr.Viktor D*****, dessen Worte über eine Ansteckungsgefahr mit Aids wieder:

"Restrisiko bleibt".

Sie geben auf Seite 6 in dem Artikel mit der Überschrift "Zum Aidstest?" im Zusammenhang mit unserem "passiven Impfstoff nach einem Zeckenbiß" und unserem "aktiven Schutzimpfstoff" die Äußerungen von Experten im Hinblick auf eine Ansteckungsgefahr mit Aids mit den Worten wieder:

"Viele sagen, nach menschlichem Ermessen ist eine Ansteckungsgefahr auszuschließen, aber es gibt ein Restrisiko".

Diese Tatsachenmitteilungen sind unwahr, soweit sie sich auf unser Zeckenserum zur passiven Immunisierung nach einem Zeckenbiß beziehen. Bei unserem Serum FSME-Bulin bleibt kein Restrisiko.

Das Verfahren zur Herstellung unseres Arzneimittels FSME-Bulin macht es unmöglich, sich durch dieses Arzneimittel mit Aids-Viren zu infizieren. Unser Serum FSME-Bulin kann nur durch ein Kälte-Alkohol-Fällungsverfahren und durch andere Verfahrensschritte gewonnen werden. Diese Verfahrensschritte haben eine virus-trennende und virus-inaktivierende Wirkung. Dieser Produktionsvorgang garantiert die Abtötung aller Aids-Viren. Ohne diese Verfahrensschritte kann unser Arzneimittel FSME-Bulin nicht hergestellt werden".

Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12. Oktober 1994, AZ 27 Bs 327/94 (= ON 18), wurde der Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gegeben.

Nach der vom Oberlandesgericht Wien geteilten Auffassung des Erstgerichtes stelle die in der Thesenaussage zusammengefaßte Behauptung, daß mit der Verabreichung (auch) des von der I***** hergestellten passiven Impfstoffes FSME-Bulin "die Möglichkeit einer hiedurch hervorgerufenen HIV-Infektion einhergehe", eine im Sinn des § 9 Abs 2 MedienG gegendarstellungsfähige Tatsachenmitteilung dar, da sie "ihrer Art nach durch die Anwendung bereits vorliegender und anerkannter Kriterien" auf ihre Richtigkeit überprüft werden könne (US 4, 6).

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend zeigt der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, daß die Veröffentlichung der oben wiedergegebenen Gegendarstellung im Gesetz keine Deckung findet.

Gegendarstellungsfähige Tatsachenmitteilungen sind gemäß der Legaldefinition des § 9 Abs 2 MedienG Angaben, die ihrer Art nach einer Prüfung auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zugänglich sind und deren wesentliche Aussage nicht bloß in einer persönlichen Meinungsäußerung, einer Wertung oder einer Warnung vor dem zukünftigen Verhalten eines anderen besteht. Werturteile oder persönliche Meinungsäußerungen hingegen, bei denen eine Gegendarstellung unzulässig ist, geben nur die aufgrund einer Denktätigkeit gewonnene subjektive Meinung des Erklärenden wieder, die allein von diesem interpretiert, im Weg der sonstigen Beweisaufnahme aber nicht objektiviert werden kann (vgl Hartmann-Rieder, MedienG, 85). Maßgebendes Unterscheidungskriterium dabei ist die unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes zu beurteilende Wirkung des Textes auf den Durchschnittsleser des betreffenden Mediums (Hartmann-Rieder aaO, 86; Hager-Walenta, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht2, 58).

Für die Ermittlung des Bedeutungsinhaltes der hier in Rede stehenden Textstellen ist es unerläßlich, auch jene Erwägungen heranzuziehen, aufgrund deren die zitierten Fachleute zur Überzeugung gelangt sind, daß die Möglichkeit einer HIV-Infizierung als Folge der passiven Zeckenimpfung nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Den fraglichen Zeitungsartikeln zufolge gab ua Dozent Dr.Sch***** als Begründung für den von ihm vertretenen Standpunkt, "es gäbe keine 100%ige Sicherheit", zu bedenken, daß "überall, wo Menschen am Werk sind, Fehler passieren können"; auch Prof.Dr.D***** und Dr.M***** gelangten "aus eigener Erfahrung" bzw "als Wissenschaftler" aus der Sicht des Durchschnittslesers der Sache nach zu einem analogen Ergebnis (siehe S 69 f).

Solcherart wurde dem Durchschnittsleser nicht, wie dies die Thesenaussage sinngemäß zum Ausdruck bringt, der wissenschaftlich abgesicherte Eindruck eines dem fraglichen Impfstoff geradezu produktimmanent anhaftenden Infizierungsrisikos vermittelt, sondern nur die bloß unsubstantiierte, auf allgemeinen menschlichen Erfahrungswerten beruhende persönliche Befürchtung der genannten Fachleute zur Kenntnis gebracht, daß - im Falle der Verwendung von einem auf HIV-Viren nicht getesteten Blutplasma zur Erzeugung von Impfstoff - trotz eines noch so sorgfältigen Kontrollmechanismus im Herstellungsverfahren schon allein wegen der Gefahr menschlichen Fehlverhaltens gewisse Zweifel an der in diesem Zusammenhang gleichfalls publizierten Erklärung der I*****, die Virenfreiheit des von ihr erzeugten Impfstoffes garantieren zu können, angebracht seien. Nur dadurch, daß in der Thesenbehauptung dieser Bedeutungsinhalt des relevanten Textes infolge Weglassung wesentlicher Passagen nicht zum Ausdruck kommt, wurde der Anschein einer Tatsachenmitteilung erweckt; konsequenterweise fehlt auch der in der Gegendarstellung vermittelten Information, wonach die im einzelnen beschriebenen Verfahrensschritte, ohne die das Arzneimittel FSME-Bulin nicht hergestellt werden könne, die Abtötung aller Aids-Viren garantiere, kontradiktionsfremd (§ 9 Abs 3 MedienG) der sachliche Bezug zu dem lediglich die Möglichkeit menschlichen Fehlverhaltens in den Vordergrund stellenden Artikelinhalt. Dieser war als Wiedergabe rein subjektiver Meinungsäußerungen einer Gegendarstellung nicht zugänglich; die dennoch angeordnete Veröffentlichung wird den im § 9 MedienG normierten Voraussetzungen nicht gerecht.

Der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und spruchgemäß zu erkennen.

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