OGH 14Os87/95

OGH14Os87/954.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juli 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Pesendorfer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Manuel H***** wegen des Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 7.April 1995, GZ 4b EVr 906/94-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 7.April 1995, GZ 4 b E Vr 906/94-23, verletzt das Gesetz

1./ insoweit, als Manuel H***** des Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs 2 StGB schuldig erkannt wurde, in dieser Gesetzesstelle, sowie

2./ infolge eines nachträglichen Strafausspruches gemäß § 15 JGG und § 494 a Abs 1 Z 3 StPO zum Urteil dieses Gerichtes vom 5.Oktober 1993, GZ 2 b E Vr 1005/93-14, in dem im XX.Hauptstück der StPO verankerten sowie aus § 494 a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO hervorgehenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft und im Doppelbestrafungsverbot des Art 4 Z 1 des 7.Zusatzprotokolles zur Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl 1988/628.

Das Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird in dem unter 1./ genannten Teil des Schuldspruches und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14.Jänner 1994 auf nachträglichen Strafausspruch zum Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 5.Oktober 1993, GZ 2 b E Vr 1005/93-14, wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 5.Oktober 1993, GZ 2 b E Vr 1005/93-14, wurde der am 30.Oktober 1977 geborene Manuel H***** des Vergehens des versuchten unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach §§ 15, 136 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt, der Ausspruch einer Strafe gemäß § 13 Abs 1 JGG jedoch für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten. Dessenungeachtet wurde die in diesem Verfahren am 17. Juni 1993 von 2,20 Uhr bis 12,30 Uhr erlittene Vorhaft angerechnet (vgl Fotokopie ON 27 im Akt AZ 4 b E Vr 906/94 des Jugendgerichtshofes Wien).

Mit Urteil vom 14.Dezember 1993, GZ 2 b Vr 830/93-21, verhängte der Jugendgerichtshof Wien über Manuel H***** wegen der Vergehen nach §§ 287 (202 Abs 1, 107 Abs 1), 127 und 83 Abs 1 StGB "unter gleichzeitigem nachträglichen Strafausspruch" zum Urteil dieses Gerichtes vom 5.Oktober 1993 nach § 287 StGB unter Anwendung des § 28 StGB und des § 5 Z 4 JGG eine dreimonatige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe. Unter einem wurde erkannt, daß ein nachträglicher Strafausspruch im Verfahren 2 b E Vr 1005/93 nicht mehr in Betracht komme (§ 494 a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO). Die Anrechnung der Vorhaft aus dem früher abgeschlossenen Verfahren, die nunmehr vorzunehmen gewesen wäre, unterblieb (sie kann jedoch - ebenso wie die gleichfalls unterlassene Anrechnung einer weiteren Vorhaft im Verfahren 2 b Vr 830/93 dieses Gerichtshofes - gemäß § 400 Abs 2 StPO nachgeholt werden).

Mt Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 7.April 1995, GZ 4 b E Vr 906/94-23, (gekürzte Urteilsausfertigung), wurde Manuel H***** der Vergehen nach §§ 107 Abs 1 und 134 Abs 2 StGB schuldig erkannt. Als Vergehen der Unterschlagung nach letzterer Gesetzesstelle liegt ihm zur Last, im Juni 1994 in Wien ein fremdes Gut, das er ohne Zueignungsvorsatz in seinen Gewahrsam gebracht hatte, nämlich einen von Petra M***** geliehenen "Walkman", unterschlagen zu haben. Gemäß § 28 StGB und § 5 Z 4 JGG wurde über ihn - neuerlich unter nachträglichem Strafausspruch zum Urteil dieses Gerichtes vom 5. Oktober 1993, GZ 2 b E Vr 1005/93-14, gemäß § 494 a (Abs 1 Z 3) StPO - eine bedingt nachgesehene dreimonatige Freiheitsstrafe verhängt. Zugleich erging abermals ein Ausspruch gemäß § 494 a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO, wogegen die Anrechnung der im Verfahren zum AZ 2 b E Vr 1005/93 erlittenen Vorhaft wieder unterlassen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil steht, wie der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Das Vorenthalten einer "geliehenen", sohin anvertrauten Sache wurde zu Unrecht als Vergehen der Unterschlagung nach § 134 Abs 2 StGB beurteilt. Jene Fälle, in denen der Täter - ohne Zueignungsvorsatz - den Gewahrsam an fremdem Gut zwar mit seinem Zutun, aber einvernehmlich mit dem Berechtigten erlangt hat, sind nämlich durch § 133 StGB abschließend geregelt, weshalb eine Ahndung als Anschlußunterschlagung nicht in Betracht kommt (Leukauf-Steininger Komm3 § 134 RN 22 mit Judikaturzitaten). Ob das Verhalten des Beschuldigten aber den Tatbestand des (mit gleicher Strafe bedrohten) Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB erfüllt hat, kann angesichts des (im Hinblick auf § 458 Abs 3 Z 1 StPO zulässigen) Unterbleibens einer Urteilsbegründung nicht überprüft werden, zumal aus dem Urteilstenor auch nicht hervorgeht, ob der sowohl nach § 133 StGB als auch nach § 134 StGB erforderliche Bereicherungsvorsatz als erwiesen angenommen wurde. Es ist daher die Kassation des Schuldspruches wegen des Vergehens nach § 134 Abs 2 StGB und mithin auch des Strafausspruches erforderlich.

Letzterer wäre davon unabhängig im übrigen schon deshalb aufzuheben, weil der darin zum Nachteil des Angeklagten neuerlich erfolgte nachträgliche Ausspruch der laut Schuldspruch vom 5.Oktober 1993 verwirkten Strafe gegen den aus dem XX.Hauptstück der StPO wie auch aus § 494 a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO hervorgehenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft und gegen das in Artikel 4 Z 1 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl 1988/628, ausgesprochene Verbot der Doppelbestrafung verstößt.

Die unterlaufenen Gesetzesverletzungen gereichen dem Verurteilten zum Nachteil, weshalb eine teilweise Erneuerung des Verfahrens in erster Instanz anzuordnen, der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträglichen Strafausspruch aber zurückzuweisen war (§ 292 letzter Satz StPO).

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