OGH 14Os63/95

OGH14Os63/954.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juli 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Pesendorfer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Silvia M***** wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 15.Feber 1995, GZ 21 Vr 211/94-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Raunig, und des Verteidigers Dr.Heufler, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Angeklagte Silvia M***** des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jugendlicher oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Darnach hat sie in Dornbirn zwischen Weihnachten 1993 und 2.Feber 1994 ihre Verpflichtung zur Obhut gegenüber ihrer 78jährigen Mutter Katharina M*****, die infolge Gebrechlichkeit und Krankheit wehrlos war, gröblich vernachlässigt, indem sie diese trotz massiv ausgedehnter, teils bis zu den Knochen reichender Druckgeschwüre an der rechten Schulter, der rechten Hüfte, an der rechten Innenseite des Unterschenkels sowie über dem linken Innenknöchel und Innenballen auf einer kotverschmutzten, urindurchtränkten Matratze in verkotete Lumpen gehüllt in einem unzureichend geheizten Raum dahinvegetieren ließ, sich damit begnügte, die Mutter mit uzulänglichen Mitteln zu betreuen, und es verabsäumte, für eine ärztliche Behandlung, Spitals- oder Heimunterbringung zu sorgen, vielmehr dahingehende Schritte des Sozialamtes durch bewußt falsche Darstellung der Situation vereitelte und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, deren Gesundheit beträchtlich geschädigt, wobei die Tat den Tod der Geschädigten zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 4, 5 a und 9 lit a (der Sache nach auch Z 10) des § 281 Abs 1 StPO, die in keinem Punkt berechtigt ist.

Als Verfahrensmangel (Z 4) wird die Abweisung eines Antrages auf Vernehmung von fünf Zeugen geltend gemacht, wodurch erwiesen werden sollte, daß die überforderte und selbst weitgehend hilflose Angeklagte im Gespräch mit diesen Zeugen durch die Einholung von Erkundigungen über Betreuungsmaßnahmen ihre Bereitschaft zu einer nach ihren Kräften sachgerechten Obsorge für ihre Mutter zu erkennen gegeben und demnach ihre diesbezüglichen Verpflichtungen nicht vorsätzlich vernachlässigt habe (S 267 f, 269 f).

Dieser Beweisantrag verfiel zu Recht der Ablehnung, weil darin nicht mit der nach Lage des Falles erforderlichen Deutlichkeit dargetan worden ist, aus welchen Gründen die Aussagen der als Zeugen namhaft gemachten Personen geeignet sein sollten, die dem Gericht durch die Gesamtheit der ihm bereits vorliegenden Verfahrensergebnisse vermittelte Sach- und Beweislage maßgebend zu verändern. Angesichts der eindeutig eine vorsätzliche Pflichtverletzung indizierenden objektiven Erkenntnisse (vgl ON 4) und der durch mehrere Zeugen bekundeten dezidierten Ablehnung jeder Hilfeleistung durch die Angeklagte hätte im Antrag zur verläßlichen Beurteilung seiner Berechtigung näher erläutert werden müssen, inwiefern das behauptete Beweisergebnis den Vorwurf hätte in Frage stellen können, daß die Angeklagte es jedenfalls ab Weihnachten 1993 ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, die Fürsorgepflicht ihrer hilflosen Mutter gegenüber gröblich zu vernachlässigen. Dieser Mangel bezieht sich insbesondere auch auf die als Zeugin beantragte Freundin der Angeklagten, Roswitha H*****. Dazu kommt hinsichtlich des Pharmazeuten Mag.Werner P***** und der Krankenschwester Rosi W***** noch, daß das Erstgericht ohnedies die Einholung von Ratschlägen über zweckmäßige Pflegemaßnahmen bei der Genannten unterstellt hat (US 5), ohne diesem Umstand freilich die ihm von der Beschwerde zugeschriebene Bedeutung beizumessen. Schließlich ist der Angeklagten auch noch entgegenzuhalten, daß sie nach ihren eigenen Angaben mit Dr.Elisabeth M***** und dem praktischen Arzt Dr.Egon Sch***** während des Tatzeitraumes gar keine Kontakte mehr unterhalten hat (S 270).

Die behauptete Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten liegt daher nicht vor.

Es bestehen auch keine erheblichen Bedenken (Z 5 a) gegen die Richtigkeit der entscheidenden Tatsachenfeststellungen. Die Beschwerdeführerin übergeht die vom Erstgericht der Annahme einer vorsätzlichen Verletzung der Obsorgepflicht zugrunde gelegten Verfahrensergebnisse, nämlich die Bekundungen der Zeugin Silvia H***** (insb S 259 f), des Fürsorgeamtsleiters Dr.Josef M***** (S 256 ff), des Arztes Dr.Heinz V***** (insb S 261 ff) und der Hausnachbarin Gerda K***** (S 263 ff), nach denen von der Angeklagten - teils sogar durch bewußt wahrheitswidrige Schilderungen des Gesundheitszustandes ihrer Mutter - während des Tatzeitraumes mögliche Hilfeleistungen (zB auch eine Pflegeunterbringung) hintangehalten, Bekannten der Zutritt zum Haus verwehrt und schließlich auch ein Arztbesuch möglichst lange hinausgezögert worden ist (US 5 bis 7 und 13 f). Die Beschwerde nimmt einseitig auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen über die pathologische Mutterbeziehung der Angeklagten, auf deren eigene neurotische Hilflosigkeit (S 187 bis 191), auf zumeist vor dem Tatzeitraum erfolgte Obsorgemaßnahmen sowie auf die schließliche Konsultierung des Arztes Dr.Heinz V***** Bezug, kann aber damit keine ernsthaften Zweifel an den tatsächlichen Grundlagen des Schuldspruchs erwecken.

Ebensowenig durchzudringen vermag die Angeklagte mit ihrer Rechtsrüge (Z 9 lit a).

Eine Fürsorge- oder Obhutspflichtverletzung ist gröblich, wenn sie in einem krassen Mißverhältnis zu jenem Maß an Fürsorge und Obhut steht, dessen Aufwendung unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet werden kann (Kienapfel BT I3 RN 21 und Leukauf-Steininger Komm3 RN 10, je zu § 92; SSt 55/46; SSt 54/77; EvBl 1979/179; zuletzt 15 Os 185/93). Bei der Gröblichkeit der Pflichtverletzung handelt es sich um ein objektives Tatbestandselement, das als normatives Tatbestandskorrektiv dazu dient, Vernachlässigungen minderer Art und Schwere aus dem Unrechtsbereich auszuscheiden (Kienapfel aaO RN 20; ders in RZ 1976, 48). Persönliche (geistige oder körperliche) Eigenschaften des Täters haben daher als Kriterien der Gröblichkeitsprüfung außer Betracht zu bleiben. Sie haben ihre Bedeutung für die Fragen der individuellen Handlungsfähigkeit (siehe dazu Leukauf-Steininger Komm3 § 2 RN 10) oder der Schuldfähigkeit des Täters, die beide vom Erstgericht bejaht worden sind (US 9, 10). Mit Recht wurden somit die in der gestörten Persönlichkeit der Angeklagten gelegenen besonderen Tatumstände bei der Beurteilung der Gröblichkeit ihrer Pflichtverletzung nicht herangezogen, sondern erst im Rahmen der Strafbemessung berücksichtigt.

Die in dem in Richtung einer Sachverhaltsbeurteilung wegen Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB zum Ausdruck kommende Subsumtionsrüge (Z 10) schließlich verfehlt die gesetzmäßige Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes, weil die Beschwerdeführerin damit die festgestellte Vorsätzlichkeit ihrer Pflichtverletzung (US 9, 14) übergeht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Über die gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft konnte nicht sogleich mitentschieden werden, weil der Angeklagten die Vorladung zum Gerichtstag nicht mehr zugestellt werden konnte (§ 296 Abs 3 StPO). Nach Ausforschung ihres Aufenthaltes wird das Erstgericht die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen vorzulegen haben (vgl Mayerhofer-Rieder StPO3 E 20 zu § 296).

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht ist in § 390 a StPO begründet.

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