OGH 7Ob548/95

OGH7Ob548/9528.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Marcel A*****, geboren am 4.1.1993, infolge Revisionsrekurses der Mutter Claudia A*****, vertreten durch Dr.Hansjörg Mader und Dr.Christian Kurz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 30.Dezember 1994, GZ 53 R 217/94-62, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 29.September 1994, GZ 4 P 144/94-48, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Beschluß lautet:

"Die Obsorge für den mj. Marcel A***** kommt in Hinkunft der Mutter Claudia A***** alleine zu.

Der Antrag des Vaters, ihm die Obsorge zuzuteilen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der am 4.1.1993 geborene Marcel entstammt der am 24.4.1992 geschlossenen Ehe der Claudia und des Leander A*****. Am 21.1.1994 zog Claudia A***** aus dem von den Eheleuten bis dahin gemeinsam bewohnten Haus in G***** aus und übersiedelte zu ihren Eltern nach I*****. Den mj. Marcel nahm sie mit. Die Ehe wurde mit Beschluß des BG F***** vom 5.7.1994 gemäß § 55a EheG geschieden, obwohl keine Vereinbarung über die künftige Obsorge betreffend das gemeinsame Kind getroffen worden war.

Bereits am 31.1.1994 stellte die Mutter den Antrag, ihr die Obsorge für das Kind zu übertragen. Der Vater sprach sich dagegen aus und beantragte seinerseits, ihm die Obsorge zuzuteilen. Sowohl die Mutter als auch der Vater versuchten darzulegen, daß der jeweilige Antragsteller aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur, seiner Wohn- und Arbeitsverhältnisse, seines Erziehungszieles und der Eignung jeweils seiner Eltern, das Kind aushilfsweise zu betreuen, wesentlich besser und der jeweils andere Elternteil wesentlich schlechter zur Übernahme der Obsorge geeignet sei. Der Vater warf der Mutter sinngemäß insbesondere vor, sie stehe weitgehend unter dem Einfluß ihrer dominanten und ihm schlecht gesinnten eigenen Mutter und werde dieser die Betreuung des Kindes überlassen, das dem Vater dann immer mehr entfremdet würde. Außerdem könne er mit dem Kind wesentlicher liebevoller umgehen als die leibliche Mutter. Die Mutter bezeichnete ihrerseits den Vater als psychisch gestörte Persönlichkeit, der alles bestimmt habe.

Am 15.3.1994 stellte die Mutter den Antrag auf Regelung des Besuchsrechtes des Vaters dahin, daß diesem alle 14 Tage an einem Nachmittag in der Zeit von 13.00 bis 18.00 Uhr in ihrem Beisein das Besuchsrecht eingeräumt werde. Diesen Vorschlag lehnte der Vater ab und äußerte den Wunsch, seinen Sohn jederzeit besuchen zu können. Zudem beantragte er, Marcel ca alle 3 Wochen für 2 bis 3 Tage zu ihm nach G***** nehmen zu können. Auf Antrag der Mutter wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 18.5.1994 vorläufig die Obsorge der Mutter zugewiesen. Zugleich wurde dem Vater ein wöchentliches Besuchsrecht an jedem Mittwoch von 14.00 bis 16.30 Uhr eingeräumt, wobei die ersten 10 Besuche im Beisein einer beim Verein "Frauen helfen Frauen" beschäftigten oder einer anderen vom Amt für Jugend und Familie Innsbruck namhaft zu machenden Person stattzufinden hätten. Diese Regelung entsprach im wesentlichen der Stellungnahme des Amtes für Jugend und Familie Innsbruck. Die vorläufige Obsorgeregelung begründete das Erstgericht damit, daß sich der Minderjährige bei der Mutter aufhalte und sie daher auch in der Lage sein müsse, allfällige Vertretungshandlungen für den Minderjährigen vorzunehmen.

Am 27.7.1994 stellte der Vater den Antrag auf Einräumung eines zusätzlichen Besuchsrechtes während seines Urlaubes vom 24.8.1994 bis 10.9.1994. Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus. Der Antrag wurde im wesentlichen mit der Begründung abgwiesen, daß die Zeit zur Durchführung entsprechender Erhebungen zu knapp sei. Über zwei weitere Anträge des Vaters, ihm zu weiteren Terminen jeweils ein mehrwöchiges Besuchsrecht einzuräumen, wurde nicht entschieden. Seinem inzwischen ebenfalls gestellten Antrag, das Besuchsrecht am Mittwoch bereits eine halbe Stunde früher beginnen zu lassen, stimmte die Mutter nur insofern zu, als sie zwar mit der Vorverlegung auf

13.30 Uhr einverstanden war, das Besuchsrecht aber bereits um 16.00 Uhr enden sollte.

Mit Beschluß vom 29.9.1994 wies das Erstgericht die Obsorge hinsichtlich Manuel dem Vater zu. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Beide Elternteile sind Bedienstete der ÖBB. Der Vater ist als Triebfahrzeugführer bei der Zugförderungsstelle B***** beschäftigt. Seine Arbeitszeiten sind durch einen längerfristigen Dienstplan geregelt. Er ist in der Lage, im voraus festzulegen, wann er das Kind selbst betreuen könnte. Er wohnt im neuerrichteten Haus in G*****, das während der Ehe zu 2/3 ihm und zu 1/3 der Mutter des Marcel gehörte. Im Scheidungsvergleich übertrug ihm die Mutter ihren Drittelanteil gegen eine Ausgleichszahlung von S 900.000,--. Das Haus hat eine sonnige, nach Süden hin leicht abfallende Hanglage. Die väterlichen Großeltern wohnen ca 15 Gehminuten entfernt. Der am 5.12.1937 geborene väterliche Großvater ist ÖBB-Pensionist, die am 12.10.1939 geborene väterliche Großmutter ist Hausfrau. Im Haushalt der väterlichen Großeltern wohnt auch noch die rüstige väterliche Urgroßmutter von Marcel. Während der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters könnten die väterlichen Großeltern die Beaufsichtigung des Kindes übernehmen. Dem Kind stünde ein eigenes Schlafzimmer im Haus der Großeltern zur Verfügung. Ihnen könnten die Betreuungsaufgaben bedenkenlos zugemutet werden.

Der Vater ist ohne religiöses Bekenntnis, die Mutter ist römisch katholisch. Die Eltern ließen den mj. Marcel taufen.

Der Vater befand sich vom 10.10. bis 16.10.1986 in stationärer Behandlung im Landesnervenkrankenhaus V*****. Der Grund hiefür war eine akute Dekompensation aufgrund einer Überlastungs- und Drucksituation des Vaters. Er hatte damals Schwierigkeiten, weil er versucht hatte, einen CD-Player über die Grenze zu schmuggeln. Aufgrund massiver Schuldgefühle kam es schließlich zu einem schwer depressiven Zustandsbild, das eine kurzzeitige Aufnahme auf der psychiatrischen Abteilung zur Entlastung notwendig machte. 1988 wurde der Vater wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, weil er im Zug seines Dienstes die Lokomotive zu spät abgebremst hatte, wodurch ein Arbeiter verletzt wurde. Abgesehen vom sechstägigen Aufenthalt im Landesnervenkrankenhaus befinden sich bei ihm keine psychischen Dekompensationen mit Krankheitswert. Es läßt sich keine Depressionsneigung und keine latente Suizidalität erurieren. Es liegen keinerlei Beeinträchtigungen im mentalen und affektiven Bereich vor, und es lassen sich keine psychotischen Symptome oder Anzeichen eines psychodynamischen Syndroms feststellen. Beim Vater ist ein normaler und unauffälliger psychiatrischer Befund gegeben.

Auch die Mutter des Marcel ist im Turnusdienst bei den ÖBB beschäftigt. Ihr steht dadurch sowohl in zeitlicher als auch in dispositiver Hinsicht ein hohes Maß an Betreuungsmöglichkeit für das Kind zur Verfügung.

Anfang August 1994 suchte der Vater bei den ÖBB um Gewährung eines sogenannten dritten Karenzurlaubsjahres für sich an. Voraussetzung für die Bewilligung eines solchen Karenzurlaubes ist unter anderem, daß der Urlaub an einen vorangehenden gesetzlichen Karenzurlaub gemäß dem Mutterschutzgesetz bzw dem Elternkarenzurlaubsgesetz anschließt. Eine Teilung des Karenzurlaubes zwischen Vater und Mutter ist ausgeschlossen.

Als die Mutter von diesem Ansuchen des Vaters erfuhr, stellte sie ihrerseits am 12.8.1994 einen derartigen Antrag, welcher ihr auch bewilligt wurde, weil sie den gesetzlichen Karenzurlaub bis zum 2. Geburtstag des Kindes, sohin bis einschließlich 4.1.1995, in Anspruch genommen hat. Sie ist daher in der Lage, das Kind während seines dritten Lebensjahres persönlich zu betreuen und zu beaufsichtigen. Während des Karenzurlaubes bleibt der Mutter die Gehaltsgruppenzugehörigkeit gewahrt, nicht ihr jedoch ihr bisheriger Arbeitsplatz.

Die Mutter lebte zunächst mit Marcel bei ihren Eltern in Innsbruck. Die Wohnung der mütterlichen Großeltern liegt im dritten Stock eines Hauses, hat eine Größe von über 104 m2 und ist sehr gepflegt. Marcel hat dort ein ca 16 m2 großes Kinderzimmer. Die Mutter hatte zunächst vor, in Innsbruck um eine Dienstwohnung der ÖBB anzusuchen.

Der mütterliche Großvater ist in Pension, die mütterliche Großmutter ist Hausfrau. Auch diese Großelternteile sind in der Lage und bereit, Marcel während der berufsbedingten Abwesenheit der Mutter zu beaufsichtigen. Bei den - zunächst im Einvernehmen der Kindeseltern durchgeführten - wöchentlichen Besuchen des Vaters kam es zu Streitereien. Die Mutter warf dem Vater vor, eine antiautoritäre Erziehung zu praktizieren und das Kind in der Nähe des Inns frei herumlaufen zu lassen, sodaß sie Angst habe, daß das Kind ertrinke. Während der etwa 2 1/2-stündigen Besuche hat der Vater das Kind nicht gewickelt. Er fütterte es aber geübt, brachte selbst eine Jause mit und verwendete die von der Mutter mitgegebene Jause nicht. Zwischen dem Vater und dem Kind besteht eine liebevolle, vertraute Beziehung. Der Vater ist in der Lage, mit dem Kind altersadäquat zu spielen.

Zwischen den Eltern besteht noch ein hohes Konfliktpotential, wobei sich der Vater eher passiv verhält, jedoch auf dem Standpunkt steht, daß seine Ehe von der Schwiegermutter zerstört wurde. Er erklärte im Verfahren seine Bereitschaft, daß er, sollte die Obsorge an ihn übertragen werden, der Mutter ein uneingeschränktes, großzügiges Besuchsrecht einräumen werde. Sie könne das Kind jederzeit sehen und besuchen und auch während des Urlaubes und der Schulferien zu sich nehmen. Aus den im Pflegschaftsverfahren erhobenen Vorwürfen der Mutter, die Schriftsätze des Vaters seien "Verleumdungsschreiben", der Vater stehe "auf der geistigen Stufe eines trotzigen, unreifen Kindes", er lege ein querulatorisches Verhalten an den Tag und wolle Mitmenschen in ein schlechtes Licht rücken, um von seinem eigenen durchtriebenen Charakter abzulenken, schloß das Erstgericht, daß nicht zu erwarten sei, daß die Mutter im Fall der Übertragung der Obsorge an sie bereit sein werde, dem Vater ausgedehntere Besuchszeiten zuzugestehen. Demgegenüber habe der Vater sein Einverständnis zur Einräumung eines sehr weitgehenden Besuchsrechtes erklärt. Das bisherige Verhalten der Mutter betreffend die Besuchsrechtsregelung sei für die Obsorgeentscheidung ausschlaggebend. Sie zeige keine Einsicht in die Notwendigkeit einer Vater-Kindbeziehung und stehe dem Vater ablehnend gegenüber. Es sei daher dringend zu befürchten, daß auch das Kind mit zunehmenden Alter diese ablehnende Haltung gegenüber dem Vater einnehmen werde, wenn das Kind in Obhut der Mutter bleibe. Beim Vater stünden auch die besseren Wohnungsverhältnisse zur Verfügung. Die Betreuungsmöglichkeit sei zwar bis Ende der Karenzzeit der Mutter bei dieser besser. Sie habe aber keinen Anspruch, wieder an ihrem bisherigen Arbeitsplatz tätig zu sein, sodaß ein Orts- und Umgebungswechsel für das Kind nicht auszuschließen sei. Da die Mutter aber derzeit vollständig in dem Familienverband ihrer Eltern eingebunden sei, sei auch nicht auszuschließen, daß die Mutter ihre Erziehungskompetenz an die mütterlichen Großeltern abgeben werde.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Vorteil, daß die Mutter das Kind persönlich betreuen könne, dauere nur bis zu dessen dritten Geburtstag und könne daher nicht ausschlaggebend sein. Die Betreuung während der berufsbedingten Abwesenheit sei bei beiden Elternteilen etwa gleichwertig gegeben. Die etwas günstigeren Wohnverhältnisse beim Vater könnten nicht ausschlaggebend sein. Es sei jedoch die Ansicht des Erstgerichtes zu billigen, daß bei Zuteilung der Obsorge an die Mutter mit Erschwernissen bei der Besuchsrechtsausübung durch den Vater zu rechnen sei. Allein der Hinweis, daß ein gerichtlich geregeltes Besuchsrecht des Vaters auch gerichtlich durchgesetzt werden könnte, vermöge diese Bedenken nicht auszuräumen. Es entspreche durchaus dem Wohl des Kindes, trotz der Trennung seiner Eltern den Kontakt zu beiden Eltern aufrechtzuerhalten, damit auch zu dem nicht obsorgeberechtigten Elternteil keine Entfremdung eintrete. Dies erscheine jedoch bei einer Zuweisung der Obsorge an den Vater im Hinblick auf dessen mehrfache Erklärungen, er werde der Mutter ein großzügiges Besuchsrecht einräumen, in einem höheren Maß gewährleistet als bei einer Zuweisung der Elternrechte an die Mutter. Die kurzfristige psychiatrische Behandlung des Vaters dürfe nicht überbewertet werden. Der Grundsatz der Kontinuität der Pflege und Erziehung sowie der Grundsatz, daß bei Kleinkindern eine Betreuung durch die Mutter vorzuziehen sei, könnten letztlich nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen. Da die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz zum Teil von diesen letztgenannten, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abweiche, sei die ordentliche Revision zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und auch berechtigt.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen stellt sich die Betreuungssituation bei der Mutter einerseits und beim Vater andererseits etwa gleichwertig dar. Der Umstand, daß dem Vater ein gutausgestattetes Eigenheim in schöner Lage zur Verfügung steht, während die Mutter, die nunmehr eine Eigentumswohnung in W***** erworben hat und dorthin übersiedeln will, nur eine Wohnung zur Verfügung hat, hat auf das Wohl des Kindes keinerlei Einfluß. Die Mutter ist bis zum vierten Lebensjahr des Kindes auf keine andere Betreuungsperson angewiesen, weil sie bis dahin karenziert ist. Daß sie um das dritte Karenzjahr einreichte, nachdem dies der Vater getan hatte, spricht in keiner Weise gegen sie. Die Mutter wird zwar nach Wiederaufnahme der Berufstätigkeit teilweise auf die Betreuung des Kindes in einem Kindergarten und auf die Unterstützung anderer Personen angewiesen sein. Nichts anderes gilt aber auch für den Vater, der ebenfalls nicht die ganze Zeit über bei seinem Kind sein kann. Sein Schichtdienst würde ihn dazu zwingen, das Kind häufig auch außer Haus nächtigen zu lassen. Mögen seine Eltern für die Hilfestellung in der Betreuung des Kindes auch bestens geeignet sein, so ist doch der Mutter des Kindes zuzugestehen, daß sie für jene Zeiten, in denen kein Kindergarten geöffnet hat und sie nicht bei ihrem Kind sein kann, eine zufriedenstellende Lösung finden wird. Gegen eine fallweise Heranziehung ihrer ebenfalls noch rüstigen Eltern ist nichts Ernsthaftes einzuwenden, auch wenn ihre Mutter dem Vater des Kindes und ihrem ehemaligen Schwiegersohn schlecht gesinnt ist. Die vom Vater geäußerte Vermutung, die Mutter werde das Kind gänzlich ihren Eltern überlassen und von ihrer Mutter in jeder Weise dominiert werden, ist durch nichts erhärtet. Die Tatsache, daß die Mutter nach der Trennung von ihrem Ehemann in die Wohnung ihrer Eltern zog, läßt keineswegs den Schluß darauf zu, daß dies nun eine Dauerlösung sein werde. Daß diese Wohnsituation wohl nur eine vorübergehende Notmaßnahme war, zeigt im übrigen die Tatsache, daß die Mutter eine Eigentumswohnung in W***** angeschafft hat. Es ist auch nicht zu erwarten, daß Marcel durch die Übersiedlung dorthin in höherem Ausmaß irritiert wird als dies etwa durch eine Übersiedlung zu seinem Vater nach G***** der Fall wäre.

Weder beim Vater noch bei der Mutter haben sich Umstände herausgestellt, aus denen auf deren mangelnde körperliche oder psychische Eignung zur Betreuung ihres Kindes zu schließen wäre. Es ist daher zwischen zwei grundsätzlich gleichermaßen dem Wohl des Kindes entsprechenden Persönlichkeiten zu entscheiden. Die Vorinstanzen gaben bei dieser nach ihren Feststellungen grundsätzlich gleichwertigen Situation insbesondere deshalb dem Vater den Vorzug, weil sie meinten, die Mutter werde versuchen, den Kontakt des Kindes zum Vater möglichst zu unterbinden und ihm das Kind zu entfremden, während dem Vater Glauben zu schenken sei, daß er der Mutter ein großzügiges und sich problemlos gestaltendes Besuchsrecht einräumen werde.

Dieser Ansicht vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Mutter das zunächst dem Vater freiwillig gestattete und schließlich gerichtlich (vorläufig) geregelte wöchentliche Besuchsrecht boykottiert hätte. Daß es insbesondere in der Anfangsphase einer Trennung der Elternteile zu Streitereien und Vorwürfen kommt, wenn Vater und Mutter etwa anläßlich der Besuchsrechtsübung wieder persönlich aufeinandertreffen, ist eine häufig zu beobachtende und keineswegs außerordentliche Tatsache, die aus der menschlichen Natur leicht erklärbar ist. Der in einem Aktenvermerk des Erstgerichtes festgehaltene Auftritt von Vater und Mutter am 22.6.1994 bei Gericht, bei dem es offenbar um Lappalien bei der Beaufsichtigung des Kindes während der Besuchszeit ging und bei dem der Vater weinte und die Mutter mit ihm schrie, darf nicht überbewertet werden. Das Scheidungsverfahren war damals noch in Gang, und die Scheidungsverhandlung stand knapp bevor.

Der Umstand, daß sich die Mutter gegen eine wochenlange Trennung von ihrem kaum dem Babyalter entwachsenen Kleinkind während der geplanten Urlaube des Vaters aussprach, erscheint zumindest aus ihrer Sicht durchaus verständlich. Da sie bislang gerichtlich zu einem derartigen Besuchsrecht auch nicht verpflichtet wurde, war ihr zuzugestehen, den diesbezüglichen Besuchsrechtswünschen des Vaters nicht zu entsprechen.

Weder den Berichten der Begleitpersonen bei Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater noch der Stellungsnahme des Amts für Jugend und Familie Innsbruck kann entscheidend Negatives hinsichtlich des Verhaltens der Mutter bei Übergabe und Übernahme des Kindes entnommen werden. Ungerechtfertigte Vorwürfe gegen den Vater kamen demnach in erster Linie von der mütterlichen Großmutter. Die zwischen den Kindeseltern offenbar bestehenden Spannungen wurden im Beisein der Begleitpersonen aber nicht ausgetragen. Aufgrund der betreffenden Berichte steht zwar im Raum, daß eine stets präsente mütterliche Großmutter das Kind direkt oder indirekt gegen den von ihr abgelehnten Vater beeinflussen könnte. Daß aber die Mutter selbst ein derart negatives Verhalten an den Tag gelegt hätte oder an den Tag legen werde, ist durch nichts belegt. Der Gefahr, daß Mutter und Kind gänzlich in den Einflußbereich der mütterlichen Großmutter gelangen werden, ist allein schon durch die Übersiedlung der Mutter nach W***** entgegengetreten.

Die persönlichen Schreiben der Mutter an das Gericht, in denen sie sich unter anderem über den Vater beschwert, zeigen, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, daß sie selbst dem Vater sehr ablehnend gegenübersteht. Die Ablehnung des ehemaligen Partners nach einer Trennung entspricht aber durchaus dem Normalfall. Eine neutrale oder gar wohlwollende Einstellung gegenüber dem Partner, von dem man sich eben getrennt hat, ist zumindest für die erste Zeit nach der Trennung wesentlich seltener vorzufinden. Im übrigen geht aus den zahlreichen persönlichen Eingaben des Vaters an das Gericht, in denen er Umstände auflistet, aus denen offenbar ein Fehlverhalten der Mutter hervorgehen soll, ebenfalls eine sehr negative Einstellung gegenüber der Mutter des Kindes hervor, auch wenn sich der Vater einer wesentlich diffizileren Schreibweise bedient. Seine großzügige Ankündigung, er werde der Mutter seinerseits das Recht einräumen, das Kind nach Belieben und jederzeit besuchen zu können, steht in gewissem Gegensatz dazu, daß er sich vehement gegen einen grundsätzlichen Verbleib des Kindes bei der Mutter wehrt.

Derjenige Elternteil, dem die Obsorge übertragen wird, übt auf das Kind im Regelfall einen weit größeren Einfluß aus als jener Elternteil, der auf das Besuchsrecht verwiesen wird. Es ist zweifellos nicht auszuschließen, daß sich die negative Einstellung zum anderen Elternteil zumindest in gewisser Weise auf das Kind überträgt, selbst wenn es nicht direkt aufgehetzt wird. Es läßt sich im vorliegenden Fall aber nicht vorhersehen, daß von der Mutter eine die Beziehung des Kindes zum Vater zerstörende Einflußnahme ausgeübt werde, der Vater aber ausschließlich auf die Fortführung einer liebevollen Beziehung des Kindes zu seiner Mutter achten werde.

Für die Mutter spricht jedenfalls, daß sie nach dem Akteninhalt bislang die Hauptbezugsperson für das Kind war, und zwar schon von dessen Geburt an und nicht erst seit ihrer Trennung vom Ehemann. Sie und nicht der Vater war es, die schon die ersten beiden Jahre beim Kind zu Hause blieb, während der Vater weiterhin seiner Arbeit nachging, sodaß notgedrungen davon auszugehen ist, daß sich die Mutter weitaus längere Zeit als der Vater um die Betreuung des Kindes kümmerte. Daß sie in dieser Funktion versagt hätte, wird ihr nicht einmal vom Vater ernsthaft vorgeworfen. Das Kind wächst vielmehr unauffällig heran und wird von seiner Mutter, wie ihr vom Amt für Jugend und Familie Innsbruck zugebilligt wird, liebevoll umsorgt. Es gibt derzeit auch keinen Grund daran zu zweifeln, daß sich die Mutter auch weiterhin um eine gedeihliche Entwicklung des Kindes kümmern wird, wenn sie ihre Berufstätigkeit wieder aufnimmt. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie als grundsätzlich alleinerziehender Elternteil mit der Doppelbelastung des Berufes und der Kinderbetreuung weniger gut zurechtkommen wird als der Vater. Derzeit findet sich somit überhaupt kein Anlaß, der bisher gedeihlichen Entwicklung des Kindes bei seiner Mutter ein Ende zu bereiten und dem Kleinklind einen Pflegeplatzwechsel von der Mutter zum doch weniger vertrauten, wenn auch ebenfalls liebevollen Vater mit all den damit verbundenen Irritationen aufzubürden. Die Beibehaltung der Obsorge durch die Mutter, gegen die im vorliegenden Fall nichts entscheidend Negatives vorzubringen ist, entspricht im übrigen der bereits mehrfach auch vom Obersten Gerichtshof dargelegten Ansicht (etwa 5 Ob 515/85; 3 Ob 599/86), daß zwar ein Vorrecht der Mutter auf Zuteilung der Elternrechte nicht besteht, daß aber doch bei sonst annähernd gleichartigen Pflege- und Erziehungsverhältnissen der Betreuung von Kleinkindern der Mutter der Vorzug zu geben ist, weil Kleinkinder im allgemeinen der unersetzbaren mütterlichen Zuneigung, Gefühle und Wärme bedürfen und im erhöhten Maß auch noch körperlich betreut werden müssen.

Die Entscheidungen der Untergerichte waren daher im Sinn einer endgültigen Obsorgezuteilung an die Mutter abzuändern.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte