OGH 13Os70/95

OGH13Os70/9528.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Juni 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Wlattnig als Schriftführer, in der Strafsache gegen Adolf K***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 6.März 1995, GZ 12 Vr 855/94-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Adolf K***** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 17.August 1994 die am 22.September 1981 geborene, unmündige Birgit G***** durch Streicheln an ihrer Brust, ihres Geschlechtsteiles und Einführen eines Fingers in ihre Scheide auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbrauchte.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5 a und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Mit der Verfahrensrüge (Z 4) moniert sie die Abweisung des Antrages auf Wiederholung der kontradiktorischen Vernehmung des (gemäß § 152 Abs 1 Z 3 StPO von der Verbindlichkeit zur Ablegung des Zeugnisses befreiten) Tatopfers in der Hauptverhandlung als Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzend, weil dieser bei der Vernehmung der Zeugin durch die Untersuchungsrichterin nicht anwaltlich vertreten gewesen sei und vorher keine Einsicht in die Akten genommen habe, weswegen er nicht in der Lage gewesen wäre, zielführende Fragen zu stellen. Hilfsweise beruft sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch auf Art 6 Abs 3 lit b und d MRK.

Das Tatopfer wurde im Zuge gerichtlicher Vorerhebungen auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 21.September 1994 durch die Untersuchungsrichterin gemäß § 162 a StPO kontradiktorisch als Zeugin vernommen (ON 4). Zu dieser Vernehmung wurde der Beschuldigte geladen (S 2). Er nahm auch die Gelegenheit wahr, die Vernehmung durch Ton- und Bildübertragung mitzuverfolgen. Dabei machte er von dem ihm gemäß § 162 a Abs 1 StPO eingeräumten Recht Gebrauch, Fragen an die Zeugin zu stellen. Er hat solche sachverhaltsbezogen und auf seine allfällige Entlastung gerichtet auch gestellt (S 56). Daß er dazu Akteneinsicht begehrt hätte und ihm diese verweigert worden wäre, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Die Prozeßgesetze räumen einem Angeklagten zur Vorbereitung seiner Verteidigung in der Hauptverhandlung eine fixe Vorbereitungsfrist ein (§ 221 Abs 1 StPO). Dies ist nicht schon für Erhebungsakte in einem Vorverfahren der Fall, die der Aufklärung des Sachverhaltes insoweit dienen sollen, als dadurch die Frage, ob gegen einen Beschuldigten Anklage erhoben oder das gegen ihn geführte Strafverfahren eingestellt wird, zu beantworten ist. Abgesehen davon war jedoch auch die zwischen Abfertigung der Ladung (12.September 1994, S 2) an den Beschuldigten und Durchführung der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin bestehende Zeit jedenfalls für den Angeklagten in jeder Beziehung (auch im Sinne des Art 6 Abs 1 lit b MRK) ausreichend.

Durch den Umstand, daß der Angeklagte zur Zeit der Durchführung dieser gerichtlichen Vorerhebung noch nicht anwaltlich vertreten war und deren Ergebnis der Urteilsbegründung zugrunde gelegt wurde (S 125; US 5), ist die behauptete Nichtigkeit ebensowenig bewirkt worden. Die Vorschrift des § 162 a Abs 1 StPO (und damit korrespondierend des Art 6 Abs 3 lit d MRK "... Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen ..."), dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beteiligung an der Vernehmung zu geben und Fragen an die Zeugin zu stellen, ist von der Untersuchungsrichterin beachtet worden. Gemäß § 41 Abs 1 Z 1 StPO bedurfte der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren eines Verteidigers erst in der Hauptverhandlung. Es ist ihm nicht verwehrt worden, sich bereits im Stadium der Vorerhebung eines solchen zu bedienen, er hat davon jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern vielmehr in diesem Verfahrensstadium das ihm zustehende Fragerecht selbst ausgeübt und sich selbst verteidigt (siehe Art 6 Abs 3 lit c MRK).

Auch die Mängelrüge (Z 5) geht ins Leere. Die Tatrichter haben sich (unter anderem) zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes (und nur Begründungsmängel, die sich darauf beziehen, sind im Rahmen dieses Nichtigkeitsgrundes beachtlich; EvBl 1972/17 uva) ausdrücklich auf die Zeugenaussage des Tatopfers (ON 4, die in der Hauptverhandlung verlesen wurde, siehe neuerlich S 125) gestützt. Die zu den entscheidungswesentlichen Umständen (Unterstellung der Tat unter das Gesetz und Wahl das anzuwendenden Strafsatzes) getroffenen Konstatierungen stimmen mit dieser (in der Hauptverhandlung verlesenen) Aussage der Zeugin im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung überein. Mit den entscheidungsirrelevante Umstände betreffenden Abweichungen von Äußerungen dieser Zeugin vor der Gendarmerie (die im Rahmen der Strafanzeige unter dem Begriff "Tätigkeiten und Feststellungen außerhalb des Tatortes" wiedergegeben wurden) hat sich das Erstgericht beschäftigt und diese in seine Erwägungen einbezogen (US 8 und 9), ist aber im Zuge freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) zur Überzeugung der Richtigkeit der Angaben in der gerichtlichen Zeugenaussage gekommen und deswegen dieser gefolgt. Die Beschwerdebehauptung, das vorsätzliche Betasten der Brüste des Mädchens, das Streicheln ihres Geschlechtsteiles und das Einführen eines Fingers in die Scheide des Mädchens durch den Angeklagten entspreche nicht dem Akteninhalt, geht somit am Inhalt dieser bereits mehrfach zitierten Zeugenaussage vorbei.

Entgegen den weiteren Ausführungen der Mängelrüge hat sich das Schöffengericht mit dem Inhalt des Befundberichtes der Abteilung für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters und Heilpädagogik des Allgemeinen öffentlichen Krankenhauses Kärnten (ON 9) auseinandergesetzt und ihn ausdrücklich in seine Erwägungen einbezogen (US 5), dabei jedoch (ersichtlich) beweiswürdigend keinen Widerspruch zur Aussage der Zeugin feststellen können.

Soweit sich die Mängelrüge im übrigen nicht in unzulässiger Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter erschöpft, geht sie schon deshalb ins Leere, weil die dabei angestellten Überlegungen für die Entscheidung der Schuldfrage irrelevante Umstände betreffen (Lesen der Zeitschrift "Bravo" durch das Opfer, Sexualkundeunterricht in der Schule, laut Aussage dessen Mutter keine Feststellung einer Defloration bei ärztlicher Untersuchung).

Insgesamt vermag die Mängelrüge somit keine Nichtigkeit des Urteils hervorrufenden formellen Begründungsmängel aufzuzeigen.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) beschäftigt sich im Kern lediglich mit den Erwägungen der Tatrichter zum Beweiswert der im Verfahren erzielten Ergebnisse, wobei sie neuerlich schwergewichtig für die Entscheidung der Schuldfrage irrelevante Umstände in den Vordergrund rückt. Damit geht sie am Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes vorbei. Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 a StPO gestattet nämlich nicht die Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung. Insbesondere kann der zur Darlegung erheblicher Zweifel am Gelingen der Wahrheitsfindung gebotene Vergleich aktenkundiger Umstände mit entscheidenden Feststellungen nicht durch die Behauptung ersetzt werden, von der ersten Instanz als glaubhaft angesehene Zeugenaussagen seien infolge innerer Unwahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung unglaubwürdig (Mayerhofer-Rieder, StPO3, § 281 Z 5 a E 4). Insgesamt vermag daher das diesbezügliche Beschwerdevorbringen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit entscheidender Tatsachenfeststellungen im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes hervorzurufen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet mangelnden Tatvorsatz des Angeklagten zu dem ihm vorgeworfenen Verbrechen, übergeht dabei jedoch die im Urteil wiederholt getroffenen Feststellungen zu den Wissens- und Wollenskomponenten hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale (US 3, 4, 5). Das Schöffengericht konstatierte dazu ausdrücklich, daß der Angeklagte sein Opfer durch die beschriebenen Tathandlungen vorsätzlich zur Unzucht mißbrauchte (US 4). Da die Rechtsrüge das Festhalten am Urteilssachverhalt und den auf dieser Grundlage geführten Nachweis der irrigen rechtlichen Beurteilung durch das Erstgericht erfordert, ermangelt die Nichtigkeitsbeschwerde diesbezüglich einer prozeßordnungsgemäßen Ausführung.

Sie war daher teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzgemäß ausgeführt schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285 a Z 2 StPO).

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