OGH 5Ob519/95

OGH5Ob519/9527.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Univ.Prof.Dr.Gerald H*****, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, ***** vertreten durch Dr.Gerald Kleinschuster und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Mag.Elisabeth Barbara S*****, AHS-Lehrerin, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen Aufkündigung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 20. Juni 1994, GZ 3 R 90/94-23, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 18.Februar 1994, GZ 42 C 29/93t-19, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten S 811,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer des Hauses G*****, in dem die Beklagte seit 1.11.1986 Mieterin einer rechts vom Stiegenaufgang gelegenen, 108,62 m2 großen Wohnung ist.

Der Kläger stützte die Aufkündigung des Mietverhältnisses mit der Beklagten auf § 30 Abs 1 und Abs 2 Z 4 MRG iVm § 12 MRG.

Die Beklagte habe die Wohnung im Juli 1990 verlassen und sei zu

ihrem Ehegatten gezogen, wo sie unter Führung eines gemeinsamen

Haushaltes wohnhaft sei. Mit Schreiben vom 14.11.1992 habe die

Beklagte dem Kläger mitgeteilt, daß sie die Wohnung mit Ende des

Monats November 1992 verlasse und nunmehr die Hauptmietrechte gemäß

§ 12 MRG ihrem Bruder, der seit 1.11.1986 mit ihr in der

aufgekündigten Wohnung im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, abtrete.

Der Mietrechtsübergang sei nicht rechtswirksam, weil die Beklagte -

infolge ihres Auszuges bereits im Juli 1990 - im Zeitpunkt der

Überlassung (14.11.1992) mit ihrem Bruder nicht die letzten 5 Jahre im gemeinsamen Haushalt in der aufgekündigten Wohnung gewohnt habe. Beide seien auch nicht in der Wählerevidenz für die Landtagswahlen (22.9.1991), für die Bundespräsidentenwahl (26.4.1992) und die Gemeinderatswahlen (24.1.1993) im gegenständlichen Haus enthalten. Dazu komme, daß der Bruder der Beklagten als Einzelperson kein dringendes Wohnbedürfnis an der 108 m2 großen Wohnung habe, weil zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses für einen Einzelnen ein Teil der Wohnung, nämlich Küche, Zimmer, Bad und WC (Nutzfläche rund 30 m2) vollkommend ausreichend sei.

Die Beklagte wendete ein, daß die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht gegeben seien. Überdies sei sie wegen der rechtswirksamen Übertragung der Mietrechte auf ihren Bruder passiv nicht legitimiert. Eine andere Wohnversorgung für den Bruder bestehe nicht. Dieser habe auch die Absicht zu heiraten und benötige dann die gesamte Wohnung für seine Familie.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren statt. Es stellte folgenden Entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Die Beklagte und ihr Bruder zogen am 31.10.1986 gemeinsam in die aufgekündigte Wohnung ein und haben bis zur Verehelichung der Beklagten am 3.8.1991 in dieser Wohnung im gemeinsamen Haushalt

gewohnt. Im September 1991 - nach der Beendigung der Hochzeitreise

der Beklagten - verlagerte diese ihren Lebensschwerpunkt von der

aufgekündigten Wohnung in die Ehewohnung mit der Absicht, den gemeinsamen Haushalt mit ihrem Bruder in der aufgekündigten Wohnung nicht wieder aufzunehmen. Ab diesem Zeitpunkt nächtigte die Beklagte in der aufgekündigten Wohnung in einem bis dahin von Untermietern benützten kleineren Zimmer, wo sie auch ihre restlichen persönlichen Gegenstände aufbewahrte, nur noch dann, wenn ihr Ehemann ein in Ausbildung stehender Facharzt, dem Umfang nach näher beschriebene Nachtdienste zu absolvieren hatte oder dienstlich oder auf Grund eines Urlaubes von der Ehewohnung abwesend war. Die Beklagte absolvierte ab 4.9.1991 ihr Probejahr als Unterrichtspraktikantin an einem Grazer Gymnasium und kam an Unterrichtstagen regelmäßig nach Unterrichtsende in die aufgekündigte Wohnung, aß hier zu Mittag und verbrachte an solchen Tagen zwischen zwei und vier Stunden am Nachmittag in der aufgekündigten Wohnung, ehe sie, angepaßt an das Dienstende ihres Ehegatten, in die Ehewohnung zurückkehrte.

Am 14.11.1992 richteten die Beklagte und ihr Bruder ein Schreiben an den Hausverwalter, in dem mitgeteilt wurde, daß die Beklagte mit Ende des Monats November die gemeinsame Wohnung verlasse und die Hauptmietrechte an ihren Bruder abtrete. Ende November 1992 hatte sich nämlich die Beklagte mit ihrem Bruder über die Ablöse von in der aufgekündigten Wohnung zurückgelassenen Gegenständen geeinigt und ihre restlichen Fahrnisse in die Ehewohnung gebracht. Seit diesem Zeitpunkt benützt die Beklagte weder ein Zimmer in der aufgekündigten Wohnung noch hat sie einen Schlüssel zu dieser Wohnung.

Rechtlich erachtete das Erstgericht den Kündigungstatbestand des §

30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG für erfüllt, weil im Zeitpunkt des

Verlassens der Wohnung (November 1992) zwischen der Beklagten und

ihrem Bruder kein gemeinsamer Haushalt mehr bestanden habe und daher

die Voraussetzungen für eine wirksame Abtretung der Mietrechte nach §

12 Abs 1 MRG nicht erfüllt gewesen seien. Der Einwand der

mangelnden Passivlegitimation gehe daher ins Leere.

Der Bruder der Beklagten sei auch keine eintrittsberechtigte Person

im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG iVm § 14 Abs 3 MRG, weil

er im maßgeblichen Zeitpunkt der Weitergabe der Wohnung (Ende

November 1992) nicht im gemeinsamen Haushalt mit seiner Schwester in

der aufgekündigten Wohnung gelebt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes aus den von diesem genannten Gründen und sprach aus, daß die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß die Aufkündigung aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellte die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragte in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

a) Zur Zulässigkeit:

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage der Verwirklichung des

Kündigungstatbestandes nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG bei einem

Sachverhalt wie dem hier gegebenen eine divergierende Rechtsprechung

besteht (SZ 62/200 gegen MietSlg 37.421).

Darüber hinaus fehlt eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob der genannte Kündigungstatbestand dann erfüllt ist, wenn keine gänzliche Gebrauchsüberlassung im Sinne der Entscheidung SZ 62/200 erfolgte, sondern wenn die Mieterin die Wohnung teilweise

- neben ihrem Bruder - weiterbenützte und diesem die Mietrechte erst geraume Zeit nach Beendigung des gemeinsamen Haushaltes übertragen wollte und die Wohnung selbst jedenfalls erst dann tatsächlich überlassen hat.

b) Zur Sachentscheidung:

Die Mietrechtsabtretung an den Bruder der Beklagten wäre möglich, wenn die Geschwister mindestens die letzten fünf Jahre im gemeinsamen Haushalt in der aufgekündigten Wohnung gelebt hätten (§ 12 Abs 1 erster Satz MRG). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil nach den Feststellungen der gemeinsame Haushalt der Beklagten mit ihrem Bruder schon früher, nämlich ab Eheschließung der Beklagten aufgehoben wurde.

Nach § 12 Abs 1 zweiter Satz MRG ist es dem mehrjährigen

Aufenthalt in der Wohnung gleichzuhalten, wenn der Angehörige diese

Wohnung seinerzeit mit dem bisherigen Mieter bezogen hat. In diesem

Fall hätte die Beklagte bei Verlassen der Wohnung ihre

Hauptmietrechte ebenfalls - und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer

des gemeinsamen Haushaltes mit ihrem Bruder - an diesen abtreten

dürfen. Diese Gesetzesbestimmung kann jedoch nicht bedeuten, daß

jeder Hauptmieter, der die Wohnung gemeinsam mit einem nahen

Angehörigen - hier die Beklagte mit ihrem Bruder - bezog, zu

jedem beliebigen späteren Zeitpunkt ohne Rücksicht auf das

Weiterbestehen des gemeinsamen Haushaltes (bis zum Verlassen der

Wohnung) die Hauptmietrechte wirksam abtreten kann also selbst dann,

wenn der gemeinsame Haushalt nur ganz kurz gedauert und die

Geschwister später jahrelang, jedoch ohne gemeinsame

Haushaltsführung, in der betreffenden Wohnung gelebt hätten. Die

Bestimmung des § 12 Abs 1 zweiter Satz MRG soll nämlich nur die

Abtretung des Hauptmietrechtes bei kürzerer Dauer des gemeinsamen

Haushaltes als fünf Jahre schon bei früherem Verlassen der Wohnung

durch den Hauptmieter ermöglichen, also nur dann, wenn der gemeinsame

Haushalt im Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung bestand

(Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19 § 12 MRG Rz 9) und der

Hauptmieter zu diesem Zeitpunkt die Hauptmietrechte kraft

rechtsgeschäftlicher Willenseinigung mit dem Angehörigen diesem

überläßt. Dies ist nach dem festgestellten Sachverhalt nicht der

Fall, weil die Beklagte die aufgekündigte Wohnung bewußt - nämlich

mangels finanzieller Einigung mit ihrem Bruder - bei Aufgabe des

gemeinsamen Haushaltes mit diesem nicht verließ und sie diesem schon gar nicht überließ, sondern weiterhin regelmäßig benützte.

Nach dem bisher Gesagten ist daher die Beklagte für die Kündigung passiv legitimiert, weil eine Mietrechtsabtretung nach § 12 MRG nicht gegeben ist.

Es bleibt also noch zu prüfen, ob der festgestellte Sachverhalt

unabhängig von der mangelnden Mietrechtsabtretung an den Bruder der

Beklagten eine Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG ausschließt,

und zwar insbesondere im Hinblick auf die in der Entscheidung SZ

62/200 unter Ablehnung zum Teil davon abweichender früherer

Rechtsprechung (MietSlg 37.421) ausgesprochenen Grundsätze. Der

erkennende Senat hat hiezu folgendes erwogen:

Es besteht kein Anlaß, davon abzugehen, daß auch eine ohne

Mietrechtsabtretung nach § 12 Abs 1 MRG erfolgte

Gebrauchsüberlassung der Mietwohnung an einen eintrittsberechtigten

Angehörigen nicht den Kündigungsgrund der gänzlichen Weitergabe

darstellt (SZ 62/200). Unter eintrittsberechtigten Personen versteht

die Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 4 MRG den in § 14 Abs 3 MRG

umschriebenen Personenkreis, dessen Mitglieder im Falle des Todes des

Hauptmieters im Zeitpunkt der Überlassung der Wohnung mit diesem im

gemeinsamen Haushalt lebten. Nach dem festgestellten Sachverhalt war

jedoch der gemeinsame Haushalt zwischen der Beklagten und ihrem

Bruder zum Zeitpunkt der von ihr gewollten Überlassung der Wohnung

schon längst aufgehoben. Insofern unterscheidet sich der hier

festgestellte Sachverhalt von demjenigen, welcher der Entscheidung SZ

62/200 zugrundelag. Dort erfolgte nämlich die Gebrauchsüberlassung

gleichzeitig mit der Aufgabe des gemeinsamen Haushalts und es wurde

in der letztgenannten Entscheidung nicht als schädlich angesehen, daß

die Hauptmieter nach Gebrauchsüberlassung - eine

Mietrechtsabtretung wurde dort ja nicht angenommen - die Wohnung

noch gelegentlich aus familiären Gründen benützten. In der hier zu

beurteilenden Rechtssache hingegen hat die Beklagte auch die

Gebrauchsüberlassung an ihren Bruder bewußt hinausgeschoben. Sie hat

lediglich nach ihrer Eheschließung den gemeinsamen Haushalt mit ihm

aufgegeben. Daraus folgt, daß im Zeitpunkt der gänzlichen

Gebrauchsüberlassung der Bruder der Beklagten nicht mehr zum Kreis

der eintrittsberechtigten Personen im Sinne des § 14 Abs 3 MRG

als Voraussetzung für den Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit nach §

30 Abs 2 Z 4 MRG gehörte.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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