OGH 15Os58/95(15Os59/95)

OGH15Os58/95(15Os59/95)22.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Juni 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Radichevich als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Norbert S***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Leoben vom 11.Jänner 1995, GZ 19 Vr 778/94-71, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerrufsbeschluß gemäß § 494 a StPO vom gleichen Tage, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Tiegs, des Angeklagten S***** und des Verteidigers Dr.Bartl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlaß wird gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage IV und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch D des Urteilssatzes (wegen des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses gemäß § 212 Abs 1 StGB), demzufolge im Strafausspruch einschließlich der Entscheidung über die Anrechnung der Vorhaft, in der Anordnung der Unterbringung des Norbert S***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB sowie der gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßte Widerrufsbeschluß aufgehoben und gemäß §§ 288 Abs 3, 344 StPO in der Sache selbst erkannt:

Norbert S***** wird für die ihm weiterhin zur Last fallenden Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A des Urteilssatzes), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (B des Urteilssatzes) sowie der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C des Urteilssatzes) nach § 75 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 (fünfzehn) Jahren verurteilt.

Gemäß § 21 Abs 2 StGB wird die Unterbringung des Norbert S***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Gemäß § 38 Abs 1 StPO wird die Vorhaft vom 14.August 1994, 1,30 Uhr, bis 22.Juni 1995, 10 Uhr, auf die Strafe angerechnet.

Der Antrag des öffentlichen Anklägers auf Widerruf der bedingten Nachsicht der über Norbert S***** mit Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 2.September 1991, AZ 4 U 287/91, verhängten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 200 S wird abgewiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf obige Entscheidung verwiesen.

Gemäß §§ 390 a, 344 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Norbert S***** der Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (B), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C) sowie des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (D) schuldig erkannt.

Darnach hat er am 13.August 1994 in Bruck an der Mur den am 9.August 1990 geborenen Franz B*****, den außerehelichen Sohn seiner Lebensgefährtin,

(zu A) durch massive Faustschläge gegen Kopf und Körper vorsätzlich zu töten versucht;

(zu B) mit schwerer, gegen ihn gerichteter Gewalt, indem er Schläge mit der flachen Hand und der geballten Faust gegen dessen Kopf führte, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich der analen Penetration, genötigt;

(zu C) durch versuchtes Einführen seines erigierten Gliedes in den After des Kindes und Quetschen des Penis des Knaben, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht;

(zu D) durch die zu C beschriebene Tathandlung sein Stiefkind (§ 72 Abs 2 StGB) zur Unzucht mißbraucht.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellten Hauptfragen I (nach dem Verbrechen des versuchten Mordes), II (nach dem Verbrechen der Vergewaltigung), III (nach dem Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen) und IV (nach dem Vergehen des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses) jeweils stimmeneinhellig bejaht; gleichfalls stimmeneinhellig wurden die an diese Hauptfragen geknüpften Zusatzfragen 2, 11, 17 und 23 wegen Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB sowie - unnotwendigerweise - die auf das Vergehen der selbstverschuldeten vollen Berauschung nach dem § 287 Abs 1 StGB lautenden Eventualfragen 3, 12, 18 und 24 verneint.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf § 345 Abs 1 Z 5, 8, 9 und 10 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Einen seine Verteidigungsrechte beeinträchtigenden Verfahrensmangel (Z 5) erblickt der Beschwerdeführer in der trotz seines Widerspruchs vorgenommenen Verlesung des im Rahmen der Voruntersuchung noch vor Beigebung eines Verteidigers verfaßten gerichtlichen Augenscheinprotokolles (ON 10) sowie der Darstellung einer von den Sicherheitsbehörden angefertigten (Lichtbilder über eine Tatrekonstruktion enthaltenden) Sachverhaltsmappe (ON 25). Überdies wäre entgegen der Bestimmung des § 436 Abs 1 StPO überhaupt keine Voruntersuchung wegen der Einweisung nach § 21 Abs 2 StGB geführt und ein Verteidiger "erst sehr spät" beigegeben worden.

Alle diese Einwände gehen fehl:

Eine Voruntersuchung wurde am 14.August 1994 eingeleitet (S 124/I) und noch an diesem Tag ein psychiatrischer Sachverständiger zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten und zur "Zukunftsprognose", also zu einem auf § 21 StGB abgestellten Thema, bestellt (S 3a vs/I). Außerdem wurde am 24.August 1994 ein Pflichtverteidiger gemäß § 42 Abs 2 StPO bestellt (S 3d/I); über Antrag des Angeklagten wurde sodann am 30.August 1994 ein Verfahrenshilfeverteidiger gemäß § 41 Abs 2 StPO bestellt (S 3d verso/I).

Der in der Hauptverhandlung geäußerte Widerspruch bezog sich nur auf die Verlesung des Protokolls betreffend den Ortsaugenschein ON 10 und auf die Sachverhaltsmappe ON 25 (in der die unter Mitwirkung des Angeklagten vorgenommene Tatrekonstruktion in Lichtbildern festgehalten ist - S 259 ff/I); moniert wurde ausschließlich im Zusammenhang mit dem Ortsaugenschein die mangelnde Beiziehung eines Verteidigers (S 237/II).

Das Unterbleiben einer Durchführung einer - nach dem Gesagten ohnedies durchgeführten - Voruntersuchung oder der Beigebung eines Verteidigers an sich wurde in der Hauptverhandlung nicht gerügt, sodaß es insoweit an einer Legitimation zur Geltendmachung dieser Umstände unter dem Gesichtspunkt des § 345 Abs 1 Z 5 StPO mangelt; eine Ausweitung des Vorbringens erst in der Nichtigkeitsbeschwerde ist unbeachtlich (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 4 E 15, 40, 41).

Unter dem Gesichtspunkt des - nicht namentlich geltend gemachten - Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 4 StPO hinwieder ist darauf zu verweisen, daß Verstöße gegen § 436 (Abs 1 und) Abs 2 StPO iVm § 429 Abs 2 Z 1 StPO nicht mit Nichtigkeit bedroht sind (SSt 58/71).

Das Protokoll über den Augenschein (und die dabei angefertigten Lichtbilder) waren ungeachtet des Umstandes, ob ein Verteidiger beim Ortsaugenschein anwesend war oder nicht, nach der zwingenden Norm des § 252 Abs 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen; sie durften den Geschworenen nicht vorenthalten werden (RZ 1976/118 = LSK 1976/239; 14 Os 99/89).

Demnach sei nur noch am Rande darauf verwiesen, daß der Angeklagte anläßlich seiner wenige Stunden vor dem Ortsaugenschein vorgenommenen Vernehmung durch Gendarmeriebeamte ausdrücklich erklärte, keinen Rechtsanwalt zu benötigen (S 21/I), des weiteren vom Untersuchungsrichter in der unmittelbar vor dem Ortsaugenschein (S 136/I) vorgenommenen Vernehmung gemäß § 179 Abs 1 StPO (ua über das Recht, sich vor einer Vernehmung mit einem Verteidiger zu verständigen) belehrt wurde (S 124/I) und sich dennoch freiwillig in die Darstellung der Tatrekonstruktion einließ.

Auch die Ablehnung der vom Beschwerdeführer begehrten Einholung eines weiteren Gutachtens eines mit Lehrbefugnis (§ 126 Abs 2 StPO) ausgestatteten gerichtspsychiatrischen Sachverständigen zur Frage des Grades seiner Abartigkeit und seiner Zurechnungsunfähigkeit (S 235/II) vermochte eine Verkürzung von Verteidigungsrechten nicht herbeizuführen.

Der beigezogene Sachverständige Dr.Z***** stellte nach umfangreicher Befundaufnahme, insbesondere auch nach Vornahme einer Reihe von Testuntersuchungen, aus psychiatrischer Sicht beim Angeklagten eine erheblich abnorme Persönlichkeit mit masochistischen, sadistischen, pädophilen und bisexuellen Zügen fest, die er als geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades wertete; eine, auch alkoholbedingte Zurechnungsunfähigkeit des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt aber verneinte der Sachverständige (S 306, 309/I; 199 ff/II). Der Einwand des Angeklagten, die von diesem Sachverständigen gezogenen (negativen) Schlußfolgerungen in bezug auf seine Persönlichkeit seien nicht nachvollziehbar, ist nicht zielführend. Die Unterlagen über die (standardisierten) Testunterlagen sind den gutächtlichen Ausführungen (ON 34), in denen auch die gewonnenen Ergebnisse erläutert wurden (S 300 ff/I), angeschlossen (S 311 ff/I). Eine darüber hinausgehende, vom Beschwerdeführer vermißte Aufklärung wäre durch Befragung des Sachverständigen zu den einzelnen Testresultaten seitens des Verteidigers möglich gewesen. Die vom Schwurgerichtshof für die Abweisung des Beweisantrages gegebene Begründung, wonach das in Rede stehende Sachverständigengutachten weder mangelhaft noch widerspruchsvoll (im Sinne der §§ 125, 126 Abs 1 StPO) sei (S 237/II), ist zutreffend; die Einholung eines weiteren (psychiatrischen) Gutachtens war daher nicht geboten.

Soweit die Verfahrensrüge erhebliche Widersprüche zwischen den Gutachten der Sachverständigen Dr.Z*****, Dr.L***** und Dr.W***** hinsichtlich des Alkoholisierungsgrades des Angeklagten behauptet, nimmt sie nicht auf das Thema des Beweisantrages Bezug, nach dessen Wortlaut die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen mit widerspruchsvollen Ausführungen der Sachverständigen Dr.Z***** und Dr.W***** zur Frage der Übermüdung und der Homosexualität des Beschwerdeführers begründet wurde (S 235/II). Da bei Prüfung der Beschwerdeberechtigung stets von den bei Antragstellung vorgebrachten Gründen auszugehen ist, sind die in der Beschwerde nachgetragenen Argumente, mit denen eine Mangelhaftigkeit der gutächtlichen Ausführungen zur Frage der Alkoholisierung des Angeklagten dargetan werden sollte, unbeachtlich (erneut Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 4 E 40 f). Außerdem wäre dem Beschwerdeführer darüber hinaus entgegenzuhalten, daß die dem Verfahren beigezogenen gerichtspsychiatrischen Sachverständigen auf Grund des festgestellten Blutalkoholgehaltes, aber auch unter Bedachtnahme auf sein Tatverhalten und seinen psychischen Zustand ("Übermüdung") übereinstimmend das Vorliegen einer vollen Berauschung im Tatzeitpunkt verneint haben (S 306 bis 309/I; 31, 201, 205, 209, 213, 217 ff, 233/II). Diese widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Beurteilungsergebnisse lassen die vom Angeklagten behaupteten Mängel der bezeichneten Gutachten nicht erkennen.

Gleichermaßen versagt die Instruktionsrüge (Z 8), welche moniert, die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung lasse einen ausreichenden Unterschied zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit vermissen; wird doch in der schriftlichen Rechtsbelehrung das Wesen vorsätzlicher Tatbegehung in einer auch für Laien durchaus verständlichen Weise erklärt und ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es für die Annahme bedingt vorsätzlichen Handelns genüge, wenn der Täter die Deliktsverwirklichung ernstlich für möglich gehalten und sich mit dem Erfolgseintritt abgefunden habe (S 285 bis 287/II), wogegen der bewußt fahrlässig handelnde Täter die von ihm für möglich gehaltene Herbeiführung tatbildmäßigen Unrechts nicht wolle (S 289/II).

Abgesehen davon, daß die verschiedenen Spielarten des Vorsatzes ebenso wie jene der (unbewußten und bewußten) Fahrlässigkeit in den in der Rechtsbelehrung wiedergegebenen Gesetzesbestimmungen der §§ 5 und 6 StGB allgemeinverständlich beschrieben sind (vgl 10 Os 86/81, 13 Os 41/80 ua), hat der Schwurgerichtshof damit den Begriff des bedingten Vorsatzes rechtlich einwandfrei erläutert und auch den Unterschied zu einem bloß bewußt fahrlässigen Verhalten zutreffend herausgestellt.

Eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung erblickt der Beschwerdeführer weiters darin, daß den Geschworenen die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit nicht unter Bezugnahme auf die zu beurteilenden Verfahrensergebnisse erklärt worden sei. Zu diesem Vorbringen genügt die Erwiderung, daß Aufgabe der schriftlichen Rechtsbelehrung (bloß) eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf die die Fragen gerichtet sind sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes und eine Klarlegung der Verhältnisse der einzelnen Fragen zueinander sowie der Folgen einer Bejahung oder Verneinung zueinander ist. Nur in der vom Vorsitzenden mit den Geschworenen gemäß § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung sind bei Erörterung der einzelnen Fragen die darin aufgenommenen Gesetzesmerkmale der strafbaren Handlung auf den ihnen zugrundeliegenden Sachverhalt zurückzuführen, die für die Beantwortung der Fragen entscheidenden Tatsachen hervorzuheben und insoweit auch auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung hinzuweisen (Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 8 E 14, 15, 18).

Das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 9 StPO ist durch die - im Anschluß zu erörternde - gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO ergriffene Maßnahme gegenstandslos geworden. Nur am Rande sei der Beschwerdeführer darauf verwiesen, daß dieser Nichtigkeitsgrund nur aus dem (insoweit mängelfreien) Wahrspruch der Geschworenen (S 268/II), nicht aber aus dessen unvollständiger Wiedergabe in der Urteilsausfertigung abgeleitet werden kann (Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 9 E 8 a).

Schließlich versagt auch die Tatsachenrüge (Z 10 a), in welcher der Angeklagte sich gegen die Annahme seiner Zurechnungsfähigkeit wendet und versucht, aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr.L***** und den Bekundungen seiner Lebensgefährtin Annemarie K*****, wonach sie den Beschwerdeführer nach der Tat schlafend vorgefunden hat (S 119/II), eine volle Berauschung im Tatzeitpunkt abzuleiten. Schwerwiegende Zweifel an der Richtigkeit der dem Verdikt zugrundeliegenden Beweiswürdigung der Geschworenen vermag der Angeklagte damit nämlich nicht darzutun: Daß er sich nach Tatverübung am Straßenrand schlafen legte, ist ebenso aktenkundig, wie der Umstand, daß er in der Folge nach dem Genuß weiterer Alkoholmengen (erneut) einschlief (S 83, 95, 115, 150, 213, 225, 282/I). Dieser nach Auffassung des Angeklagten Zurechnungsunfähigkeit infolge Volltrunkenheit indizierenden Verhaltensweise wurde von den gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Dr.Z***** und Dr.W***** bei Beurteilung des Alkoholisierungsgrades nur untergeordnete Bedeutung beigemessen (S 291/I; 31, 199, 209, 233/II). Selbst der zur Stützung der Beschwerdeargumentation namhaft gemachte gerichtsmedizinische Sachverständige Dr.L*****, der das "Einschlafen des Angeklagten am Wirtshaustisch" bei einem Blutalkoholwert von 2 %o als ungewöhnlich erachtete und ein solches Verhalten auch auf eine mögliche Übermüdung zurückführte, beurteilte die Alkoholisierung des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt lediglich als mittel- bis höhergradig (S 147/II); das Vorliegen eines pathologischen Rauschzustandes wurde aber von beiden gerichtspsychiatrischen Sachverständigen in schlüssigen Ausführungen ausdrücklich verneint (S 199, 233/II).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus deren Anlaß überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, daß zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§§ 290 Abs 1, 344 StPO).

Nach gefestigter Rechtsprechung (EvBl 1987/86; 1979/72; Leukauf/Steininger Komm3 § 212 RN 23 mwN) kommt eintätiges Zusammentreffen der Deliktsfälle des § 212 StGB (in denen das Opfer zur Unzucht mißbraucht wird - jeweils erster Fall in Abs 1 und Abs 2 leg cit) mit Sexualdelikten, welche unter Brechung des dem sexuellen Mißbrauch entgegenstehenden Willens begangen wurden, nicht in Betracht.

Nach Lage des Falles ist der Beschwerdeführer mit schwerer gegen sein Opfer gerichteter Gewalt vorgegangen (vgl Schuldspruchfaktum B). Der Widerstandswille des Kindes wurde auch gebrochen, um die im zweiten Teil des Punktes C des Urteilssatzes angeführte Tat zu verüben, die eine schwere Penisverletzung des Kindes zur Folge hatte, was allerdings in einer Fragestellung nach § 207 Abs 2 StGB keinen Niederschlag fand.

Zur letztbezeichneten Tathandlung ist darauf hinzuweisen, daß sie idealkonkurrierend zum Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 StGB auch als Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 (und Abs 2) StGB zu beurteilen gewesen wäre. Dieser im erstinstanzlichen Verfahren schon bei der Fragestellung unterlaufene Fehler, der (nur) im ersten Augenblick zum Vorteil des Angeklagten scheint, ist insoweit aber auch zu seinem Nachteil, als eine Idealkonkurrenz mit Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB zwar bei bloßer Verwirklichung des Tatbestandes des § 207 StGB möglich ist, nicht aber bei Verwirklichung des Tatbestandes des § 202 StGB, soweit es sich um eine Willensbrechung handelt (erneut Leukauf/Steininger aaO § 212 RN 23).

Hat der Angeklagte aber den Widerstand des Kindes bei sämtlichen Sexualakten (durch schwere Gewalt) gebrochen, war nach der oben wiedergegebenen Judikatur eine Idealkonkurrenz der Sexualdelikte mit § 212 Abs 1 erster Fall StGB nicht möglich. Der Schuldspruch wegen des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB war daher unter Kassation des bezüglichen Wahrspruches aus dem Urteil auszuschalten.

Dies hat zwangsläufig eine Aufhebung des Strafausspruches einschließlich der Vorhaftanrechnung, der Anordnung der Unterbringung des Norbert S***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB sowie des gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO ergangenen Widerrufsbeschlusses zur Folge.

Bei der dadurch notwendig gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen dreier Verbrechen, die einschlägigen Vorabstrafungen wegen §§ 83 Abs 1 und 88 Abs 1 StGB und die für das Opfer qualvolle Vorgangsweise, als mildernd hingegen, daß es bezüglich des Mordes beim Versuch geblieben ist, einen (geringen) Beitrag zur Wahrheitsfindung, die Enthemmung zur Tatzeit durch Alkohol und die offenbar angeborene sexuelle Abartigkeit.

Eine Abwägung dieser Strafzumessungsgründe zeigt, daß von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe und demnach vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung keine Rede sein kann. Vielmehr läßt die vom Sachverständigen Dr.Z***** treffend mit "rücksichtslos, brutal, grausam und ohne menschliche gefühlsbewußte Bewegungen" bezeichnete Tatverübung eine Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Jahren durchaus tätergerecht und schuldangemessen erscheinen.

Es liegen aber auch die Voraussetzungen für die Anordnung des Maßnahmenvollzuges gemäß § 21 Abs 2 StGB vor. Denn die Sachverständigen Dr.Z***** und Dr.W***** haben übereinstimmend und mängelfrei aufgezeigt, daß mit großer Wahrscheinlichkeit zu befürchten sei, daß der Angeklagte, der, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad Taten beging, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, in Zukunft unter dem Einfluß dieser geistig-seelischen Abnormität höheren Grades Verhaltensweisen wie bisher, die zu Mord und Totschlag führen können, verüben könnte (S 201 und 215/II).

Nicht berechtigt ist hingegen der Widerrufsantrag (§ 294 a StPO) des öffentlichen Anklägers. Norbert S***** war mit Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 2.September 1991, AZ 7 U 297/91, wegen (des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach) § 88 Abs 1 StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 200 S verurteilt worden; die Probezeit war vom Bezirksgericht Bruck an der Mur zum AZ 4 U 557/93 am 27.Mai 1994 auf fünf Jahre verlängert worden. Nunmehr wurde er wegen während der verlängerten Probezeit begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Jahren verurteilt. Der Vollzug dieser langjährigen Freiheitsstrafe erzeugt nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes eine derart spezialpräventive Wirkung, daß der Widerruf der bedingt nachgesehenen, wegen eines Verkehrsunfalles verhängten Geldstrafe zusätzlich zu jener nicht geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 StGB).

Die Entscheidungen über die Anrechnung der Vorhaft sowie über den Kostenersatz gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

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