Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben, die angefochtene Entscheidung aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung zu treffen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Text
Begründung
Die beklagte Partei war am 29.7.1992 die Kaskoversicherin des für die beklagte Partei zugelassenen PKWs mit dem polizeilichen Kennzeichen ***** Marke Mercedes Benz 230 CE. Diese Versicherung wurde zugunsten der Eigentümerin und Leasinggeberin dieses Fahrzeuges, der L*****, vinkuliert. Letztere hat die gegenständliche Schadenersatzforderung der klagenden Partei abgetreten. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeugkollisionskaskoversicherung (KKB 1986) sowie die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeugkaskoversicherung und Fahrzeuginsassenunfallversicherung (AFIB 1986) zugrunde. Am 17.2.1992 gegen 18,45 Uhr lenkte Josef R*****, der Geschäftsführer der Klägerin, dieses Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h außerhalb des Ortsgebietes auf der Landesstraße von K***** Richtung G*****. In einer leichten Rechtskurve vor G***** läutete das mit einer Freisprecheinrichtung im PKW installierte Autotelefon. Um die Verbindung herzustellen, wollte Josef R***** einen Knopf drücken, welcher unmittelbar neben dem Schalthebel liegt. Dabei schaute er einen Moment von der Straße weg und geriet (dabei) mit dem Klagsfahrzeug auf das Bankett und in der Folge auf den Straßengraben. Der PKW beschädigte dabei einen Vermessungsstein der Post und drei Straßenleitpflöcke, bis er (nach 200 m Fahrt neben der Fahrbahn) zum Stillstand kam. R***** meldete den Unfall unter Angabe der Beschädigung der Straßenleitpflöcke sowohl der Gendarmerie als auch der Straßenverwaltung und verständigte am Folgetag die beklagte Partei. Durch den Unfall entstand am PKW der Klägerin ein Schaden von S 195.660,84 incl. USt.
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei die Bezahlung von S 185.877,80 sA. Der Unfall sei nur auf eine geringfügige Unachtsamkeit des Lenkers beim Hantieren mit dem Autotelefon zurückzuführen.
Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete Leistungsfreiheit zufolge grob fahrlässiger Verursachung des Unfalles durch den Geschäftsführer der klagenden Partei ein. Die Leasinggeberin und nicht die Klägerin wäre zur Geltendmachung der gegenständlichen Forderung aktiv legitimiert.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte rechtlich, daß das Betätigen eines Autotelefons während der Fahrt nicht gegen die im Versicherungsvertrag vereinbarten Obliegenheiten verstoße. Der bloße Griff zu einem neben dem Schalthebel befindlichen Knopf, um eine Freisprecheinrichtung zu aktivieren, stelle für sich keine Erhöhung der allgemeinen (Betriebs-)Gefahr beim Autofahren dar, welche in zumutbarer Weise zu vermeiden wäre. Besondere gefahrerhöhende Momente, die der Entgegennahme des Telefonates möglicherweise entgegenstanden, seien nicht vorgelegen.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Revision für zulässig. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß dem das Fahrzeug lenkenden Geschäftsführer der Klägerin nur ein Aufmerksamkeitsfehler durch ein kurzes Hinwenden des Kopfes zum Knopf neben dem Schalthebel unterlaufen sei. Dies stelle noch keine schwerwiegende Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung während einer Situation dar, die die Aufmerksamkeit des Lenkers in besonderer Weise erfordert hätte. Der vorliegende Fall ließe sich nicht mit jenen, die bisher in der Rechtsprechung zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit oder einer Obliegenheitsverletzung geführt hätten, vergleichen. Die Erklärung der L*****, der Klägerin sämtliche Ansprüche aus dem gegenständlichen Schadensfall abzutreten, sei rechtlich als Verzicht auf die Vinkulierung und der sich daraus ableitenden Rechtsfolgen zu werten. Die Klägerin sei daher aktiv klagslegitimiert.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Partei erhobene Revision gegen dieses Urteil ist berechtigt.
Was unter der im Gesetz unbekannten Rechtsfigur der "Vinkulierung" zu verstehen ist, ist primär der Parteienvereinbarung zu entnehmen. In der Lehre wird die Vinkulierung teils als schlichte Zahlungssperre zugunsten des Vinkulargläubigers, teils als Verpfändung oder Sicherungszession des Anspruches beurteilt (vgl Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 284 ff mwN). Der Oberste Gerichtshof vertritt in herrschender Rechtsprechung die Ansicht, die Vinkulierungsvereinbarung sei nur eine "Sperre des Versicherungsvertrages" mit der Wirkung, daß die Auszahlung der Versicherungssumme an den Versicherungsnehmer nur mit Zustimmung des Vinkulargläubigers erfolgen kann (in diesem Sinne auch Fenyves, in ÖBA 1991, 13 ff). Schinnerer-Avancini (Bankverträge3 II, 195) folgen dieser Rechtsprechung und vertreten überdies die Ansicht, daß durch die Vinkulierung keine Sicherungsübereignung besonderer Art, sondern eine Anweisung begründet werde. Selbst wenn dies aber dem Parteiwillen entsprechen sollte, wäre dann immer noch die Causa des Valutaverhältnisses zu klären; diese liegt aber in der Kreditbesicherung. Schinnerer-Avancini gestehen im übrigen zu, daß durch die Vinkulierung für die begünstigten Gläubiger die Rechtsstellung des Hypothekargläubigers iSd §§ 100 ff VersVG nachgebildet werden soll (vgl 7 Ob 11/93 mwN).
Die Ausführungen des Berufungsgerichtes, daß die Leasinggeberin als Eigentümerin des Fahrzeuges der klagenden Partei sämtliche Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Schadensfall "abgetreten" hat, ist als ergänzende Feststellung aufgrund einer von der beklagten Partei hinsichtlich ihrer Richtigkeit nicht bestrittenen Urkunde zu werten. Die unterlassene Beschlußfassung über eine derartige Beweisergänzung wird von der beklagten Partei nicht als Verfahrensmangel gerügt. Wie das Berufungsgericht rechtlich richtig erkannt hat, kann eine derartige Erklärung aber nicht anders aufgefaßt werden, als daß der Leasinggeber als Eigentümer auf die mit der Vinkulierung verbundenen Rechtsvorteile zugunsten des Leasingnehmers verzichtet. Die Aktivlegitimation der klagenden Partei ist daher gegeben.
Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG setzt ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wußte oder wissen mußte, daß es geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalles oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern. Die Sorgfaltsverletzung muß sich erheblich und ungewöhnlich vom Regelfall abheben, sodaß der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar und der Sorgfaltsverstoß bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles auch subjektiv schwer vorzuwerfen ist (vgl zuletzt 7 Ob 21/94 = VersR 1994, 1092 mwN). Die Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist nur an Hand der Umstände des Einzelfalles möglich. In der Rechtsprechung wurden die Grenzen für die Annahme grober Fahrlässigkeit eng gezogen. Es sei stets zu überlegen, daß bei einer Konzentration erfordernden Dauertätigkeit wie dem Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr auch einem sorgfältigen Kraftfahrer gelegentlich aus einem Augenblicksversagen heraus ein "Ausrutscher" unterlaufen kann, der das Verdikt "grobe Fahrlässigkeit" nicht verdient (vgl VersR 1989, 582, VersR 1971, 1075). Grobe Fahrlässigkeit wurde angenommen, wenn sich der Lenker während der Fahrt nach einem am Autofußboden liegenden Gegenstand bückt, am Sendersuchlauf seines Autoradios hantiert oder an einem Kassettenrekorder hantiert, und während dieser Suchhandlungen den Blick von der Fahrbahn abwendet (vgl die zusammengefaßte Rechtsprechung in Schauer aaO, 317 FN 13). All dem steht nicht entgegen, daß auch eine Summierung von für sich allein betrachtet leichten Fahrlässigkeiten zur Annahme grober Fahrlässigkeit dann führen kann, wenn ihr Zusammenwirken die Destabilisierung des Fahrverhaltens in einer Weise herbeiführt, daß sich der Lenker klar sein muß, er gehe ein nicht kalkulierbares Risiko ein.
Ob der Umstand, daß der Lenker des Klagsfahrzeuges während der Fahrt auf einer Landesstraße in einer leichten Rechtskurve mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h auf einen Knopf neben dem Schalthebel zu drücken versuchte, um eine Fernsprechverbindung des mit einer Freisprecheinrichtung versehenen Autotelefons herzustellen, wobei er "einen Moment" von der Straße wegschaute, als leichte Fahrlässigkeit oder aber durch die Summierung mehrerer für sich allein leichter Fahrlässigkeiten als grobe Fahrlässigkeit anzusehen ist, bedarf ergänzender Erhebungen. Es fehlen insbesondere jegliche Feststellungen über die Beschaffenheit der Landesstraße an der Unfallstelle, wie die Breite der Fahrbahn, den Radius der durchfahrenen Kurve, die Sichtverhältnisse und die Fahrbahnbeschaffenheit, um die Angemessenheit der von Josef R***** eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit einerseits unter Berücksichtigung der Fahrbahnverhältnisse an sich, andererseits aber unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes beurteilen zu können, daß der Lenker des Klagsfahrzeuges unter den gegebenen Bedingungen "einen Moment" von der Straße wegschaute, um einen Knopf zur Herstellung der Fernsprechverbindung zu drücken; festzustellen wird auch die mutmaßliche Dauer dieses "Moments" und die Wegstrecke sein, die das Fahrzeug in jenem Zeitraum zurücklegte. Es ist keine Frage, daß schon das Abwenden des Blickes von der Fahrbahn, um einen Knopf zu suchen, in der Regel - das Vorliegen günstiger Umstände ausgenommen - als (leichte) Fahrlässigkeit zu werten ist.
Erst nach Vorliegen dieser Feststellungen wird beurteilt werden können, ob dem Lenker des Fahrzeuges der Klägerin kein über eine leichte Fahrlässigkeit hinausgehender Vorwurf gemacht werden kann.
Der Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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