OGH 11Os62/95(11Os63/95)

OGH11Os62/95(11Os63/95)30.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Mai 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Mayrhofer, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Svatek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wolfgang G***** wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. Februar 1994, GZ 13 Ns 13/90-14, und einen davorgelegenen Vorgang des Landesgerichtes St.Pölten im Verfahren zum AZ 18 Vr 725/92, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, des Verurteilten und des Verteidigers Dr.Weinl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz wurde verletzt

1. dadurch, daß im Verfahren zum AZ 18 Vr 725/92 des Landesgerichtes St.Pölten nach der Beschlußfassung vom 11.November 1992, ON 56, und vom 2.Dezember 1993, ON 77, auf Widerruf der dem Wolfgang G***** gnadenweise gewährten bedingten Strafnachsicht die unverzügliche Verständigung des Landesgerichtes Klagenfurt zum AZ 13 E Vr 454/89 unterblieb, in der Bestimmung des §§ 494 a Abs 8 StPO aF (= § 494 a Abs 7 StPO nF);

2. durch den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22.Februar 1994, GZ 13 Ns 13/90-14, womit die dem Verurteilten Wolfgang G***** gnadenweise gewährte bedingte Strafrestnachsicht zum Verfahren AZ 13

E Vr 454/89 dieses Gerichtes für endgültig erklärt wurde, in dem sich aus den Vorschriften des XX.Hauptstückes der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Der zu Punkt 2 bezeichnete Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Wolfgang G***** wurde nach teilweiser Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen in der Justizanstalt Hirtenberg, darunter der mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 17.November 1988, GZ 6 E Vr 1566/88-22, über ihn wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB verhängten Freiheitsstrafe von sieben Monaten (deren bedingte Nachsicht zufolge des gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO am 14.März 1990 ergangenen - rechtskräftigen - Beschlusses des Landesgerichtes Klagenfurt, GZ 13 E Vr 454/89-43, widerrufen worden war) durch Entschließung des Bundespräsidenten vom 12.Dezember 1990, Erlaß des BMfJ Zl 4718/100-IV 5/90, ("Weihnachtsbegnadigung 1990") am 18.Dezember 1990 bei einem (in bezug auf das erwähnte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) offenen Strafrest von fünf Monaten und sechzehn Tagen "mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht (§ 43 StGB)" unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt begnadigt (179 b dA 6 E Vr 1566/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz bzw ON 9 und 10 dA 13 Ns 13/90 des Landesgerichtes Klagenfurt).

In der Folge wurde Wolfgang G***** wegen während dieser (im Dezember 1990 beginnenden) Probezeit begangener Straftaten, nämlich des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und 2, 130 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB, mit dem Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 11.November 1992, GZ 18 Vr 725/92-56, in der Fassung der nach teilweiser Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Angeklagten ergangenen Entscheidung dieses Gerichtes vom 2.Dezember 1993, GZ 18 Vr 725/92-77, zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die derzeit vollzogen wird. Anläßlich der letztgenannten Entscheidung wurde (nach Aufhebung des Strafausspruchs vom 11.November 1992 erneut) der Widerruf der "bedingten Begnadigung" (ua) in bezug auf den Strafrest von fünf Monaten und sechzehn Tagen zum Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 17.November 1988 ausgesprochen. Auch im wiederaufgenommenen Verfahren sind Urteil und Widerrufsbeschluß - nach Rückziehung der zunächst vom Angeklagten dagegen angemeldeten Berufung (ON 78 und 80 dA 18 Vr 725/92 des Landesgerichtes St.Pölten) - am 27.Jänner 1994 in Rechtskraft erwachsen.

Zwar wurde das Landesgericht für Strafsachen Graz vom Widerruf der gnadenweisen bedingten Strafnachsicht zufolge der Verfügung des Landesgerichtes St.Pölten vom 30.November 1992 verständigt (vgl Punkt 5 der Endverfügung ON 58 dA 18 Vr 725/92 des Landesgerichtes St.Pölten bzw 179 d dA 6 E Vr 1566/88 des Landesgerichtes für Strafachen Graz), nicht aber das Landesgericht Klagenfurt zum AZ 13 E

Vr 454/89.

Das Landesgericht Klagenfurt sprach sodann über Antrag der Staatsanwaltschaft mit (formell rechtskräftigem) Beschluß vom 22. Februar 1994 in Unkenntnis der vorangegangenen Widerrufsentscheidung des Landesgerichtes St.Pölten aus, daß die (gnadenweise) bedingte Nachsicht des Strafrestes von fünf Monaten und sechzehn Tagen zum Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22.November 1988 endgültig nachgesehen sei (35 iVm ON 14 dA 13 Ns 13/90 des Landesgerichtes Klagenfurt). Auch aus der vor der Entscheidung eingeholten Strafregisterauskunft vom 7.Februar 1994 waren nämlich die gegen Wolfgang G***** vom Landesgericht St.Pölten getroffenen Entscheidungen nicht ersichtlich (ON 13 dA 13 Ns 13/90 des Landesgerichtes Klagenfurt), obwohl die entsprechende Verständigung des Strafregisteramtes vom Landesgericht St.Pölten nach dem Inhalt der Endverfügung bereits am 30.November 1992 (abgefertigt am 2.Dezember 1992) angeordnet worden war (Punkt 2 der Endverfügung ON 58 dA 18 Vr 725/92 des Landesgerichtes St.Pölten; s. in diesem Akt auch 399/IV).

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde auf, daß der wiedergegebene Vorgang und der zuletzt zitierte Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22.Februar 1994, GZ 13 Ns 13/90-14, mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen:

Zwar ist gemäß § 512 Abs 2 StPO (vgl Foregger-Kodek, MKK6, Erl I zu dieser Gesetzesstelle) - das Gericht, das in erster Instanz erkannt hat, durch den Vorsitzenden/Einzelrichter zur Überwachung der Probezeit der gnadenweise gewährten bedingten Strafnachsicht und zur Beschlußfassung über die endgültige Strafnachsicht zuständig. Voraussetzung für letztere Entscheidung ist allerdings das Unterbleiben des Widerrufs (§ 48 Abs 3 StGB). Ist es hingegen zum Widerrufsbeschluß - dessen Fassung auch bei Vorliegen des Widerrufsgrundes nach § 53 Abs 1 StGB auch bei gnadenweiser bedingter Strafnachsicht dem in § 494 a Abs 1 StPO angeführten Gericht in der Regel (s. jedoch insbes Abs 2 leg cit) zusteht (vgl zur insoweit durch BGBl 1993/816 nicht geänderten Rechtslage AB 1329 BlgNR 18.GP, 2) - gekommen, dann verletzt eine später dennoch erfolgte endgültige Strafnachsicht im (hier gegebenen) Fall der Entscheidung nach Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses jedenfalls den aus dem XX.Hauptstück der StPO hervorgehenden Grundsatz der Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Die dem Landesgericht Klagenfurt nach der Aktenlage unterlaufene Gesetzesverletzung war durch die Unterlassung des Landesgerichtes St.Pölten bedingt, entsprechend der Vorschrift des § 494 a Abs 8 StPO idF vor Inkrafttreten des StPÄG 1993, BGBl 526 bzw § 494 a Abs 7 StPO nF das Landesgericht Klagenfurt von der Widerrufsentscheidung unverzüglich zu verständigen.

Der (Feststellungs-)Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. Februar 1994 konnte allerdings den schon zu einem früheren Zeitpunkt durch das zuständige Landesgericht St.Pölten beschlossenen und in Rechtskraft erwachsenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht weder beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen; die konstitutive Wirkung des vorangegangenen (Widerrufs-)Beschlusses blieb vielmehr hievon unberührt. Da somit der Beschluß vom 22.Februar 1994 keinerlei Rechtswirkung entfalten konnte, war er - ohne daß damit ein Nachteil für den Verurteilten verbunden wäre - durch Aufhebung zu beseitigen (vgl swN Leukauf-Steininger StGB3 § 48 RN 6). Die Abweisung des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Antrages der Anklagebehörde erübrigt sich, weil der Antrag nicht mehr aufrecht ist (ON 17 dA 13 Ns 13/90 des Landesgerichtes Klagenfurt).

In Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher die Gesetzesverletzung festzustellen und im übrigen spruchgemäß zu erkennen.

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