OGH 9ObA53/95

OGH9ObA53/9510.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Ernst Viehberger und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Renate H*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei *****F***** Handelsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Rainer H.Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Entlassung (Streitwert S 76.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.November 1994, GZ 33 Ra 120/94-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. April 1994, GZ 3 Cga 24/94-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die von der beklagten Partei am 18.1.1994 ausgesprochene Entlassung der Klägerin werde für unwirksam erklärt, abgewiesen wird.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1.9.1970 bei der beklagten Partei als Verkäuferin beschäftigt. Sie hatte Zugang zu den Waren, zur Kasse und ihr Aufgabenbereich umfaßte auch das Inkasso. Am 18.1.1994 wurde sie entlassen.

Mit der Behauptung, ihre Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, begehrt sie mit der vorliegenden Klage, die Entlassung im Sinne der §§ 106, 105 Abs 3 ArbVG für unwirksam zu erklären. Der Verlust ihres Arbeitsplatzes sei mit einer sozialen Härte verbunden, weil sie im 42.Lebensjahr stehe und gemeinsam mit ihrem Gatten für eine 12-jährige Tochter zu sorgen habe.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Entlassung sei zu Recht ausgesprochen worden, weil die Klägerin in dem im selben Gebäude befindlichen und mit der beklagten Partei gesellschaftsrechtlich verflochtenen K*****-Markt einen Ladendiebstahl begangen habe.

Das Erstgericht wies das Begehren, die Entlassung für unwirksam zu erklären, ab, sprach aber aus, daß die Auflösungserklärung der beklagten Partei die rechtlichen Wirkungen einer Dienstgeberkündigung habe. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die beklagte Partei betreibt in Wiener Neustadt ein Warenhaus, in dem verschiedene Waren angeboten, aber keine Lebensmittel verkauft werden. Im selben Haus befinden sich im Parterre eine Lebensmittelfiliale der K***** reg.GenmbH. Die beklagte Partei war bis 31.12.1991 eine 100 %ige Tochtergesellschaft dieser Genossenschaft. Mit 1.1.1992 wurde die beklagte Partei in die weitere 100 %ige Tochtergesellschaft der Genossenschaft, nämlich in die A. ***** Kaufhaus AG eingebracht. Bis dahin war die Personalverwaltung der beklagten Partei von der K***** reg.GenmbH geführt worden. Arbeitnehmer der beklagten Partei haben zu den Betrieben und Arbeitnehmern der K***** reg.GenmbH einen "näheren Konnex" und verstehen sich grundsätzlich als Kollegen. Sie erhalten in allen K*****-Märkten und K*****-Filialen der K***** reg.GenmbH den Personalrabatt, den auch die Angestellten der Genossenschaft erhalten.

Am 15.1.1994 tätigte die Klägerin in der Lebensmittelfiliale verschiedene Einkäufe. Sie nahm die Waren aus den Regalen und legte sie in den Einkaufswagen. Darunter waren Wurst im Wert von S 43,80, Würstel im Wert von S 36,- und Fleisch im Wert von S 66,50. Hierauf ging sie zwischen zwei eher abseits gelegene Regalreihen (Nebengang) und packte Wurst, Würstel und Fleisch in eine mitgebrachte Leinentasche, die sie verschloß. Bei dieser Tätigkeit wurde sie über eine Videokamera von der Filialleiterin und Kassierin beobachtet. An der Kasse deklarierte sie die von ihr in der Tasche verpackten Waren nicht. Nach der Bezahlung der deklarierten Waren und nach der Entgegennahme des Retourgeldes wurde die Klägerin von der Kassierin aufgefordert, die im Einkaufswagen befindliche Tasche zu öffnen. Ihr Versuch, die Fleischwaren ohne zu zahlen aus dem Geschäft zu entfernen, wurde dabei entdeckt. Die Filialleiterin erstattete eine Anzeige, die zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung der Klägerin wegen versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) von Waren in Wert von S 146,30 führte.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin keine Tathandlung gesetzt habe, welche die beklagte Partei benachteilige. Auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Verflechtung der beklagten Partei mit der K***** reg.GenmbH könne das Verhalten der Klägerin nicht als so gravierend angesehen werden, daß der beklagten Partei keine Zusammenarbeit während der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Die Auflösungserklärung sei jedoch als zulässige Kündigung zu werten. Die Klägerin habe als Verkäuferin und Kassierin gearbeitet, habe unmittelbaren Kontakt zu Geld und geldeswerten Waren und auch die Aufgabe gehabt, ihren Dienstgeber vor Warendiebstählen durch Kunden zu bewahren. Durch ihr Verhalten sei das gebotene Mindestmaß an Verläßlichkeit nicht mehr hinreichend gewährleistet. Es seien Umstände in der Person der Klägerin gegeben, wodurch die betrieblichen Interessen der beklagten Partei nachteilig berührt würden; eine Trennung der beklagten Partei von der Klägerin im Wege einer Kündigung erscheine daher absolut angezeigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteige. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, daß sich die von der Klägerin zu verantwortende strafbare Handlung nicht gegen die beklagte Partei gerichtet habe, sondern gegen die im gleichen Gebäude untergebrachte, von der beklagten Partei räumlich und organisatorisch getrennte Lebensmittelfiliale der K***** reg.GenmbH. Bei Würdigung der bisher über 20 Jahre anstandslos erbrachten Arbeitsleistung der Klägerin falle ihr einmaliges Fehlverhalten nicht so ins Gewicht, daß der beklagten Partei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses während der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Entlassungstatbestand des § 27 Z 1 AngG, 3.Fall schließt grundsätzlich auch ein außerdienstliches Verhalten mit ein. Der Entlassungsgrund setzt in diesem Fall voraus, daß sich das Verhalten des Arbeitnehmers auf das Arbeitsverhältnis in einer Weise auswirkt, daß dadurch das dienstliche Vertrauen des Arbeitgebers verloren geht (vgl Kuderna, Entlassungsrecht2 87 mwH). Bei Vorliegen von strafbaren Handlungen ist zu prüfen, ob diese so beschaffen sind, daß dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 611 mwH).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann im vorliegenden Fall die faktische Nähe der K*****-Lebensmittelfiliale zur beklagten Partei trotz der rechtlichen und organisatorischen Selbständigkeit nicht völlig außer acht gelassen werden. Die Arbeitnehmer beider Unternehmen haben einen "näheren Konnex" und verstehen sich grundsätzlich als "Kollegen". Sie erhalten gleichermaßen Personalrabatt. Andererseits war die Klägerin Verkäuferin und genoß als Kassierin eine Vertrauensstellung. Ihre Aufgabe war es unter anderem auch, die beklagte Partei vor Warendiebstählen zu bewahren.

Diese Vertrauensbasis hat sie durch den versuchten Ladendiebstahl in

einem "Schwesterunternehmen" zerstört. Die beklagte Partei konnte

daher zu Recht davon ausgehen, daß auch ihre eigenen dienstlichen

Interessen gefährdet sind; ihr wäre nicht zuzumuten gewesen, mit der

Entlassung zuzuwarten, bis die Klägerin allenfalls einen

Dienstdiebstahl begehen werde (vgl 9 ObA 91/94 = ecolex 1994, 780

= RdW 1995, 27 ua).

Der Ausspruch der Entlassung ist daher gerechtfertigt; die geltend

gemachten Anfechtungsgründe (§ 105 Abs 3 ArbVG) sind nicht mehr

zu prüfen (vgl B.Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/B.Schwarz, ArbVG Bd 3

§ 106 Erl 5).

Eine Kostenentscheidung im Sinne des § 58 Abs 1 ASGG entfällt,

weil die obsiegende beklagte Partei Kosten nicht verzeichnete. Die unterlegene Klägerin hat keinen Ersatzanspruch.

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