OGH 6Ob559/95

OGH6Ob559/954.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Halil S*****, Metallarbeiter, ***** vertreten durch Dr.Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei mj.Thomas S*****, geboren 7.September 1991, vertreten durch Amt für Jugend und Familie für den 12.Bezirk, dieses vertreten durch Dr.Walter Schuppich, Rechtsanwalt in Wien, wegen Bestreitung der ehelichen Geburt, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 9.November 1993, AZ 47 R 2085/93 (ON 22), womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 8.Juni 1993, GZ 3 C 48/92b-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es lautet:

"Es wird festgestellt, daß der Beklagte Thomas S*****, geboren 7.9.1991, nicht der eheliche Sohn des Klägers Halil S*****, geboren 20.1.1968, ist".

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.073,60 (darin S 905,60 USt und S 640,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 3.655,68 (darin S 609,28 USt) bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der am 29.4.1992 beim Erstgericht überreichten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß der Beklagte nicht sein ehelicher Sohn sei. Er habe dessen Mutter Franziska W***** am 20.8.1991 vor dem Standesamt Wien-Margareten geheiratet. Damals sei diese bereits hochschwanger gewesen. Am 7.9.1991 sei der mj. Thomas geboren worden und gelte daher als eheliches Kind. Der Kläger habe niemals geschlechtliche Beziehungen zur Mutter des Beklagten gehabt, seine Vaterschaft sei daher auszuschließen. Seine Ehe mit der Mutter sei rechtskräftig für nichtig erklärt worden. Es sei bereits ein Verfahren auf Feststellung der außerehelichen Vaterschaft gegen den leiblichen Vater des Kindes anhängig, in welchem ein blutserologisches Gutachten vorliege, daß der dort Beklagte mit 98 % Wahrscheinlichkeit der Vater des mj. Thomas sei.

Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung.

Das Erstgericht wies die Klage unter Zugrundelegung folgender Feststellungen ab:

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, kam am 1.7.1991 nach Österreich. Ein Türke vermittelte die Ehe mit der Mutter des Beklagten Franziska W*****, einer österreichischen Staatsangehörigen. Die Eheschließung sollte ausschließlich dazu dienen, dem Kläger eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung und später auch die österreichische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Die Ehe wurde am 20.8.1991 vor dem Standesamt Margareten geschlossen und mit Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 17.12.1992, 3 C 34/92, rechtskräftig für nichtig erklärt.

Die Mutter des Beklagten war zum Zeitpunkt der Eheschließung hochschwanger, knapp drei Wochen nach der Eheschließung wurde am 7.9.1991 der Beklagte geboren und als eheliches Kind des Klägers in das Geburtenbuch eingetragen.

Der Kläger und die Mutter des Beklagten lernten einander erst kurz vor ihrer Eheschließung kennen. Auch nach der Heirat nahmen sie keine geschlechtlichen Beziehungen auf. Die Parteien hatten nie einen gemeinsamen Wohnsitz oder gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt. Der Kläger war lediglich noch zwei Wochen unter der Anschrift der Mutter des Beklagten gemeldet, dies ausschließlich, um die Voraussetzung einer Visumerteilung zu erfüllen, gewohnt hat er dort nie.

Weder Franziska W***** noch der Kläger beabsichtigten jemals die Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft. Von der Geburt des Kindes erlangte der Kläger ca. zwei bis drei Wochen danach durch Mitteilung eines gemeinsamen türkischen Bekannten Kenntnis. Sowohl der Mutter des Kindes als auch dem Kläger waren die rechtlichen Folgen dieser Geburt während bestehender Ehe nicht bekannt.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesem Sachverhalt, daß nach § 21 IPRG die Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes und deren Bestreitung nach dem Personalstatut zu beurteilen seien, das die Ehegatten zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes, oder wenn die Ehe aufgelöst worden war, im Zeitpunkt der Auflösung gehabt haben. Bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten sei jenes maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger sei.

§ 138 ABGB bestimme ausdrücklich die Geltung der Ehelichkeitsvermutung auch im Falle der nachträglichen Nichtigerklärung der Ehe, wenn nur das Kind zwischen Eheschließung und vor Ablauf des 302.Tages nach Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe geboren werde. Für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Ehe für nichtig erklärt werden könne, sei jenes Recht maßgeblich, nach dessen Voraussetzungen die Ehe geschlossen worden, jedoch dessen sachliche Voraussetzungen dabei nicht eingehalten worden seien. Es sei von einer wirksamen Eheschließung auszugehen, auch wenn diese im nachhinein ex tunc für nichtig erklärt worden sei.

Da die Ehegatten zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verschiedene Personalstatuten gehabt hätten, müsse im Sinne des § 21 letzter Satz IPRG ermittelt werden, welches Personalstatut für die Ehelichkeit des Kindes günstiger sei.

Nach dem Personalstatut der Mutter, also nach österreichischem Recht, sei eine Bestreitung der ehelichen Geburt gemäß § 156 ABGB durch den Ehemann der Mutter binnen Jahresfrist möglich. Diese Frist beginne mit dem Zeitpunkt, in dem der Mann Kenntnis von den Umständen erlange, die an seiner Vaterschaft begründete Zweifel aufkommen lasse, frühestens mit der Geburt. Diese Frist sei bei Klagseinbringung im vorliegenden Fall noch nicht abgelaufen gewesen.

Die im § 21 IPRG ausgesprochene Verweisung, auch auf türkisches Recht, umfasse aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des § 5 leg cit auch die Verweisungsnormen der fremden Rechtsordnung (Gesamtverweisung). Das türkische Recht bestimme in seinem Art 15 des türkischen Gesetzes Nr 2675, daß die Beziehungen der ehelichen Abstammung dem Recht unterliegen, das die allgemeinen Wirkungen der Ehe im Zeitpunkt der Geburt regle. Zu diesen Bestimmungen zähle auch die Bestreitung der ehelichen Geburt. Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterlägen nach Art.12 Abs.2 leg cit dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten, falls ein solches nicht vorhanden sei, dem Recht des gemeinsamen Wohnsitzes oder des gemeinsamen Aufenthaltes und falls auch dieser fehle, schließlich dem türkischen Recht. Da die Mutter des Kindes und der Kläger nicht zusammengelebt und immer getrennte Wohnungen gehabt hätten, sei auch nach Art 19 ff des türkischen BGB ein gemeinsamer Wohnsitz oder gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt nicht gegeben. Es sei daher türkisches Recht anzuwenden.

Nach Art 242 des türkischen BGB könne ein Mann binnen Monatsfrist ab dem Tag, an dem er von der Geburt erfahren habe, die Ehelichkeit des Kindes bestreiten. Der Kläger habe von der Geburt des Beklagten zwei bis drei Wochen später, also ca Ende September 1991, Kenntnis gelangt, die Einbringung der Klage erst am 28.4.1992 sei daher jedenfalls verspätet. Das Kind sei daher weiterhin als ehelich anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß im vorliegenden Fall türkisches Recht zur Anwendung komme. Der im § 1 IPRG normierte Grundsatz der stärksten Beziehung zu mehreren möglichen Rechtsordnungen stelle nur eine Grundsatzerklärung dar, nach der sich die darauf folgenden Detailregelungen des Gesetzes richteten. Diese seien im vorliegenden Fall im § 21 IPRG getroffen. Danach solle die eheliche Abstammung eines Kindes geschützt und bevorzugt werden. Das türkische Recht sehe für die Bestreitung der Ehelichkeit eines Kindes eine kürzere Frist vor als das österreichische Recht. Die Regelungen, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine solche Bestreitung möglich sei, stimmten überein. Allein aus der kürzeren Bestreitungsfrist im türkischen Recht könne dessen Anwendung wegen des im § 6 IPRG normierten Vorbehaltes des ordre public nicht verneint werden.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil zu der maßgeblichen Frage des anzuwendenden Rechtes bereits eine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege, an welche sich das Berufungsgericht gehalten habe (8 Ob 646/91 = SZ 64/176).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zulässig, sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

Der Kläger ist am 1.7.1991 aus der Türkei in der Absicht nach Österreich gekommen, hier zu bleiben und zu arbeiten. Am 20.8.1991 erfolgte die Eheschließung mit einer Österreicherin, am 7.9.1991 wurde der Beklagte geboren, wovon der Kläger Ende September 1991 Kenntnis erlangte. Am 29.4.1992 wurde die Ehelichkeitsbestreitungsklage eingebracht.

§ 21 IPRG normiert für die Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes und deren Bestreitung bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten das Günstigkeitsprinzip. Es ist jenes Personalstatut maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger ist. Die Vorinstanzen haben ihr Günstigkeitsurteil lediglich auf die unterschiedliche Bestreitungsfrist in der österreichischen und türkischen Rechtsordnung gegründet. Bei der Abwägung, welche Rechtsordnung die Ehelichkeit eines Kindes mehr begünstigt, ist im Wege eines Vergleiches durch Gesamtbeurteilung aller in Betracht kommenden Rechtsvorschriften vorzugehen.

Nach österreichischem Recht streitet gemäß § 138 ABGB die Vermutung der Ehelichkeit für jedes Kind, das nach der Eheschließung und vor Ablauf des 302.Tages nach Auflösung oder Nichtigkeit der Ehe seiner Mutter geboren ist. Diese Vermutung kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wird, daß das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt. Gemäß § 156 ABGB kann der Ehemann der Mutter binnen Jahresfrist ab Kenntnis von den Umständen, die für die Unehelichkeit des Kindes sprechen, diese gesetzliche Vermutung widerlegen. Er muß also den Beweis erbringen, daß seine Vaterschaft unwahrscheinlich ist.

Demgegenüber bestimmt das türkische BGB in Art 241, daß ein Kind, das während der Ehe geboren wird oder innerhalb von 300 Tagen, die auf die Auflösung der Ehe folgen, den Ehemann zum Vater hat. Der Mann kann nach Art 242 die Ehelichkeit des Kindes binnen einer Frist von einem Monat vom Tag an, an dem er die Geburt erfahren hat, anfechten. Art 243 tBGB bestimmt, daß der Mann die Ehelichkeit eines Kindes, das wenigstens 180 Tage nach der Eheschließung geboren ist, nur dann anfechten kann, wenn er den Beweis erbringt, daß er nicht der Vater sein kann. Falls das Kind früher als 180 Tage nach der Eheschließung geboren ist oder die Ehegatten zur Zeit der Empfängnis von Tisch und Bett getrennt lebten, braucht der Ehemann gemäß Art 244 tBGB keinen weiteren Beweis für seine Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes zu erbringen. Jedoch lebt die Vermutung, daß das Kind ehelich ist, wieder auf, sobald erwiesen ist, daß der Mann seiner Frau zur Zeit der Empfängnis beigewohnt hat. Das türkische Recht regelt daher die Beweislast für den Vater und das bestreitende Kind (bzw die Mutter) unterschiedlich, je nachdem, ob das Kind früher oder später als 180 Tage nach der Eheschließung geboren wurde.

Wenn daher, wie im hier zu beurteilenden Fall, das Kind früher als 180 Tage nach der Eheschließung geboren wurde, sprechen schon die wesentlich erleichterten Anfechtungsvoraussetzungen, die bei einer Günstigkeitsbeurteilung primär vor den Durchsetzungsmöglichkeiten wie Aktivlegitimation, Fristen und ähnlichem beachtet werden müssen, gegen die Anwendung des türkischen Rechtes und für das die Ehelichkeit des Kindes begünstigende österreichische Recht.

Die Vorinstanzen haben aber auch die Kollisionsnormen des türkischen Rechtes unrichtig angewendet: Art 15 des türkischen Gesetzes Nr.2675 bestimmt, daß die Beziehungen der ehelichen Abstammung dem Recht unterliegen, das die allgemeinen Wirkungen der Ehe im Zeitpunkt der Geburt regelt. Nach Art 12 leg cit unterliegen die allgemeinen Wirkungen der Ehe dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten. Falls die Parteien verschiedener Staatsangehörigkeit sind, wird das Recht des gemeinsamen Wohnsitzes, bei Fehlen eines solchen, das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes und, falls auch ein solcher fehlt, türkisches Recht angewendet. Da die Begriffe "gemeinsamer Wohnsitz, gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt" in der türkischen Verweisungsnorm gebraucht werden, ist deren Sinngehalt nicht nach österreichischem, sondern nach türkischem Recht zu ermitteln (SZ 64/176; 5 Ob 534/93).

Der Wohnsitz einer Person ist der Ort, an dem sie sich aufhält, mit der Absicht dort zu bleiben. Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben (Art 19 tBGB). Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes bestehen. Ihr Aufenthalt gilt als ihr Wohnsitz, wenn ein früherer Wohnsitz nicht nachweisbar ist oder wenn sie ihren Wohnsitz verlassen und einen neuen in der Türkei begründet hat (Art 20 tBGB). Der Wohnsitz des Ehemannes gilt als Wohnsitz der Ehefrau. Sie kann nur dann einen selbständigen Wohnsitz haben, wenn der Wohnsitz des Ehemannes nicht bekannt oder die Ehefrau berechtigt ist, getrennt zu leben (Art 21 tBGB). Nach diesen türkischen Vorschriften ist aber hier von einem gemeinsamen Wohnsitz der Eheleute zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes in Österreich auszugehen, es käme daher auch nach der türkischen Kollisionsnorm des Art 12 des Gesetzes Nr 2675 österreichisches Recht und damit nicht die nach türkischem Recht geltende Bestreitungsfrist von nur einem Monat, sondern die Einjahresfrist des § 156 ABGB zur Anwendung, welche der Kläger nach den Feststellungen gewahrt hat.

Daß der ordre public einer Anwendung der im türkischen Ehelichkeitsbestreitungsrecht festgelegten Einmonatsfrist nicht entgegenstünde, ergibt sich schon aus SZ 64/176 und wurde in der Entscheidung 8 Ob 1589/92 ausdrücklich ausgesprochen.

Der Revision war daher Folge zu geben, es war im klagestattgebenden Sinn zu entscheiden.

Der Ausspruch über die Rechtsmittelkosten beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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