OGH 9ObA55/95

OGH9ObA55/9526.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska und Dr.Gerhard Dengscherz in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johannes A*****, Angestellter, ***** vertreten durch Mag.Christoph Eibensteiner, Arbeiterkammer für Oberösterreich, Volksgartenstraße 40, 4020 Linz, dieser vertreten durch Dr.Peter Keul und Dr.Alexander Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei B***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Estermann, Dr.Wagner, Dr.Postlmayr Kommandit-Partnerschaft, Rechtsanwälte in Mattighofen, wegen 108.505,62 S brutto sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Jänner 1995, GZ 12 Ra 109/94-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 26.August 1994, GZ 18 Cga 172/94w-15, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.200 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 20.855 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.267,50 S Umsatzsteuer und 13.250 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1.9.1990 bis 30.6.1993 für die beklagte Partei als technischer Angestellter mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 17.559 S tätig. Vom 27.4.1993 bis 28.5.1993 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Landesnervenklinik Salzburg. Mit eingeschriebenem Brief vom 28.4.1993 kündigte die beklagte Partei das Dienstverhältnis des Klägers zum 30.6.1993 auf. Das Kündigungsschreiben war an die Landesnervenklinik, Psychsomatik Salzburg, zu Handen des Klägers adressiert. Das Schreiben wurde am 28.4.1993 in Salzburg zur Post gegeben und am 29.4.1993 an die Poststelle der Landesnervenklinik Salzburg ausgefolgt. Die Postsendung wurde am 29.4.1993 von einer Krankenschwester, die in der Abteilung tätig war, in der sich der Kläger befand, zur Ausfolgung an den Kläger übernommen. Da sich der Kläger zu dieser Zeit bei einer Therapie befand, konnte sie ihn nicht antreffen, legte den Brief im Dienstzimmer ab und verließ das Krankenhaus nach Dienstende. Die nächsten Tage hatte sie dienstfrei und folgte den Brief nach dem Wiederantritt ihres Dienstes am 3.5.1993 an den Kläger aus. Es bestanden keine medizinischen Gründe, das Schreiben nicht an den Kläger auszufolgen. Er war in der Lage, den Inhalt des Kündigungsschreibens zu verstehen.

Der Kläger begehrt die Zahlung des der Höhe nach nicht bestrittenen Betrages von 108.505,62 S brutto. Die Kündigung sei ihm erst nach dem 30.4.1993 zugekommen, so daß die Kündigung zum 30.6.1993 nicht mehr möglich gewesen sei, weil die Kündigungsfrist nicht eingehalten worden sei. Die Kündigung sei daher erst zum 30.9.1993 möglich gewesen. Der begehrte Betrag gebühre ihm als Kündigungsentschädigung und anteiligen Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung ausgehend von einer Auflösung des Dienstverhältnisses per 30.9.1993.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Das Kündigungsschreiben sei am 29.4.1993 an die Poststelle der Landesnervenklinik als Ersatzempfänger ausgefolgt und noch am selben Tag an die Abteilung, in welcher sich der Kläger aufgehalten habe, weitergeleitet worden. Sie gelte mit diesem Tag dem Kläger zugekommen, so daß die Kündigung zum 30.6.1993 zulässig erfolgt sei. Die erhobenen Ansprüche bestünden daher nicht zu Recht. Durch die Ausfolgung des Briefes an die Poststelle der Landesnervenklinik Salzburg sei im Hinblick auf § 148 PostO die Zustellung wirksam erfolgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Kündigung werde als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung erst mit dem Zugang wirksam. Da die tatsächliche Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kläger dessen Einflußmöglichkeiten gänzlich entzogen gewesen sei und die bei der Zustellung aufgetretenen Störungen damit nicht seiner Sphäre zuzurechnen seien, sei davon auszugehen, daß die Kündigung dem Kläger erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Aushändigung an ihn zugegangen sei. Die Übergabe des Schreibens an die Poststelle der Landesnervenklinik Salzburg habe keine wirksame Ersatzzustellung bewirkt, weil kein Tatbestand der PostO erfüllt sei.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der beklagten Partei dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht, wobei es aussprach, daß der Rekurs gegen diese Entscheidung zulässig sei. Der Zugang einer empfangsbedürftigen Willenserklärung werde angenommen, wenn die Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei, daß nach den regelmäßigen Umständen mit der Kenntnisnahme durch ihn gerechnet werden könne und Störungen nur mehr in seiner Sphäre und nicht mehr beim Absender oder der Übermittlungsanstalt möglich seien. Bei Übersendung schriftlicher Erklärungen durch die Post bestehe ein schutzwürdiges Verkehrsinteresse durch vorschriftsmäßige Zustellung (entsprechend dem PostG oder der PostO) den zivilrechtlichen Zugang zu bewirken, da jeder Empfänger damit rechnet, daß die Post als Erklärungsbote eingesetzt werde. Im Interesse der Verkehrssicherheit dürfe nicht jeder Absender, der sich der Post bediene, mit der Ungewißheit belastet werden, ob seine Erklärung - selbst bei ordnungsgemäßer Zustellung - auch zugehe. In diesem Sinne habe auch der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß eine Ersatzzustellung nach den §§ 174 PostO den zivilrechtlichen Zugang bewirke. Wohl sei im vorliegenden Fall eine Ersatzzustellung in diesem Sinne nicht bewirkt worden, weil keiner der Fälle des § 176 PostO vorgelegen sei, doch mache die beklagte Partei zu Recht geltend, daß sich das Erstgericht mit der Bestimmung des § 148 PostO nicht auseinandergesetzt habe. Nach dieser Bestimmung seien Postsendungen dann, wenn der Empfänger einer Anstaltsordnung unterworfen sei, statt an den Empfänger an die Person abzugeben, die aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Leiter der Anstalt und dem Abgabepostamt zur Übernahme der für die Angehörigen der Anstalt einlangenden Postsendungen berechtigt sei. Wenn es sich auch bei der Ausfolgung an Übernahmsberechtigte kraft Anstaltsordnung nicht um eine Ersatzzustellung handle, sei doch davon auszugehen, daß auch diese in der PostO vorgesehene Form einer unmittelbaren Zustellung den zivilrechtlichen Zugang bewirke. Es werde daher zu prüfen sein, ob zwischen dem Leiter der Landesnervenklinik Salzburg und dem Abgabepostamt eine Vereinbarung im Sinne des § 148 PostO bestand, bejahendenfalls, ob die Sendung an die danach berechtigte Person ausgefolgt wurde. In diesem Punkt erweise sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die erst mit dem Zugehen der Erklärung an den Empfänger wirksam wird (Arb 9259 mwH uva). Unter Abwesenden hat der Erklärende dafür zu sorgen, daß die Erklärung durch Zustellung in die persönliche Sphäre des anderen Teiles gelangt. Hier fallen Ausspruch und Zugang der Erklärung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zeitlich auseinander. Erst mit der Zustellung sind die Voraussetzungen für den Beginn der Kündigungsfrist gegeben. Der Erklärende trägt regelmäßig das Risiko für den ordnungsgemäßen Zugang der Erklärung. Ein Übergang des Risikos kann nur eintreten, wenn sich der Vertragspartner dem Zugang der Erklärung absichtlich oder wider Treu und Glauben entzieht. In diesem Fall muß er sich so behandeln lassen, als ob er die Auflösungserklärung rechtzeitig empfangen hätte (Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG7 378). Im Sinne der hier analog anzuwendenden Bestimmung des § 862 a ABGB kommt es dabei auf den Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung an; die besonderen Wirkungen, welche Gesetz oder Vertrag an die Zusendung eines eingeschriebenen Briefes oder einer Rückscheinsendung knüpfen, treten erst ein, wenn der Brief in die Hand einer Person gelangt ist, welche nach den Postvorschriften zur Empfangnahme solcher Zustellungen für den Empfänger legitimiert ist (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 69 f). Dem ist der Oberste Gerichtshof unter Berufung auch auf die deutsche Judikatur und Literatur (dort zur Bestimmung des § 130 BGB, dem § 862 a ABGB nachgebildet ist) gefolgt (Arb 8835). Die deutsche Lehre vertritt dazu im Einklang mit der Rechtsprechung (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch7 949 und die dort zitierte Judikatur) den Standpunkt, daß die Kündigung dann zugegangen ist, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, daß er von ihr Kenntnis nehmen konnte. Sie könne dementsprechend auch zugehen, wenn sie an unterstelltes Personal, einen Familienangehörigen, die Lebensgefährtin oder den Zimmervermieter (unerheblich, ob nach der Postordnung zulässig) an der Wohnungstür ausgehändigt werde. Werde die Kündigung dagegen einem Empfangsboten ausgehändigt, so gehe sie erst zu, wenn nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge die Übermittlung an den Adressaten zu erwarten sei. Auch nach der österreichischen Lehre und Rechtsprechung gilt die Kündigung als zugegangen, wenn sie in den persönlichen Bereich des Vertragspartners gelangt. Der Oberste Gerichtshof spricht in diesem Zusammenhang auch vom Machtbereich des Empfängers einer Mitteilung (SZ 53/28; Arb 9403 ua; sa Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht4 399).

Dullinger (JBl 1986, 13 ff [16]) vertritt die Ansicht, daß im Hinblick darauf, daß die Post allgemein zur Übermittlung von Erklärungen herangezogen wird, eine nach den Postvorschriften ordnungsgemäß zugestellte Erklärung als zugegangen im Sinne des § 862 a ABGB anzusehen sei; bei den Bestimmungen des PostG und der PostO handle es sich nicht bloß um interne Dienstanweisungen für die Behandlung von Postsendungen. Er lehnt damit die Ansicht Bydlinski/Koziol (Anmerkung zu JBl 1967, 151) ab. Diese Autoren vertreten (aaO 153) die Ansicht, daß es sich bei der PostO nur um Anweisungen für den Dienstbetrieb der Post handle und wenden sich vor allem dagegen, aus Beförderungsvorschriften Auskunft darüber zu erwarten, wann nach materiellem Recht vom Zugang einer Willenserklärung gesprochen werden könne. Auch Dullinger räumt jedoch ein, daß - wie öfter auch bei Boteneinschaltung - bezüglich des Zeitpunktes des Zuganges eine Einschränkung zu machen sei, denn Zustellung und Zugang könnten auseinanderfallen; auch bei der Übermittlung durch die Post sei an dem allgemeinen Grundsatz festzuhalten, daß die Erklärung erst wirksam werde, sobald unter normalen Voraussetzungen mit Kenntnisnahme gerechnet werden könne. Zugangsprobleme in Abweichung von der PostO könnten sich in Fällen der Ersatzzustellung nach §§ 174 ff PostO ergeben, weil es zweifelhaft sei, ob alle Personen, denen nach diesen Normen ersatzweise zugestellt werden könne, auch Empfangsboten nach zivilrechtlichen Grundsätzen seien (Dullinger aaO).

Diese Zweifel sind berechtigt. Beizutreten ist der Ansicht von Bydlinski/Koziol, daß eine Differenzierung zwischen den Bestimmungen der PostO, die die Zustellung regeln und der Frage, wann nach materiellem Recht vom Zugang einer Willenserklärung auszugehen ist, geboten ist. Nicht in jedem Fall, in dem nach den Vorschriften der PostO die Abgabe der Sendung an eine andere Person als den Empfänger zulässig ist, kann unterstellt werden, daß die Sendung damit dem Empfänger auch zugegangen ist. Dies kommt in den oben zitierten Aussagen des Schrifttums wie auch der Rechtsprechung deutlich zum Ausdruck. Verlangt wird, daß die Sendung in den Machtbereich (persönlichen Bereich, die persönliche Sphäre) des Kündigungsgegners gelangt, sohin in einen Bereich, in dem dem Kündigungsgegner eine gewisse Einflußnahme auf das weitere Schicksal von Postzustellungen zukommt. Durch organisatorische Vorsorgen, die ihm in diesem Bereich möglich sind, kann er dafür Vorsorge treffen, daß ihm Postsendungen, die von anderen Personen übernommen oder auf andere Weise zurückgelassen werden (Briefkasten) auch tatsächlich zukommen. Nur dann ist die Annahme zulässig, daß dem Adressaten die auf diese Weise übermittelte Erklärung mit dem Zeitpunkt tatsächlich zugegangen ist, zu dem nach dem gewöhnlichen Verlauf mit der Aushändigung an ihn gerechnet werden konnte; des konkreten Nachweises der Kenntnisnahme durch den Empfänger bedarf es in diesem Fall nicht. Dies trifft etwa regelmäßig in den Fällen zu, in denen nach dem Zustellgesetz Ersatzzustellungen zulässig sind.

Diese Voraussetzungen sind aber bei einer Zustellung über die Anstaltsleitung nicht erfüllt. § 148 PostO gestattet wohl unter den vom Berufungsgericht näher dargestellten Bedingungen die Abgabe einer Sendung an eine von der Anstalt benannte Person, doch ist das Poststück damit noch keineswegs in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß dem Empfänger mit dem Zeitpunkt der Übernahme des Briefes durch die Anstaltsleitung von dessen Inhalt bereits Kenntnis erlangt hätte. Es hängt vielmehr von der inneren Organisation der Anstalt ab, wann die Sendung dem Empfänger tatsächlich zukommt. Diesem steht hierauf keinerlei Einfluß zu. Die Anstaltsleitung ist in diesen Fällen nichts anderes als der verlängerte Arm der Post; sie übernimmt anstaltsintern die Weiterleitung der von der Post zur Anstalt beförderten Sendungen. Ein Poststück gilt in diesen Fällen daher nur dann als zugegangen, wenn es nach Weiterleitung durch die Anstaltsverwaltung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß unter gewöhnlichen Umständen mit seiner Kenntnis gerechnet werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Sendung dem Empfänger ausgehändigt oder auf andere Art so für ihn zurückgelassen wird, daß er die Möglichkeit hat, davon Kenntnis zu nehmen, wie etwa im Krankenhaus durch Deponierung am Nachtkasten oder in einem allenfalls für die Patienten eines Zimmers oder einer Station bestimmten Postfach.

Da die Übernahme der Sendung durch einen Anstaltsangehörigen auch bei Zutreffen aller Voraussetzungen des § 148 PostO die Kenntnisnahme durch den Kläger nicht bewirken konnte, bedarf es der vom Berufungsgericht aufgetragenen Ergänzungen des Verfahrens nicht. Fest steht, daß das Kündigungsschreiben nach Einlangen bei der Krankenanstalt erst im Mai an den Kläger weitergeleitet wurde. Vorher ist es aber nicht in seinen Machtbereich gelangt. Zutreffend ist daher das Erstgericht zum Ergebnis gelangt, daß die Kündigung fristwidrig ausgesprochen wurde. Die Höhe der geltend gemachten Forderung ist unbestritten. Die Sache ist daher im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes spruchreif.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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