OGH 9Ob509/95

OGH9Ob509/9526.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier, Dr.Petrag, Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes Karin R*****, geboren am 29.8.1978, vertreten durch die Mutter Ilse M*****, ***** infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 24. Jänner 1995, GZ 1 R 25/95-162, womit infolge Rekurses des Vaters Josef R*****, Maurer, ***** der Beschluß des Bezirksgerichtes Wildon vom 16.Dezember 1994, GZ P 54/89-159, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 4.6.1993 wurde der Vater der Minderjährigen zur Leistung eines Unterhaltsbetrages von monatlich 3.000 S verpflichtet.

Am 7.4.1994 beantragte er, ihn mit diesem Tag von seiner Verpflichtung zur Unterhaltsleistung für die mj Karin zu entheben. Diese besuche keine Schule mehr und stehe auch nicht in einer Lehrausbildung; aus einer unselbständigen Tätigkeit beziehe sie ein die Selbsterhaltungsfähigkeit begründendes Einkommen.

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus. Ttotz wiederholter Bemühungen sei es der Minderjährigen nach Ende des Schulbesuches im Juni 1993 nicht gelungen, eine Lehrstelle zu finden. Dies vor allem deshalb, weil sie schon in der Schule schwerwiegende Probleme gehabt habe und den Hauptschulabschluß nicht erreichen konnte. Sie sei auch sonst ein Sonderfall, weil sie Angst vor dem Umgang mit Menschen habe. Erst im Feber 1994 sei es gelungen, für sie einen Arbeitsplatz in einem Supermarkt zu finden, doch sei das Dienstverhältnis noch während der Probezeit gelöst worden, weil sie nach der Beurteilung der Vorgesetzten für die Tätigkeit nicht verwendbar gewesen sei.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1.6.1994 auf monatlich 2.600 S herab und wies das weitergehende Herabsetzungsbegehren ab. Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus:

Die Minderjährige war in der Zeit vom 1.2.1994 bis 22.2.1994 bei einem Supermarkt beschäftigt und verdiente in dieser Zeit 7.729,42 S. Seit 1.6.1994 ist sie als Putzfrau in einem Sportstudio tätig und verdient monatlich 3.636 S netto inklusive Sonderzahlungen. Beim Arbeitsamt Leibnitz sind keine offenen Stellen für Hilfskräfte ab dem 16. Lebensjahr vorgemerkt.

Der Vater, der über ein Nettoeinkommen von 13.000 bis 17.000 S monatlich verfügt, ist noch für ein weiteres Kind sorgepflichtig; er hat für dieses Kind einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 2.500 S zu leisten.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß im Hinblick auf die Arbeitsmarktlage der Minderjährigen kein Verschulden daran zur Last falle, daß sie nach Beendigung des Schulbesuches nicht umgehend einem Erwerb nachgegangen sei, und auch nicht daran, daß sie derzeit nur ein geringes Einkommen beziehe. Die Selbsterhaltungsfähigkeit sei erst anzunehmen, wenn ein an sich Unterhaltsberechtigter über ein Einkommen in zumindest der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes verfüge. Dies treffe hier auch für die Zeit ab 1.6.1994 nicht zu. Allerdings seien die eigenen Einkünfte der mj Karin bei Festsetzung des Unterhaltsbetrages zu berücksichtigen. Trage man dem Rechnung, so sei die Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf 2.600 S herabzusetzen. Dies allerdings nur ab dem Zeitpunkt, ab dem die Minderjährige über ein Einkommen aus einer Arbeitstätigkeit verfüge.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und sprach aus, daß dieser von seiner Unterhaltspflicht für die mj Karin ab 1.9.1994 zur Gänze befreit werde. Nach ständiger Rechtsprechung trete die Selbsterhaltungsfähigkeit auch ein, wenn sich das Kind ab dem Ende des Pflichtschulalters nicht um eine zielführende Berufsausbildung bemühe, wobei allerdings nach Ausbildungsabschluß ein angemessener Zeitraum für die Stellensuche zuzubilligen sei. Die mj Karin sei nach Ende des Pflichtschulbesuches im Juni 1993 erstmalig im Feber 1994 kurzfristig einer Beschäftigung nachgegangen und habe dann erst im Juni 1994 eine Tätigkeit aufgenommen. Sie habe sich damit etwa ein Jahr ab Ende des Schulbesuches nicht um eine Ausbildung bemüht und im wesentlichen auch eine Berufsausbildung unterlassen, wobei sich aus dem Akt ergebe, daß sie beim Arbeitsamt nicht als arbeitssuchend gemeldet gewesen sei. Daß beim Arbeitsamt Leibnitz, in dessen Bereich die Minderjährige wohne, keine für sie geeignete Stelle vorgemerkt gewesen sei, sei nicht von Bedeutung, weil sie ja letztlich eine Stelle in Graz angenommen habe. Die Höhe des Entgeltes, das die mj Karin beziehe, sei nicht erheblich, weil davon auszugehen sei, daß im Bereich Graz eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen für Hilfskräfte zur Verfügung stehe, die die Erzielung eines Einkommens in der Höhe des Richtsatzes ermöglichten; auf solche Hilfsarbeitertätigkeiten sei die Minderjährige verweisbar. Der Zeitpunkt der Selbsterhaltungsfähigkeit sei mit der Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen; bis dahin habe die Minderjährige rund 14 Monate für die Suche nach einem Arbeitsplatz zur Verfügung gehabt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der ao Revisionsrekurs des minderjährigen Kindes mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Vater auch für die Zeit ab 1.9.1994 weiterhin zu einer Unterhaltsleistung von 2.600 S monatlich verpflichtet werde.

Rechtliche Beurteilung

Der ao Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht bei Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, zumal es die Frage, ob der Minderjährigen ein Verschulden an der Nichtaufnahme einer die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernden Erwerbstätigkeit zur Last falle, unbeachtet ließ.

Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Strittig ist, ob die mj Karin selbsterhaltungsfähig ist.

Nach der Rechtsprechung tritt Selbsterhaltungsfähigkeit ein, wenn das Kind die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (RZ 1992/3). Wird eine weitere Ausbildung angestrebt, so wird verlangt, daß das den Unterhalt ansprechende Kind zumindest in vertretbarer Zeit über den Berufswunsch entscheidet und nicht Jahre verstreichen läßt, bis eine Ausbildung aufgenommen wird (ÖA 1992, 87). Unterläßt das Kind die Ausübung einer Beschäftigung oder scheitert eine angemessene Berufsausbildung, so hat dies nur dann Auswirkungen auf die Unterhaltsverpflichtung, wenn dem Kind ein Verschulden daran zur Last fällt. Bei Prüfung der Frage, ob im Hinblick auf das Unterbleiben einer Ausbildung bzw Erwerbstätigkeit Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, kann daher nicht von einem objektiven Sachverhalt ausgegangen werden, sondern es sind die Gründe zu erheben, die dazu führten, daß eine Ausbildung oder Berufstätigkeit unterblieb. Nur auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob dem Kind ein Verschulden zur Last fällt. Es ist auch nicht ausreichend (wie etwa im Falle der Prüfung der Verweisbarkeit nach § 255 ASVG) abstrakt zu prüfen, ob Arbeitsplätze vorhanden gewesen wären, deren Anforderungen das Kind entsprochen hätte. Ein Verschulden könnte nur dann angenommen werden, wenn das Kind konkrete Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu erlangen, ausgeschlagen hätte; der Unterlassung einer Meldung beim Arbeitsamt käme nur Bedeutung zu, wenn im Fall einer Meldung die Vermittlung eines konkreten Arbeitsplatzes möglich gewesen wäre.

Das Rekursgericht gründet das Ergebnis seiner Entscheidung darauf, daß die Minderjährige sich nach Beendigung der Pflichtschule etwa ein Jahr lang um eine weitere Berufsausbildung nicht mehr bemühte und auch im wesentlichen eine Berufsausübung unterließ. Ob dies allein die Folge eines freien Willensentschlusses der Minderjährigen war, blieb unerörtert.

Vorerst kann aus dem erhobenen Sachverhalt nicht abgeleitet werden, daß sich die mj Karin nach Ende des Schulbesuches nicht um eine weitere Berufsausbildung bemüht hätte. Die Mutter brachte dazu vor, daß sie verschiedene Versuche unternommen habe, eine Lehrstelle als Friseurin zu finden, daß dies aber daran gescheitert sei, daß das Kind sehr schlechte Schulerfolge gehabt und den Hauptschulabschluß nicht erreicht habe. Dieses Vorbringen blieb ungeprüft. Wurden aber tatsächlich Bemühungen um die Erlangung einer Lehrstelle unternommen, so wird der Vorwurf, die Minderjährige habe sich um eine weitere Berufsausbildung nicht bemüht, zu Unrecht erhoben. Ihr müßte jedenfalls ein angemessener Zeitraum zur Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz zugebilligt werden.

Auch für die Annahme, die Minderjährige wäre in der Lage, ein die Selbsterhaltung sicherndes Einkommen zu erzielen, fehlt eine Grundlage. Das Vorbringen der Mutter, die Minderjährige sei hiezu nicht in der Lage, blieb ungeprüft. Dazu hat die Mutter bereits in ihrer Stellungnahme zum Antrag darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Mädchen um einen Sonderfall handle. Die mj Karin habe nicht nur sehr schlechte Schulergebnisse aufzuweisen (zwei Klassenwiederholungen in der Volksschule, kein Hauptschulabschluß), sondern es bestünden auch psychische Probleme; im Supermarkt hätte sie nicht weiter tätig sein können, weil sie Angst beim Umgang mit Kunden gehabt habe. Dies sind Umstände, die durchaus geeignet wären, besondere Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Arbeitsplatzes zu begründen.

Im fortgesetzten Verfahren werden diese Umstände genau zu erheben sein. Selbsterhaltungsfähigkeit kann nur angenommen werden, wenn der Minderjährigen ein Verschulden daran zur Last fällt, daß sie kein die zur Bestreitung ihrer Lebensbedürfnisse aus eigenen Mitteln ausreichendes Einkommen bezieht, obwohl die konkrete Möglichkeit hiezu bestünde.

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