OGH 1Ob531/95

OGH1Ob531/9525.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kerstin S*****, geboren am 29.Juni 1988, in Obsorge ihrer väterlichen Großmutter Rudolfine Z*****, in Unterhaltssachen vertreten durch den Magistrat der Stadt Wels, wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluß des Landesgerichts Wels als Rekursgerichts vom 23.November 1994, GZ R 999, 1000/94-27, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Wels vom 27.Oktober 1994, GZ 2 P 177/93-22 und 23, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Nach der Aktenlage halten sich die unterhaltspflichtigen ehelichen Eltern der mj. Kerstin, geboren am 29.Juni 1988, und des mj. Martin Michael, geboren am 16.August 1990, seit Februar/April 1993 im außereuropäischen Ausland (Thailand/Neuseeland/Paraguay) auf; derzeit ist weder das Land ihres Aufenthalts noch sonst etwas über ihre Lebensverhältnisse bekannt. Die väterliche Großmutter betreut den mj. Martin Michael seit Oktober 1990 und die mj. Kerstin seit Sommer 1994 und ist nun auch für beide Kinder obsorgeberechtigt. Mit rechtskräftigen Beschlüssen des Erstgerichts vom 2.Mai 1994 wurden dem mj. Martin Michael Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2, § 6 Abs 2 Z 1 UVG für seine Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern für die Zeit vom 1.April 1994 bis 31.März 1997 in der Höhe von je einem Viertel des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 c/bb 1.Fall, §§ 108 f ASVG, sohin im Betrag von zweimal 1.244 S monatlich mit der Begründung bewilligt, die Eltern seien unbekannten Aufenthaltes, vermutlich lebten sie in Neuseeland oder Paraguay.

Nun bewilligte das Erstgericht über Antrag des Unterhaltssachwalters (§ 9 Abs 2 UVG) der mj. Kerstin Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2, § 6 Abs 2 Z 2 UVG für ihre Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern für die Zeit vom 1.Oktober 1994 bis 30.September 1997 in der Höhe von je der Hälfte des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 c/bb 1.Fall, §§ 108 f ASVG, sohin im Betrag von zweimal 2.488 S monatlich. In der Begründung wird wiederum auf den unbekannten Aufenthalt der beiden Unterhaltsschuldner (vermutlich in Paraguay) verwiesen.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zur Frage, ob eine Zusammenrechnung mehrerer Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG und deren Begrenzung mit dem Richtsatz stattzufinden habe, nur die Entscheidung SZ 63/80 vorliege. Eine neuerliche Beurteilung dieser Rechtsfrage durch das Höchstgericht sei auch im Hinblick auf dessen Entscheidung EFSlg 63.674, nach der die Richtsatzquoten des § 6 Abs 2 UVG keine absoluten, sondern nur Höchstsätze seien, im Interesse der Rechtssicherheit geboten.

In rechtlicher Hinsicht bejahte die zweite Instanz, folgend der Entscheidung SZ 63/80, die rechtliche Zulässigkeit einer zweifachen Vorschußgewährung und vertrat noch folgende Auffassung: Die Voraussetzungen des § 4 Z 2 UVG seien auch dann anzunehmen, wenn der Unterhaltspflichtige - wie hier - unbekannten Aufenthalts sei oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse herrsche. Damit sei aber auch ein Unterhaltsfestsetzungsverfahren als aussichtslos zu beurteilen und nicht Voraussetzung der Vorschußgewährung nach § 11 Abs 2 UVG; Anhaltspunkte dafür, daß hier die beiden Unterhaltsschuldner zu einer Unterhaltsleistung nicht imstande seien, bestünden nach der Aktenlage nicht. Die Leistungsunfähigkeit der Unterhaltsschuldner müßte sich zudem aus einem positiven, vom Bund zu erbringenden Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit oder Zweifel an der Leistungsfähigkeit machten die Unfähigkeit nicht offenbar und stünden der Bevorschussung nicht entgegen. Eine sich unter der Beweislast des vorschußpflichtigen Bundes ergebende Beschränkung der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsschuldner, aus der sich eine unter der Richtsatzquote des § 6 UVG ergebende monatliche Unterhaltszahlungspflicht ergäbe, sei nicht erwiesen. Die Doppelgewährung von Unterhaltsvorschüssen würde beim Kind keine Überalimentierung bewirken, der durch teilweise Versagung oder Herabsetzung der Vorschüsse nach § 7 Abs 1 Z 2 UVG begegnet werden müßte. Der Regelbedarf des der Altersstufe von 6 bis 10 Jahren angehörigen Kindes betrage 3.020 S, die dem Kind insgesamt gewährten Unterhaltsvorschüsse überstiegen diesen Betrag um knapp 2.000 S. Diese Überschreitung sei sachlich gerechtfertigt, weil durch den Wegfall des Betreuungsbeitrags erheblich höhere Bedürfnisse des Kindes anzusetzen seien. Das Kind sei in diesem Fall auf Betreuung in anderer Weise angewiesen, dieser Aufwand sei aus den ihm zum Lebensunterhalt insgesamt zufließenden Mitteln zu decken. Daß dieser Mehraufwand knapp 2.000 S erreiche, entspreche der Lebenserfahrung, weshalb es für die Beurteilung, ob die gewährten Unterhaltsvorschüsse die Bedürfnisse des Kindes übersteigen, keiner Ermittlung konkreter Lebensverhältnisse bedürfe. Eine teilweise Versagung der beantragten Vorschüsse mangels Bedarfs des Kinds komme in dieser Situation nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz vertretenen Bundes mit dem Abänderungsantrag, dem Kind den Unterhaltsvorschuß nur in Höhe einer Leistung von monatlich 2.488 S (entweder zu Lasten der Mutter odes des Vaters des Kindes) zu gewähren, ist nicht berechtigt.

Vorschüsse nach dem UVG sind nur auf den Geldunterhalt zu leisten, der von einer nicht mit dem Unterhaltsberechtigten im gemeinsamen Haushalt lebenden Person geschuldet wird, somit vorliegend von den beiden offenbar im außereuropäischen Ausland lebenden Eltern des Kindes. Gemäß § 4 Z 2 UVG sind Unterhaltsvorschüsse - unter anderem - auch dann zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung nicht imstande. Sogenannte Richtsatzvorschüsse knüpfen nicht an eine konkret feststellbare Unterhaltspflicht an, sondern beruhen auf einheitlichen Pauschalbeträgen. Auch in einem solchen Fall bleibt der Grundsatz aufrecht, daß die Vorschußleistung aus öffentlichen Mitteln (wie eine Garantiepflicht) nur an die Stelle der vom Unterhaltspflichtigen geschuldeten, wenn auch betraglich noch nicht festgesetzten Leistung zu treten habe (SZ 63/219 = EFSlg 1991/69 = EFSlg 63.674 = ÖA 1991, 112). Mag auch das UVG aus sozialpolitischen Erwägungen geschaffen worden sein, so handelt es sich doch bei den Vorschüssen um keine Sozialleistung des Staates (5 Ob 508/92), sondern um die teilweise vorläufige Erfüllung der Unterhaltspflicht durch einen Dritten. Eine Sozialleistung ist dagegen die Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz. Gemäß § 6 Abs 1 UVG dürfen die Vorschüsse monatlich den Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 Buchstabe c bb erster Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§§ 108 f ASVG), nicht übersteigen. Nach Abs 2 leg.cit. sind in den Fällen des § 4 Z 2 und 3, vorbehaltlich des § 7, einem Kind monatlich 1. bis zum Ende des vor Vollendung des 6.Lebensjahres liegenden Monats ein Viertel, 2. ab diesem Zeitpunkt bis zum Ende des vor Vollendung des 14.Lebensjahres liegenden Monats die Hälfte und 3. ab diesem Zeitpunkt drei Viertel des im Abs 1 festgesetzten Höchstbetrags, jeweils aufgerundet auf volle Schillingbeträge, zu gewähren. Die Sätze des Abs 2 leg.cit. wurden bestimmt, weil an keine dem materiellen Recht entsprechend festgesetzte Unterhaltshöhe angeknüpft werden kann (Knoll, Unterhaltsvorschußgesetz, Rz 4 zu § 6).

Zur hier relevanten Frage, ob die gesetzlichen Obergrenzen des sogenannten Richtsatzvorschusses nach § 6 Abs 2 UVG nur für die Einzelbevorschussung oder für die Gesamtvorschußsituation gelten, hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner eingehend begründeten Entscheidung SZ 63/80 Stellung genommen und dazu folgendes erwogen: Das UVG und die Materialien hiezu greifen die Bevorschussung von mehr als einem Unterhaltsanspruch nicht ausdrücklich auf, schließen sie aber auch nicht aus; eine ausdrückliche Aussage, ob die Obergrenzen des § 6 UVG nur für die Einzel- oder für die Gesamtbevorschussung gelten, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen (Knoll aaO Rz 11 zu § 1). Der Umstand, daß § 6 Abs 1 UVG die Titelvorschüsse mit dem Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen und § 6 Abs 2 UVG die Richtsatzvorschüsse mit einem je nach dem Alter des unterhaltsberechtigten Kindes verschieden großen Bruchteil dieses Richtsatzes begrenze, lasse darauf schließen, der Gesetzgeber sei vom Normalfall ausgegangen, daß sich das Kind bei einem Elternteil befinde, der seiner Unterhaltspflicht durch dessen Betreuung nachkomme, und daß daher die Obergrenzen des § 6 UVG im Falle der Geldunterhaltspflicht beider Elternteile für jeden von ihnen in voller Höhe gelten sollen. In dieselbe Richtung weise § 7 Abs 3 UVG, wonach Vorschüsse nicht deshalb versagt werden dürften, weil die Unterhaltspflicht eines sonst Unterhaltspflichtigen bestehe. Es habe somit eine Zusammenrechnung mehrerer Unterhaltsvorschüsse und deren Begrenzung mit dem Richtsatz nicht stattzufinden, die im § 6 Abs 1 UVG normierte Obergrenze gelte für jede gesonderte Bevorschussung bis zur vollen Höhe. Der Möglichkeit, daß es bei dieser Gesetzesauslegung im Falle der Gewährung mehrerer Unterhaltsschuldner insgesamt zur Gewährung von die Bedürfnisse des Kindes übersteigenden Unterhaltsvorschüssen kommen könnte, könne durch teilweise Versagung oder Herabsetzung der Vorschüsse in analoger Anwendung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG (iVm § 19 Abs 1 UVG) begegnet werden. An dieser Auffassung hielt der 5.Senat des Obersten Gerichtshofs in seiner weiteren Entscheidung 5 Ob 508/92 ausdrücklich fest, aber auch der 4.Senat hat diese Rechtsauffassung in seiner Entscheidung EvBl 1992/16 erkennbar billigend referiert. Der erkennende Senat sieht sich in Kenntnis der Rechtsmittelausführungen nicht bestimmt, von dieser wohlbegründeten Auffassung abzugehen. Daß die Richtsatz-Quoten des § 6 Abs 2 UVG nicht nur „vorbehaltlich des § 7“, sondern auch in den Fällen des § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG keine absoluten, sondern nur Höchstsätze (SZ 63/219) sind, steht damit nicht im Widerspruch. Die Frage einer teilweisen Versagung der Vorschüsse in analoger Anwendung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG infolge allfälliger Überalimentierung des Kindes ist nicht Gegenstand des Rechtsmittels.

Gänzliche oder teilweise Leistungsunfähigkeit der Eltern führt subsidiär zur Unterhaltspflicht der Großeltern, bei teilweiser Leistungsunfähigkeit der Eltern tritt die sekundäre Unterhaltspflicht der Großeltern neben die primäre. Bloße Schwierigkeiten, sei es bei der Unterhaltsbemessung oder der Unterhaltshereinbringung beim primär Unterhaltspflichtigen, rechtfertigen die Inanspruchnahme der subsidiär unterhaltspflichtigen Großeltern nicht, das Kind kann vielmehr Leistungen nach dem UVG beziehen (Pichler in Rummel 2, Rz 1 zu § 141 ABGB; Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 60); es fehlt dazu auch ein entsprechender Vorbehalt in § 4 UVG.

Dem Revisionsrekurs ist demnach nicht Folge zu geben.

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