OGH 6Ob671/94

OGH6Ob671/942.4.1995

1Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Graf und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hans S*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Bertram Grass, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Lothar G*****, Arbeiter,***** vertreten durch Mag.German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Zahlung von S 50.000 und Räumung (Revisionsstreitwert wegen Räumung S 24.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 27.September 1994, AZ 3 R 237/94 (ON 18), womit das Urteil des Bezirksgerichtes Bezau vom 14.Mai 1994, GZ 2 C 50/94h-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben; die Urteile der Vorinstanzen über das Räumungsbegehren werden aufgehoben, die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist Eigentümer des Hauses in K*****, der Beklagte zu einem Viertel als Nacherbe eingesetzt.

Im Jahre 1984 schlossen die Streitteile einen offenbar vom Kläger verfaßten und geschriebenen Mietvertrag mit folgendem wesentlichen Inhalt:

"Ich als Universalerbe (Vorerbe nach dem Tod meiner Frau Hildegard S*****, geborene G*****) vermiete dem im Testament (Protokollabschrift) genannten Nacherben Lothar G***** sowie Frau Gabriele mit Kindern mein Haus, Grundstück und Anwesen in K*****, auf 50 (fünfzig) Jahre zu einem Mietzins von S 400 (vierhundert) ohne Wertsicherung. Nach meinem Tode verbleibt nur mehr der Mietzins von S 400 an die Nacherben. Als Gegenleistung verpflichtet sich Lothar G***** und Frau Gabriele mich zu betreuen und zu verpflegen in gesunden und kranken Tagen. Ausgenommen vom Mietvertrag ist meine Wohnung im Erdgeschoß bestehend aus Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Gästezimmer, Bad, Klo sowie Keller in Garage, Gang samt Inventar.

Familie G***** Lothar erstellt auf seine Kosten eine eigene Wohnung im Rohbau und übernimmt die Erhaltung und Gestaltung des Hauses, Garten, Zufahrtsweg, Heizung, Strom, Wasser, Telefon, Feuer- und Inventarversicherung auf seine Kosten.

Nach meinem Tod übernimmt meinen ganzen Besitz Lothar und Gabriele G***** zum derzeitigen Schätzwert (siehe Protokollabschrift Punkt 4. siehe Passiven und Aktiven).

Ich kann den Vertrag nur ändern oder auflösen, wenn ich vernachlässigt, allein gelassen, nicht verpflegt, abgeschoben und beschimpft werde."

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung des rückständigen Mietzinses vom 1.1.1991 bis 31.12.1993 in Höhe von S 14.400, den Ersatz eines vom Beklagten veräußerten Öltanks von S 6.000 sowie die Rückzahlung eines fälligen Darlehens von S 30.000 und unter Hinweis auf den qualifizierten Mietzinsrückstand sowie wegen unleidlichen und eigenmächtigen Verhaltens des Beklagten die Räumung des Bestandgegenstandes.

Der Beklagte stellte den Mietzinsrückstand ausdrücklich dem Grunde und der Höhe nach ebenso wie die Zuzählung eines Darlehens von S 30.000 außer Streit, wandte jedoch kompensando Gegenforderungen ein:

Er habe Investitionen von zumindest 1,000.000 S aufgewendet, der Kläger habe die ihm vorbehaltene Wohnung vermietet, es stünden dem Beklagten an für die Mieter aufgewendeten Betriebskosten ein Betrag von S 46.301,33, für Aufwendungen zum Umbau elektrischer Anlagen zumindest S 20.000 zu.

Das Erstgericht stellte (sinngemäß) fest, daß die Klagsforderung mit insgesamt 46.000 samt Anhang zu Recht, die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, verurteilte den Beklagten zur Zahlung von S 46.000 samt Anhang und wies das Zahlungsmehrbegehren sowie das Räumungsbegehren ab. Es traf (soweit dies für das nunmehr allein offene Räumungsbegehren erforderlich ist) folgende Feststellungen:

Der Beklagte hat nach Abschluß des Mietvertrages auf eigene Kosten im bestehenden Rohbau eine Wohnung im ersten Stock ausgebaut und Veränderungen am Haus mit Zustimmung des Klägers vorgenommen. Darüber, was geschehen sollte, wenn der Beklagte ausziehen müsse, wurde nicht gesprochen.

Da der Kläger 1984 seine derzeitige Lebensgefährtin kennenlernte, hielt er sich immer weniger im Haus auf und wohnt seit 1986 mit seiner Lebensgefährtin, die ihn auch betreut, zur Gänze in B*****. Seit einigen Jahren hat der Kläger seine Wohnung an ein Ehepaar vermietet. Zwischen diesem und dem Beklagten kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten.

Bis zur Scheidung des Beklagten von seiner Ehefrau im Jahr 1989 wurde er vom Kläger nicht aufgefordert, Mietzins zu zahlen. Seither wurde er vom Kläger immer wieder dazu gemahnt. Der Beklagte bewohnt das Haus nunmehr mit einer Lebensgefährtin, deren drei Kindern sowie seinen drei eigenen leiblichen Kindern. Er zahlt die gesamten Betriebskosten für das Haus. Der Wert der Liegenschaft ist durch seine Investitionen um zumindest 1,000.000 S erhöht worden. Unleidliches oder eigenmächtiges Verhalten gegenüber dem Kläger konnte nicht festgestellt werden.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß das Zahlungsbegehren - der Wert des veräußerten Öltanks wurde nach § 273 ZPO mit S 1.600 festgestellt - mit insgesamt S 46.000 berechtigt sei. Gegenforderungen könne der Beklagte nicht geltend machen, weil er sich verpflichtet habe, die Investitionen sowie die Betriebskosten aus eigenem ohne die Möglichkeit eines Ersatzes zu tragen. Die nur prozessual vorgenommene Kompensation gegen den qualifizierten Mietzinsrückstand komme auch mangels Gleichartigkeit nicht in Betracht. Das Räumungsbegehren sei jedoch nicht berechtigt, weil im Mietvertrag die Umstände, aus welchen dieser aufgelöst werden könne, ausdrücklich angeführt seien, es müsse daher ein konkludenter Verzicht des Klägers auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 1118 zweiter Fall ABGB angenommen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten gegen den Feststellungs- und Geldleistungsanspruch keine Folge, hingegen änderte es über Berufung des Klägers die Abweisung des Räumungsbegehrens in eine Klagestattgebung ab.

Der Kläger habe auf die Geltendmachung des Auflösungsgrundes des § 1118 zweiter Fall ABGB im Mietvertrag nicht verzichtet. Unbeschadet der dort ausdrücklich genannten Auflösungsgründe blieben jene des § 1118 ABGB weiterhin bestehen. Auch ein konkludenter Verzicht sei nicht anzunehmen, weil der Kläger mehrfach auf Zahlung des rückständigen Mietzinses gedrungen habe.

Da der Investitionsaufwand sowie die Betriebskosten für das gesamte Haus nach dem Mietvertrag vom Beklagten auf seine Kosten zu erbringen gewesen sei, komme eine Kompensation mit Mietzinsforderungen nicht in Betracht, ein Zurückbehaltungsrecht wegen dieser Aufwendungen sei ebenfalls ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß hinsichtlich der Räumungsentscheidung die ordentliche Revision zulässig sei, weil den zu lösenden Rechtsfragen (Kompensation, Zurückbehaltungsrecht) zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Der qualifizierte Mietzinsrückstand steht unbestritten fest. Der geschuldete Betrag wurde bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht entrichtet, ein Einwand, daß der Zahlungsrückstand nicht auf grobem Verschulden beruhe, wurde vom Beklagten nicht erhoben. Eine erst im Prozeß erklärte Kompensation von zum Zeitpunkt der Auflösungserklärung fälligen Mietzinsen mit Ansprüchen, die erst nach Auflösung des Bestandvertrages entstehen könnten, ist, ganz abgesehen davon, daß nach dem zwischen den Streitteilen geschlossenen Bestandvertrag sowohl die getätigten Investitionen als auch die gesamten Betriebskosten vom Beklagten zu tragen waren, gemäß § 1438 ABGB nicht möglich. Eine Zurückbehaltung des Bestandgegenstandes scheitert an der Bestimmung des § 1440 ABGB. Die vom Revisionswerber für seine Rechtsansicht herangezogene Entscheidung JBl 1994, 171 betraf eine Räumungsklage wegen titelloser Benützung einer Liegenschaft, der Eigentümer war weder durch einen Mietvertrag noch eine andere obligatorische Vereinbarung, aus welcher der Beklagte sein Recht ableiten konnte, beschränkt, der Eigentümer stützte seinen Anspruch vielmehr sowohl auf sein Eigentum als auf den Titel der Rückabwicklung wegen ungerechtfertigter Bereicherung gegen den bis zum Zeitpunkt der Auflösung des zuvor geschlossenen Kaufvertrages redlichen Besitzer.

Die Frage des Verzichtes auf den Kündigungsgrund des § 1118 ABGB kann jedoch noch nicht abschließend beurteilt werden. Das Erstgericht hat einen solchen daraus abgeleitet, daß im Mietvertrag die Umstände, aus welchen dieser aufgelöst werden könne, ausdrücklich angeführt seien, das Berufungsgericht war der Ansicht, daß unbeschadet der im Vertrag ausdrücklich genannten Auflösungsgründe jene des § 1118 ABGB weiter bestehen blieben und ein stillschweigender Verzicht nur angenommen werden könne, wenn kein Zweifel über das Verhalten des Berechtigten, über dessen Verzichtswillen möglich sei.

§ 1118 ABGB ist dispositives Recht. Die Geltendmachung der Auflösungsgründe im Sinne dieser Gesetzesbestimmung kann von den Parteien abbedungen werden. Über den Parteiwillen bei Abschluß des Vertrages fehlt es aber an Feststellungen. Im fortgesetzten Verfahren werden daher beide Streitteile zum Zweck und der Gewichtung der in den Mietvertrag aufgenommenen Bestimmungen, insbesondere zu den offenbar vom Kläger formulierten, nur ihn treffenden Beschränkungen in den Auflösungsmöglichkeiten des Vertrages zu vernehmen und hierüber Feststellungen über die Parteienabsicht in die neuerlich zu treffende Entscheidung aufzunehmen sein.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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