OGH 2Ob17/95

OGH2Ob17/959.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Peter G*****, vertreten durch DDr.Manfred Nordmeyer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1. Günther P*****, 2. August M*****, 3. N***** Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Dr.Karl Reiter, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 322.432,40 sA und Feststellung, infolge Revision (Revisionsstreitwert S 173.799,60 sA) der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 30.November 1994, GZ 2 R 174/94-41, womit infolge Berufungen beider Streitteile das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 11.April 1994, GZ 2 Cg 233/92b-33, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 19.10.1991 kam es im Gemeindegebiet von S***** bei W***** auf der Aigen-Gemeindestraße etwa 27 m vor der Kreuzung mit der Zufahrtsstraße zu den Häusern S***** 40 und B***** 13-17 zu einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines PKW VW Passat und der Erstbeklagte als Lenker des von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Klein-LKWs Opel Kadett beteiligt waren. Die Aigen-Gemeindestraße beschreibt in Fahrtrichtung der beteiligten Fahrzeuge in Annäherung an die Unfallstelle zunächst eine Rechtskurve und geht dann in ein gerades Straßenstück über. Etwa 60 m nach dem Ende der Rechtskurve befindet sich links ein 16 m langer Einmündungstrichter, der teils geschottert, teils asphaltiert ist und zu einer etwa 3,5 breiten geschotterten Straße führt. Unmittelbar gegenüber befindet sich auf der rechten Seite ebenfalls ein Einmündungstrichter. Etwa 24 m nach diesen beiden Einmündungstrichtern beginnt neuerlich ein 27 m langer Einmündungstrichter einer nach links abzweigenden Straße. Etwa im Bereich dieses zweiten Einmündungstrichters beschreibt die Aigen-Gemeindestraße wieder eine leichte Rechtskurve. Alle drei einmündenden Straßen sind durch das Verkehrszeichen "Vorrang geben" abgewertet. Die beiden Kreuzungen sind nicht durch Verkehrszeichen angekündigt. Der Kläger fuhr auf der Gemeindestraße in Richtung W***** und wollte einen vor ihm fahrenden Traktor samt Ladeanhänger links überholen. Als er den Überholvorgang begann, fuhr das Traktorgespann unauffällig am rechten Fahrbahnrand. Eine Linksabbiegeabsicht der Traktorlenkerin war für den Kläger nicht erkennbar. Er gab weder ein optisches noch ein akustisches Warnzeichen ab. Als der Kläger sein Fahrzeug bereits auf die linke Fahrbahnhälfte gelenkt hatte und zumindest teilweise neben dem Ladewagen des Traktorgespanns fuhr, schaltete die Traktorlenkerin in einer Entfernung von 15 m zum ersten der beiden in Fahrtrichtung aller Fahrzeuge links gelegenen Einmündungstrichter den linken Blinker ein. Der Kläger bremste daraufhin sein Fahrzeug aus einer nicht exakt feststellbaren Fahrgeschwindigkeit mit nicht exakt feststellbaren Verzögerungswerten, jedenfalls aber stark ab, um sein Überholmanöver abzubrechen und sich wieder am rechten Fahrstreifen einzuordnen. Es kann nicht festgestellt werden, daß er auf das Blinkzeichen des Traktors verspätet reagiert hätte. Der hinter dem Kläger nachfahrende Erstbeklagte hatte gleichfalls am Ausgang der Rechtskurve vor der Unfallstelle angesetzt, das Traktorgespann zu überholen und in weiterer Folge das Fahrzeug auf die linke Fahrbahnhälfte verlenkt. Als der Erstbeklagte bemerkte, daß der Kläger sein Fahrzeug abbremste, leitete er ein Vollbremsmanöver ein, von welchem sich bis zum Kontakt eine 11 m lange Bremsspur abzeichnete. Aufgrund der Einhaltung eines zu geringen Sicherheitsabstandes stieß das Beklagtenfahrzeug mit einer Überschußgeschwindigkeit von rund 10 km/h mit der Front gegen das Heck des Klagsfahrzeuges. Bei dem Unfall erlitt der Kläger eine Zerrung der Halswirbelsäule. Wegen noch am Abend des Unfallstags auftretender Nackenschmerzen suchte er am nächsten Tag einen Arzt auf, der ihn in die Unfallabteilung eines Krankenhauses einwies. Nach einer klinischen Untersuchung und Röntgenuntersuchung wurde eine Zerrung der Halswirbelsäule diagnostiziert und die Halswirbelsäule mit einer Schanzkrawatte ruhiggestellt. Wegen Auftretens von "Ohrensausen" suchte der Kläger schließlich einen Hals-, Nasen- und Ohrenfacharzt auf, der ihn am 20.11.1991 neuerlich ins Krankenhaus einwies, wo er bis 29.11.1991 mit Infusionen und einer Physikotherapie behandelt wurde. Daran anschließend wurde der Kläger bis zum 12.12.1991 ambulant im Krankenhaus und bei seinem Hausarzt behandelt.

Der Fahrzeugschaden des Klägers wurde von der drittbeklagten Partei außergerichtlich beglichen. Auf seine Schmerzengeldansprüche zahlte die drittbeklagte Partei insgesamt S 30.000, Spesen und Heilungskosten in Höhe von S 5.000 wurden ebenfalls beglichen.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger zuletzt restliches Schmerzengeld von S 20.000 (daher insgesamt S 50.000), den Ersatz seines Verdienstentganges von S 302.432,40 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Er brachte vor, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall. Nach seinem erlittenen Gehörsturz sei eine völlige Wiederherstellung seines Hörvermögens nicht eingetreten und nicht mehr zu erwarten. Durch diese Beeinträchtigungen habe er als Inhaber eines Tonstudios abgeschlossene Aufträge nicht mehr weiter bearbeiten und einen mit der Gruppe "Horn-Flakes" vereinbarten Fertigstellungstermin von Plattenaufnahmen Anfang Dezember 1991 nicht einhalten können. Zur Vermeidung eines berechtigten Vertragsrücktrittes dieses Vertragspartners habe er auf den Pauschalpreis von S 420.506,80 einen Nachlaß in Höhe des geltend gemachten Verdienstentgangsbetrages gewähren müssen.

Die beklagten Parteien beantragten Abweisung des Klagebegehrens, wandten ein 50 %iges Mitverschulden des Klägers wegen Verletzung des Überholverbotes sowie aufrechnungsweise Gegenforderungen aus der Beschädigung des Beklagtenfahrzeugs ein.

Das Erstgericht sprach dem Kläger - ausgehend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten - weitere S 5.000 an Schmerzengeld und einen Betrag von S 163.799,60 an Verdienstentgang zu und entsprach auch dem Fetstellungsbegehren; das Mehrbegehren wies es ab. Es stellte insbesondere fest, daß der Kläger ohne den Unfall für die fristgerechte Produktion von CD's S 281.874 erhalten hätte, wegen der unfallsbedingten Verzögerung der Fertigstellung aber nur S 118.074,40 erhalten habe, so daß ihm der zugesprochene Verdienstentgang enstanden sei.

Das Gericht zweiter Instanz änderte das Urteil des Erstgerichtes durch weiteren Zuspruch eines Schmerzengeldbetrages von S 5.000 und durch Abweisung des Feststellungsbegehren ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es verwarf die Mängel- und Tatsachenrügen der Berufungen beider Parteien und vertrat zur Verschuldensfrage und zum Verdienstentgangsbegehren folgende Rechtsauffassung:

Den Kläger treffe am Unfall kein Verschulden, weil das Überholverbot auf ungeregelten Kreuzungen gemäß § 16 Abs 2 lit c StVO den Schutz gegen Sichtbehinderungen von rechts in die Kreuzung einfahrender Fahrzeuge bezwecke (ZVR 1991/128; 1980/39 ua), während der vorliegende Auffahrunfall allein dem Erstbeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 18 Abs 1 StVO anzulasten sei. Bei der Bemessung des Verdienstentganges habe der Schädiger den Geschädigten nach Lehre und Rechtsprechung so zu stellen, wie wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre; der Geschädigte dürfe jedoch auch nicht besser gestellt werden, als wenn er den Unfall nicht erlitten hätte. Zunächst sei daher zu ermitteln, was zu ersetzen sei, danach sei zu berechnen, wie dies zu ersetzen sei. Zunächst sei nur vom Nettoschaden auszugehen, weil dem Geschädigten auch ohne Unfall nur die Nettoeinkünfte verblieben wären. Bei der Berechnung des Schadenersatzbetrages seien aber die durch die Schadenersatzleistung selbst auftretenden Abgabepflichten zu berücksichtigen, so daß die Schadenersatzleistung so zu bemessen sei, daß sie unter Berücksichtigung der durch sie wieder entstehenden gesetzlichen Abzüge dem Nettoschaden entspreche. Die Einkommensteuerbelastung des Nettoverdienstentganges könne in der Regel durch Beiziehung eines Sachverständigen verläßlich ermittelt werden; nur wenn dies nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich sein sollte, sei gemäß § 273 Abs 1 ZPO vorzugehen (so 1 Ob 25/90 richtig: 1 Ob 25,26,30-33/90; ZVR 1990/161 mwN; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 133 f; Reischauer in Rummel2 Rz 25 zu § 1325; Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 51 zu § 1325). Nach der noch 1988 geltenden Gesetzeslage wäre eine solche Vorgangsweise erforderlich gewesen, weil der Ersatzanspruch für den entgangenen Umsatz nach §§ 32 Z 1 lit a, 33 Abs 1 und 37 Abs 2 Z 4 EStG einem anderen (begünstigten) Steuersatz unterlegen sei als der Umsatz selbst. Schon im Zeitpunkt des vorliegenden Unfalls sei aber die Bestimmung des § 37 Abs 2 Z 4 EStG (neu: § 37 Abs 2 Z 2 EStG) dahingehend abgeändert gewesen, daß solche Entschädigungen nur mehr dann unter den ermäßigten Steuersatz fielen, wenn der Zeitraum, für den die Entschädigung gewährt werde, mindestens sieben Jahre betrage. Dies treffe hier jedoch nicht zu. Die von der ständigen Rechtsprechung und der Lehre entwickelte relativ umständliche Berechnungsmethode sei daher hier entbehrlich, weil der Kläger nur den Verdienstentgang aus einem konkreten Geschäft geltend mache und wegen des anzuwendenden gleichen Steuersatzes für die Entschädigung sich sein Verdienstentgang aus der bloßen Differenz des ursprünglich vereinbarten zu dem tatsächlich erhaltenen Entgelt ergebe. Da zur Frage, ob auch nach der Änderung des § 37 Abs 2 Z 4 EStG die von der Judikatur vorgegebene dargestellte Berechnungsweise des Verdienstentganges durchzuführen sei, Rechtsprechung nicht vorliege, sei die Revision zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision der beklagten Parteien ist indessen nicht zulässig:

Die von der Vorinstanz für die Revisionszulassung als maßgeblich dargestellte steuerrechtliche Rechtsfrage wird in der Revision der beklagten Parteien weder konkret ausgeführt noch sonst irgendwie behandelt. Vielmehr bekämpfen die beklagten Parteien - in Wiederholung ihres Berufungsstandpunktes - die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts bezüglich des vom Kläger behaupteten konkreten Verdienstentganges und streben die Abweisung dieses Klagebegehrens mangels Berechtigung jeglichen Verdienstentganges an. Die vom Berufungsgericht der Revisionszulassung zugrundegelegte Rechtsfrage ist daher bei der Entscheidung über die Revision nicht zu lösen.

Soweit die beklagten Parteien in der Revision erneut ein Mitverschulden des Klägers (nunmehr im Ausmaß von einem Viertel) in dessen Verstoß gegen das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit c StVO erblicken, sind sie darauf zu verweisen, daß im Sinne der zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil ein Rechtswidrigkeitszusammenhang dieses Verhaltens mit dem dem Erstbeklagten vorzuwerfenden Verstoß gegen § 18 Abs 1 StVO nicht besteht, so daß dieser Umstand bei der Verschuldensbeurteilung außer Betracht zu bleiben hat (ZVR 1991/128; 1980/39 uam).

Die unzulässige Revision der beklagten Parteien ist somit zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dem Kläger fallen allerdings die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zur Last, weil dort die Unzulässigkeit der Revision nicht behauptet und deren Zurückweisung nicht beantragt wurde (§§ 50, 40 ZPO).

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