OGH 12Os188/94

OGH12Os188/949.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. März 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Madersbacher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Günter V* wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht St. Pölten als Schöffengericht vom 6. September 1994, GZ 24 Vr 213/94‑34, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten Günter V* und des Verteidigers Dr. Zöchbauer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1995:0120OS00188.9400000.0309.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der am 18. September 1957 geborene Günter V* des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (I.) und des (damit in Tateinheit begangenen) Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (erster Fall) StGB (II.) sowie des Vergehens (im Urteil unrichtig: "Verbrechens") der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III.) schuldig erkannt.

Darnach hat er ‑ zusammengefaßt wiedergegeben ‑ in Hürm (zu I.) zwischen August 1993 und 18. November 1993 in wiederholten Angriffen mit der am 2. Mai 1982 geborenen, sohin unmündigen Tochter seiner Lebensgefährtin, Bianca N*, den außerehelichen Beischlaf vollzogen, wobei die Tat die Schwangerschaft des Mädchens zur Folge hatte;

(zu II.) durch die zu Punkt I. geschilderten Handlungen die (damals) seiner Aufsicht unterstehende minderjährige Bianca N* unter Ausnützung seiner Stellung zur Unzucht mißbraucht;

(zu III.) zuletzt am 6. Dezember 1993 Evelyn N* fernmündlich durch die Äußerung, sie solle sich die Anzeigeerstattung gegen ihn genau überlegen, wenn sie ihren vierjährigen Sohn Markus noch einmal sehen wolle, sohin durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Anzeigeerstattung, genötigt.

Die Geschworenen haben die Hauptfragen nach (qualifiziertem) Beischlaf mit Unmündigen gemäß § 206 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (I.) und nach (damit eintätig zusammentreffendem) Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses gemäß § 212 Abs 1 (erster Deliktsfall) StGB (II.) jeweils stimmeneinhellig, sowie jene nach (schwerer) Nötigung gemäß §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB ‑ unter bei vier Ja‑Stimmen erfolgter Ausklammerung der strafsatzerhöhenden Qualifikation der Drohung mit dem Tod im Sinne des § 106 Abs 1 Z 1 StGB ‑ in Ansehung des Grunddelikts (§ 105 Abs 1 StGB) gleichfalls einheitlich bejaht. Weitere Fragen sind den Laienrichtern nicht vorgelegt worden.

 

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 6, 8, 9, 10 a und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Soweit der Beschwerdeführer unter dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund (Z 6) zur Hauptfrage I (Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen mit Schwangerschaftsfolge gemäß § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB) unter Hinweis auf Angaben des Opfers zu Beginn des Vorverfahrens die Stellung einer Eventualfrage nach dem (Grund‑)Tatbestand der Unzucht mit Unmündigen gemäß § 206 Abs 1 StGB reklamiert, übersieht er, daß es die Bestimmung des § 317 Abs 2 StPO der Beurteilung des Schwurgerichtshofes überläßt, welche Tatsachen in einer Frage zusammenzufassen ("komplexe" Fragestellung) oder zum Gegenstand besonderer (Zusatz‑)Fragen zu machen sind. Den Geschworenen stand für den Fall, daß sie das dem Nichtigkeitswerber zur Last gelegte Unzuchtsdelikt ohne Herbeiführung einer Schwangerschaft des Opfers angenommen hätten, die ihnen durch § 330 Abs 2 StPO eingeräumte Möglichkeit einer einschränkenden Bejahung der bezüglichen Hauptfrage (durch Ausschaltung der Merkmale der qualifizierenden Tatfolge) offen (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 316 E 8, 8 a und 9, § 317 E 6 b und 6 c). Auf diese Berechtigung waren die Laienrichter ‑ die von dieser Möglichkeit bei Beantwortung der Hauptfrage III (nach schwerer Nötigung) auch tatsächlich Gebrauch gemacht hatten ‑ wiederholt, nämlich in den Erläuterungen in der Antwortrubrik des Fragenformulars (S 347 f) und in der schriftlichen Rechtsbelehrung (S 337) ausdrücklich hingewiesen worden.

Daher geht auch der Beschwerdevorwurf des Unterbleibens der Vorlage einer eventuellen Schuldfrage wegen des (Grund‑)Tatbestandes der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB zur Hauptfrage III nach (gemäß § 106 Abs 1 Z 1 StGB) qualifizierter Nötigung fehl. Da die Geschworenen im Übrigen ‑ wie schon erwähnt ‑ ohnehin die (anklagekonform in die Hauptfrage aufgenommene) strafsatzerhöhende Deliktsqualifikation (der Drohung mit dem Tode) bei der positiven Beantwortung (im Sinn des § 330 Abs 2 StPO) eliminiert haben ‑ weshalb der Angeklagte in diesem Umfang (lediglich) des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt wurde (III.) -, erweist sich die Rüge insoweit überdies als nicht zum Vorteil des Nichtigkeitswerbers ausgeführt (§ 345 Abs 3 StPO).

Es versagt aber auch die Instruktionsrüge (Z 8), welche eine unter Nichtigkeitssanktion stehende falsche bzw in irreführender Weise unvollständige Information der Laienrichter nicht aufzeigt.

Daß nämlich die einmalige ‑ ersichtlich auf einen Schreibfehler beruhende ‑ Bezugnahme auf die Zivilprozeßordnung (anstatt auf die Strafprozeßordnung) bei Zitierung des "§ 321 ZPO" (richtig: StPO) im Text der vorangestellten Überschrift "Rechtsbelehrung" (S 327) Mißverständnisse bei den Geschworenen bei Auslegung der einzelnen ‑ eindeutig strafrechtsspezifischen -Gesetzesausdrücke hätte auslösen können, ist auszuschließen.

Die weitere ‑ an die schon erörterte Kritik am Fragenprogramm anknüpfende ‑ Rüge des Angeklagten, die sich gegen die im Rahmen der Instruktion über die Berechtigung der einschränkenden Fragebeantwortung (S 335 f) enthaltenen Unterweisungen mit der Behauptung wendet, die Laienrichter seien nur in der Belehrung zur Hauptfrage III auf eine solche Möglichkeit aufmerksam gemacht worden, entspricht nicht der Aktenlage, bezieht sich die relevierte Passage nach dem klaren Wortlaut des im Sinnzusammenhang stehenden Hinweises: "Zu allen Hauptfragen" (S 335) auf sämtliche Schuldfragen, keineswegs isoliert auf die (nach der eindeutigen Diktion im Abschnitt zur Erklärung von Beispielsfällen herangezogene) Hauptfrage III (S 337).

Entgegen dem weiters bezüglich der Belehrung zur Hauptfrage II erhobenen Einwand eines näheren Erörterungsbedarfs der Begriffsmerkmale des "Mißbrauchs" und des "Ausnützens der Stellung" (im Sinne des § 212 Abs 1 StGB) wurden die Laienrichter über die für die Schuldfrage wesentlichen Gesetzesausdrücke ‑ der herrschenden Lehre und Rechtsprechung entsprechend ‑ ohnehin dahin unterrichtet, daß Mißbrauch zur Unzucht unmittelbaren sexuellen Kontakt zwischen Täter und Opfer voraussetzt (S 331 ‑ Leukauf‑Steininger Komm3 § 207 RN 5, § 212 RN 20) und das Tatbildmerkmal der Ausnützung der Stellung gegenüber dem Opfer bedeutet, daß der Täter seine Autorität zur Erreichung der Unzuchtshandlung einsetzt (S 331; Leukauf‑Steininger Komm3 § 212 RN 5 und 19; Foregger‑Kodek StGB5 § 212 Erl V). Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang die Erläuterungen zum Tatbildmerkmal des "Verleitens" vermißt, bezieht er sich auf die (hier gar nicht erfragte) zweite Alternative des ersten Deliktsfalles des Absatz 1, die (allein) die Verleitung der geschützten Person zu einer unzüchtigen Handlung an sich selbst (als Tathandlung) zum Gegenstand hat. Da sich die Instruktion nach dem klaren Wortlaut des § 321 Abs 2 StPO indes auf den Inhalt der gestellten Fragen zu beschränken hat (Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 345 Z 8 E 22), die bezügliche Hauptfrage II jedoch - anklagekonform - ausschließlich Tathandlungen nach der ersten Alternative des § 212 Abs 1 StGB (Mißbrauch des Opfers zur Unzucht), nicht aber solche nach der zweiten Alternative leg. cit. zum Gegenstand hatte, geht die Rüge ‑ als nicht gesetzgemäß ausgeführt ‑ ins Leere.

Dem weiteren Beschwerdevorwurf (Z 9) zuwider hatte die schon im Rahmen der Behandlung der Rüge nach der Z 6 erörterte ‑ prozessual unbedenkliche ‑ Streichung der (qualifizierenden) Tatmodalität der "Bedrohung mit dem Tod" bei Bejahung der Hauptfrage nach Nötigung (III) durch die Laienrichter keine Undeutlichkeit des Wahrspruchs zur Folge. Denn durch die (einen Teil des Verdikts darstellende) Eliminierung der die (strafbarkeitserhöhende) Drohung mit der relevierten schweren Folge betreffenden Passage aus der ‑ im Hinblick auf das Fehlen von Nein‑Stimmen (S 348) zweifelsfrei ‑ positiven Beantwortung der in Rede stehenden Hauptfrage ist im Wahrspruch jenes Tatsachensubstrat, demzufolge dem Angeklagten (sodann) in rechtlicher Hinsicht das Vergehen (nichtqualifizierter) Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB zur Last gelegt wurde, einwandfrei zu entnehmen: Darnach hat er Evelyn N* durch die telefonische Aufforderung, sich ihre Aussage im Fall einer Anzeigeerstattung gegen ihn "genau zu überlegen", falls sie ihren vierjährigen Sohn Markus "noch einmal sehen" wolle, zur Abstandnahme von der Inanspruchnahme polizeilicher Intervention genötigt. Entgegen der Beschwerdeauffassung geht daraus in faktischer Beziehung hinlänglich deutlich hervor, worin seine von den Geschworenen als erwiesen angenommene Tathandlung gelegen war. Im übrigen brachten die Geschworenen mit der eingeschränkt bejahten Hauptfrage III unmißverständlich zum Ausdruck, daß sie nicht die Drohung an sich, sondern bloß den ihr in der Anklage beigemessenen verbrechensqualifizierenden Bedeutungsinhalt anzweifelten.

Davon ausgehend erweist sich aber auch der Einwand (Z 11), die ihm als Nötigungsmittel angelastete Äußerung sei rechtsirrig als "gefährliche Drohung" beurteilt worden, als rechtlich verfehlt. Denn bei Berücksichtigung des Inhaltes und Sinngehaltes der in Rede stehenden Kundgebung und der im Wahrspruch (zu den anderen Hauptfragen) konstatierten vorangegangenen sexuellen Übergriffe auf die elfjährige Tochter der Bedrohten Evelyn N* wurde unter der gebotenen Anlegung eines objektiv‑individuellen Maßstabes (Leukauf‑Steininger Komm3 § 74 RN 21) die in Frage gestellte besorgniseinflößende Wirkung der die Zufügung eines körperlichen Übels gegen eine Sympathieperson des Opfers ankündigenden Äußerung zutreffend bejaht. Dem Schuldspruch des Angeklagten wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB haftet daher kein Rechtsfehler an.

Die der Rechtsrüge vorangestellte Tatsachenrüge (Z 10 a) schließlich vermag keine sich aus den Akten ergebenden Umstände aufzuzeigen, aus welchen sich (erhebliche) Bedenken an der Richtigkeit des deliktsspezifischen Zusammenhanges zwischen den Beischlafshandlungen und der Schwangerschaft (I.), der Ausnützung des faktischen Schutzverhältnisses zum sexuellen Mißbrauch (II.) oder der Eignung der Drohung, begründete Furcht auszulösen (III.) ergeben.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zur Gänze zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 2 erster Strafsatz StGB fünf Jahre Freiheitsstrafe. Dabei wertete es das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen, die Wiederholung des Beischlafes und den vom Angeklagten auf das Opfer ausgeübten psychischen Druck als erschwerend, als mildernd hingegen das Teilgeständnis des Angeklagten und seinen bisher ordentlichen Lebenswandel.

Gegen den Strafausspruch wendet sich einerseits die Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Antrag, die Strafe zu erhöhen. Der Angeklagte hingegen strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter das gesetzliche Mindestmaß an.

Beide Rechtsmittel sind nicht begründet.

Die Beendigung der inkriminierten Geschlechtsbeziehung vor der Anzeigeerstattung erfolgte wegen der die Straftaten offenbarenden Schwangerschaft und kann daher nicht als mildernd berücksichtigt werden. Die ‑ altersbezogen ‑ überdurchschnittliche physische Reife des Mädchens hingegen kann schon deshalb nicht als mildernd ins Gewicht fallen, weil sie eine essentielle Voraussetzung für die strafsatzerhöhende Gravidität darstellt.

Von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungs‑ gegenüber den Erschwerungsgründen im Sinne des § 41 StGB kann mithin keine Rede sein.

Der Staatsanwaltschaft ist zwar darin zuzustimmen, daß das Alter des geschwängerten Opfers (von nur elf Jahren) zusätzlich erschwerend ist. Angesichts der ansonsten zutreffend festgestellten Strafzumessungsgründe entspricht die vom Geschworenengericht ausgesprochene Strafe aber dennoch dem Schuld‑ und Unrechtsgehalt der Taten, sodaß auch eine Erhöhung des Strafmaßes nicht geboten erscheint.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

 

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