OGH 12Os11/95

OGH12Os11/959.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.März 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Madersbacher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Erwin S***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16.September 1994, GZ 17 U 431/94-5, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16.September 1994, GZ 17 U 431/94-5, verletzt das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft, ferner in den Bestimmungen der §§ 15 und 16 JGG sowie des § 494 a Abs 1 Z 1 und Z 3 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und der ihm zugrunde liegende Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der im Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 27.Mai 1991, GZ 1 a E Vr 1.457/90-33, für den Vorbehalt der Strafe gemäß § 13 Abs 1 JGG bestimmten Probezeit abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 27.Mai 1991, GZ 1 a E Vr 1.457/90-33, wurde der am 5.März 1974 geborene Erwin S***** des Vergehens der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung nach §§ 105 Abs 1 und 15 StGB schuldig erkannt. Der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftaten über ihn zu verhängenden Strafe wurde gemäß § 13 Abs 1 JGG für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten.

Nach Ablauf dieser Probezeit sprach der Jugendgerichtshof Wien mit Beschluß vom 18.Juli 1994, GZ 1 a E Vr 1457/90-63 aus, daß von der Verhängung einer Strafe endgültig abgesehen wird. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Noch während der Probezeit hatte Erwin S***** am 22.August 1993 eine Körperverletzung verübt.

Er wurde deswegen mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16.September 1994, GZ 17 U 431/94-5, des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Gemeinsam mit dem Urteil faßte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien - welches entgegen § 494 a Abs 3 StPO weder in die Akten über die frühere Verurteilung, noch in eine diesbezügliche Urteilsabschrift Einsicht genommen hatte - in Stattgebung einer Antragstellung des öffentlichen Anklägers (S 33) unter Bezugnahme auf § 494 a StPO einen Beschluß, wonach "vom Widerruf zu 1 A E VR 1457/90, HV 42/91 des JGH Wien abgesehen, jedoch die Probezeit auf 5 Jahre verlängert" wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dieser (rechtskräftige) Beschluß steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - in mehrfacher Beziehung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Zunächst hatte der Feststellungsbeschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 18.Juli 1994 über das endgültige Absehen von einer Sanktionsverhängung mit seiner formellen Rechtskraft auch die in der Strafprozeßordnung zwar nicht ausdrücklich geregelte, aber durch die Bestimmungen des XX.Hauptstückes dieses Gesetzes indirekt umschriebene materielle Rechtskraft erlangt. Demnach ließ der aufrechte Bestand dieser Entscheidung keine Beschlußfassung über die damit erledigte Sache mehr zu (EvBl 1989/64). Primär lag somit eine Verletzung des im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten strafprozessualen Grundsatzes der materiellen Rechtskraft vor, der, wie die Beschwerde zutreffend hervorhebt, durch das Inkrafttreten des Art 4 Z 1 des 7.Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention nur für solche Entscheidungen modifiziert wurde, die echte Doppelverfolgungen und Doppelbestrafungen betreffen, nicht aber für die in der österreichischen Rechtsordnung vielfach vorgesehenen gestaltenden Beschlüsse über bedingte Unrechtsfolgen.

Zudem war der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien auch inhaltlich verfehlt, weil ein Vorbehalt der Strafe im Sinn des § 13 Abs 1 JGG gemäß den einschlägigen Regelungen (§§ 15, 16 JGG; § 494 a Abs 1 Z 1 und Z 3 StPO) weder einer schlichten Widerrufsanordnung, noch einer Verlängerung der Probezeit zugänglich ist, sondern allein Entscheidungen über einen nachträglichen Ausspruch der Strafe oder über das Unterbleiben einer solchen Sanktionsfestsetzung in Betracht kommen.

Die unterlaufenen Gesetzesverletzungen wirkten sich durch die Probezeitverlängerung zum Nachteil des Verurteilten aus, weshalb der verfehlte Beschluß zu beseitigen und der ihm zugrunde liegende Antrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen war (§ 292 letzter Satz StPO).

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