OGH 11Os22/95

OGH11Os22/9528.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Februar 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Braunwieser als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung des Ludwig P***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 14.November 1994, GZ 38 Vr 2046/94-50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des am 20. September 1957 geborene Ludwig P***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er Taten, die jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, nämlich die Vergehen (zu 1.a bis d) der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB und (zu 2.) der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB verübt hat, für die er nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer manisch-depressiven Erkrankung, sohin auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, wobei nach seiner Person, seinem Zustand und nach der Art der Taten zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen und seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Inhaltlich des Urteilsspruchs hat er in Lienz

(1.) nachstehende Personen mit dem Tod bzw einer Brandstiftung gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar:

(a) am 22.Juni 1994 die Roswitha E***** durch die Äußerung, er werde ihr Wohnhaus anzünden, sie vergewaltigen und ihren Ehegatten aufschlitzen;

(b) am 18.Juni 1994 den Jörg O***** durch die Äußerung, er werde ihn auch noch erwischen und alles anzünden, womit er dessen in Holzbaracken untergebrachten Malerbetrieb meinte;

(c) am 8.Juli 1994 unbekannte Personen, indem er gegen diese mit einer Gaspistole drei gezielte Schüsse abfeuerte;

(d) am 8.Juli 1994 den ihn bei der zu c angeführten Tat beobachtenden Marc B***** durch die Äußerung: "Dein Gesicht merke ich mir, ich bring dich um";

(2.) am 9.April 1994 Thomas St***** dadurch, daß er ihn zu Boden warf, an den Haaren erfaßte und seinen Kopf mehrmals gegen den Fußboden stieß, weiters, daß er mit dem Schuh auf dessen linke Hand stieg, wodurch St***** einen knöchernen Sehnenausriß am Endglied des dritten Mittelfingers, Prellungen des Schädels und der Nase sowie Hautabschürfungen an der Stirn erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Der Betroffene bekämpft die Anordnung seiner Anstaltsunterbringung mit einer nominell auf §§ 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a iVm 433 StPO - der Sache nach (auch) auf Z 11 des § 281 Abs 1 StPO - gestützten Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit Berufung. Der Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Zu Recht wendet der Beschwerdeführer vorerst zum Faktum 2. ein, daß das Erstgericht die Feststellungen zur Dauer der - insoweit überhaupt erst eine einweisungstaugliche Anlaßtat bewirkenden - Gesundheitsschädigung von mehr als vierundzwanzig Tagen (§ 84 Abs 1 StGB) des Thomas St***** lediglich auf dessen Aussage stützte, wonach er den Arm und die Hand drei Wochen lang in Gips getragen und sodann noch einige Zeit (Bewegungs-)Schmerzen verspürt habe (US 6). Dabei übergeht das Schöffengericht, daß der medizinische Sachverständige Dr.R***** unter Berücksichtigung aller insoweit relevanten Erfahrungsergebnisse, darunter insbesondere auch der Angaben des Zeugen St*****, nach der Gipsabnahme noch Schmerzen verspürt zu haben, zum Ergebnis gelangte, daß diese Schmerzen vom medizinischen Standpunkt "keine relevanten Folgen" darstellen. Die Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine schwere Gesundheitsschädigung vorliegt, obliegt zwar als juristische Wertung allein dem Gericht, für welche der ärztliche Sachverständige allerdings die Grundlagen liefert. Da hiebei der jeweilige Stand der Medizin entsprechend zu berücksichtigen ist (Leukauf-Steininger Komm3 § 84 RN 7), wäre das Schöffengericht gehalten gewesen, nachvollziehbar darzulegen, auf Grund welcher relevanten Umstände es zu dem von der Beurteilung des Sachverständigen abweichenden Ergebnis gelangte, der eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung bei Thomas St***** - der zudem der seinerzeitigen Kontrolluntersuchung fernblieb - verneint hat (378 f). Der hier aktuellen Frage kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil das Erstgericht die Annahmen zur Prognosetat, worauf § 21 Abs 1 StGB abstellt, ausschließlich auf das Körperverletzungsdelikt (Punkt 2) gestützt hat (vgl hiezu das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.Prof.Dr.P*****, 379 f).

Hinsichtlich der Anlaßtaten laut Punkt 1 a bis d enthält das Einweisungserkenntnis lediglich die Feststellung, daß die eingangs genannten Personen durch die Äußerungen des Betroffenen jeweils in Furcht und Unruhe, auch in Todesangst bzw "jedenfalls in Angst im Sinn des Abs 2 des § 107 StGB" versetzt wurden (US 5). Es muß nämlich auch, wenn eine Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet werden soll, hinter der unter dem Einfluß des die Zurechnungsfähigkeit des Täters ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) begangenen einweisungstauglichen Anlaßtat ein Wille des Täters stehen, der ihm, hätte er mit dem Bewußtsein und der Einsicht eines geistig gesunden Menschen gehandelt, als Vorsatz/Absicht im Sinne des § 5 StGB zuzurechnen wäre (SSt 47/32, 55/15; Leukauf-Steininger aaO § 21 RN 8, 10). Der Tatbestand des § 107 Abs 1 StGB erfordert in subjektiver Hinsicht zunächst Vorsatz des Täters in bezug auf die sich als gefährliche Drohung (§ 74 Z 5 StGB) darstellende Tathandlung und außerdem Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) in bezug auf den mit der Tathandlung verfolgten Zweck. Der vorsätzlich und tatbildlich im Sinne des § 74 Z 5 StGB Drohende handelt somit nur dann tatbestandsmäßig nach § 107 Abs 1 StGB, wenn das eigentliche Ziel seines Handelns darauf gerichtet ist, den Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen, worunter ein nachhaltiger, das ganze Gemüt ergreifender, peinvoller Seelenzustand zu verstehen ist (vgl Leukauf-Steininger aaO § 107 RN 5 f). Die zuvor bezeichneten Konstatierungen des Erstgerichtes erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Da sich das Einweisungserkenntnis solcherart auf Taten stützt, die mit den - im Ergebnis - zutreffend aufgezeigten Mängeln behaftet sind, war gemäß § 285 e StPO der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die Verfahrenserneuerung aufzutragen, ohne daß ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erforderlich war.

Mit seiner hiedurch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Betroffene auf diese Entscheidung zu verweisen.

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