OGH 10ObS17/95

OGH10ObS17/9514.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolfgang S*****, Rentner und Postbediensteter, ***** vertreten durch Dr.Gerold Hirn und Dr.Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Oktober 1994, GZ 5 Rs 78/94-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. Dezember 1993, GZ 35 Cgs 39/93i-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der beklagten Partei wird aufgetragen, dem Kläger eine vorläufige Zahlung von 800.000 S binnen 14 Tagen zu erbringen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde (§ 213 a Abs 1 ASVG), zutreffend bejaht. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist die Schwere des Sorgfaltsverstoßes und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Nach den Feststellungen war schon Monate vor dem Unfall vorherzusehen, daß der Einhakbügel des verwendeten Mobilkrans aus dem Lasthaken springen und die Lastgabel zu Boden fallen kann; dennoch wurden keine wirksamen Maßnahmen zur Beseitigung dieses Mißstandes getroffen. Die Revisionswerberin gibt auch zu, daß im vorliegenden Fall Arbeitnehmerschutzvorschriften fahrlässig außer Acht gelassen worden, sie bestreitet nur, daß es sich um grobe Fahrlässigkeit gehandelt habe. Dem sind die Vorinstanzen mit Recht entgegengetreten. Daß der Kran rund 10 Monate vor dem Unfall amtlich geprüft und abgenommen wurde, steht dieser Beurteilung deshalb nicht entgegen, weil die Fehlerhaftigkeit der Hakensicherung bekannt war. Die mehrfach versuchte betriebsinterne Instandsetzung dieser Sicherung war völlig unzureichend, was ebenfalls vor dem Unfall bekannt war. Richtig ist, daß sich der Kläger im Fallbereich unter der Last aufhielt, als die Krangabel aus dem Haken schlüpfte und zu Boden fiel, doch mildert dies nicht den Verschuldensgrad der Schutznormverletzungen, zumal auch der Kranführer bemerken mußte, daß sich der Kläger ncoh nicht ausreichend aus dem gefährlichen Bereich entfernt hatte, als er die leere Krangabel aufzog.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Integritätsabgeltung an den Kläger sind daher gegeben. Gegen die Annahme der Vorinstanzen, daß der Grad des Integritätsschadens 100 vH beträgt, wird in der Revision nichts vorgebracht.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen jedoch in anderer Hinsicht nicht ganz dem Gesetz. Das Erstgericht hat das auf Gewährung einer Integritätsabgeltung im gesetzlichen, das heißt höchstmöglichen (§ 82 Abs 4 ASGG) Ausmaß gerichtete Klagebegehren dadurch erledigt, daß es die Beklagte schuldig erkannte, dem Kläger die Integritätsabgeltung unter Zugrundelegung eines Integritätsschadens von 100 vH im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt. Eine vorläufige Zahlung wurde von beiden Instanzen nicht aufgetragen. Das Klagebegehren betrifft eine Geldleistung und ist dem Grunde und der Höhe nach bestritten, sodaß die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigt werden kann, daß das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt und dem Versicherungsträger die Erbringung einer vorläufigen Zahlung aufgetragen wird, deren Ausmaß unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO festzusetzen ist (§ 89 Abs 2 ASGG). Bei Fehlen eines solchen Auftrages ist das Urteil jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen zu ergänzen (§ 89 Abs 2 Satz 1, 3.HS idF der ASGG-Novelle 1994, BGBl 1994/624; gemäß Art X § 1 Abs 1, § 2 Z 14 auch anzuwenden, wenn das Datum des zu ergänzenden Urteils vor dem 1.1.1995 liegt). Nach § 90 Z 3 ASGG idF der ASGG-Nov 1994 ist der Auftrag nach § 89 Abs 2 in das Urteil des Rechtsmittelgerichtes von Amts wegen aufzunehmen, auch wenn dieser Auftrag im angefochtenen Urteil fehlt und der Versicherte gar kein Rechtsmittel erhoben hat (Fink, ASGG 216). Da im vorliegenden Fall von einem Integritätsschaden von 100 vH auszugehen ist, beträgt die Integritätsabgeltung 100 vH der im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles jeweils geltenden doppelten Höchstbemessungsgrundlage gemäß § 178 Abs 2 ASVG unter Berücksichtigung der Anpassung gemäß § 213 a Abs 3 ASVG (§ 3 Abs 1 der Richtlinien; vgl dazu Dörner, Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG 127). Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage und in sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO war die vorläufige Zahlung mit 800.000 S festzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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