Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Am 10.2.1992 ging der Kläger mit seiner Ehegattin auf dem Gehsteig der S*****straße in Z***** talwärts in Richtung Stadtzentrum. Es schneite leicht, die Temperatur betrug knapp unter null Grad. Einen Meter nach der zur Straße hin gedachten Verlängerung der Grenze zwischen den Grundstücken Dris.F***** und des Beklagten rutschte der Kläger aus und fiel zu Boden; er erlitt einen Haarriß des Griffelfortsatzes der rechten Speiche. Er mußte sich in ärztliche Behandlung begeben und war vom 10.2. bis 9.3.1992 im Krankenstand.
Mit der Begründung, daß der Beklagte die ihm obliegende Streupflicht verletzt habe, begehrt der Kläger die Zahlung von S 56.609,77 an Schmerzengeld, Behandlungsbeitrag, Verdienstentgang und Spesenersatz. Der Kläger bestritt, daß der Gehsteig, auf dem er stürzte, über den gesamten Verlauf von der Grenze des Grundstückes des Beklagten je mehr als 3 m entfernt sei, insbesonders auch nicht in Höhe der Sturzstelle. Eine Übernahme der Streupflicht durch die Stadtgemeinde Z***** sei nicht erfolgt.
Der Beklagte wendete ein, der Gehsteig sei ordnungsgemäß von der Gemeinde, die die Streupflicht übernommen habe, gestreut gewesen. Für ihn habe auch deshalb keine Streupflicht bestanden, weil der Gehsteig an der Unfallstelle mehr als 3 m von der Grundstücksgrenze entfernt sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend folgende Feststellungen traf:
Am 1.2.1992 hatte es im Raum Z***** geregnet und herrschte vorübergehend Tauwetter. Am 5.2.1992 hatte es ergiebig geschneit, vom
7. bis 9.2.1992 herrschte weitgehend wolkenloses Schönwetter mit mäßigem Frost. Am 10.2.1992 trübte es am Vormittag vorübergehend ein, von 9 Uhr 30 bis 12 Uhr 30 schneite es leicht. Aufgrund der Wetterlage konnte sich auf Verkehrs- und Gehwegen Reifglätte oder Eisglätte durch gefrierendes Schmelzwasser bilden. Der leichte Schneefall am 10.2.1992 war ebenfalls dazu geeignet, örtliche Straßenglätte zu erzeugen, da die Temperaturen knapp unter null Grad lagen.
Der Kläger und seine hinter ihm gehende Gattin trugen sogenannte "Moonboots". Als die beiden in den Bereich der Grenze zwischen den Grundstücken des Dr.F***** und des Beklagten kamen, erkannte der Kläger, daß es rutschig war. Einen Meter nach der zur Straße hin gedachten Verlängerung der Grenze zwischen den Grundstücken Dris.F***** und des Beklagten rutschte der Kläger aus, fiel zu Boden und wurde dabei verletzt.
Der im Bereich der Unfallstelle 1,30 m breite Gehsteig grenzt dort nicht unmittelbar an das Grundstück 742 des Beklagten, sondern befindet sich zwischen diesem und dem Gehsteig eine vom Gehsteig aus gesehen mit ca 45 Grad ansteigende Böschung, die mit Laubbäumen und einem Nadelbaum bestockt ist und aufgrund ihrer Beschaffenheit regulär nicht begehbar ist und auch nicht begangen wird. Auf der Böschungskrone befindet sich auf dem Grundstück des Beklagten ein Zaun, der dem zur Straße hingewandten Grenzverlauf des angrenzenden Grundstückes Dris.F***** in Richtung des Hotels "S*****" hin folgt.
Dieser Zaunverlauf stimmt mit dem aus dem Kataster erkennbaren weiteren Grenzverlauf nicht überein. Die Katastergrenze führt vielmehr von dem Grenzpunkt zwischen dem Grundstück des Dr.F***** und dem Grundstück des Beklagten in einem flachen Winkel der Straße annähernd. Der Abstand zwischen der straßenabgewandten Gehsteigkante und der Front des Gebäudes auf dem Grundstück des Dr.F***** an dessen Nordostecke beträgt waagrecht projiziert gesehen in der Natur zwischen 3 m und 3,10 m. Von der Katastergrenze gemessen beträgt der Abstand der straßenabgewandten Gehsteigkante auf der Höhe der Stelle, wo der Kläger gestürzt ist, waagrecht projiziert gesehen, 2,6 m. Diese Katastergrenze stammt aus dem alten Grundsteuerkataster und wurde etwa 1929 in die Katastralmappe eingezeichnet. Waagrecht projiziert gesehen ist die straßenabgewandte Gehsteigkante auf Höhe der Stelle, wo der Kläger gestürzt ist, 3,10 m von dem Zaun auf dem Grundstück des Beklagten entfernt. Die straßenabgewandte böschungsseitige Gehsteigkante ist 16 cm hoch. Von dieser Oberkante der straßenabgewandten Gehsteigeingrenzung ist der Zaun auf dem Grundstück des Beklagten 4,20 m Böschungslänge auf Höhe der Sturzstelle entfernt. Auf die Katastergrenze umgelegt ergibt sich hier eine Böschungslänge von 3,60 m.
Im Bereich der Sturzstelle war der Gehsteig noch vor 9 Uhr des 10.2.1992 vom städtischen Streudienst mit dem Streufahrzeug bestreut worden.
Beim Talwärtsfahren auf der S*****straße wird der talwärts gesehene rechte Gehsteig vom Räum- und Streudienst der Stadtgemeinde Z***** mitbefahren und so auch bestreut. Dies geschieht aufgrund einer speziellen Anordnung des Leiters des Bauhofes.
Der Kläger hatte aufgrund seiner Verletzung ein bis zwei Tage starke, fünf bis sieben Tage mittelstarke und drei bis vier Wochen leichte Schmerzen zu ertragen. Er war vom 10.2. bis 9.3.1992 im Krankenstand und hätte in dieser Zeit für Zuschläge, Zulagen, Journaldienstgebühr und Nachtdienst insgesamt S 12.405,83 bezogen; für die unfallskausalen ärztlichen Leistungen hat er Behandlungsbeiträge von 203,94 S zu entrichten.
Das Erstgericht verneinte eine Verletzung der Streupflicht durch den Beklagten, weil dieser darauf vertrauen hätte können, daß der Gehsteig vom Räum- und Streudienst der Stadtgemeinde Z***** betreut und bestreut werde. Überdies habe eine Streupflicht im Sinne des § 93 Abs 1 StVO gar nicht bestanden, weil der Gehsteig in einer Böschungslänge von 3,6 m von der Katastergrenze seines Grundstückes entfernt gewesen sei.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.
Das Berufungsgericht schloß sich der Ansicht des Erstgerichtes, der Gehsteig sei an der Unfallstelle außerhalb der 3 m-Grenze des § 93 Abs 1 StVO gelegen, an; die Mappengrenze sei irrelevant, da es sich dabei nicht um einen verbindlichen Grenzkataster im Sinne des § 8 VermG handle. Maßgeblich sei nur der in der Natur festgestellte Grenzverlauf (Spielbüchler in Rummel2, Rz 6 zu § 431; SZ 56/141), der sich im vorliegenden Fall durch den Gartenzaun bestimme. Da den Beklagten keine Streupflicht treffe, sei es gleichgültig, ob er mit der Nebenintervenientin eine Vereinbarung über die Übernahme der Streupflicht getroffen habe. Überdies könne aber aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes eine derartige Vereinbarung angenommen werden.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig, weil es zur Frage der Streupflicht des Anrainers nach § 93 Abs 1 StVO idFd 10.StVO-Novelle keine Rsp des Obersten Gerichtshofes gibt, sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
Der Kläger wendet sich in seinem Rechtsmittel gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, es komme bei der Ermittlung der 3 m-Grenze des § 93 StVO auf den in der Natur festgestellten Grenzverlauf an. Die vom Berufungsgericht herangezogene Lehre und Rechtsprechung befasse sich mit Problemen des privarechtlichen Eigentumserwerbs, sie könne daher für die Beurteilung des gegenständlichen Falles nicht herangezogen werden. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es sei auf den natürlichen Grenzverlauf abzustellen, hätte zur Folge, daß sich ein Grundstückseigentümer der Streupflicht dadurch entziehen könnte, daß er einen Zaun oder eine Hecke nicht am Rande seiner Liegenschaft, sondern nach innen versetzt errichten lasse. Auf diese Weise könnte er sich seiner Streupflicht entledigen, ohne daß diese jemand anderen treffen würde. Damit würde eine vom Gesetzgeber gewiß nicht gewollte Haftungslücke für einen allenfalls ungestreuten Gehsteig entstehen.
Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:
Auf den vorliegenden Rechtsfall ist § 93 StVO idF der 10.StVO-Novelle anzuwenden, so daß die Entscheidungen (zB 8 Ob 76/85), die einen Sachverhalt betreffen, der vor dieser Novelle verwirklicht wurde, nicht heranzuziehen sind.
Nach dieser Bestimmung haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten mit bestimmten, hier nicht relevanten Ausnahmen, dafür zu sorgen, daß die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Wie diese 3 m-Grenze zu ermitteln ist, ist weder der Regierungsvorlage zur 10.StVO-Novelle (1188 BlgNR 15.GP 17) - in dieser war noch eine "Breite von 10 m" vorgesehen - zu entnehmen, noch dem Bericht und Antrag des Verkehrsausschusses (1481 BlgNR 15.GP). Eine sinnvolle Auslegung dieser Bestimmung kann nur bedeuten, daß den Liegenschaftseigentümer eine Streupflicht für den ganzen Gehsteig auch dann trifft, wenn nur die straßenabgewandte Gehsteigbegrenzung nicht mehr als 3 m entfernt ist. Würde man die Streupflicht genau mit 3 m von der Grundstücksgrenze limitieren, könnte das dazu führen, daß ein Liegenschaftseigentümer etwa einige cm des Gehsteiges zu bestreuen hätte. Es erscheint völlig sinnwidrig und der Verkehrssicherheit abträglich, die Streupflicht innerhalb einer Gehsteigfläche aufzuteilen.
Ein weiteres Problem bei der Auslegung dieser Bestimmung ergibt sich daraus, daß ihr nicht zu entnehmen ist, ob die Grundstücksgrenze waagrecht zu projizieren ist oder ob die Verhältnisse in der Natur maßgeblich sind. Nach Ansicht des erkennenden Senates erscheint es angemessen, die Grundstücksgrenze waagrecht zu projizieren, weil ansonsten der Liegenschaftseigentümer die Möglichkeit hätte, durch Anbringung kleiner Hügel oder Böschungen sich seiner Streupflicht zu entziehen.
Schließlich ist unklar, welche Rechtsfolgen dann einzutreten haben, wenn Gehsteig und Liegenschaftsgrenze nicht parallel verlaufen. Hier gebietet aber der klare Wortlaut des § 93 Abs 1 StVO, daß den Anrainer nur in dem Bereich eine Streupflicht trifft, in dem die (der Straßenseite abgewandte) Begrenzung des Gehsteiges nicht mehr als 3 m von seiner Liegenschaftsgrenze entfernt ist.
Betreffend den vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, daß der Mappengrenze keine Bedeutung zukommt, weil es sich dabei nicht um einen Grenzkataster im Sinne des VermesssungsG 1968 handelt (Koziol/Welser II9, 101). Es kann aber auch nicht auf die natürliche Begrenzung einer Liegenschaft durch Zaun oder Hecke abgestellt werden, andernfalls es ja der Liegenschaftseigentümer in der Hand hätte, durch Anbringung derartiger Begrenzungen sich seiner Streupflicht zu entziehen. Die vom Berufungsgericht zitierte (scheinbar gegenteilige) Lehre und Rechtsprechung (zB Spielbüchler in Rummel2, Rz 6 zu § 431 mwN) betrifft die Frage des Umfanges des Eigentums bei rechtsgeschäftlichem Erwerb. Für die Ermittlung der 3 m-Grenze des § 93 Abs 1 StVO ist aber nicht die natürliche Grenze in Form eines Zaunes oder einer Hecke maßgeblich, sondern die rechtliche Grenze des Eigentums des Anrainers, die nicht unbedingt ident sein muß mit der natürlichen Grenze, weil ja der Eigentümer nicht daran gehindert ist, einen Zaun hinter der Grundstücksgrenze anzubringen.
Im fortgesetzten Verfahren wird mit den Parteien zu erörtern sein, ob die Grenze des Eigentums des Beklagten - waagrecht projiziert - bezogen auf eine Normale zur straßenabgewandten Begrenzung des Gehsteiges innerhalb von 3 m liegt oder außerhalb. Dabei wird wohl auch der Frage des Liegenschaftserwerbes des Beklagten oder seiner Rechtsvorgänger Bedeutung zukommen.
Aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes kann aber auch nicht gesagt werden, ob ausreichend gestreut wurde. Das Erstgericht stellte lediglich fest, daß der Gehsteig im Bereich der Sturzstelle des Klägers noch vor 9 Uhr des 10.2.1992 vom städtischen Streudienst mit dem Streufahrzeug bestreut worden war. Die bei Schneefall und Eisbildung gegebene Streupflicht findet an dem, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, ihre Grenze (ZVR 1973/6). Ob im vorliegenden Fall die Streuung durch den Streudienst derartig intensiv erfolgte, daß auch dem Beklagten keine weiteren Maßnahmen zumutbar gewesen wären, kann aufgrund des festgestellten Sachverhaltes nicht beurteilt werden.
Ungeklärt ist schließlich auch die Frage, ob der Beklagte eine allenfalls ihn treffende Streupflicht übertragen hat. Der Liegenschaftseigentümer ist nämlich von der Haftung dann befreit, wenn er die im § 93 StVO genannten Verpflichtungen einem Dritten übertragen hat und dessen Untüchtigkeit nicht erwiesen ist (ZVR 1982/261; ZVR 1988/101 ua). Auch die tatsächliche Durchführung von Räumungs- und Streumaßnahmen durch eine andere (juristische) Person als die Eigentümerin eines Grundstückes mehrere Jahrzehnte hindurch stellt die Übernahme der Verpflichtung zur Durchführung dieser Tätigkeiten durch schlüssige Handlung dar (ZVR 1988/50). Ob nun im vorliegenden Fall eine derartige (schlüssige) Vereinbarung zwischen der klagenden Partei und der Nebenintervenientin geschlossen wurde, kann aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes nicht beurteilt werden. Auch diese Frage wird im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern sein und wird die beklagte Partei ihr diesbezügliches Vorbringen - wonach die Nebenintervenientin es übernommen hat, die gesamte S*****straße mit den angrenzenden Gehsteigen zu räumen und zu bestreuen - zu präzisieren haben. Allenfalls wird es darüber ergänzender Feststellungen bedürfen.
Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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