OGH 15Os189/94(15Os190/94)

OGH15Os189/94(15Os190/94)9.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Februar 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Köttner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Harald S***** wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall SGG und § 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 34 Vr 1126/94 des Landesgerichtes Linz, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Linz vom 8.Juli 1994, AZ 22 Ur 110/94, und der Ratskammer des Landesgerichtes Linz vom 18.August 1994, AZ 38 Ns 63/94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Zehetner, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Linz vom 8. Juli 1994, AZ 22 Ur 110/94, und der Ratskammer des Landesgerichtes Linz vom 18.August 1994, AZ 38 Ns 63/94, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 38 Abs 1 StGB.

Text

Gründe:

Harald S***** befindet sich seit dem 10.Juni 1994 beim Landesgericht Linz wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall SGG und § 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen in Untersuchungshaft.

Mit Schreiben vom 7.Juli 1994 ersuchte die Justizanstalt Linz, Strafvollzug, das Landesgericht Linz um Beschlußfassung gemäß § 180 Abs 4 StPO, weil Harald S***** auf Grund einer Strafvollzugsanordnung der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach wegen einer Verwaltungsübertretung eine Ersatzfreiheitsstrafe von 294 Stunden für eine Geldstrafe von 4.900 S zu verbüßen habe.

Mit Beschluß vom 8.Juli 1994 (irrtümlich datiert mit 8.Juni 1994), AZ 22 Ur 110/94, rechnete der Untersuchungsrichter einen Teil der von Harald S***** erlittenen Untersuchungshaft im Ausmaß von 294 Stunden in "analoger Anwendung" des § 38 Abs 1 StGB auf die erwähnte Verwaltungsstrafe an. Die gegen diesen Beschluß von Harald S***** erhobene Beschwerde wies die Ratskammer des Landesgerichtes Linz mit Beschluß vom 18.August 1994, AZ 38 Ns 63/94, ab. Eine gegen diese Vorhaftanrechnung gerichtete Grundrechtsbeschwerde wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 20.September 1994, GZ 14 Os 140/94-5, zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Die erwähnten Beschlüsse des Untersuchungsrichters und der Ratskammer des Landesgerichtes Linz stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach § 38 Abs 1 StGB sind nur die verwaltungsbehördliche und die gerichtliche Verwahrungshaft sowie die Untersuchungshaft auf Freiheits- und Geldstrafen anzurechnen, wenn der Täter die Haft in einem Verfahren wegen der Tat, für die er bestraft wird (Z 1), oder sonst nach der Begehung dieser Tat wegen des Verdachtes einer mit Strafe bedrohten Handlung (Z 2) erlitten hat. Unter "mit Strafe bedrohter Handlung" sind im Sinn des § 17 StGB mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlungen (Leukauf/Steininger, Komm3 § 38 RN 1), sonach nur Verbrechen und Vergehen zu verstehen, deren Aburteilung den ordentlichen Gerichten zukommt.

Der Anregung Bittmanns in RZ 1994, S 52 f, auf die sich der Beschluß der Ratskammer bezieht, eine bereits verbüßte Untersuchungshaft sei auch auf Strafhaften wegen Verwaltungsübertretungen vom Untersuchungsrichter gemäß § 38 StGB anzurechnen, weil nicht einzusehen sei, weshalb bereits verbüßte Untersuchungshaft auf noch offene Strafhaft wegen gerichtlich strafbarer Tatbestände angerechnet werden könne, nicht aber auf Strafhaften wegen Verwaltungsübertretungen, § 38 Abs 1 StGB sei daher analog auch auf Strafen anzurechnen, die wegen Verwaltungsübertretungen oder sonstigen nicht gerichtlich strafbaren Handlungen verhängt wurden, zumal § 180 Abs 4 StPO (verbis: "Haft anderer Art") Strafen wegen Verwaltungsübertretungen mitumfasse, kann nicht beigetreten werden.

§ 180 Abs 4 StPO regelt nämlich nur die Fälle, in denen eine Untersuchungshaft nicht verhängt oder aufrecht erhalten werden darf. Bei Vorliegen einer "Haft anderer Art" ist eine Untersuchungshaft somit entweder nicht zu verhängen oder eine bereits beschlossene Untersuchungshaft für den Vollzug dieser Haft anderer Art zu sistieren (vgl 15 Os 84,85/94 = EvBl 1994/176). Für eine in einem gerichtlichen Verfahren vorzunehmende Vorhaftanrechnung auf eine Verwaltungsstrafe fehlt jedoch jegliche gesetzliche Grundlage.

Eine solche Anrechnung durch das ordentliche Gericht widerspräche nicht nur dem klaren Wortlaut des § 38 StGB, sondern würde auch gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung des Art 94 B-VG verstoßen, weil das Gericht hiedurch in die Kompetenz der Verwaltungsbehörde eingreifen würde.

Für die Anrechnung einer gerichtlichen (Untersuchungs-)Haft auf Verwaltungsstrafen wäre nämlich auf Grund der für sie geltenden Gesetze nur die Verwaltungsbehörde zuständig; für eine Anrechnung durch das Gericht fehlt - wie bereits erwähnt - eine gesetzliche Grundlage.

Unter diesem Gesichtspunkt ermangelt es auch an der von Bittmann behaupteten Regelungslücke, die dieser durch Analogie schließen zu müssen glaubt. Grundsätze der Analogie gelten nämlich nur dort, wo eine planwidrige, vom Gesetzgeber nicht gewollte Lücke vom Gericht zu schließen ist (JBl 1976, 490). Nach dem vorher Gesagten, insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht, liegt in dem Umstand, daß Verwaltungsstrafen von Gerichten durch Anrechnung auf eine bereits vollzogene Untersuchungshaft nicht vollstreckt werden dürfen, keine vom Gesetzgeber gewollte Lücke im Gesetz.

Da Harald S***** durch die erwähnten Entscheidungen des Untersuchungsrichters und der Ratskammer des Landesgerichtes Linz keinen Nachteil erlitten hat, mußte es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.

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