OGH 14Os187/94

OGH14Os187/9417.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Jänner 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mandl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Kazimierz Josef B***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. August 1994, GZ 4 a Vr 7525/94-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (B) unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 StGB (A) sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft) aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Aus Anlaß der kassatorischen Entscheidung wird auch der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. August 1994, GZ 4a Vr 7525/94-30, mit welchem vom Widerruf der bedingten Nachsicht der mit dem Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 15. Oktober 1993, GZ 15 U 2434/93-8, verhängten zweiwöchigen Freiheitsstrafe abgesehen wurde, aufgehoben.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens des versuchten (richtig allerdings: des vollendeten) Gebrauches fremder Ausweise nach §§ 15, 231 StGB enthält, wurde der polnische Staatsangehörige Josef B***** des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 (zweiter Fall) SGG schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er in der Zeit von 17. bis 24. Juni 1994 insgesamt rund 100 Gramm Heroin an unbekannte Abnehmer verkaufte (A).

Nur gegen diesen Schuldspruch richtet sich die formell auf die Gründe der Z 4 und 5 (der Sache nach auch auf die der Z 5 a) des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Berechtigung kommt jedenfalls der Mängelrüge (Z 5) zu.

Wie der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt, blieben Verfahrensergebnisse unerörtert, die gegen die inhaltliche Richtigkeit seines vor der Polizei abgelegten, aber bereits vor dem Untersuchungsrichter widerrufenen, dem Schuldspruch nach dem Suchtgiftgesetz allein zugrundeliegenden Geständnisses sprechen.

So begründet das Erstgericht seine Überzeugung von der mangelnden Stichhältigkeit der vom Angeklagten für den Widerruf seines angeblich tatsachenwidrigen Geständnisses vor der Polizei angegebenen Beweggründe mit dem Hinweis auf die Angaben der Zeugen K***** und H*****, denenzufolge der Angeklagte entgegen seiner Behauptung seine niederschriftlichen Angaben über seine "Suchtgiftaktivitäten" von sich aus und ohne Druck gemacht habe (US 6).

Dabei wird von den Tatrichtern übersehen, daß die korrekte Durchführung der niederschriftlichen Befragung - und nur darauf kann sich die Aussage der Zeugin K***** beziehen - nicht ausschließt, daß sich der Angeklagte schon im Zuge vorangegangener, nicht protokollierter Vernehmungen zu ihn belastenden wahrheitswidrigen Angaben entschlossen haben könnte.

Darauf deutet nicht nur die Behauptung des Josef B***** hin, bereits vor der Beiziehung der Dolmetscherin vier- bis fünfmal vernommen worden zu sein (S 122), sondern auch das - der Niederschrift nicht zu entnehmende, aber vom Zeugen H***** (S 90, 130) bestätigte - Bemühen des Angeklagten, durch "kooperatives Verhalten" seine Enthaftung zu erreichen (vgl S 122, 123), womit auch jene Angaben über einen türkischen Dealer ("Faik") und dessen Wohnung motiviert sein könnten, die einer objektiven Überprüfung nicht standgehalten haben (S 128).

Das Erstgericht, das die Anwendung von Drohungen und Versprechungen (die sich nach Darstellung des Beschwerdeführers auf die Zusage seiner Freilassung für den Fall eines Geständnisses bezogen: S 43,

122) aus "vernehmungstechnischen Gründen" grundsätzlich für möglich hält (US 6), verneinte indes die Durchführung von Vernehmungen zum Suchtgiftdelikt ohne Hinzuziehung einer Dolmetscherin. Die Begründung für diese Annahme ist jedoch unzulänglich. Ohne den persönlichen Eindruck, den der Angeklagte bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung auf das Schöffengericht hinterlassen hatte, in seine beweiswürdigenden Überlegungen einzubeziehen, schloß es eine vorherige Vernehmung, der Aussage H*****(S 128) folgend, allein aus Gründen sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten aus (US 6). Dabei ließ es jedoch außer acht, daß dieser Zeuge seine ursprüngliche Behauptung, man habe sich mit dem Angeklagten nicht verständigen können (S 128), mit dem Zugeständnis, "er konnte ein bißchen Deutsch ..." (S 130) relativierte. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei nach seiner Festnahme vor Beiziehung der Dolmetscherin (24. Juni,

19.40 Uhr; S 13) bereits vier- bis fünfmal vernommen worden, läßt sich sohin mit dem Hinweis auf sprachliche Verständigungsbarrieren allein nicht widerlegen.

Hinzu kommt, daß, wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, bereits vor Beginn der schriftlichen Befragung in Anwesenheit der Dolmetscherin, nämlich um 19.25 Uhr, die Ausstellung eines Haftbefehles wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 16 Abs 1 und 2 Z 2 SGG (und des Vergehens nach § 231 StGB) mit der Behauptung des Verkaufes von zwei Briefchen Heroin beantragt wurde (S 3 d). Da diese zur Verhaftung führende Sachverhaltsdarstellung, der Angeklagte sei beim Suchtgifthandel "betreten" worden, nach der Aktenlage objektiv unrichtig ist (S 5, 129), und die Information eines unbekannten Anrufers vorliegend keinen hinreichenden Belastungsbeweis darstellt, könnte sich ein begründeter Tatverdacht demnach nur - wie sich auch aus der Aussage des Zeugen H***** (S 129) ergibt - auf die eigenen Angaben des Angeklagten stützen. Dem stünde jedoch die Darstellung H***** entgegen, wonach der Angeklagte erst im Beisein der Dolmetscherin mit dem Suchtgiftvorwurf konfrontiert worden sei (S 130). Wenngleich es durchaus naheliegend erscheint, den eines Suchtgiftdeliktes Verdächtigen vor Beantragung der Ausstellung eines Haftbefehls zu diesem Vorwurf trotz Vorliegens von Verständigungsschwierigkeiten zu befragen und hiezu auch ausreichend Zeit gewesen wäre, läßt das Urteil eine Erörterung auch dieser Frage vermissen.

Zahlreiche gegen die angenommene Beweiskraft des - widerrufenen - Geständnisses sprechende und damit den Angeklagten allenfalls entlastende Umstände blieben sohin seitens des Erstgerichtes ungeklärt.

Die solcherart unvollständig gebliebene Begründung für die erstgerichtliche Feststellung des dem Angeklagten zur Last gelegten Suchtgiftverkaufes stellt daher den gerügten Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO her, weshalb der Beschwerde bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben, der angefochtene Schuldspruch aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens im Umfange der Aufhebung anzuordnen war.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Aus Anlaß dieser Entscheidung war auch der mit dem aufgehobenen Strafausspruch in untrennbarem Zusammenhang stehende Beschluß des Erstgerichtes, mit welchem vom Widerruf der bedingten Nachsicht der mit dem Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 15. Oktober 1993, GZ 15 U 2434/93-8, verhängten Freiheitsstrafe ungeachtet der neuerlichen Verurteilung gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen wurde, aus formalen Überlegungen aufzuheben. Im erneuerten Verfahren wird das Verbot der reformatio in peius zu beachten sein (die Staatsanwaltschaft hat kein Rechtsmittel ergriffen).

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