OGH 11Os154/94(11Os155/94)

OGH11Os154/94(11Os155/94)17.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Jänner 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Haubenwallner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter Johann P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 17.Juni 1994, GZ 20 q Vr 5695/93-87, sowie die Beschwerde (§ 494 a StPO) des Angeklagten nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Weiss, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Streit zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Walter Johann P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Demnach hat er am 27.April 1993 in Wien Susanne W***** mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt zur Duldung des Beischlafes genötigt, indem er ihr, versehen mit einer Gesichtsmaske, einen Schlag gegen den Hinterkopf versetzte, ein Messer gegen den Brustkorb hielt, jeweils mit einem Klebeband die Hände auf dem Rücken zusammenband, die Füße fesselte sowie die Augen und den Mund massiv verklebte, wodurch sie Atembeschwerden erlitt, und sie auf einen Dachboden schleppte, wobei die Vergewaltigte durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde.

Die Geschworenen bejahten die anklagekonform gestellte Hauptfrage im Stimmenverhältnis 5 : 3. Die (auf die Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 2 StGB lautenden) Eventualfragen blieben folgerichtig unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Gründe der Z 5, 6, 8 und 10 a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.

Zu Unrecht erachtet sich der Beschwerdeführer in der Verfahrensrüge (Z 5) zunächst durch die unterbliebene Beiziehung eines gerichtsmedizinischen bzw gynäkologischen Sachverständigen zum Ortsaugenschein oder zur Demonstration im Gerichtssaal in seinen Verteidigungsrechten verletzt. Hiedurch sollte der Nachweis erbracht werden, daß die dem Angeklagten angelastete Vergewaltigung in der von der Zeugin W***** geschilderten Form mangels physischer bzw anatomischer Durchführbarkeit (zufolge Tragens enger "Jeans") gar nicht möglich gewesen sei. Dafür fehlt es jedoch schon an einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung. Bei dieser nahm der Angeklagte nach dem Inhalt der Verhandlungsschrift nur hinsichtlich des Beweisthemas auf den vor der Hauptverhandlung eingebrachten (schriftlichen) Beweisantrag Bezug (115/II); den angeführten Sachverständigenbeweis verlangte er dort nicht. Auf den schriftlichen Beweisantrag (ON 84/II) aber, der in der Hauptverhandlung - nach dem Inhalt der Verhandlungsschrift - nicht wiederholt wurde, kann der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund (Z 5) - ebenso wie jener der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO - nicht gestützt werden (Mayerhofer-Rieder, StPO3 § 281 Z 4 E 1).

Die Abweisung des Antrages auf Durchführung eines Lokalaugenscheines wird mit der Verfahrensrüge nicht (mehr) geltend gemacht. Im übrigen wurde dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ohnehin die Demonstration einer von ihm behaupteten Bewegungseinschränkung zur Tatzeit (durch die von ihm damals getragene enge Jeanshose - 121/II) ermöglicht.

Den weiteren Ausführungen der Verfahrensrüge zuwider wurden aber auch durch die Ablehnung des Beweisantrages auf zeugenschaftliche Einvernahme von Günter C***** und Karl M***** (115/II) Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht hintangesetzt.

Weder unmittelbar aus dem Beweisantrag selbst noch sonst aus dessen Inhalt im Zusammenhang mit dem Vorbringen des Angeklagten in der Hauptverhandlung können jene Umstände abgeleitet werden, die durch die beantragten Zeugeneinvernahmen erwiesen werden sollten. Die Verfahrensrüge versagt daher schon mangels einer entsprechenden - das Beweisthema enthaltenden - Antragstellung.

Wenn der Angeklagte (erst) in der Nichtigkeitsbeschwerde unter Behauptung von Diskrepanzen in den Aussagen des - in der Hauptverhandlung ohnedies als Zeugen vernommenen - Günter C***** einerseits und der Susanne W***** andererseits (als Beweisthema) mangelnde Wahrheitsliebe der Susanne W*****, ins Treffen zu führen sucht, so ist dieses Vorbringen zum einen verspätet und zum anderen aus dem Akt nicht nachvollziehbar. Der Sache nach läuft die Verfahrensrüge - wie sich aus dem Wortlaut der Antragstellung und Formulierungen in der Beschwerdeschrift ergibt - im Ergebnis auf die Durchführung eines bloßen Erkundungsbeweises hinaus.

Der behauptete Verfahrensmangel ist daher nicht unterlaufen.

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) leitet der Angeklagte daraus ab, daß sein Teilgeständnis, Susanne W***** zwar nicht vergewaltigt, aber (zur Bekanntgabe von persönlichen und geschäftlichen Verhältnissen eines Herrn S*****) genötigt zu haben, nicht bereits bei Stellung der Hauptfrage, die seiner Ansicht nach als "Alternativfrage" zu formulieren gewesen wäre, sondern erst in einer Eventualfrage (des Fragenschemas) berücksichtigt worden sei.

Dabei übersieht der Beschwerdeführer, daß die Hauptfrage stets der Anklage zu entsprechen hat und zwar gleichgültig, ob hinreichende Beweise hiefür vorliegen oder nicht; dies zu beurteilen obliegt eben den Geschworenen bei Fällung des Wahrspruches. Es können daher Verfahrensergebnisse, die von der Darstellung der Tat in der Anklageschrift abweichen, nur in einer (Eventual-)Frage Berücksichtigung finden (Mayerhofer-Rieder, aaO § 312 E 3 und 4).

Denselben Nichtigkeitsgrund erachtet der Beschwerdeführer auch wegen unterbliebener Aufnahme einer "Eventualfrage in Richtung Zwang zur Unzucht" in den Fragenkatalog als gegeben. Da der Tatbestand des Verbrechens des "Zwanges zur Unzucht" (§ 203 StGB aF) mit der StG-Novelle 1989 (BGBl 1989/242) weggefallen ist und der Beschwerdeführer sein bezügliches Vorbringen auch nicht näher ausgeführt hat, entbehrt die Rüge in diesem Punkt schon der für eine sachbezogene Erörterung des Beschwerdevorbringens erforderlichen Substantiierung. Sollte sich der Beschwerdeführer bei seinem Vorbringen aber lediglich in der Bezeichnung vergriffen und tatsächlich das Unterbleiben einer Eventualfrage nach dem Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 (allenfalls auch Abs 2) StGB (nF) - welcher Tatbestand seit der StG-Novelle 1989 den Tatbestand des § 203 aF StGB mitumfaßt und gegenüber dem Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 bis 3 (nF) StGB nur subsidiär zur Anwendung kommen kann - gemeint haben, war eine derartige Fragestellung nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens entgegen der (unbegründet gebliebenen) Beschwerdebehauptung nicht indiziert; hat sich der Angeklagte doch nie damit verantwortet, Susanne W***** "zur Unzucht gezwungen" (bzw zu geschlechtlichen Handlungen genötigt) zu haben. Anhaltspunkte für ein derartiges Tatverhalten des Angeklagten ergeben sich auch nicht aus den übrigen Ergebnissen des Beweisverfahrens. Bloß denkmögliche bzw nicht gewählte Verteidigungsvarianten erfordern jedenfalls nicht die Stellung von Eventualfragen.

Der Instruktionsrüge (Z 8) zuwider legt die Rechtsbelehrung sehr wohl entsprechend der Vorschrift des § 321 Abs 2 StPO auch das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung und Verneinung der einzelnen Fragen klar (S 7 der Rechtsbelehrung = Beilage B./ zu ON 86/II; siehe auch Klammerzusatz bei den Eventualfragen 1 und 2). Der Beschwerdebehauptung, durch die Rechtsbelehrung könnten die Geschworenen irregeleitet worden sein, fehlt daher die Grundlage.

Mit der Tatsachenrüge (Z 10 a) vermag der Angeklagte keine Bedenken - geschweige denn solche erheblicher Art - gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Mit dem Vorbringen, die festgestellten Vergewaltigungshandlungen ließen sich weder aus dem Sachverständigengutachten (offensichtlich gemeint das Gutachten der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr.Friedrich, 111 ff/II iVm ON 58 und ON 75, wonach dem Angeklagten zuordenbare Spermaspuren am T-Shirt der Susanne W***** gefunden wurden) noch nach den Verletzungen der Zeugin W***** (Kopfprellung, siehe 283/I, und oberflächliche, striemenförmige Abschürfungen an den Unterarmen, siehe 36/I und Lichtbild 261/I) noch - wegen angeblicher, das Umfeld der Tat betreffender "Widersprüchlichkeiten" - aus der Aussage der Zeugin Susanne W***** selbst zwingend ableiten, unternimmt der Angeklagte in Wahrheit nur den im kollegialgerichtlichen Strafverfahren unzulässigen Versuch, die den Geschworenen überlassene freie Beweiswürdigung zu bekämpfen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aber auch der eine Strafreduktion anstrebenden Berufung des Angeklagten und seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß kommt keine Berechtigung zu.

Das Geschworenengericht berücksichtigte bei der Strafbemessung zwei einschlägige Vorstrafen als erschwerend, als mildernd dagegen keinen Umstand. Davon ausgehend verhängte es nach § 201 Abs 3 (zu ergänzen: erster Strafsatz) StGB eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Unter einem widerrief es gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten unter Bestimmung einer fünfjährigen Probezeit gewährte bedingte Entlassung (vom 2.Juni 1989) aus der im Verfahren zum AZ 24 Vr 3187/79 des Landesgerichtes Innsbruck über ihn verhängten Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren.

Die Strafzumessungsgründe wurden vom Geschworenengericht im wesentlichen vollständig festgestellt und auch zutreffend bewertet. Den Berufungsausführungen zuwider kann dem Angeklagten ein mehrjähriges Wohlverhalten in Freiheit nicht zugute gehalten werden, zumal er nach seiner bedingten Entlassung schon im Mai 1991 - wenngleich nicht einschlägig - abermals straffällig wurde (AZ 7 c E Vr 12906/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) und auch die ihm nunmehr zur Last liegende Straftat während der Probezeit verübte. Die beiden ersten der insgesamt drei gerichtlichen Vorverurteilungen des Angeklagten beruhen (im engeren Sinn) auf der gleichen schädlichen Neigung, weil sie Delikte gegen die Sittlichkeit (§ 204 Abs 1 sowie §§ 202 Abs 1 und 15 neben §§ 15, 75 StGB) betrafen. Nicht nachvollziehbar ist demzufolge die Berufungsbehauptung, die Vergewaltigung einer weiblichen Person sei neu in der Täterpersönlichkeit des Angeklagten. Dies gilt gleichermaßen für die als weiterer Milderungsgrund reklamierte "finanzielle Zwangslage" des Angeklagten. Einer Tatbegehung nur aus Unbesonnenheit oder "mehr durch eine besonders verlockende Gelegenheit als mit vorgefaßter Absicht" steht der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellte Tathergang entgegen. Art und Weise der Tatausführung lassen demnach einen sorgfältig ausgeheckten Tatplan erkennen.

Den Berufungsausführungen zuwider kann die Frage des Widerrufs der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe bei der Strafbemessung keine Berücksichtigung finden; wohl aber ist umgekehrt bei Beurteilung der Frage des Widerrufes aus spezialpräventiver Sicht der Strafausspruch wegen der neuen Tat mitzuberücksichtigen (vgl Leukauf-Steininger Komm3 § 53 RN 1).

Ausgehend von der gesetzlichen Strafdrohung von fünf bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe und unter Berücksichtigung des massiv belasteten Vorlebens des Angeklagten, der nach Verbüßung einer (Teil-)Strafe von zehn Jahren und trotz eines schwebenden Strafrestes von vier Jahren abermals einschlägig straffällig geworden ist, erweist sich das vom Geschworenengericht festgesetzte Strafmaß als durchaus tat- und tätergerecht. Zu einer Strafherabsetzung bestand demnach kein Anlaß.

Die einschlägigen Vortaten im Verein mit dem schwerwiegenden Rückfall während der Probezeit bestätigen die Annahme des Erstgerichtes, daß der Widerruf der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung geboten ist, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Es mußte darum auch der Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

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