OGH 9ObA803/94

OGH9ObA803/9411.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf und Erich Huhndorf als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund Gewerkschaft Kunst, Medien, freie Berufe, *****, vertreten durch Dr.Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider den Antragsgegner Österreichischer Rundfunk (ORF), *****, vertreten durch Gerhard Zeiler, Generalintendant, ebendort, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird festgestellt, daß Dienstnehmern, die am 1.1.1969, bzw am 1.1.1964 bzw am 1.1.1959 in den ORF eingetreten sind und daher am 31.12.1993 das 25., bzw das 30., bzw das 35.Dienstjubiläum vollendet haben, Jubiläumsgeld in der ursprünglichen, der Vereinbarung vom 20.6.1963 entsprechenden Höhe und nicht im halbierten Ausmaß aufgrund der Vereinbarung vom 1.12.1992 gebührt.

Text

Begründung

Zwischen den Parteien gilt die am 27.2.1961 abgeschlossene freie Betriebsvereinbarung für die Dienstnehmer des Österreichischen Rundfunks (FBV). Über Jubiläumsgaben ist folgendes vereinbart:

1.) Vereinbarung vom 20.6.1963:

...."Jubiläumsgaben - Wirksamkeitsbeginn 1.1.1960

Folgende Jubiläumsgaben wurden vereinbart:

anl. d. Vollendung d. 15.Dienstjahres - S 1.000 brutto

anl. d. Vollendung d. 25.Dienstjahres - zwei Monatsgehälter,

anl. d. Vollendung d. 30.Dienstjahres - ein normales

Fernsehgerät......,

anl. d. Vollendung d. 35.Dienstjahres - drei Monatsgehälter.

Unter Dienstjahre sind effektiv im Unternehmen zurückgelegte

Dienstjahre zu verstehen."......

Die im Jahr 1963 anfallenden Dienstjubiläen werden in Zukunft jeweils

nach Vollendung des betreffenden Dienstjubiläums fällig und je nach

Anfall laufend gewährt bzw ausbezahlt.

2.) Änderung dieser Vereinbarung vom 6.5.1981

......Jubiläumsgabe anläßlich Vollendung

des 25.Dienstjahres zwei Monatsgehälter

des 30.Dienstjahres S 10.000 brutto

des 35.Dienstjahres drei Monatsgehälter

des 40.Dienstjahres Entscheidung GI

Stand bis 31.12.1993.

3.) Vereinbarung vom 1.12.1992

.....II. Jubiläumsgelder

Dienstnehmer/innen, die vor dem 1.1.1993 in ein Dienstverhältnis nach der FBV übernommen wurden, erhalten anläßlich von Dienstjubiläen nach dem 31.12.1993 folgende Jubiläumsgelder:

25. Dienstjubiläum ein Monatsgehalt

30. Dienstjubiläum S 5.000

35. Dienstjubiläum 1,5 Monatsgehälter.

Der Antragsteller begehrt die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung und brachte zur Begründung vor:

Es seien am 1.1.1969 elf Dienstnehmer, am 1.1.1964 sechs Dienstnehmer in die Dienste des ORF eingetreten, so daß am 31.12.1993 elf das 25., sechs das 30. und ein Dienstnehmer das 35.Dienstjahr vollendet hätten. Es sei für alle Dienstnehmer, die am 31.12.1993 dienstzeitmäßig die Voraussetzungen für die Jubiläumsgabe erfüllt hätten, der Anspruch auf Jubiläumsgeld begründet. Es sei nämlich zwischen Fristen und Zeiträumen zu unterscheiden. Für Fristen sei ziemlich einheitlich die Regelung des § 902 ABGB anzuwenden, was bei Zeiträumen, wie den vorliegenden zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht der Fall sei. Unter die Jubiläumsgabe auslösende Dienstjahre seien effektiv zurückgelegte Dienstzeiten zu verstehen, wobei der Eintrittstag mitzuzählen sei und die Vollendung eines Dienstjahres bei Beginn eines Dienstverhältnisses am 1.1. mit dem 31.12. eintrete.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Feststellungsbegehrens. Er vertrat den Rechtsstandpunkt, daß unter dem Dienstjubiläum der Jahrestag eines bestimmten bereits stattgefundenen Ereignisses (zB Eintritt in das Unternehmen, Geburtstag etc) verstanden werden müsse und stützte seinen Rechtsstandpunkt auf ein beigelegtes Privatgutachten (Wilhelm). Beispielsweise werde auch ein Lebensjahr am Geburtstag vollendet. Ein am 1.Jänner Geborener vollende das 19.Lebensjahr sohin nicht am 31.12., sondern erst am 1.1. Auch die Vereinbarung vom 1.12.1992 knüpfe an die Begehung der Dienstjubiläen an, was aber voraussetze, daß das Ereignis (= Dienstjubiläum) bereits stattgefunden haben muß. Es müsse daher der erste Tag des nächsten Jahres erreicht sein.

Rechtliche Beurteilung

Der Antragsteller ist eine Körperschaft der Arbeitnehmer (Czerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, ArbVG Band II, 55). Der Antragsgegner ist aufgrund der Sonderregelung des Bundesgesetzes vom 10.7.1984 über die Aufgaben und die Einrichtung des Österreichischen Rundfunks (BGBl Nr.379) nach dessen § 1 Abs 3 als Arbeitgeber kollektivvertragsfähig (Czerny/Haas-Laßnigg/Schwarz aao Band II, 59). Beide sind daher als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens gemäß § 54 Abs 2 ASVG legitimiert. Da behauptet ist, daß die begehrte Feststellung mindestens drei Arbeitnehmer des Unternehmens betrifft, liegt das nach § 54 Abs 2 ASGG geforderte rechtliche Interesse für den Feststellungsantrag vor.

Der Antrag ist berechtigt.

Die FBV des ORF ist keine zulässige Betriebsvereinbarung, sondern nur die Grundlage einer einzelvertraglichen Ergänzung des Dienstvertrages gemäß § 863 ABGB (Arb 10.873). Die Auslegung dieser Dienstvertragsergänzungen hat daher nach den §§ 914 f ABGB zu geschehen. Danach ist, wie bei der Gesetzesauslegung zunächst der Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung zugrundezulegen; dabei ist aber nicht stehenzubleiben, sondern der Wille der Parteien, nämlich die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen (JBl 1986, 173, 9 Ob A 51/93). Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (Koziol/Welser, Grundriß9 I 91; ZAS 1977/19; JBl 1988, 38, 9 Ob A 51/93 ua). Einer Auslegung von Willenserklärungen bedarf es aber nur dann, wenn ihr objektiver Aussagewert nicht unzweifelhaft ist (Koziol/Welser aaO, 91; NZ 1980, 26, 9 Ob A 40/94). Nur wenn eine übereinstimmende Parteiabsicht nicht als erwiesen angenommen werden kann, darf der Inhalt der schriftlichen Willenserklärung im Wege der rechtlichen Beurteilung durch Auslegung ermittelt werden (WoBl 1992/87; 9 Ob A 40/94).

Im vorliegenden Fall ist die Jubiläumsgabe an die Vollendung einer bestimmten Anzahl von Dienstjahren geknüpft, wobei unter Dienstjahren die effektiv im Unternehmen zurückgelegten Dienstjahre zu verstehen sind. Die Fälligkeit tritt jeweils nach Vollendung des betreffenden Dienstjubiläums ein.

Bei der Jubiläumsgabe handelt es sich um einen dienstzeitabhängigen Anspruch, der nach der vereinbarten Wartefrist erworben wird.

Eine durch Vertrag oder Gesetz bestimmte Frist ist vorbehaltlich anderer Festsetzung nach § 902 Abs 1 ABGB so zu berechnen, daß bei einer nach Tagen bestimmten Frist der Tag nicht mitgezählt wird, in welchen das Ereignis fällt, von dem der Fristlauf beginnt. Das Ende einer nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmten Frist fällt auf denjenigen Tag der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach seiner Benennung oder Zahl dem Tag des Ereignisses entspricht, mit dem der Lauf der Frist beginnt. Diese Bestimmung ist auf alle materiellrechtlichen Fristen des Privatrechts anzuwenden (Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 1 zu § 902 mwN). Zwischen den Parteien gilt als vereinbart, daß effektiv zurückgelegte (also nicht nur vertraglich angerechnete) Dienstjahre zugrundezulegen sind. Für die Berechnung des Dienstjahres ist der tatsächlich rechtliche Beginn des Dienstverhältnisses entscheidend, sohin der Tag, der als tatsächlicher Beginn des Dienstverhältnisses vereinbart wurde, nicht aber der Tag des Dienstvertragsabschlusses (Martinek/M. und W.Schwarz AngG7 447; Czerny, Urlaubsrecht6 45; Csebrenyak/Geppert/Maßl/Rabofsky ABGB und Arbeitsvertragsrecht 144 f; Arb 6602; RdW 1990, 88; 4 Ob 72/78; 9 Ob A 4/89, 9 Ob A 317,318/89). Der erste Tag des Dienstverhältnisses ist ebenso Vertragserfüllung wie jeder der folgenden und ist daher entgegen § 902 ABGB bei Berechnung der Wartefrist mitzuzählen (Stiasny, Arbeitsrechtliche Fristbestimmung AnwZ 1934, 312 ff, Csebrenyak/Geppert/Maßl/Rabofsky aaO 144 f). Auch hier handelt es sich wie bei § 19 Abs 2 AngG nicht um Fristen, in denen eine Willenserklärung abzugeben ist, sondern um eine von den Parteien vereinbarte absolute Zeitdauer, während der Arbeitsleistungen erbracht werden (Arb 6602). Damit kommt aber die Bestimmung des § 902 ABGB aufgrund des von den Parteien vereinbarten Vorbehaltes, daß bei Berechnung der Frist die zurückgelegten Dienstjahres zählen, nicht zur Anwendung. Das subjektive Recht auf die Jubiläumsgabe fällt somit bei Dienstvertragsbeginn 1.1. mit Ablauf des 31.12. des 25., 30. oder 35.Dienstjahres an und nicht erst an dem darauffolgenden Ersten. Am 31.12.1993 waren daher, die Richtigkeit der ausschließlich als Grundlage der Entscheidung über einen Feststellungsantrag nach § 54 Abs 2 ASGG heranzuziehenden Behauptungen (9 Ob A 801/94) des Antragstellers vorausgesetzt, die Anspruchsvoraussetzungen für die Jubiläumsgabe nach 25, 30 bzw 35 Dienstjahren insoweit erfüllt, als das subjektive Recht des Dienstnehmers, das ist die Forderung, entstanden, aber nach den zugrundeliegenden Vereinbarungen nur noch nicht fällig war und daher erst nach Fälligkeit zum durchsetzbaren Recht wurde. Entscheidend ist aber das Entstehen der von der Zurücklegung einer bestimmten Anzahl von Dienstjahren aufschiebend bedingten Forderung, weil sie bereits dann einen Vermögensbestandteil bildete, der abgetreten und verpfändet werden konnte (Mayerhofer in Ehrenzweig Privatrecht3 156). Die Vereinbarung vom 20.6.1963 unterscheidet daher auch zwischen den "im Jahre 1963 anfallenden Dienstjubiläen" und deren "nach Vollendung des Dienstjubiläums" eintretenden Fälligkeit. Der in der Vereinbarung vom 1.12.1992 enthaltene Wortlaut "...erhalten anläßlich von Dienstjubiläen nach dem 31.12.1993...." bringt nichts anderes zum Ausdruck als daß der mit dieser Vereinbarung reduzierte Jubiläumsgeldanspruch für die Dienstjubiläen gilt, bei denen die Voraussetzungen für die Anwartschaft (= Anspruch) nicht bereits mit Ablauf des 31.12.1993 erfüllt waren. Die erst nach dem 31.12.1993 eintretende Fälligkeit ändert am erworbenen Anspruch nichts. Auch die noch nicht fällige Forderung bildete mit dem Ablauf des Diensttages 31.12.1993 eine privatrechtliche unter Eigentumsschutz stehende erdiente Anwartschaft auf die Jubiläumsgabe (vgl DRdA 1993/45 [Ritzberger-Moser]).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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