OGH 15Os103/94

OGH15Os103/9415.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 1994 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hobel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Andreas Harald T* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens nach § 3 g VG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Andreas Harald T* und Helmut Adolf S* sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 5. Mai 1994, GZ 15 Vr 57/94‑39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, der Angeklagten Andreas Harald T* und Helmut Adolf S* sowie der Verteidiger Dr. Kapsch und Dr. Hirn zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0150OS00103.9400000.1215.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S* wird teilweise Folge gegeben und teils demzufolge, teils gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO der im übrigen unberührtbleibende Wahrspruch der Geschworenen zur Zusatzfrage 4 und das im übrigen unberührt bleibende angefochtene Urteil im Schuldspruch der Angeklagten T* und S* wegen des Verbrechens nach § 3 g VG laut Punkt B des Urteilssatzes sowie demzufolge in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Strafsache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Klagenfurt verwiesen, dem aufgetragen wird, den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruches (zur Hauptfrage 2) der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

II. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten T* sowie die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S* im übrigen Umfang werden verworfen.

III. Die Staatsanwaltschaft sowie beide Angeklagten werden mit ihren Berufungen auf die zu I. getroffene Entscheidung verwiesen.

IV. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten T* auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch des Angeklagten T* enthält, wurden Andreas Harald T* und Helmut Adolf S* des Verbrechens nach § 3 g VG schuldig erkannt.

Darnach haben sie sich auf andere als die in den §§ 3 a bis 3 f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, und zwar

A) Andreas Harald T* gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten (und abgeurteilten) Ing. Ewald F* in Maria Saal und anderen Orten Österreichs durch Redigieren, Herausgeben, Verlegen und Versenden

I.) in der Zeit von September 1990 bis Dezember 1990 des Kalenders "Alter Jahreszeitweiser 1991" und

II.) in der Zeit von September 1991 bis Dezember 1991 des Kalenders "Alter Jahreszeitweiser 1992" sowie

B) Andreas Harald T* und Helmut Adolf S* gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten (und abgeurteilten) Markus Alfons Maria A* in der Zeit ab Mai 1992 in Klagenfurt durch Redigieren, Herausgeben, Verlegen und Veranlassen der Verteilung des Flugblattes "Die Wahrheit über die Waffen‑SS".

Diesen - jeweils umfangreiche Textstellen der erwähnten Veröffentlichungen wiedergebenden - Schuldsprüchen liegt die Bejahung entsprechender Hauptfragen (bezüglich T* Hauptfrage 1 I und 1 II sowie Hauptfrage 2, bezüglich S* Hauptfrage 2) sowie die Verneinung der nur für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 2 hinsichtlich der beiden Angeklagten gestellten Zusatzfrage 4 nach Vorliegen eines den Angeklagten nicht vorzuwerfenden Rechtsirrtums (§ 9 StGB) zugrunde.

Beide Angeklagten bekämpfen die sie betreffenden Schuldsprüche mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden, welche vom Erstangeklagten T* auf die Gründe der Z 5, 6, 8, 11 lit a und 11 lit b des § 345 Abs 1 StPO, vom Zweitangeklagten S* auf jene der Z 8 und 10 a dieser Gesetzesstelle gestützt werden.

 

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten T*

Darin, daß gegen den Erstangeklagten zum Tatvorwurf Punkt II der Hauptfrage 1 (Schuldspruchfaktum A II) ‑ im Gegensatz zu den weiteren ihm angelasteten Fakten und anders als gegen Ing.Ewald F* (siehe S 3 a des Antrags‑ und Verfügungsbogens) ‑ keine Voruntersuchung geführt wurde, liegt weder der in der Beschwerde herangezogene Nichtigkeitsgrund (§ 345 Abs 1 Z 5), dessen Geltendmachung eine Antragstellung in der Hauptverhandlung voraussetzt, noch eine Nichtigkeit anderer Art (Z 4). Die Vorschrift des § 91 Abs 1 StPO, wonach der Versetzung in den Anklagestand wegen eines dem Geschworenengericht zur Aburteilung zukommenden Verbrechens eine Voruntersuchung vorangehen muß, zählt nämlich nicht zu jenen Geboten, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 91 E 8 und 9).

Zur Verfahrensrüge (Z 5), mit der die Nichterledigung einer Vielzahl von vor der Hauptverhandlung eingebrachten Beweisanträgen des Beschwerdeführers moniert wird, ist dieser nicht legitimiert, weil er die schriftlich gestellten Beweisanträge in der Hauptverhandlung nicht wiederholt hat. Die erfolgreiche Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 5 StPO setzt nämlich ‑ wie schon vorhin ausgeführt ‑ voraus, daß über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinne des Antragstellers entschieden wurde (Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 5 E 29 iVm § 281 Z 4 E 1).

Zu Unrecht sieht der Angeklagte Nichtigkeit gemäß § 345 Abs 1 Z 6 StPO dadurch verwirklicht, daß nicht auch zur Hauptfrage 1 eine Zusatzfrage "betreffend einen allfälligen Rechtsirrtum" gestellt wurde:

Eine solche Zusatzfrage, die nach § 313 StPO nur dann zu stellen ist, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die ‑ wenn sie als erwiesen angenommen werden ‑ die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden, ist nicht in jedem Fall geboten, in welchem durch die Verhandlungsergebnisse mangelndes Unrechtsbewußtsein indiziert ist. Nach § 9 Abs 1 StGB handelt vielmehr der in einem solchen Rechtsirrtum befangene Täter allein dann nicht schuldhaft, wenn ihm der Rechtsirrtum nicht vorzuwerfen ist; hingegen haftet er im Falle der Vorwerfbarkeit des Rechtsirrtums bei vorsätzlichem Handeln für die Vorsatztat, bei fahrlässigem Handeln für die fahrlässige Tat (§ 9 Abs 3 StGB). Vorzuwerfen ist der Rechtsirrtum (nach § 9 Abs 2 StGB) dann, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre.

Für mangelnde Vorwerfbarkeit eines allfälligen Irrtums des Erstangeklagten über die Rechtswidrigkeit des ihm laut Schuldspruch A angelasteten (vorsätzlichen) Verhaltens bietet aber, der Beschwerde zuwider, seine Verantwortung in der Hauptverhandlung keinen Anhaltspunkt: Zwar bestritt er, zur Tatzeit den Inhalt des Kalenders "Alter Jahreszeitweiser 1991" als nationalsozialistisches Gedankengut erkannt zu haben (S 37/2 f), und erklärte, er habe die medienrechtliche Verantwortung für den Inhalt in Unkenntnis des Verbotsgesetzes über Ersuchen seines Arbeitgebers Ing.F*, dem er vertraut habe, übernommen. Er räumte allerdings ein, die Textstellen gemeinsam mit Ing.F* ausgewählt sowie zusammengesucht zu haben (S 43 f/II), und betonte im Zusammenhang mit dieser Aufgabe, Ing.F* habe jemanden (wie den Beschwerdeführer) gesucht, der sich "mit der Geistesrichtung befaßt" habe (S 45/II). Angesichts der sonach dem ‑ durchaus gebildeten (S 33/II) ‑ Erstangeklagten nicht verborgen gebliebenen Tendenz der politischen Äußerungen, deren Aufnahme in den Kalender in Betracht gezogen wurde, wäre er seinem besonderen Tätigkeits‑ und Verantwortungsbereich nach ‑ insbesondere auch als "für den Inhalt Verantwortlicher" der Ausgabe 1991 ‑ dazu verpflichtet gewesen, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt zu machen. Daß er dies unterlassen hat, zieht die Vorwerfbarkeit des von ihm behaupteten Rechtsirrtums nach sich; ein ‑ von ihm nicht zu vertretender ‑ Ausschluß seiner Schuld auf Grund dieses Irrtums war somit nicht indiziert, weshalb eine darauf Bezug nehmende Zusatzfrage zu Recht unterblieben ist.

Dies gilt um so mehr in Ansehung der Ausgabe 1992, als der Beschwerdeführer selbst vorbrachte, in Anbetracht des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens wegen der Ausgabe 1991 und seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter hiezu (S 53 ff/I) Bedenken in der Richtung eines möglichen Verstoßes gegen das VG gehabt und deshalb eine Aufnahme seiner Person in das Impressum abgelehnt zu haben (S 41/II), er aber dennoch an der Redigierung der Ausgabe 1992 in gleicher Weise wie ein Jahr zuvor mitwirkte.

Soweit der Beschwerdeführer überdies ("uneigentliche") Zusatzfragen im Sinn des § 316 StPO nach dem Vorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Z 11 StGB vermißt, beruht dies auf einer Verkennung des Gegenstandes, den eine Zusatzstrafe nach dieser Gesetzesstelle haben kann: Voraussetzung für ihre Stellung ist nämlich, daß es sich beim indizierten Erschwerungs‑ oder Milderungsumstand um einen solchen handelt, der nach dem Gesetz die Anwendung eines anderen Strafsatzes bedingt. Da es sich bei dem Milderungsgrund des § 34 Z 11 StGB nicht um einen solchen strafsatzändernden Umstand handelt, vielmehr auch bei seinem Vorliegen die Strafe nach dem ersten Strafsatz des § 3 g VG zu verhängen wäre (dies auch bei zusätzlicher Anwendung außerordentlicher Strafmilderung nach § 41 Abs 1 Z 4 StGB), entsprach das Unterbleiben einer unechten Zusatzfrage dem Gesetz.

Die Instruktionsrüge (Z 8) mit der Behauptung, es fehle an "jedweder" Belehrung über den Schuldausschließungsgrund des Rechtsirrtums nach § 9 StGB, ist in Anbetracht des Inhalts des Punktes C der Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 4 (127 ff/II) schlechthin nicht aktengetreu. Das zusätzliche Vorbringen, es sei auch die Belehrung über das Vorsatzerfordernis "grob unvollständig", weil (auf Seite 2 im Absatz 3) "lediglich ein einziger Satz dazu angeführt" werde, "wobei in einem Nebensatz unvollständig der bedingte Vorsatz aufgezeigt wird", ist nicht konkretisiert, weil der Beschwerdeführer nicht dargetan hat, welche Ausführungen er zum ‑ in der Rechtsbelehrung enthaltenen ‑ Hinweis auf das Vorsatzerfordernis der in den Fragen bezeichneten Straftat und zur (zutreffenden) Wiedergabe des Inhalts des § 5 Abs 1 StGB vermißt und in welcher Weise die behauptete Unvollständigkeit einer Unrichtigkeit gleichkommt, also geeignet gewesen sein könnte, die Geschworenen im konkreten Fall zu einer rechtsirrtümlichen Lösung der ihnen vorgelegten Fragen zu verleiten (Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 8 E 9 a, 30, 31 a).

Auf das Vorbringen des Verteidigers im Gerichtstag, der Rechtsbelehrung sei eine Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht zu entnehmen, war im Hinblick auf das für Nichtigkeitsbeschwerden geltende Neuerungsverbot nicht einzugehen.

Nicht gesetzmäßig ausgeführt sind auch die nominell auf Z 11 lit a und 11 lit b des § 345 Abs 1 StPO gestützten Rechtsrügen:

In Ausführung des erstgenannten Nichtigkeitsgrundes verweist der Beschwerdeführer auf seine, eine vorsätzliche Tatbegehung in Abrede stellende Verantwortung; dabei geht er aber nicht vom ‑ (auch) einen selbst durch einen allfälligen Verbotsirrtum nicht tangierten (Leukauf/Steininger Komm3 § 9 RN 1; Nowakowski im WK Vorbem zu § 3 Rz 43; Kienapfel AT2 273; Triffterer AT 275) Vorsatz in der Richtung des § 3 g VG bejahenden ‑ Verdikt der Geschworenen zu beiden Hauptfragen aus; die prozeßordnungsgemäße Darstellung des relevierten Nichtigkeitsgrundes erfordert nämlich einen Vergleich der im Wahrspruch festgestellten Tat mit deren im Urteilsspruch erfolgten Unterstellung unter das Strafgesetz (Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 11 a E 1).

Die sich gegen die Nichtanwendung des Schuldausschließungsgrundes nach § 9 Abs 1 StGB wendenden, auf § 345 Abs 1 Z 11 lit b StPO gestützten Beschwerdeausführungen sind deshalb nicht prozeßordnungsgemäß, weil sie sich nicht gegen die Entscheidung über die Frage richten, ob die Verfolgung der Tat aus Gründen des Prozeßrechtes ausgeschlossen ist. Nur mit Beziehung auf ein solches prozessuales Verfolgungshindernis, nicht jedoch wegen rechtsirriger Bejahung oder Verneinung von Rechtfertigungs‑, Schuldausschließungs‑, Strafausschließungs‑ oder Strafaufhebungsgründen kann der herangezogene Nichtigkeitsgrund geltend gemacht werden (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 11 b E 4).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*

Die Behauptung in der Instruktionsrüge (Z 8) dieses Angeklagten, die Rechtsbelehrung (zur Hauptfrage 2) enthalte keine Ausführungen darüber, ob die Waffen‑SS als nationalsozialistische Organisation im Sinn des § 3 VG anzusehen sei, beruht auf einer Verkennung der Bestimmung des § 321 Abs 2 StPO über den Inhalt der den Geschworenen schriftlich zu erteilenden Belehrung: Dieser Vorschrift zufolge muß die Rechtsbelehrung ‑ für jede Frage gesondert ‑ eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf welche die Haupt‑ oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen. Die Zugehörigkeit der Waffen‑SS zu den nationalsozialistischen Organisationen betrifft jedoch weder ein gesetzliches Merkmal des Verbrechens nach § 3 g VG, welches Gegenstand der bezughabenden Hauptfrage ist, noch einen in dieser oder in einer der anderen Fragen vorkommenden Ausdruck des Gesetzes. Sie bedurfte schon aus diesem Grund keiner Erläuterung im Rahmen der schriftlichen Rechtsbelehrung. Ihr (faktischer) Zusammenhang mit der Anklage‑(und Urteils‑)Tat B konnte nur Gegenstand der im Anschluß an die Rechtsbelehrung vom Vorsitzenden vorzunehmenden Besprechung (§ 323 Abs 2 StPO) sein, deren inhaltliche Bekämpfung unter der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO nicht zulässig ist (Mayerhofer/Rieder aaO § 323 E 1).

Berechtigung kommt im Ergebnis der Tatsachenrüge (Z 10 a) des Angeklagten S* zu.

Die beiden Angeklagten verantworteten sich in der Hauptverhandlung dahin, einen Entwurf des Flugblattes "Die Wahrheit über die Waffen‑SS" dem Rechtsanwalt Dr.S*, der ihres Wissens in Strafsachen nach dem Verbotsgesetz tätig geworden war, zur Prüfung vorgelegt zu haben, nach welcher Dr.S* den Inhalt nicht dem Verbotsgesetz widersprechend beurteilt habe (S 25 ff, 49 ff/II). Der Zeuge Dr.S* bestätigte, das ihm vorgelegte Flugblatt "genau angeschaut" und seine Meinung dahingehend geäußert zu haben, daß es nicht dem Verbotsgesetz widerspreche, zumal seiner Meinung nach die Waffen‑SS ein Teil der Wehrmacht gewesen sei (S 67 f/II). Der Angeklagte S* brachte überdies vor, eine ‑ 1946 erschienene ‑ kommentierte Ausgabe des Verbotsgesetzes zu Rate gezogen zu haben, in der die Angehörigen der Waffen‑SS als nicht zur SS im Sinne des Verbotsgesetzes gehörend bezeichnet worden seien (S 25, 27, 31 und Ablichtung in der Beilagenmappe).

Diese Verfahrensergebnisse indizieren die Möglichkeit des Vorliegens eines Verbotsirrtums im Sinn des § 9 StGB, zumal die Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums insbesondere dann ausgeschlossen sein kann, wenn fachkundiger Rat einer verläßlichen, sachlich kompetenten Stelle, die über den gesamten Sachverhalt informiert wird, eingeholt wird (Leukauf/Steininger Komm3 § 9 RN 15).

Der gesamte Akteninhalt bietet keinen Hinweis dafür, daß der Rechtsanwalt Dr. S* über den Inhalt des Flugblattes unvollständig informiert oder daß das verbreitete Flugblatt etwa gegenüber jenem Text, der dem Rechtsanwalt vorgewiesen worden war, verändert worden wäre, daß die Angeklagten etwa von vornherein von der Verbotswidrigkeit ihres Tuns überzeugt gewesen wären und sie die Auskunft des Rechtsanwaltes gleichsam als Alibiaktion eingeholt hätten oder daß es sich bloß um ein abgekartetes Spiel zwischen den Angeklagten und einem mit ihren Intentionen sympathisierenden Rechtsanwalt gehandelt hätte.

Bei dieser Situation wurde durchaus zutreffend eine Zusatzfrage (Frage 4) in Richtung eines den Angeklagten nicht vorzuwerfenden Rechtsirrtums gestellt, die von den Geschworenen stimmeneinhellig verneint wurde.

Hiezu ist jedoch anzumerken, daß in der Niederschrift der Geschworenen die Angabe der Erwägungen, von denen die Laienrichter bei der Beantwortung dieser Frage ausgegangen sind, überhaupt fehlt (S 171/II). Unverständlich ist, aus welchem Grund der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes seiner Verpflichtung zur strikten Einhaltung der Bestimmungen über die Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht, worunter auch die Anordnung des § 331 Abs 3 StPO über die Abfassung der "Niederschrift der Geschworenen" durch den Obmann und den Inhalt dieser Niederschrift fällt, nicht nachgekommen ist. Denn der Vorsitzende wäre von Amts wegen verpflichtet gewesen, den Obmann der Geschworenen zur ergänzenden Angabe der Erwägungen der Geschworenen auch für deren Votum zur Zusatzfrage 4 zu verhalten.

Die ratio einer vollständigen Niederschrift iS des § 331 Abs 3 StPO, die gesondert für jede Frage die Erwägungen der Geschworenen für die Beantwortung der Frage zu enthalten hat, liegt insbesonders darin, dem Gerichtshof die Möglichkeit zu geben, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Geschworenen die Frage nicht offenbar mißverstanden haben, was allenfalls zur Einleitung des Moniturverfahrens oder zur Aussetzung des Wahrspruches führen könnte (vgl SSt 33/25 und 43/42).

Da die Aktenlage ‑ wie vorhin dargetan ‑ hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verbotsirrtums bietet, denen keine dagegen sprechenden Verfahrensergebnisse gegenüberstehen, dem Akt aber auch nicht zu entnehmen ist, aus welchen Erwägungen die Laienrichter die Zusatzfrage 4 verneint haben, ergeben sich aus den Akten erhebliche Bedenken an der Richtigkeit des im Verdikt festgestellten Nichtvorliegens eines Verbotsirrtums.

Nicht gefolgt werden kann der Argumentation der Generalprokuratur, die dahin geht, daß die Verneinung der zulässigerweise nicht konkretisierten Zusatzfrage aus faktischen wie auch aus rechtlichen Gründen denkbar sei und damit aus dem Verdikt nicht erkennbar sei, welche bestimmten Tatsachen die Geschworenen als erwiesen angenommen haben, weshalb die Erhebung einer Tatsachenrüge mangels Tatsachengrundlage im Wahrspruch nicht in Betracht komme.

Diese Rechtsansicht brächte für den gegenständlichen Fall, in dem eine zulässigerweise nicht konkretisierte Zusatzfrage (Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 313 E 3 a) gestellt und (verneinend) beantwortet wurde, mit sich, daß dem Angeklagten weder eine Rüge nach § 345 Abs 1 Z 6 StPO (vgl hiezu EvBl 1991/175) noch auch eine Tatsachenrüge (Z 10 a) zustünde. Dies entspräche nicht den Intentionen des Gesetzgebers, welcher der Tatsachenrüge im geschworenengerichtlichen Verfahren grundsätzlich einen gleichartigen Anfechtungsumfang wie im schöffengerichtlichen Verfahren zugedacht hat (Bericht des JA 359 BlgNR 17.GP 47). Es ist nicht einsichtig, weshalb ein verneinendes Verdikt auf die Frage nach Gründen der im § 313 StPO genannten Art als "negative" Tatsachenfeststellung der Anfechtung durch eine Tatsachenrüge entzogen sein sollte, wird darin doch ausdrücklich konstatiert, daß jener Umstand, der Gegenstand der Zusatzfrage war, nicht vorliegt, auch wenn im Verdikt Tat‑ und Rechtsfragen "zusammenfließen" können (Moos, Die Ausdehnung der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Beweiswürdigung nach § 281 Abs 1 Z 5 a StPO, ÖJZ 1989, 143; der Sache nach auch EvBl 1991/175; ähnlich ersichtlich Einhard Steininger, Die Anfechtung mangelhafter Tatsachenfeststellungen im Geschworenenverfahren, ÖJZ 1992, 696, der den Anfechtungsgrund des § 345 Abs 1 Z 10 a StPO ausdrücklich von der Unzulässigkeit des Eingreifens des Rechtsmittelgerichtes bei mangelnder Gewißheit der Frage, ob das Verdikt auf Rechts‑ oder Beweiserwägungen beruht, ausnimmt; aM Bertel, Grundriß des österr. Strafprozeßrechts4 Rz 930, der die Tatsachenrüge auf bejahte Fragen beschränkt, ohne allerdings darzulegen, weshalb ‑ wie hier ‑ die Verneinung der Frage nach Verbotsirrtum keine der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellte entscheidende Tatsache darstellt. Unter dem "Wahrspruch der Geschworenen" sind nur die an sie gerichteten Fragen und die von ihnen darauf gegebenen Antworten (SSt 33/25), unter "entscheidenden Tatsachen" aber jene zu verstehen, die für die Unterstellung der Tat unter das Strafgesetz oder die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes von Bedeutung sind (EvBl 1980/57 u.v.a.). Demnach ist das auf Grund der Verneinung einer Zusatzfrage konstatierte Nichtvorliegen eines Verbotsirrtums eine im Wahrspruch der Geschworenen festgestellte Tatsache.

Zu all dem kommt noch die Überlegung: Wäre erkennbar ‑ etwa aus einer zur Interpretation des Wahrspruches herangezogenen Niederschrift über die Erwägungen der Geschworenen ‑, daß eine Zusatzfrage im Sinn des § 313 StPO ausschließlich aus Beweiswürdigungserwägungen verneint wurde, könnte - wieder nach den wohlverstandenen Intentionen des Gesetzgebers ‑ der Anwendungsbereich einer Tatsachenrüge in bezug auf die in einem solchen Verdikt enthaltene Tatfrage nicht in Zweifel gezogen werden.

Aus den angeführten Überlegungen war daher der Wahrspruch zur Zusatzfrage 4 sowie der (auch) darauf beruhende Schuldspruch laut Punkt B aufzuheben und insoweit die Verfahrenserneuerung anzuordnen, wobei dies gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO auch zugunsten des Angeklagten T* zu verfügen war, der in Ansehung des Verdiktes zur Zusatzfrage 4 keine Tatsachenrüge erhoben hat.

Das Verdikt zur Hauptfrage 2 bleibt dabei ‑ siehe hiezu die sonstigen Ausführungen zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten ‑ unberührt und wird gemäß § 349 Abs 2 StPO im zweiten Verfahrensgang der zu treffenden Entscheidung mit zugrunde zu legen sein.

Folge der Kassation ist auch die Aufhebung der Strafaussprüche. Demnach waren die Staatsanwaltschaft und die beiden Angeklagten mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

 

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