OGH 12Os177/94

OGH12Os177/9415.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut und Dr.Holzweber als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Hradil als Schriftführerin in der bei dem Landesgericht Leoben zum AZ 14 Vr 227/94 anhängigen Strafsache gegen Martin Luigi B***** wegen des Verbrechens nach § 3 g VG und einer anderen strafbaren Handlung über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 31. Oktober 1994, AZ 9 Bs 444/94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Martin Luigi B***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der in Deutschland wohnhafte italienische Staatsbürger Martin Luigi B***** ist dringend verdächtig, das Verbrechen nach § 3 g Verbotsgesetz (VG) dadurch begangen zu haben, daß er sich insbesondere in der Zeit von August bis Dezember 1993 im Raum Leoben in nationalsozialistischem Sinne betätigte, indem er mehreren Jugendlichen diesbezügliches Propagandamaterial anbot und zur Verfügung stellte, sowie diese Personen zur Mitarbeit in neonazistischen Organisationen anzuwerben versuchte.

Die Voruntersuchung erstreckt sich des weiteren auf das Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (3 a, 87 a, 94 f/I), hinsichtlich dessen die mit der Haftfrage befaßten Gerichte den Tatverdacht nicht auf seine Dringlichkeit prüften.

Am 30.Juli 1994 wurde Martin Luigi B***** auf Grund eines Haftbefehles festgenommen und am 2.August 1994 aus den Haftgründen der Flucht-, Verabredungs- und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1, 2, 3 lit b StPO) seine vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO angeordnet (ON 19). In der Haftverhandlung vom 9.August 1994 (ON 25) wurde die (durch gezielte Simulation provozierte - ON 37) vorläufige Anhaltung nach Einvernahme eines psychiatrischen Sachverständigen in Untersuchungshaft umgewandelt (ON 26).

Als Ergebnis der bislang letzten Haftverhandlung vom 6.Oktober 1994 (ON 59) nahm der Untersuchungsrichter nur mehr Fluchtgefahr an, vertrat jedoch die Auffassung, daß die Haftzwecke insoweit auch durch gelindere Mittel nach § 180 Abs 5 Z 1, 2, 3, 5 und 7 StPO sowie den Erlag einer Kaution von 50.000 S (§ 190 Abs 1 StPO) erreicht werden könnten (ON 62). Die Tatbegehungsgefahr verneinte er überhaupt und verfügte daher am selben Tag - nach Erlag der Kaution (ON 60) - die Entlassung des Beschuldigten.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht Graz der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 64) Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der (seiner Ansicht nach durch eine Kaution von nur 50.000 S nicht zu beseitigenden) Flucht- sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO an.

Auf Grund dieser Beschwerdeentscheidung erließ der Untersuchungsrichter am 11.November 1994 neuerlich einen Haftbefehl (ON 78), worauf Martin Luigi B***** am 15.November 1994 wieder festgenommen wurde (75/II).

Die gegen die erwähnte Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz rechtzeitig erhobene Grundrechtsbeschwerde, mit welcher der Beschuldigte - ohne die Dringlichkeit des Tatverdachtes in Zweifel zu ziehen - eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit durch unrichtige Beurteilung der herangezogenen Haftgründe geltend macht, ist nicht berechtigt.

Sie versagt zunächst mit den gegen die Tatbegehungsgefahr eingewendeten Argumenten, der Beschwerdeführer habe sich seit Ende 1993 in Österreich "in keinster Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt", er sei vor seiner Verhaftung mehr als ein halbes Jahr in Österreich "in keinster Weise straffällig" geworden und nach dem Gutachten des Dr.Heinz H***** wäre "durch eine entsprechende gelungene Partnerschaft und Gemeinschaft ein durchaus sozial akzeptiertes Leben vom Beschuldigten zu erwarten".

Entgegen den - das Gutachten unvollständig zitierenden - Beschwerdeausführungen hat der Sachverständige nämlich dargelegt, daß beim Beschuldigten konflikthaftes Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist (415/I) und diese (an sich) ungünstige Zukunftsprognose nur durch die vage - im bisherigen Verfahren keinesfalls verifizierte - Möglichkeit einer "entsprechenden gelungenen Partnerschaft und Gemeinschaft" relativiert wird, was die vom Oberlandesgericht für die Annahme der Tatbegehungsgefahr ins Treffen geführten Argumente - seit 1991 wiederholte nationalsozialistische Aktivitäten, obwohl er in Deutschland wegen auf derselben schädlichen Neigung beruhender Straftaten bereits verfolgt worden war, in Verbindung mit dem psychischen Defizit des Beschwerdeführers (Persönlichkeitsstörung, aber auch Simulationstendenzen - 411 bis 415/I) - ersichtlich nicht zu tangieren vermag, wobei all dies auch einer Erreichung der Haftzwecke durch gelindere Mittel im Sinn des § 180 Abs 1 und Abs 5 StPO entgegensteht.

Aus diesem Grunde erübrigt es sich, bei Prüfung der behaupteten Grundrechtsverletzung auch noch auf den Haftgrund der Fluchtgefahr und speziell dazu aktuelle Kautionsaspekte einzugehen (ÖJZ-LSK 1993/51).

Da Martin Luigi B***** mithin durch den bekämpften Beschluß in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war spruchgemäß zu erkennen.

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