OGH 10ObS281/94

OGH10ObS281/946.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Friedrich Hötzl und Dr. Theodor Zeh (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Werner R*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Helmar Feigl, Rechtsanwalt in Amstetten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Krankengeldes, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Juni 1994, GZ 31 Rs 39/94-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8. November 1993, GZ 5 Cgs 24/93s-7, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang des Zuspruches von S 3.957,32 und der Abweisung des Zinsenbegehrens als unangefochten unberührt bleiben, werden im übrigen - also im Umfang des rechtlichen Begehrens von S 7.910,68 und im Kostenpunkt aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird in diesem Umfang zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 11.1.1993 wurde der Antrag des Klägers auf Auszahlung eines Krankengeldes für den Zeitraum vom 29.7. bis 9.8.1992 abgelehnt. Mangels eines behandlungsbedürftigen Krankheitszustandes sei in diesem Zeitraum keine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorgelegen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage mit dem Begehren auf Zahlung eines Krankengeldes für 12 Tage a S 989,--, insgesamt also S 11.868,-- samt 4 % Zinsen seit 1.9.1992.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß der Kläger vom 30.6. bis 28.7.1992 ein Heilverfahren in der Rheumasonderkrankenanstalt Baden absolviert habe. Anläßlich der Abschlußuntersuchung am 24.7.1992 sei festgehalten worden, daß sich der Kläger außerordentlich wohl gefühlt habe. Nach Rückkehr vom Kuraufenthalt habe der Kläger über Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und der Schulter geklagt. Er habe sich unmittelbar nach Rückkehr vom Kuraufenthalt zu seinem praktischen Arzt begeben, der eine eigene Untersuchung nicht vorgenommen habe, da ihm aus etwa der Hälfte der Fälle bekannt gewesen sei, daß Restbeschwerden nach Kuraufenthalten vorhanden seien. Der Arzt habe keine besondere Behandlung angeordnet, der Kurbericht sei ihm noch nicht vorgelegen. Er sei davon ausgegangen, daß eine sogenannte Kurreaktion vorliege und nicht ein neuerliches Krankheitsgeschehen. Kurreaktionen würden im allgemeinen nach einer Woche von sich aus abklingen. Beim Kläger sei Arbeitsunfähigkeit im Anschluß an den Kuraufenthalt durch etwa eine Woche vorgelegen. Die Arbeitsfähigkeit sei vom behandelnden Arzt mit dem auf diese Woche folgenden Montag festgesetzt worden.

Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht, daß auf Grund des Vorliegens der Arbeitsunfähigkeit im Anschluß an den Kuraufenthalt dem Kläger gemäß § 106 GSVG auf Grund des Bestandes einer Zusatzversicherung der Klagsbetrag zuzusprechen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten in der Hauptsache nicht Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil nur dahin ab, daß es das Zinsenbegehren abwies. Es folgte der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes und hielt der Rechtsrüge entgegen, daß sie hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen ausgehe. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

Gegen dieses Urteil erhob die Beklagte Revision insoweit, als dem Kläger für die Zeit vom 29.6. bis 1.7.1992 und vom 6.7. bis 9.7.1992 Krankengeld zugesprochen wurde, also in einem S 3.957,32 übersteigenden Ausmaß. Sie beantragt die Abänderung dahin, daß das restliche Begehren von S 7.910,68 abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist unabhängig von dem gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes gemäß § 46 Abs 3 ASGG jedenfalls zulässig, weil es sich beim Krankengeld um eine wiederkehrende Leistung in Sozialrechtssachen handelt (SSV-NF 2/47; ebenso SSV-NF 7/63 zum vergleichbaren Wochengeldanspruch).

Die Revision ist auch im Sinne ihres Aufhebungsantrages berechtigt.

Unbestritten ist, daß der Kläger infolge Bestandes einer Zusatzversicherung auf Kranken- und Taggeld Anspruch auf Krankengeld hat (§ 105 Abs 1 Z 1 GSVG). Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gebührt vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an ein tägliches Krankengeld (§ 106 Abs 1 GSVG). Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn und solange der Anspruchsberechtigte infolge Krankheit nicht oder nur mit Gefahr der Verschlechterung seines Zustandes oder der Erkrankung fähig ist, seiner bisherigen Beschäftigung nachzugehen (§ 106 Abs 3 GSVG). Im Gegensatz zu § 120 Abs 1 Z 2 ASVG enthält demnach das GSVG eine Definition des Begriffes der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Diese Definition übernimmt die Grundsätze, die von der Rechtsprechung zu diesem Begriff entwickelt worden sind (Binder in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 233; Teschner/Widlar GSVG 47. ErgLfg 258 Anm 3 zu § 106; vgl. auch SSV-NF 1/35, 3/69 = SZ 62&128). Die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage (SSV-NF 5/19), die an Hand von Feststellungen darüber zu beantworten ist, ob und wie lange der Anspruchsberechtigte infolge Krankheit nicht oder nur mit der Gefahr der Verschlechterung seines Zustandes oder der Erkrankung fähig ist, seiner bisherigen Beschäftigung nachzugehen.

Die vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes lassen keine verlässliche Beurteilung zu, ob Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorlag und vor allem wie lange diese andauerte. Zutreffend wird von der Beklagten gerügt, daß die Vorinstanzen einerseits von einer Arbeitsunfähigkeit im Anschluß an den Kuraufenthalt durch etwa eine Woche ausgingen (also im konkreten Fall bis Mittwoch, 5. August 1992), im Gegensatz dazu dann aber doch den Anspruch bis einschließlich Sonntag, den 9. August 1992 bejahten. Abgesehen davon, daß die Feststellung der "Arbeitsunfähigkeit" als vorweggenommene rechtliche Beurteilung nicht ausreichend ist, kann auch die Vorgangsweise des behandelnden Arztes, offenbar ohne Rücksicht auf die Dauer der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsfähigkeit erst mit dem folgenden Montag (10. August 1992) festzusetzen, nicht zur Anspruchsbegründung führen. Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist kein medizinischer Begriff, sondern das Ergebnis rechtlicher Würdigung eines bestimmten Sachverhaltes, nämlich die Beurteilung der auf Grund der medizinischen Befunde festzustellenden körperlichen und geistigen Fähigkeiten in Beziehung zur bisherigen Beschäftigung (vgl Teschner/Widlar ASVG 50. ErgLfg 798 Anm 1 zu § 138). Dabei ist auf das konkrete Berufsbild, also die faktische (bisherige) Arbeitssituation des Anspruchswerbers in seinem Betrieb (oder seinen Betrieben) Bedacht zu nehmen (Teschner/Widlar GSVG aaO 259). In diesem Sinne werden die Feststellungen zu ergänzen sein.

Diese Erwägungen gelten zunächst auch in Ansehung der ersten drei "Karenztage" der Arbeitsunfähigkeit (Tomandl, Grundriß des Sozialrechts2 Rz 119). Auch in der Krankenversicherung nach dem ASVG gebührt das Krankengeld erst vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an (§ 138 Abs 1 ASVG). Dies ist dort darin begründet, daß der Arbeiter für die ersten drei Tage der Arbeitsunfähigkeit nach bürgerlichem Recht (§ 1154 b Abs 1 im Zusammenhang mit § 1164 Abs 2 ABGB) Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes gegen den Dienstgeber hat. Dieser Entgeltanspruch für die ersten drei Tage der Arbeitsunfähigkeit wurde in den Kollektivverträgen durch anderweitige Bestimmungen zugunsten der Arbeiter abbedungen. Auf Grund des EFZG besteht ein weitergehender Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes (Teschner/Widlar GSVG 47. ErgLfg 258 Anm 2 zu § 106; ASVG 50. ErgLfg 798/1 Anm 3 zu § 138). Wenngleich ein selbständig Gewerbetreibender keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung besitzt, folgt § 106 Abs 1 GSVG insoweit dem ASVG. Dies könnte seine sachliche Rechtfertigung unter anderem darin finden, daß eine nur kürzer andauernde Arbeitsunfähigkeit als sogenannter Bagatellfall nicht zum Anspruch auf Krankengeld im Rahmen der Zusatzversicherung nach dem GSVG führen soll.

Ist auf Grund der noch zu treffenden Feststellungen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit des Klägers im aufgezeigten Sinn zurückgehend auf eine sogenannte Kurreaktion im unmittelbaren Anschluß an den Kuraufenthalt anzunehmen, dann gebührt dem Kläger allerdings Krankengeld entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten bereits ab 29.7.1992 und nicht erst nach einer dreitägigen Karenz. Ist die Unterbringung in einer Kuranstalt und die Behandlung in dieser notwendig, um etwa eine Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit zu verhindern, so liegt eine der Krankenbehandlung vergleichbare Situation vor. Bei Aufenthalten in einem Kur- oder Erholungsheim ist in einem solchen Fall Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit anzunehmen (SSV-NF 7/76 mwN). Hat aber der Kläger während des Kuraufenthaltes als arbeitsunfähig zu gelten und setzte sich diese Arbeitsunfähigkeit ohne Unterbrechung im Anschluß an den Kuraufenthalt fort, dann folgt daraus, daß der Krankengeldanspruch, der während der Unterbringung im Kurheim nur ruht (§ 107 Abs 1 Z 2 GSVG), nicht erst nach dreitägiger Karenz zu laufen beginnt.

In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen im aufgezeigten Umfang aufzuheben und dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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