OGH 12Os173/94

OGH12Os173/941.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Dezember 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hradil als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mostafa Radwan M* wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und 3 Z 3 SGG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. September 1994, GZ 6 d Vr 10421/93‑65, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, und des Verurteilten Mostafa Radwan M*, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0120OS00173.9400000.1201.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. September 1994, GZ 6 d Vr 10421/93‑65, verletzt das Gesetz

1. durch die mangelnde Individualisierung der dem Schuldspruch des Mostafa Radwan M* zugrunde gelegten Tat in der Bestimmung des § 260 Abs 1 Z 1 StPO;

2. durch die Ahndung der hinsichtlich ihres Endzeitpunktes insgesamt undeterminiert gebliebenen Tathandlungen mit einer Zusatzfreiheitsstrafe zu den mit den vorausgegangenen Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. März 1993, GZ 6 d Vr 9888/92‑39, bzw vom 25. Februar 1994, GZ 6 d Vr 11609/93‑34, ausgesprochenen Sanktionen in der Bestimmung des § 31 Abs 1 StGB;

3. durch die Ableitung der Qualifikation nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG aus einer Mengenaddition des tatverfangenen Suchtgiftes unter Miteinbeziehung der Schuldsprüche laut den zu oben 2. bezeichneten Vorurteilen in den Bestimmungen des § 31 Abs 1 StGB und des § 12 Abs 3 Z 3 SGG.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

 

Gründe:

 

Mostafa Radwan M* wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. September 1994, GZ 6 d Vr 10421/93‑65, des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG schuldig erkannt und nach § 12 Abs 3 SGG unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf die (ihrerseits ebenso den §§ 31 und 40 StGB unterstellten) Urteile desselben Gerichtes vom 2. März 1993, GZ 6 d Vr 9888/92‑39, und vom 25. Februar 1994, GZ 6 d Vr 11609/93‑34, mit denen M* gleichfalls wegen Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 3 Z 3 SGG (mit Urteil vom 2. März 1993 auch wegen Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG) zu Freiheitsstrafen von fünfzehn Monaten bzw einem Jahr verurteilt worden war, zu dreieinhalb Monaten (Zusatz‑)Freiheitsstrafe verurteilt.

Laut Urteilsspruch hat Mostafa Radwan M* "in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er zumindest 25 Gramm Heroin an durchwegs unbekannte Personen verkaufte". Nach erstgerichtlicher Beurteilung hat er dadurch "im Zusammenwirken" mit den bezeichneten Vorverurteilungen vom 2. März 1993 und vom 25. Februar 1994 "die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift begangen, dessen Menge zumindest das 25‑fache der im § 12 Abs 1 SGG angeführten Menge ausmacht".

Die Tathandlungen betreffend erschöpfen sich die Urteilsgründe "zur Vermeidung von Wiederholungen" in dem Hinweis auf die im Spruch bezeichneten Vorverurteilungen und der Ergänzung, daß laut weiteren Erhebungen "Mostafa Radwan M* an weitere Personen Heroin weitergegeben hat, welche von den bisherigen Urteilen noch nicht umfaßt waren", wobei dazu nach den geständigen Täterangaben von der Weitergabe von zusätzlichen 25 Gramm Heroin an unbekannte Abnehmer auszugehen sei.

Soweit der Anklagevorwurf über den solcherart begrenzten Rahmen dieses Schuldspruchs hinausging, blieb er ‑ ohne entsprechende Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft ‑ unerledigt. M* war nämlich insgesamt angelastet worden, von Anfang 1991 bis Juli 1992 mehr als 250 Gramm Heroin, davon eine Teilmenge von bloß 15 Gramm an Unbekannte, den Rest an namentlich angeführte Personen verkauft bzw weitergegeben zu haben (133 ff, ON 44/II).

Ausgehend von "lediglich mittlerer Qualität" der inkriminierten Heroinsubstanz beurteilte das Erstgericht die Kriterien der sogenannten Grenzmenge nach § 12 Abs 1 SGG ab drei Gramm als erfüllt, bejahte jedoch trotz quantitativer Beschränkung des Schuldspruchs auf bloß 25 Gramm die Tatqualifikation nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG mit der Begründung, daß "im Hinblick auf die gemäß den §§ 31 und 40 StGB bedachtzunehmenden Urteile auch diese Grenzmenge" (ersichtlich gemeint: das Fünfundzwanzigfache der in § 12 Abs 1 angeführten Menge) "überschritten worden" sei.

Eine an der Anklagedetaillierung orientierte, nach der Aktenlage ebenso mögliche wie auch (vor allem in zeitlicher Hinsicht) gebotene nähere Tatkonkretisierung ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Mostafa Radwan M* verbüßt derzeit die über ihn verhängte Zusatzfreiheitsstrafe von dreieinhalb Monaten, deren voraussichtliches Ende sich mit 22. Dezember 1994 errechnet (ON 66/II). Ein Antrag des Verurteilten auf Gewährung einer Haftunterbrechung nach § 99 Abs 1 Z 2 StVG wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Oktober 1994 abgewiesen (ON 69/II). Über die dagegen erhobene Beschwerde des Verurteilten wurde bisher nicht entschieden.

 

Rechtliche Beurteilung

Im Sinn der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde trifft es zu, daß das erörterte Urteil dem Gesetz in mehrfacher Hinsicht widerstreitet:

Gemäß § 260 Abs 1 Z 1 StPO hat das Strafurteil auszusprechen, welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist. Das in dieser Bestimmung verankerte Gebot (spruchgemäßer) Tatindividualiserung soll (im Zusammenhang mit einer entsprechenden Konkretisierung der wesentlichen Tatmodalitäten in den Urteilsgründen) die faktische Eindeutigkeit und Unverwechselbarkeit der Tatsachengrundlagen des Schuldspruchs gewährleisten. Diesem Gebot trägt das angefochtene Urteil jedoch nicht Rechnung, weil die bloße Bezeichnung des Tatortes und der vertriebenen Mindestmenge des hier tatverfangenen Heroins eine unmißverständliche Abgrenzung der nunmehr abgeurteilten Taten mit bereits früher geahndeten oder allenfalls neu auftretenden gleichartigen Verdachtsgrundlagen nicht ermöglicht. Daß der (hier unterbliebenen) Tatindividualisierung aus der Sicht des Grundsatzes "ne bis in idem" fundamentale prozessuale Bedeutung zukommt, bedarf keiner näheren Erörterung.

Die fehlende zeitliche Eingrenzung der abgeurteilten Tathandlungen läßt zudem die Frage offen, ob bei der konkreten Fallkonstellation sämtliche Voraussetzungen für die auf §§ 31, 40 StGB gestützte Bedachtnahme auf beide oben erörterten Vorverurteilungen vorliegen. Da der erstgerichtliche Ausspruch einer Zusatzstrafe zu beiden Vorverurteilungen einen die nunmehr abgeurteilten Taten betreffenden Begehungszeitraum voraussetzt, der vor dem 2. März 1993 (Zeitpunkt des ersten der ihrerseits zueinander im Verhältnis der §§ 3140 StGB gestandenen Vorurteile) endete, wäre das Erstgericht auch aus dieser Sicht zu einer entsprechenden Tatindividualisierung (bzw ‑konkretisierung) verhalten gewesen.

Letztlich widerstreitet auch die dem Erstgericht unterlaufene Bejahung der Qualifikationsvoraussetzungen nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG dem Gesetz. Wenngleich Suchtgiftmengen zu einzelnen Tathandlungen zusammenzuzählen sind, wenn der zumindest bedingte Tätervorsatz den an die bewußt kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt mitumfaßt (ua Mayerhofer‑Rieder, Nebenstrafrecht3, § 12 SGG EGr 16) hat sich eine solche Mengensummierung lediglich auf ein und dasselbe Urteil zu beschränken. Davon ausgehend war jedoch das dem Verurteilten zuletzt angelastete Inverkehrsetzen von "zumindest 25 Gramm Heroin" unabhängig vom Reinheitsgrad des tatverfangenen Suchtgiftes zur Erfüllung der quantitativen Qualifikationskriterien nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG vorweg ungeeignet.

Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, daß die vom Schöffengericht (verfehlt) auch zur Begründung der in Rede stehenden Deliktsqualifikation angezogene Vorschrift des § 31 StGB nur die Grenzen des Strafrahmens im Fall der Verurteilung wegen einer Tat normiert, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in einem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Danach ist die gegebenenfalls zu verhängende Zusatzstrafe einerseits durch das Höchstmaß der Strafe limitiert, die für die neu hervorgekommene Tat angedroht ist. Andererseits darf die Summe der Strafen jene Strafe nicht übersteigen, die nach den Regeln über die Strafbemessung bei Zusammentreffen strafbarer Handlungen über die Zusammenrechnung der Werte und Schadensbeträge zulässig wäre. § 31 StGB stellt demnach lediglich zur Ermittlung der höchstzulässigen Strafe auf das Zusammenrechnungsprinzip des § 29 StGB ab. Was jedoch die Problematik gesamtschadensorientierter Qualifikationsbeurteilung anlangt, so eröffnet § 31 StGB nicht einmal innerhalb des Anwendungsbereiches des § 29 StGB die Miteinbeziehung eines auf ein gesondertes Urteil entfallenden Teilschadens (ua EvBl 1993/183).

Da die von der Generalprokuratur geltend gemachten Gesetzesverletzungen dem angefochtenen Urteil tatsächlich anhaften und zudem nicht auszuschließen ist, daß sie sich zum Nachteil des Verurteilten auswirkten, war insgesamt spruchgemäß zu erkennen.

 

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