OGH 2Ob76/94

OGH2Ob76/9424.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Mag.Harald E*****, 2.) I***** GmbH, beide *****, 3.) Ilona B*****, alle vertreten durch Dr.Patrick Ruth, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) G***** KG, ***** 2.) Walter U*****,

3.) Z***** Versicherungs AG, ***** alle vertreten durch Dr.Eduard Pranz ua Rechtsanwälte in St.Pölten, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 315.313,-) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23.Juni 1994, GZ 15 R 63/94-44, womit das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 28.Jänner 1994, GZ 1 Cg 433/93t-39, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich des Erstklägers und der Drittklägerin dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

1.) Die Erstbeklagte und die Drittbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Drittklägerin den Betrag von S 64.129,- samt 4 % Zinsen seit 3.3.1990 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

2.) Es wird der Erstbeklagten und der Drittbeklagten gegenüber festgestellt, daß diese zur ungeteilten Hand für alle kausalen Schäden aus dem Unfall vom 20.2.1990 der Drittklägerin zu haften haben, die Drittbeklagte jedoch nur bis zur Höhe der Haftungssumme auf Grund des Versicherungsvertrages.

3.) Das Leistungsbegehren des Erstklägers von S 112.420,- samt 4 % Zinsen seit 3.3.1990, das Feststellungsbegehren des Erstklägers, gerichtet auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle kausalen Schäden aus dem Unfall vom 20.2.1990, sowie das gegen den Zweitbeklagten gerichtete Zahlungsbegehren der Drittklägerin von S 64.129,- samt 4 % Zinsen seit 3.3.1990 und das gegen den Zweitbeklagten gerichtete Feststellungsbegehren der Drittklägerin werden abgewiesen.

4.) Die Erstbeklagte und die Drittbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Drittklägerin S 53.369,94 (darin S 6.386,27 Umsatzsteuer und S 15.052,32 Barauslagen) an Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Erstkläger ist schuldig, den Beklagten S 80.234,04 (darin S 10.418,90 Umsatzsteuer und S 17.730,64 Barauslagen) an Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Drittklägerin ist schuldig, dem Zweitbeklagten S 18.799,17 (darin S 2.441,19 Umsatzsteuer und S 4.152,02 Barauslagen) an Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20.2.1990 ereignete sich auf der Westautobahn Richtungsfahrbahn Wien nächst dem Kilometer 106 ein Verkehrsunfall, an dem der Erstkläger als Lenker eines von der Zweitklägerin gehaltenen Pkw BMW 325i, in dem die Drittklägerin als Beifahrerin mitfuhr, und der Zweitbeklagte als Lenker eines von der Erstbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Lkw-Sattelzuges beteiligt waren.

Die Kläger brachten im wesentlichen vor, der Lkw-Lenker habe den Sattelzug vom rechten auf den linken Fahrstreifen der Autobahn gelenkt, ohne auf den auf der Überholspur befindlichen Verkehr zu achten, sodaß der im Überholstreifen fahrende Erstkläger auf den Fahrstreifenwechsel nicht mehr rechtzeitig habe reagieren können. Die Kläger begehrten nach geringfügiger Klagsausdehnung bzw. Klagseinschränkung letztlich folgende Beträge:

1.) Der Erstkläger ein Schmerzengeld von S 105.000,-, den Ersatz einer Bahnkarte von S 470,-, Taxikosten von S 320,-, Reinigungskosten für ein Sakko von S 130,-, einen Pauschalbetrag von S 6.000,- für beschädigte Kleidung und die vom Erstkläger getragene Uhr sowie vorprozessuale Unkosten von S 500,-, insgesamt S 112.420,-;

2.) die Zweitklägerin einen Pkw-Selbstbehalt von S 14.820,-, Ummeldespesen von S 1.500,-, Abschleppkosten von S 5.166,-, frustrierte Generalunkosten von S 2.000,-, entgangenen Gewinn aus einer Veranstaltung von S 2.774,-, Inseratkosten für den Kfz-Verkauf von S 504,-, sowie Schadenersatz für an den Erstkläger und die Drittklägerin geleistete Provisionszahlungen von zusammen S 12.000,-, insgesamt daher S 38.764,-;

3.) die Drittklägerin Schmerzengeld von S 60.000,-, Ersatz einer Bahnkarte von S 470,-, einen Pauschalbetrag von S 3.000,- für beschädigte Kleidung, vorprozessuale Spesen von S 500,- und Krankenhauskosten von S 159,-, ingesamt daher S 64.129,-. Neben dem genannten Leistungsbegehren stellten Erstkläger und Drittklägerin ein Feststellungsbegehren auf Haftung für künftige Unfallfolgen.

Die Beklagten wendeten ein, das Alleinverschulden an dem Unfall treffe den Erstkläger, der den Auffahrunfall durch weit überhöhte Geschwindigkeit verschuldet habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und legte seiner Entscheidung im wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:

Die Mindestsicht im Unfallbereich beträgt Richtung Westen, also aus der Sicht aller Unfallbeteiligten nach hinten, mindestens 1 km. Der Zweitbeklagte lenkte seinen Sattelzug im ersten Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 85 km/h, wollte einen vor ihm langsam fahrenden ungarischen Pkw überholen und blickte in den Rückspiegel, wobei er auf dem rechten Fahrstreifen 2 bis 3 Fahrzeuge mehrere 100 m hinter sich sah, auf dem Überholstreifen einen Pkw in noch größerer Entfernung. Der Zweitbeklagte setzte den linken Blinker und lenkte auf den linken Fahrstreifen. Für die Seitenversetzung seines Sattelzuges im Zuge des Fahrstreifenwechsels, bis er mit der gesamten Fahrzeugbreite auf dem linken Fahrstreifen wieder in Geradeausfahrt war, benötigte der Zweitbeklagte mindestens 5 Sekunden, eher mehr. Zur selben Zeit lenkte der Erstkläger den BMW der Zweitklägerin auf dem linken Fahrstreifen in Richtung Wien. Er hielt eine Geschwindigkeit von ca. 150 km/h ein. Wie groß die Distanz zwischen BMW des Erstklägers und Sattelzug des Zweitbeklagten zueinander war, als der Zweitbeklagte den geschilderten Fahrstreifenwechsel begann, läßt sich nicht mehr exakt feststellen, es waren jedenfalls mindestens 200 m. Der Erstkläger bremste sein Fahrzeug zwar noch ab, stieß aber in der Folge mit rund 110 km/h Restgeschwindigkeit frontal mit der Frontbreite seines Pkws gegen die linke Heckseite des Sattelaufliegers. Ein Anstoßwinkel zwischen den Fahrzeuglängsachsen der beteiligten Fahrzeuge war nicht vorhanden. Der Grund dafür, daß der Erstkläger nicht mehr auf die Geschwindigkeit des Sattelzuges herabbremsen und somit kontaktfrei bleiben konnte, war mangelnde Aufmerksamkeit auf das Verkehrsgeschehen oder falsche Einschätzung des Bremsweges. Weiters wurden Feststellungen zur - im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen - Höhe des Klagebegehrens getroffen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Zweitbeklagte zwar den vorgenommenen Fahrstreifenwechsel trotz Vorhandenseins eines Pkws, nämlich des vom Erstkläger gelenkten BMW, auf dem Überholstreifen durchgeführt habe, dies allerdings zu einer Zeit, als der BMW-Lenker ohne Durchführung einer Notbremsung, also ohne zu plötzlichem oder unvermutetem Bremsen gezwungen zu sein, durch einfache Betriebsbremsung das Fahrzeug auf die Geschwindigkeit des Sattelzuges herabbremsen hätte können. Es müsse bei Berücksichtigung des heutigen Verkehrsaufkommens vom Nachfolgeverkehr erwartet werden, daß dieser die eigene Geschwindigkeit wegen eines ausscherenden Lkws vermindere. Andernfalls könnte eine Lkws bei starkem Verkehrsaufkommen überhaupt nicht vor ihm langsamer fahrende Fahrzeuge überholen. Ein Verschulden des Zweitbeklagten liege daher nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger teilweise Folge. Es verpflichtete die Beklagten zur ungeteilten Hand, dem Erstkläger S 56.135,- samt Anhang, der Zweitklägerin S 18.382,- samt Anhang und der Drittklägerin S 64.129,- samt Anhang zu bezahlen. Weiters wurde den Beklagten gegenüber festgestellt, daß sie zur ungeteilten Hand für alle kausalen Schäden aus dem Unfall vom 20.2.1990 dem Erstkläger zur Hälfte und der Drittklägerin zur Gänze zu haften haben, die Drittbeklagte jedoch nur bis zur Höhe der Haftungssumme auf Grund des Versicherungsvertrages. Die Leistungsmehrbegehren des Erstklägers und der Zweitklägerin und das Feststellungsmehrbegehren des Erstklägers wurden abgewiesen. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für nicht zulässig. Zur Rechtsrüge führte es im wesentlichen folgendes aus:

Zutreffend sei das Erstgericht davon ausgegangen, daß es dem Erstkläger bei der insbesondere im Hinblick auf seine überhöhte Geschwindigkeit gebotenen Beobachtung des Verkehrs ohne Vollbremsung möglich gewesen wäre, auf die Geschwindigkeit des Sattelzuges herabzubremsen. Das Erstgericht habe dieser rechtlichen Beurteilung zwar nicht ausdrücklich die vom Sachverständigen errechneten erforderlichen Strecken zur Geschwindigkeitsanpassung zugrundegelegt,

es habe aber zu Recht davon ausgehen können, daß diese Verzögerungswerte jedem Autofahrer zumindest annähernd bekannt seien. Da demnach dem Erstkläger eine kollisionsverhindernde Betriebsbremsung bei gehöriger Aufmerksamkeit möglich gewesen wäre, sei ihm seine erhebliche Unaufmerksamkeit bzw Reaktionsverspätung vom Erstgericht zu Recht als grober Verfahrensverstoß angelastet worden. Das Berufungsgericht vermöge sich allerdings nicht der Rechtsansicht anzuschließen, daß den Zweitbeklagten keinerlei Verschulden am Unfall treffe. Es sei sicher richtig, daß das Überholen auf Autobahnen für Lkws bei gesteigertem Verkehrsaufkommen immer schwieriger werde, und Rücksichtnahme des Nachfolgeverkehrs auf diese Schwierigkeiten wünschenswert sei, so auch eine entsprechende Geschwindigkeitsverminderung des Nachkommenden. Diese verkehrspolitisch richtigen Gedanken dürften aber nicht dazu führen, einen unter Verstoß gegen die Bestimmung des § 11 Abs 2 StVO den Nachfolgeverkehr Behindernden von jedem Mitverschulden zu exkulpieren. Eine Behinderung im Sinne des § 11 Abs 2 StVO liege vor, wenn ein anderer Straßenbenützer zu einem Bremsen oder Auslenken genötigt werde (ZVR 1983/158). Da der Fahrstreifenwechsel des Zweitbeklagten nach den getroffenen Feststellungen in einer Weise erfolgt sei, daß der Erstkläger die Kollision nur durch Abbremsen hätte verhindern können, liege ein Verstoß des Zweitbeklagten gegen die zitierte Norm vor, der allerdings im Hinblick auf den groben Aufmerksamkeitsfehler des mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden und unaufmerksamen Erstklägers nicht schwerer zu gewichten sei als dessen Fehlverhalten. Art und Ausmaß der vom Erstkläger und von der Drittklägerin erlittenen Schmerzen rechtfertigten jedenfalls den Zuspruch eines Schmerzengeldes in der von ihnen begehrten Höhe. Auch der von der Drittklägerin begehrte Betrag von S 3.000,- für beschädigte Kleidungsstücke mit einem Neupreis von S 5.000,- sei unter Bedachtnahme auf § 273 ZPO angemessen. Die Feststellung über mögliche unfallskausale Spätfolgen beim Erstkläger und bei der Drittklägerin rechtfertigten auch das Feststellungsbegehren. Es sei der Berufung daher im Sinne einer gleichteiligen Verschuldensteilung Folge zu geben gewesen, wobei der Drittklägerin im Gegensatz zum erstklagenden Lenker und zur zweitklagenden Halterin das Mitverschulden des Erstklägers nicht entgegengehalten werden könne. Über eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO habe das Berufungsgericht nicht zu entscheiden gehabt.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das abweisende Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die außerordentliche Revision wurde mit hg Beschluß vom 13.10.1994 hinsichtlich der Zweitklägerin zurückgewiesen, weil der Entscheidungsgegenstand insoweit S 50.000,- nicht überstieg.

Der Erstkläger und die Drittklägerin beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht zwar von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgegangen ist, den festgestellten Sachverhalt aber unzutreffend unter diese Rechtsprechung subsumiert hat. Die Revision ist teilweise auch berechtigt.

Die Beklagten machen geltend, daß den Erstkläger das Alleinverschulden am Unfall treffe. Seiner Beweislast für ein Mitverschulden des Zweitbeklagten sei er nicht nachgekommen.

Gemäß § 11 Abs 1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges den Fahrstreifen nur wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Gemäß § 11 Abs 2 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können.

Die Pflicht, sich von der Gefahrlosigkeit des beabsichtigten Fahrstreifenswechsels zu überzeugen, besteht unabhängig davon, ob sich die bei Bedachtnahme auf alle gegebenen Möglichkeiten in Betracht kommenden Verkehrsteilnehmer ihrerseits richtig verhalten haben oder nicht (ZVR 1983/237, 1984/198). Mit dem Hinweis auf die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Erstkläger allein könnte sich der Zweitbeklagte daher nicht exkulpieren.

Ein Fahrstreifenwechsel hat schon dann zu unterbleiben, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer im Sinne des § 11 Abs 1 StVO gegeben ist. Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß eine solche Behinderung schon dann vorliegt, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer zum Bremsen oder Auslenken genötigt wird (ZVR 1982/149, 1982/217, 1983/158, 1983/326, 1984/197).

Daß der Erstkläger, der zunächst seine überhöhte Fahrgeschwindigkeit beibehalten hatte, vor der Kollision (über Zuruf der Beifahrerin) doch noch versuchte, den Unfall durch eine Bremsung zu vermeiden, bedeutet allerdings nicht zwingend, daß sich der Zweitbeklagte rechtswidrig verhalten hätte. Dieser hatte nach den Feststellungen der Vorinstanzen vor seinem Überholmanöver im Rückspiegel auf dem rechten Fahrstreifen zwei bis drei Fahrzeuge mehrere 100 m hinter sich gesehen, auf dem linken Fahrstreifen einen Pkw in noch größerer Entfernung, worauf er den linken Blinker setzte und auf den linken Fahrstreifen lenkte. Die Entfernung zwischen dem vom Erstkläger gelenkten Pkw und dem Sattelzug zu Beginn des Fahrstreifenwechsels (der 5 Sekunden oder mehr in Anspruch nahm) konnte nicht festgestellt werden; 200 m war aber lediglich die Untergrenze. Diese Unklarheit geht zu Lasten des Erstklägers und der Drittklägerin, die für eine schuldhafte Rechtsverletzung des Zweitbeklagten beweispflichtig sind. Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht, daß der Zweitbeklagte mit einer Behinderung anderer Straßenbenützer hätte rechnen müssen.

Der Sachverhalt in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1983/158 ist unterschiedlich, weil damals der Lkw-Lenker seinerseits einen Überholvorgang einleitete, als der überholende Pkw schon neben dem Lkw-Zug war. Hingegen war im vorliegenden Fall das nächste Fahrzeug noch weit hinter dem Sattelzug, als der Zweitbeklagte in den Rückspiegel blickte, worauf er den Blinker setzte und den Fahrstreifenwechsel einleitete. Unter den festgestellten Umständen kann ihm ein Verstoß gegen § 11 Abs 1 oder 2 StVO nicht angelastet werden.

Hieraus folgt, daß das Alleinverschulden am Unfall den Erstkläger, dessen Verschulden die Vorinstanzen richtig beurteilt haben, trifft. Der zweitbeklagte Lenker ist gegenüber dem Erstkläger und der Drittklägerin mangels Verschuldens nicht ersatzpflichtig, weshalb das diesbezügliche Leistungs- und Feststellungsbegehren abzuweisen war.

Was allerdings den erstbeklagten Halter und den drittbeklagten Haftpflichtversicherer des Sattelzuges anlangt, so unterliegen diese der Gefährdungshaftung des EKHG. Zur Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG müßte - über die gewöhnliche Verkehrssorgfalt hinaus - die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten worden sein. Als Maßstab wird die Sorgfalt eines besonders sorgfältigen Kraftfahrers herangezogen. Dieser ideale Verkehrsteilnehmer zeichnet sich durch besonders überlegene Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht aus; er beachtet nicht nur die Gesetzesbestimmungen, sondern vermeidet es von vornherein, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (Apathy, EKHG § 9 Rz 16 mwN).

Diesem besonderen Sorgfaltsmaßstab hat der Zweitbeklagte bei seinem Fahrstreifenwechsel - ungeachtet des fehlenden Verschuldens - nicht entsprochen. Bei Einhaltung der äußersten Sorgfalt und ständiger Beobachtung des Nachfolgeverkehrs wäre der Fahrstreifenwechsel zu unterlassen oder abzubrechen gewesen. Die verbliebene Unklarheit über die Entfernung zwischen Pkw und Sattelzug zu Beginn des Fahrstreifenwechsels geht für den Bereich der Gefährdungshaftung zu Lasten des Haftpflichtigen (Apathy § 9 Rz 3 mwN).

Gegenüber dem alleinschuldigen Erstkläger kommt diese Haftung freilich nicht zum Tragen, weil entsprechend der Reihenfolge der Zurechnungsgründe gemäß § 11 Abs 1 EKHG in erster Linie das Verschulden maßgeblich ist (Apathy § 11 Rz 17 f, 22). Im Verhältnis zur als Beifahrerin schuldlosen Drittklägerin führt die Gefährdungshaftung aber zur Klagsstattgebung gegen Erst- und Drittbeklagte.

Der Revision war daher trotz vom Berufungsgericht abweichender Beurteilung der Verschuldensfrage nur teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 46, 50 ZPO.

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