OGH 7Ob631/94

OGH7Ob631/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl O*****, vertreten durch Dr.Christian Widl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dusan B*****, vertreten durch Dr.Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18.Mai 1994, GZ 48 R 234/94-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 3.Dezember 1993, GZ 6 C 960/93-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit seiner am 25.4.1991 zu 9 K 68/91 = 9 C 674/93 beim Erstgericht eingelangten gerichtlichen Aufkündigung kündigte der Kläger dem Beklagten die im Haus 1120 Wien, Schallergasse 12, gelegene Wohnung Nr.11 für den 30.5.1991 gerichtlich auf. Als Kündigungsgründe wurden § 30 Abs.2 Z 3, 1.Fall, und Z 6 MRG herangezogen. Der Kläger brachte hiezu vor, daß der Beklagte die Wohnung verwahrlosen lasse. Es sei zu umfangreicher Schimmelbildung gekommen. Die Wohnung werde offenbar auch nicht benützt. Es liege weder ein dringendes Wohnbedürfnis des Beklagten noch naher Angehöriger vor. Diese Aufkündigung wurde dem Beklagten durch Hinterlegung zugestellt. Der Beginn der Abholfrist war der 6.5.1991. In der Folge wurde die zwangsweise Räumung bewilligt und am 24.10.1991 durchgeführt. Am 5.11.1991 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen, die er zugleich nachtrug und vorbrachte, daß die einmonatige Kündigungsfrist nicht eingehalten worden sei und überdies die behaupteten Kündigungsgründe nicht vorlägen.

Am 27.11.1991 brachte der Beklagte gegen den Kläger zu 6 C 2698/91 des Erstgerichtes eine Besitzstörungsklage mit dem Antrag auf einstweilige Vorkehrung ein, weil der Kläger die Eingangstür der Wohnung und den Holzfußboden entfernt sowie die beiden die Wohnung zum Nachbarobjekt hin abgrenzenden Mauern niedergerissen habe. Da sich beim richterlichen Augenschein am 28.11.1991 die Richtigkeit dieser Behauptungen herausstellte, wurde dem Kläger mit einstweiliger Vorkehrung vom selben Tag die Verfügung (insbesondere die Umgestaltung, Vermietung und sonstige Verwertung) über die Wohnung untersagt. Mit Endbeschluß vom 20.1.1992 wurde festgestellt, daß der Kläger durch diese Vorgangsweise den ruhigen Besitz des Beklagten am Bestandobjekt gestört habe, und dem Beklagten die Wiederherstellung aufgetragen. Einem vom Kläger erhobenen Rekurs wurde nicht Folge gegeben. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Kläger die Wohnung wiederhergestellt und sie dem Beklagten übergeben hat. Vielmehr hat der hier Beklagte den Kläger zu 6 C 2234/93 des Erstgerichtes auf Zuhaltung des Mietvertrages durch die dort näher beschriebene Wiederherstellung des Mietobjektes geklagt.

Mit Beschluß vom 17.3.1993 wurde dem Beklagten die Wiedereinsetzung im Kündigungsverfahren 9 C 674/93 bewilligt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 22.3.1993, das dem Kläger gemeinsam mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung am 20.4.1993 zugestellt wurde, wurde die Aufkündigung aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen, weil die Aufkündigung gemäß § 563 ZPO verfristet war.

Am 16.4.1993 brachte der Kläger neuerlich eine auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs.2 Z 3, 1.Fall, und Z 6 MRG gestützte gerichtliche Aufkündigung, und zwar nunmehr zum 30.6.1993 ein, die dem Beklagten am 22.4.1993 durch Hinterlegung zugestellt wurde. Der Beklagte erhob zeitgerecht Einwendungen, mit denen er die Aktivlegitimation des Klägers und das Vorliegen der behaupteten Kündigungsgründe bestritt und darauf hinwies, daß der Beklagte aufgrund der Besitzstörungshandlungen des Klägers über keinen Besitz am Mietobjekt verfüge und die Geltendmachung der Kündigungsgründe im Hinblick auf den zugunsten des Beklagten ergangenen Endbeschluß im Besitzstörungsverfahren als mutwillig anzusehen sei. Der Kläger brachte daraufhin vor, daß er zwar aufgrund der zunächst bewilligten Aufkündigung im Verfahren 9 C 674/93 Umbauten an der Wohnung durchgeführt, daß der Beklagte die Kündigungsgründe aber bis zur Durchführung dieser Arbeiten gesetzt habe. Der Beklagte habe die Wohnung nicht regelmäßig benützt, habe daran kein dringendes Wohnbedürfnis und habe sie erheblich vernachlässigt, wodurch starke Schimmelbildung und umfangreicher Befall mit Ungeziefer aufgetreten seien.

Der Beklagte bestritt auch dieses Vorbringen und behauptete, daß allfällige Schäden an der Wohnung erst nach dem rechtswidrigen Eingriff des Klägers in die Mietrechte des Beklagten entstanden seien.

Das Gericht erster Instanz erklärte die Aufkündigung ohne weitere Beweisaufnahmen für rechtsunwirksam und wies das Räumungsbegehren ab. Bei der Beurteilung, ob die geltend gemachten Kündigungsgründe vorlägen, sei vom Sachverhalt im Zeitpunkt der Einbringung der Kündigung, somit hier vom 16.4.1993 auszugehen. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch der Wohnung zu diesem Zeitpunkt könne dem Beklagten schon deshalb nicht angelastet werden, weil er gar keine Verfügungsmöglichkeit über die Wohnung gehabt habe. Der Umstand, daß der Beklagte die Wohnung zu diesem Zeitpunkt nicht benützt habe, sei auf das rechtswidrige Verhalten des Klägers zurückzuführen, sodaß die Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes an Mutwillen grenze.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Daß die geltend gemachten Kündigungsgründe im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung, auf den nach ständiger Rechtsprechung abzustellen sei, nicht mehr gegeben gewesen seien, gehe jedenfalls zu Lasten des Klägers. Im übrigen hätte der Kläger die neuerliche Kündigung bereits einbringen können, als ihm der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung im Vorprozeß zur Kenntnis gebracht worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Es ist zwar richtig, daß es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für die Berechtigung der Aufkündigung wesentlich ist, ob der Kündigungstatbestand zur Zeit der Aufkündigung erfüllt ist (MietSlg. 39.424 uva). Damit ist aber gemeint, daß der Kündigungsgrund bereits bei der Zustellung der Aufkündigung vorliegen muß, daß also dessen nachträgliche Verwirklichung nicht zu einer Wirksamerklärung der Aufkündigung führen kann, wobei ausnahmsweise - beim Kündigungsgrund des Eigenbedarfes und bei Kündigungsgründen, die eine Zukunftsprognose erfordern - auf die bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz eingetretenen Umstände Bedacht zu nehmen ist (vgl. Würth in Rummel2 II, Rz 5 zu § 33 MRG und die dort angeführte Judikatur).

In dem hier vorliegenden Fall behauptete der Kläger, daß die Kündigungsgründe der Nichtbenützung und des erheblich nachteiligen Gebrauches bereits im Zeitpunkt der am 25.4.1991 eingebrachten Kündigung bis zu den von ihm durchgeführten Umbauarbeiten, somit also jedenfalls vor der Aufkündigung im gegenständlichen Verfahren, gesetzt und solange nicht beendet worden seien, bis der Kläger ein Weiterbenützen der Wohnung durch Umbauarbeiten unmöglich machte. Der Sachverhalt ist daher insofern anders gelagert als in jenen Fällen, die den von den Untergerichten zitierten Entscheidungen zugrundelagen, als die Wohnung im Zeitpunkt der nunmehrigen Aufkündigung gar nicht mehr benützt werden konnte. Der Kläger war damit aber auch nicht in der Lage, das ihm vorgeworfene Verhalten bis zur in diesem Rechtsstreit zu beurteilenden Aufkündigung zu ändern. Eine Zukunftsprognose kann nicht erstellt werden. Es ist daher auf das vom Beklagten bis zu jenem Zeitpunkt, ab dem ihm die Benützung der Wohnung durch das Verhalten des Klägers unmöglich gemacht wurde, abzustellen.

Dem steht auch nicht die Rechtskraft des im Kündigungsstreit 9 C 674/93 des Erstgerichtes ergangenen Urteiles entgegen, mit dem die Aufhebung der für den Kündigungstermin 30.5.1991 erfolgten, auf dieselben Kündigungsgründe gestützten Aufkündigung ausgesprochen wurde. Kündigungen zu verschiedenen Terminen sind nämlich nach herrschender Rechtsprechung und Lehre nicht ident im Sinn des § 411 ZPO (1 Ob 615/87 = MietSlg. 39.756 mwN).

Die Annahme eines konkludenten Verzichtes des Klägers auf die Geltendmachung der bereits zu 9 K 68/91 = 9 C 674/93 vorgetragenen Kündigungsgründe kommt hier nach der derzeitigen Aktenlage nicht in Betracht. Kündigungsgründe sind zwar ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen, weil sie sonst nicht mehr als "wichtig" angesehen werden können (Würth in Rummel2 II Rz 4 zu § 30 MRG sowie Rummel in Rummel2 I Rz 22 zu § 863 ABGB je mit Judikaturnachweisen). Der Kläger hat aber dadurch, daß er das Verfahren 9 C 674/93 einleitete, aufgrund der bewilligten Aufkündigung die Räumungsexekution erwirkte, die Wohnung anschließend für eigene Zwecke benützte, den Aufkündigungsstreit 9 C 674/93 trotz des Antrages des Beklagten auf Wiedereinsetzung und der erhobenen Einwendungen bis zum Urteil erster Instanz weiterbetrieb und unverzüglich nach Fällung des wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist abweisenden Urteiles (und sogar noch vor dessen Zustellung und der Zustellung des Beschlusses auf Bewilligung der Wiedereinsetzung) unverzüglich eine neuerliche Aufkündigung zum nächstmöglichen Termin einbrachte, eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er auf die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht verzichten wolle. Es war dem Kläger sehr wohl zuzubilligen, auf den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Vorverfahren nicht sofort mit einer neuerlichen Aufkündigung zu reagieren, sondern zunächst einmal das ohnehin bereits anhängige Verfahren weiterzuführen und abzuwarten, ob der Wiedereinsetzungsantrag überhaupt bewilligt wird und wie über die - zunächst ja bewilligte - Aufkündigung letztendlich entschieden wird.

Da aufgrund der unrichtigen Rechtsansicht der Untergerichte bisher sowohl die bestrittene Aktivlegitimation des Klägers als auch das Vorliegen der vom Kläger behaupteten und vom Beklagten bestrittenen Kündigungsgründe bis zu jenem Zeitpunkt, als der Beklagte noch über die Wohnung verfügen konnte, ungeprüft blieb, war dem Revisionsantrag auf Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen stattzugeben und dem Erstgericht, das insoweit die angebotenen Beweise aufzunehmen und entsprechende Feststellungen zu treffen haben wird, die Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.

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