OGH 10ObS246/94

OGH10ObS246/948.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Kurt Retzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Leo P*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen vorzeitiger Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Juli 1994, GZ 33 Rs 61/94-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.Februar 1994, GZ 25 Cgs 297/93m-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 21.6.1990 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.5.1990. Der Pensionsberechnung legte sie 470 Versicherungsmonate nach dem ASVG zugrunde.

Das auf die anerkannte Leistung im gesetzlichen Ausmaß unter Berücksichtigung der Zeit vom 6.11.1947 bis 9.11.1950 als weiterer Versicherungszeit gerichtete Klagebegehren stützt sich darauf, daß der Kläger während dieses Zeitraumes als Bäckerlehrling gegen Entgelt in der Invalidenversicherung als versichert gegolten habe und dadurch Versicherungsmonate erworben habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß der Kläger damals Zögling eines Erziehungsheimes gewesen und als solcher nicht pflichtversichert gewesen sei.

Nachdem das Verfahren zur Klärung der strittigen Vorfrage der Versicherungspflicht nach § 74 Abs 1 ASGG unterbrochen worden war, entschied das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit rechtskräftigem Bescheid vom 24.3.1993 Zl 120.927/2-7/93, daß der Kläger vom 6.11.1947 bis 5.11.1950 aufgrund seiner Beschäftigung als Bäckerlehrling im Erziehungsheim E***** gemäß § 1226 Abs 1 Z 4 und Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) der Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung unterlag.

Unbestritten blieb, daß für den genannten Zeitraum keine Beiträge entrichtet oder nachentrichtet wurden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Die Zeit vom 6.11.1947 bis 9.11.1950 gelte nach § 190 Reichsangestelltenversicherungsgesetz (RAVG) iVm § 1442 Abs 1 und Abs 2 RVO nicht als Beitragszeit, weil Beiträge unwirksam würden, wenn sie nach Ablauf von zwei Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, entrichtet würden. Der Versicherungsträger könne zwar die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen binnen weiteren zwei Jahre zulassen, die jedoch schon verstrichen seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Zeit, in der der Kläger Bäckerlehrling war, könne mangels Beitragsentrichtung nicht als Versicherungszeit berücksichtigt werden. Das BMAS könne zwar nach § 226 Abs 3 ASVG die Erwerbung von Beitragszeiten durch Nachentrichtung von Beiträgen für eine vor dem 1.1.1956 gelegene Zeit insoweit als wirksam anerkennen, als für diese Zeit nach den für sie in Geltung gestandenen oder nachträglich für sie getroffenen Bestimmungen Beiträge zu entrichten gewesen wären oder hätten entrichtet werden können. Da bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung ein solcher Bescheid nicht erlassen worden sei, könne die Zeit der Bäckerlehre nicht als Beitragszeit berücksichtigt werden. Eine nochmalige Unterbrechung des Verfahrens nach § 74 Abs 1 ASGG komme nicht in Betracht, weil es sich um keine in dieser Gesetzesstelle aufgezählte strittige Vorfrage handle.

In der Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; er beantragt, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgegebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Beitragszeiten aus der Zeit vor dem 1.1.1956 sind nach § 226 Abs 1 ASVG die Zeiten, die als Beitragszeiten nach den am 31.12.1955 in Geltung gestandenen Vorschriften anerkannt waren. Nach Abs 3 leg cit kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Fällen besonderer Härte die Erwerbung von Beitragszeiten durch Nachentrichtung von Beiträgen für eine vor dem 1.1.1956 gelegene Zeit insoweit als wirksam anerkennen, als für diese Zeit nach den für sie in Geltung gestandenen oder nachträglich für sie getroffenen Bestimmungen Beiträge zu entrichten gewesen wären oder hätten entrichtet werden können. Ein Fall besonderer Härte ist insbesondere dann anzunehmen, wenn dem Versicherten ansonst ein Nachteil in seinen versicherungsrechtlichen Verhältnissen erwächst, der unter Berücksichtigung seiner Familien- und Einkommensverhältnisse von wesentlicher Bedeutung ist, und der Versicherte die Unterlassung der Anmeldung zur Versicherung nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Bei Anwendung der Abs 1 und 3 gelten nach Abs 4 Z 1 Beitragszeiten der Invalidenversicherung nach der RVO als Beitragszeiten der Pensionsversicherung der Arbeiter.

In der Invalidenversicherung galten vom 1.1.1939 bis 31.3.1952 in Österreich die §§ 1226 bis 1242b und die §§ 1442 bis 1446 RVO. Nach § 1226 Abs 1 Z 4 waren für den Fall der Invalidität und des Alters ... Lehrlinge versichert, soweit sie nicht nach dem Angestelltenversicherungsgesetz versicherungspflichtig oder versicherungsfrei waren. Voraussetzung der Versicherung war nach Abs 2 leg cit, daß der Lehrling gegen Entgelt (§ 160 RVO) beschäftigt wurde. Daß der Kläger vom 6.11.1947 bis 5.11.1950 aufgrund seiner Beschäftigung als Bäckerlehrling im Erziehungsheim E***** gemäß der zit Gesetzesstelle der Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung unterlag, steht aufgrund des Bescheides des BMAS vom 24.3.1993 bindend fest.

Gemäß § 9 des 1. Sozialversicherungs-Neuregelungsgesetzes BGBl 1952/86 (1. SV-NG) galten aus der Zeit vor dem 1.4.1952 unbeschadet der Bestimmungen des § 31 als Beitragszeiten 1. die nach den jeweils in Geltung gestandenen Vorschriften erworbenen Beitragszeiten ... (Abs 1). Nach dem 31.3.1952 können gemäß Abs 2 leg cit Beitragszeiten noch insoweit erworben werden, als dies nach den für die betreffende Zeit in Geltung gestandenen oder nachträglich für diese Zeit getroffenen Bestimmungen ... möglich gewesen wäre... Nach dem mit 1.4.1952 außer Kraft getretenen § 1242 RVO waren Pflichtbeiträge ... unwirksam, wenn sie nach Ablauf von zwei Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollten, entrichtet wurden (Abs 1). Über diese Zeit hinaus hatte der Versicherungsträger die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen binnen weiteren zwei Jahren zuzulassen, wenn sie ohne Verschulden des Versicherten nicht rechtzeitig entrichtet worden waren... (Abs 2). In Fällen besonderer Härte kann das BMAS die Nachentrichtung auch nach Ablauf der in den Abs 1, 2 bezeichneten Fristen zulassen und hiefür eine Frist bestimmen.

§ 8 des 1. SV-NG regelte, welche nach Inkrafttreten dieses Gesetzes gelegenen Zeiten als Beitragszeiten anzuerkennen sind. In der Z 1 leg cit wurde ab Inkrafttreten des Gesetzes hinsichtlich der Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Dienstnehmer (auch Lehrling) von dem bisherigen Grundsatz abgegangen, daß als Beitragszeit nur Zeiten anerkannt werden, für die tatsächlich Beiträge entrichtet worden sind. Solche Zeiten gelten nämlich seither, wenn die Anmeldung rechtzeitig erstattet wurde, vom Beginn der Beschäftigung an, wenn aber die Anmeldung verspätet erstattet wurde oder nachträglich ohne vorherige Anmeldung die Einbeziehung in die Versicherung erfolgte, von dem Tag der verspäteten Anmeldung oder der nachträglichen Einbeziehung in die Versicherung an als Beitragszeiten, ohne Rücksicht darauf, ob die Beiträge innerhalb der gesetzlich zulässigen Frist entrichtet worden sind. Es blieb also nur für solche versicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten der bezeichneten Art, die vor einer verspäteten Anmeldung oder der durch den Versicherungsträger oder die Behörde erfolgten Geltendmachung der Versicherungspflicht liegen, die Leistung von Beiträgen Voraussetzung für die Anerkennung dieser Zeiten als Beitragszeit (RV zum 1. SV-NG 452 BlgNR 6. GP 18).

Im § 9 Abs 1 leg cit wurden als Beitragszeiten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes außer den nach § 31 eingekauften Zeiten unter Z 1 vor allem die Zeiten anerkannt, die nach den jeweils geltenden Vorschriften als Beitragszeiten erworben worden sind. Soweit es sich dabei um Zeiten ab 1.1.1939 handelt, müssen sie mit Beiträgen tatsächlich belegt sein (RV zum 1. SV-NG aaO 19; sa OLG Wien als damals letzte Instanz in Leistungsstreitsachen 1.4.1970 SSV 10/38).

Das ASVG hielt im wesentlichen an den Grundsätzen der §§ 8 und 9 des

1. SV-NG fest (vgl die §§ 225 und 226 ASVG; RV zur Stammfassung 599 BlgNR 7. GP 69f).

Daraus ergibt sich, daß in der Zeit vom 1.1.1939 bis 31.3.1952 Beitragszeiten - auch solche der Pflichtversicherung - (grundsätzlich) nur durch Entrichtung der Beiträge erworben werden konnten. Lediglich nach § 1444 RVO standen der Entrichtung der Beiträge gleich: 1. die von einer zuständigen Stelle an den Arbeitgeber gerichtete Mahnung, 2. die Bereiterklärung des Arbeitgebers oder des Versicherten zur Nachentrichtung gegenüber einer solchen Stelle, wenn demnächst die Beiträge in einer angemessenen Frist entrichtet wurden (sa MGA ASVG 35. ErgLfg 1092f FN 1 A g und B). Daß ein solcher Ausnahmefall vorliegt, wurde nicht behauptet; auch der Akteninhalt bietet dafür keinen Anhaltspunkt.

Dem Berufungsgericht ist daher beizupflichten, daß die Zeit vom 6.11.1947 bis 5.11.1950, in der der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung als Bäckerlehrling der Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung unterlag, jedenfalls zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (Schluß der mündlichen Streitverhandlung) keine Beitragszeit iS des § 226 Abs 1 ASVG war.

Daß der damals unvertretene Kläger vom Erstgericht nicht angeleitet wurde, beim BMAS einen Antrag nach § 226 Abs 3 ASVG zu stellen, und zu beantragen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber den Rechtsstreit zu unterbrechen, wurde in der Berufung nicht als Mangel gerügt und kann deshalb in der Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (SSV-NF 1/68 ua). Übrigens wäre wegen eines anhängigen Verwaltungsverfahrens nur eine Unterbrechung nach § 190 ZPO möglich gewesen, weil - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - keine strittige Vorfrage iS des § 74 Abs 1 ASGG vorliegt.

Die Zeit der Bäckerlehre des Klägers gilt auch nicht als Ersatzzeit nach § 228 Abs 1 Z 9 ASVG. Danach gelten nämlich nur nicht schon als Versicherungszeiten geltende Zeiten eines Lehrverhältnisses als Ersatzzeiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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